Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
Von wegen „Atomenergie abgewählt!“: „Ich bin in erster Linie meinem Land verpflichtet!“ (Kretschmann, Grüner Landesvater)

Diese Deutung der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zieht sich gleichermaßen durch die Kommentare der professionellen Wahlbeobachter wie der ge- oder abgewählten Politikerfiguren. Die Wahrheit über diese Wahlen ist eine andere. Das verrät schon ein flüchtiger Blick auf den Stimmzettel: Die Frage nach „Atomkraft – ja oder nein?“ wurde dem Wähler schlicht und ergreifend nicht zur Abstimmung vorgelegt, stattdessen eine andere. Die lautete auch diesmal so, wie sie immer lautet, und ist in ihrer Einsinnigkeit eigentlich schwer misszuverstehen: Welche der antretenden Parteien soll Regierungspartei werden? In der aktuellen Fassung: Sollen Mappus und Beck weiterregieren oder durch alternative Figuren aus der Opposition ersetzt werden?

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
Von wegen „Atomenergie abgewählt!“: „Ich bin in erster Linie meinem Land verpflichtet!“ (Kretschmann, Grüner Landesvater in spe)

Die Folgen des Wahlsonntags: Atomkraft abgewählt. (hr-online.de)

Diese Deutung der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zieht sich gleichermaßen durch die Kommentare der professionellen Wahlbeobachter wie der ge- oder abgewählten Politikerfiguren. Die Wahrheit über diese Wahlen ist eine andere. Das verrät schon ein flüchtiger Blick auf den Stimmzettel: Die Frage nach „Atomkraft – ja oder nein?“ wurde dem Wähler schlicht und ergreifend nicht zur Abstimmung vorgelegt, stattdessen eine andere. Die lautete auch diesmal so, wie sie immer lautet, und ist in ihrer Einsinnigkeit eigentlich schwer misszuverstehen: Welche der antretenden Parteien soll Regierungspartei werden? In der aktuellen Fassung: Sollen Mappus und Beck weiterregieren oder durch alternative Figuren aus der Opposition ersetzt werden?

Klar: Gerade mal zwei Wochen vor den Wahlen verwirklicht sich in Japan ein apartes Restrisiko, der GAU findet glatt statt. Dieses Ereignis hat allemal seine Wirkung auf die Motivlagen einer großen Zahl derer, die gerade zu den Urnen gerufen werden: Immerhin stehen ja jede Menge der in ihrer wahren Gefährlichkeit möglicherweise erst jetzt erkannten AKWs auch in unseren Landen herum! Hinzu kommt, dass die Kanzlerin selbst sich beeindruckt zeigt, sogleich einen energiepolitischen Schwenk auf die Tagesordnung setzt und entsprechend inszeniert. Dass nicht wenige Wähler ihre diffuse Betroffenheit vom japanischen GAU und ihre regierungsamtlich bestätigte Skepsis gegenüber der Kernenergie dazu bewegt hat, der grünen, sich von jeher und jetzt erst recht als atomkraftkritisch profilierenden Partei ihre Stimme zu geben, wird schon so gewesen sein. Nur: Was sie mit ihrem Wahlkreuz bewerkstelligt haben, hat mit ihren der Missbilligung der Atomenergie entstammenden Beweggründen für ihre Stimmabgabe nichts zu tun. Diese wie alle anderen beim Wählen gehegten Motive kürzen sich mit dem Wahlkreuz für welchen Verein auch immer vollständig heraus: Übrig bleibt, wie viele Stimmen die Parteien jeweils auf sich ziehen können und wie dementsprechend die Machtverteilung im Lande aussieht: Ergebnis der beiden Landtagswahlen war die Ermächtigung zweier Koalitionen zum Regieren und die Bestellung der Chefs der obsiegenden Parteien zu den obersten Repräsentanten der Regierungsgewalt. Dass Kretschmann neu inthronisiert wird und Beck weiterregiert, das ist das ganze Resultat der Wahlen und sonst nichts.

Inhalt und Leistung der Wahl sind also das eine; die Intention des Wählers beim Wählen das andere. Was der sich zu seinem Wahlkreuz denkt, was ihn zur Entscheidung für die eine oder die andere Partei, für den einen oder den anderen Kandidaten treibt, welches Motiv er dabei für sich zum guten Grund seiner Wahl erhebt – all das kann und soll er tun: gut ist es für nichts anderes als für die zustimmende Ermächtigung der Herrschaft von unten.

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Dieses Verhältnis von Wähler, Partei und Amt stellt in dankenswerter Deutlichkeit der grüne Landesvater Baden-Württembergs in spe Kretschmann klar, kaum dass er gewählt ist:

„Ein Ministerpräsident habe zunächst die Interessen seines Landes zu vertreten, sagt er: ‚Jedenfalls werde ich mein Amt so führen. Ich bin in erster Linie meinem Land verpflichtet, und dann kommt irgendwann meine Partei, und meine Person auch ganz hinten. ... So sehe ich die richtige Reihenfolge.‘“ (www.tagesspiegel.de)

Wenn das Land über allem steht, wenn er als der gewählte Kretschmann gerade nicht mehr als Parteipolitiker, sondern nur mehr als Landesvater agiert und nur so der Aufgabe gerecht wird, zu deren Erfüllung er bestellt ist, dann heißt das: In der Demokratie bestimmt nicht die Partei, die gewählt wird, wie die Staatsgewalt zu handhaben ist, sondern das Amt, um dessen Besetzung die Parteien konkurrieren, definiert, was zu tun ist. Die kapitalistische Staatsräson steht fest; die haben die Amtswalter mit der Macht, die ihnen ihre Position im Staatsapparat verleiht, zu exekutieren. Dass sie nur als Parteipolitiker in diese Ämter gelangen können und gelangt sind, haben sie schleunigst zu vergessen.

Worauf Kretschmann damit seinem grünen Wahlvolk gegenüber pocht, kaum hat er es als Grüner erfolgreich für seine Machterlangung eingespannt, ist die Freiheit seiner errungenen staatsmännischen Verantwortung für Baden-Württemberg von jeder Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Beweggründe seiner Wähler, die ja immerhin auf die Programmatik und das Image seiner grünen Partei bezogen sind. Gut und in Ordnung ist es, wenn die Partei und er als ihr Führer sich der Drangsale und Betroffenheiten des Wahlvolks annehmen, sie bedienen, vereinnahmen oder sonst wie bewirtschaften – um sie so in Wahlstimmen umzumünzen. Insofern sind die Themen Atom, Ökologie, Frieden usw. und auch mal der Widerstand gegen die Tieferlegung eines Hauptbahnhofs für und mit der Basis zu beackern. Dieses Verfahren der Wählerbetörung hat aber rein gar nichts mit der Ausübung des Amtes zu tun, in das das Wahlvolk ihn hievt, stellt Kretschmann klar. Wo kämen wir denn da hin, wenn man beim Regieren die Befindlichkeiten des Stimmviehs zu berücksichtigen hätte. So viel Ehrlichkeit muss sein.

Und Kretschmann lässt nicht locker: Er besteht darauf, zwar als Grüner zum Landesvater gekürt zu werden, aber als Landesvater keine Grünen, sondern nur mehr Schwaben und Badener zu kennen. Er macht am Volk fürs Volk deutlich, dass er einzig und allein dem Amt des Ministerpräsidenten verpflichtet sein wird:

„Er verspricht einen ‚neuen Politikstil‘, der ‚nicht polarisiert‘ und die Gräben zuschütte... Offiziell lautet die Maxime: Versöhnen statt spalten.“ (www.zeit.de)

Regiert wird eben das Volk. Soweit es sich im Wahlkampf oder in der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 hat spalten lassen, gehört es nun wieder zusammengeführt. Für das Ländle haben jetzt alle an einem Strang zu ziehen, parteipolitische Friktionen oben wie unten stören da nur. So souverän die Regierung über allen Partikularinteressen in der Gesellschaft steht, so einig hat das Volk zu sein. Für die eigene Partei und deren Fußvolk mit seinen Erwartungen an die neue, grün geführte Regierung heißt das: Auch sie haben sich gefälligst am großen Ganzen zu relativieren.

Und wer wäre besser zum Zusammenführen geeignet als der Gewählte selbst? Bei ihm fällt das in Szene gesetzte Bild vom Politiker als überparteilichem Versöhner mit der in ihm qua Amt personifizierten, über allen Interessen stehenden Staatsräson und staatlichen Einheit zusammen. Glaubwürdiger kann man das Volk nicht zur Einheit ermahnen. Komplementär dazu hat die Wahlniederlage eines Mappus gezeigt, dass der seines Amtes nicht würdig war: Er hat mit den Bahnchefs und der Atomlobby gekungelt und das Volk im Stuttgarter Hofgarten schlecht behandelt. Er war immer als Partei-Mann und Spalter unterwegs, nie als Landesvater. Und wurde deshalb gerechterweise vom Volk aus dem Amt gewählt.