Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Eine Landtagswahl in Hessen wirft Fragen auf:
Was hat der Hessen-Wähler eigentlich plötzlich gegen die Grünen?
Die Grünen haben in Hessen die Landtagswahl vergeigt – dumm gelaufen für den ‚linken Wähler‘. Zum Trost: Die Gründe, die Grünen zu wählen, sind garantiert mindestens genauso bescheuert wie diejenigen, sie diesmal nicht zu wählen.
Aus der Zeitschrift
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Eine Landtagswahl in Hessen wirft
Fragen auf
Was hat der Hessen-Wähler eigentlich
plötzlich gegen die Grünen?
Die Grünen haben in Hessen die Landtagswahl vergeigt: Von 11,2% im Jahre 1995 sind sie auf 7,2% abgesackt. Ein Debakel, dessen Gründe geklärt werden müssen. Und sie werden geklärt. In einer Gemeinschaftsaktion erläutern Vertreter der demokratischen Öffentlichkeit und Spitzenpolitiker der grünen Partei dem interessierten Wähler, warum er so massenhaft von den Grünen weggewandert ist: Das lag ganz eindeutig an ungefähr folgendem:
Erstens an „hausgemachten Problemen in Hessen.“ … „Personalquerelen. …“ (FR, SZ), daß es der Sau graust, herrschen in diesem Landesverband.
Zweitens am „bundespolitischen Erscheinungsbild der Grünen“. Der Partei laufen nämlich „ihre Stammwähler davon, weil sie die Bonner Grünen der Aufgabe grüner Identität zugunsten der Machtteilhabe bezichtigen.“ (SZ)
Drittens am „bundespolitischen Erscheinungsbild der Grünen“. Weil es ihnen nämlich nicht gelungen ist, die „neue Mitte“ zu überzeugen; zum Beispiel davon, daß es den Grünen „nicht nur um eine AKW-Abbruchdebatte geht, sondern um die Einstiegsdebatte in die Energiewende – und damit auch um zukunftsfähige Arbeitsplätze“. (Gunda Röstel)
Viertens daran, „daß die Grünen nach acht Jahren in der Regierung in Hessen aussahen wie die grauen Panther“. (Spiegel) Weil nämlich „mit dem Erfolg und dem Fortgang der Zeit auch die Abnutzung kommt“ (Joschka Fischer) und sich deshalb der Eindruck breitmacht, „daß die alte Garde der Parteigründer schlapp macht“. (Spiegel)
Fünftens ist deshalb arschklar, daß man sich „fragen muß, ob die Strukturen der Partei, die ja mal als Bewegung entstanden ist, für das nächste Jahrzehnt noch taugen.“ (Joschka Fischer) Ob man also nicht endlich auf bewährte kampferprobte, öffentlichkeitswirksame Köpfe setzt und das längst überholte Rotationsprinzip endgültig ad acta legt.
Wobei natürlich sechstens völlig außer Frage steht, daß die Grünen „in Hessen wie anderswo auf eine jüngere Generation und neue Gesichter setzen müssen“ (Joschka Fischer), um „den Jung- und Erstwähler zurückzugewinnen.“ (Gunda Röstel) Der kann nämlich „die Politik des erhobenen Zeigefingers“ (Rupert von Plottnitz) nicht mehr leiden, weil er dahinter unschwer die „Partei der Oberstudienräte“ (SZ) entdeckt, und wendet sich deshalb ganz locker, flockig den jung-dynamischen Jungs von den C-Gruppen und den Sozis zu.
Siebtens liegt das Wahl-Debakel überhaupt nicht an den Grünen, sondern an den anderen, den „großen Parteien“. Die haben schließlich eine „Polarisierung des Wahlvolks über das Staatsangehörigkeitsrecht erreicht“. Und „wegen der Polarisierung haben die beiden kleinen Parteien an die großen verloren“. (Gunda Röstel)
Achtens haben die Grünen „die Reihenfolge“ in Sachen Polarisierung nicht richtig eingehalten: „Wir hätten zuerst aufklären und dann das Staatsangehörigkeitsrecht ändern sollen.“ (Rupert von Plottnitz)
Neuntens ist die Wahlniederlage in Hessen ganz allgemein und überhauptig in einem Gesamtzusammenhang zu sehen. Weil nämlich das „Stimmungstief bei den Grünen“ schon länger andauert und „durch den Wahlsieg von Rot-Grün im September nur überdeckt wurde.“ (Gunda Röstel)
Und zehntens: Am 7. Februar war da ein Sauwetter in Hessen: – „Man ist sich sicher: Graupelschauer und Schneematsch haben linke Wähler angesichts eines sicher geglaubten Wahlsieges nicht aus dem Haus getrieben, die Union konnte hingegen ihre Leute mobilisieren.“ (SZ)
Tja, insgesamt also dumm gelaufen für den „linken Wähler“ in Hessen, der sich da durch Nicht-Wählen um seinen sicher geglaubten Wahl-Erfolg gebracht hat.
Vielleicht kann er sich ja mit folgender Überlegung trösten: Die Gründe, die Grünen zu wählen, sind garantiert mindestens genauso bescheuert wie diejenigen, sie diesmal nicht zu wählen. Denn da kann man den sachverständigen Analysten aus den Reihen der grünen Partei und der kritischen Öffentlichkeit voll und ganz vertrauen: Irgendwo zwischen Punkt 1 und 10 wird sich der demokratisch mündige Wählerwille, der den Grünen in Hessen ihre Wahlniederlage verpaßt hat, schon ausgetobt haben.
Und so disparat die Gesichtspunkte auch sein mögen, die da zusammengetragen werden, einen gemeinsamen Nenner haben sie schon; sie drehen sich allesamt um die Frage: Hat die Macht über die Nation und ihr Inventar in den grünen Figuren die richtigen zielbewußten, glaubwürdigen, führungsstarken Sachwalter? Und da nützt es den Grünen überhaupt nichts, daß die Einwände gegen ihre Leistungen beim Mitregieren überhaupt nicht zusammenpassen, ja gegensätzlich sind. In Wahlen addiert sich der Vorwurf „zu wenig grün“ mit dem anderen „immer noch zu grün“ locker zu ein paar verlorenen Prozenten zusammen.
Die Grünen haben den Denkzettel des mündigen hessischen Wählers jedenfalls kapiert und versprechen, alles zu tun, um endlich den Ruch einer „bloßen“ Oppositionspartei loszuwerden und auch als Regierungspartei unumschränkte Anerkennung zu finden.