Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
70 Tomahawks auf Afghanistan und Sudan beantworten zwei Bombenanschläge auf US-Botschaften:
Die USA stellen den „Krieg des 21. Jahrhunderts“ vor
Nach Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi bombardieren die USA eine Chemiefabrik im Sudan und Ausbildungslager Bin Laden´s in Afghanistan. Die Klarstellung: alles, was sich gegen die pax americana richtet, ist per definitionem Terrorismus. Und: die Welt hat sich darauf einzurichten, dass im amerikanischen Blickwinkel staatliche Souveränität immer eine konzessionierte ist, nur so lange anerkennenswürdig, wie sie ihren Pflichten gegenüber der Weltordnung nach kommt.
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70 Tomahawks auf Afghanistan und
Sudan beantworten zwei Bombenanschläge auf
US-Botschaften:
Die USA stellen den „Krieg des 21.
Jahrhunderts“ vor
1. Zwei Bombenanschläge in
Daressalam und Nairobi lösen in den USA – wieder einmal –
viel Entsetzen und Bestürzung über das sinnlose
Blutvergießen
dieser unfaßlichen Anschlägen
aus. Dennoch trifft der Terror die einzig verbliebene
Supermacht der Welt auch in geistiger Hinsicht nicht
unvorbereitet. Man kennt nämlich das Böse auf der Welt:
„Die mit Osama bin Laden verbundenen Gruppen kommen von verschiedenen Orten, aber sie teilen den Haß gegen die Demokratie, eine fanatische Verherrlichung von Gewalt und eine schreckliche Verzerrung ihrer Religion, um den Mord an Unschuldigen zu rechtfertigen. Sie haben die Vereinigten Staaten zu ihrem Feind erklärt, genau wegen dem, wofür wir stehen und wegen dem, wogegen wir sind. … Ihre Mission ist Mord, und ihre Geschichte ist blutig.“ (Clinton, Fernsehansprache)
Eine auch nur auf irgendeine Weise politisch
begründete Feindschaft gegen den hauptverantwortlichen
Stifter und Garanten einer Weltordnung, die in weiten
Weltgegenden nur Elend gedeihen läßt, kann man sich im
Land der inzwischen weltweit unbegrenzten Möglichkeiten
einfach nicht vorstellen. Wer sich immer nur für die
Durchsetzung guter amerikanischer Prinzipien einsetzt,
den kann doch kein vernünftig tickender Verstand für das
Schlechte auf der Welt verantwortlich machen. Bleibt der
pure Wille zum Bösen. Den macht Clinton im Haß gegen
die Demokratie
, in der fanatischen Verherrlichung
von Gewalt
und ganz einfach in der Mission
Mord
aus. Solche Abgründe der fanatisierten
islamischen Seele richten sich bekanntlich gegen das Gute
– als da wären Zivilisation & Demokratie, Friede &
Freiheit. Und weil die USA nichts als eben diese edlen
Werte im Sinn haben, wenn sie mit ihren Dollars und
Flugzeugträgern Weltpolitik machen, beschreibt die
schlichte Gleichung das Böse = das
Antidemokratische/Antifreiheitliche = das
Antiamerikanische den ‚mind‘ der Weltführungsmacht
ziemlich erschöpfend. Alles, was sich gegen die pax
americana richtet, ist per definitionem Terrorismus.
2. Wo ein absoluter Wille zum Bösen
dingfest gemacht ist, ist bekanntlich jede noch
so gewalttätige Gegenwehr erlaubt, ja geradezu geboten.
Das weiß keiner besser als ein Ami-Präsident, und Bill
Clinton verspricht denn auch postwendend, alle Mittel,
die uns zur Verfügung stehen
, einzusetzen. Siebzig
mit Satellitennavigation punktgenau gesteuerte Cruise
Missiles legen dann eine Chemiefabrik im Sudan, wo die
Produktion eines Bestandteils von Giftgas vermutet wird,
und einige Ausbildungslager des schwerreichen
Terroristenführers bin Laden
in Afghanistan in Schutt
und Asche. Der Präsident versäumt es auch nicht, seine
Nation wie die gesamte Weltöffentlichkeit vorsorglich
schon mal auf weitere militärische Schläge in einem
langen Kampf gegen den internationalen Terrorismus
einzustellen. Die demonstrativ in Erinnerung gerufene
US-Militärdoktrin, daß auch gegen nichtstaatliche
Akteure nukleare Waffen eingesetzt werden können
(SZ 24.8.98), macht
darüberhinaus deutlich, wie sehr sich mit der steigenden
Verbindlichkeit der amerikanischen Weltordnung auch die
Ansprüche ihrer Einhaltung radikalisieren. Das Ideal der
Abschreckung wird hier auf sehr fundamentalistische Weise
wahrgemacht: Die Drohung, mit Megatonnen auf Spatzen zu
schießen, soll jeden Widerstandsgeist im Keim ersticken.
Nach Auskunft der US-Außenministerin Madeleine Albright
waren die perfekt plazierten chirurgischen
Eingriffe
der Marschflugkörper eine gelungene
Premiere des Kriegs der Zukunft
. Der bekämpft
nichtstaatliche Akteure
mit dem gesamten Arsenal
der modernen Kriegführung, als ob es sich dabei um
reguläre Kampfverbände handelte. An dieser neuen
militärischen Aufgabenstellung zeigt sich nebenbei, wie
sehr staatliche Störenfriede der
„internationalen Ordnung“ inzwischen ausgeschaltet bzw.
kaltgestellt sind oder sich aus eigener Berechnung
zurückhalten. Nach dem demonstrativen Ausschalten
irakischer nationaler Sonderwege mittels einiger
regulärer Feldzüge gegen diesen Terrorstaat
und
dem dauerhaften Entzug seiner Souveränität ist der Feind
der Weltordnung auch in dieser Region ziemlich „privat“
geworden. Es sind hauptseitig untergrundmäßig
organisierte, aus den Nischen außerhalb der staatlichen
Autorität heraus agierende Grüppchen, die sich gegen die
amerikanische Weltordnung mit ihrer sehr eindeutigen
Verteilung von Nutzen und Schaden des internationalen
Handels und Wandels mit terroristischen Aktionen
auflehnen, die weniger einer strategischen Überlegung als
einer ohnmächtigen Verzweiflungshaltung entspringen. Daß
sie sich darüber auch noch mit ihren eigenen, viel zu
amerikahörigen
Staaten anlegen, bzw. von denen
angefeindet werden, ist bezeichnend für das
Kräfteverhältnis auf der Welt.
3. Daß das amerikanische Recht auf
Verteidigung
ihrer weltweiten Ordnung wirklich
immer und überall gilt, haben die amerikanischen
Vergeltungsschläge auch gleich klargestellt. Die
Verletzung der Souveränität der Staaten, in deren
Hoheitsbereich dieser Krieg der Zukunft
stattfindet, ist dabei keineswegs eine unvermeidliche
Begleiterscheinung dieser neuen Form der Kriegskunst,
sondern ein wesentlicher Teil ihrer Botschaft. Für
amerikanische Weltordnungsmaßstäbe liegt ein klarer
Souveränitätsmißbrauch seitens der amtierenden
Staatsführung vor, wenn antiimperialistisch
gesonnene Gruppen – auch wenn sie privater Natur sind –
auf dem Gebiet eines Staats ihre antiamerikanischen
Umtriebe entfalten können. Washington betreibt
Weltpolitik längst als eine Art Weltinnenpolitik mit
einer quasi weltpolizeilichen Kompetenz zum jederzeitigen
Eingriff gegen Störenfriede. Souveränität ist im
amerikanischen Blickwinkel immer eine konzessionierte,
also nur solange anerkennungswürdig, wie sie ihren
Pflichten gegenüber der Weltordnung nachkommt. Wer in der
Hinsicht auch nur zu nachlässig ist, hat einen Respekt
vor seiner Souveränität nicht länger verdient:
„Amerika hat den Terrorismus seit vielen Jahre bekämpft. Wo immer möglich, haben wir bei unserem Kampf Sicherheitsbehörden und diplomatische Mittel benutzt. Aber es hat Zeiten gegeben und es wird Zeiten geben, in denen diese Mittel nicht ausreichen. … Die Vereinigten Staaten haben nicht leichthin gehandelt. Afghanistan und Sudan sind jahrelang gewarnt worden, diesen Terroristengruppen keinen Unterschlupf mehr zu gewähren und sie nicht mehr zu unterstützen.“ (Clinton, Fernsehansprache)
Dabei halten es die USA derzeit nicht für nötig, ihre Militärschläge unmittelbar gegen die Staatsgewalt der Länder zu richten, auf deren Territorium sie stattfinden. Und doch zielt das Zusammenbomben der Ausbildungslager in Afghanistan und der Chemiefabrik im Sudan auch gegen diese Staaten, die als die eigentlichen Verantwortlichen hinter den heiligen Kriegern ausgemacht werden, sei es als indirekte politische Auftraggeber, als geheime Drahtzieher oder auch nur als Dulder der privaten Terroraktivitäten. Der Sudan wird eh schon seit geraumer Zeit als feindlicher Staat betrachtet und durch Sponsoring einer Rebellenarmee bekämpft. In Afghanistan soll den fundamentalistischen Taliban praktisch beigebracht werden, was es heißt, sich einem Auslieferungsbegehren der USA zu widersetzen. Die Lektion heißt schlicht und ergreifend: So ist kein Staat zu machen!
Die Drohung, daß die eine oder andere Örtlichkeit einmal
in einem Zug mit Hiroshima und Nagasaki genannt werden
könnte, soll den einschlägigen Staaten jedes Verständnis
für die antiamerikanischen Gotteskrieger austreiben, sie
vor jeder Duldung antiamerikanischer Aktivitäten
abschrecken, um sie schließlich zum verlängerten Arm des
US-Außenministeriums in Sachen internationale
Terrorismusbekämpfung
zu machen.
4. Die offiziellen Reaktionen aus
allen Teilen der amerikanischen Weltordnung bestätigen
die Geltung der imperialistischen Hackordnung und das
über allen Souveränitätsvorbehalten stehende „Recht der
USA zur Selbstverteidigung“ entweder unumwunden oder in
Verbindung mit einer Kritik an der übertriebenen
Dimension der jetzt gerade exekutierten Strafaktion, mit
der die USA leicht leben können.
Aus den Metropolen der Weltordnungspartner der USA
verlautet allenthalben das größte Verständnis für
Amerikas neue Art von (Dauer-)Kriegführung. Sie wissen
sich auf der richtigen Seite und halten es für die
„Verantwortung“ der USA, die schöne und auch für sie so
nützliche Weltordnung stellvertretend für sie alle gegen
uneinsichtige Fanatiker sowie deren staatliche
Protektoren zu schützen. Klar, daß sich eine Weltmacht
so etwas nicht bieten lassen kann.
(Kohl)
Rußland sieht das so ähnlich, pflegt aber wieder
einmal den beleidigten Standpunkt einer verblichenen
Supermacht, nicht konsultiert, also nicht ideell
beteiligt worden zu sein: Ich habe nicht gewußt, daß
dieser Schlag kommen würde. Das ist unfair
(Jelzin)
Die Arabische Liga beschränkt sich auf eine
Mahnung vor Übertreibungen: Clinton agiert wie
Rambo
. Und die betroffenen Staaten selbst lassen in
ihrer betont scharfen
Kritik an der
ungerechtfertigten
Verletzung ihrer Souveränität
auch nicht wenig Respekt für Amerikas weltweite
„Sicherheitsbedürfnisse“ erkennen.
Die sudanesische Regierung beteuert ihre
Unschuld betreffs der ihr zur Last gelegten Duldung einer
Giftgasproduktion durch bin Laden, den sie im übrigen
längst ausgewiesen hat. Das von Khartum angezettelte –
und von der kritischen Presse mit großer Anteilnahme
verfolgte – Hickhack dreht sich ausschließlich um die
Frage, ob in der zerstörten Fabrik wirklich Chemikalien
produziert wurden, welche die Herstellung eines
Kampfgases möglich machen, die Zerstörung der
Anlagen also gerechtfertigt war oder nicht. Unter
demonstrativen Unschuldsbeteuerungen werden Fachleute der
Vereinten Nationen zum Lokaltermin eingeladen, um den
entlastenden Beweis zu erbringen, daß in dem
verdächtigten Chemiewerk wirklich nur Impfstoffe und
Antibiotika hergestellt werden konnten. Die Ankündigung,
man werde sich dem Urteil der Fachleute
unterwerfen
(FAZ),
schließt die Anerkennung der amerikanischen Kriterien für
ihren Angriff und den Willen, ein funktionales Mitglied
der Staatenwelt zu sein, allemal ein. Die Ankündigung der
USA, daß auch sie sich dem Urteil der Fachleute
unterwerfen, ist allerdings ausgeblieben. Für die
Supermacht reicht eben ihr Befund über die
Notwendigkeit und damit Legitimität eines Angriffs.
Die hämische Zauberlehrlingslogik bezüglich der
Taliban-Milizen, die einst von den Amis gegen
die Russen militärisch ausgebildet und ausstaffiert
wurden und sich nun gegen ihren alten Mentor wenden,
liegt auch ein wenig daneben. Das Bemerkenswerte daran
ist weniger ein amerikanisches Eigentor als vielmehr die
Freiheit, mit der sich die USA einen Bündnispartner
anlachen und in den Krieg schicken und denselben auch
wieder – wenn opportun – mit Bomben eindecken. Und die
verfehlen ihre Wirkung nicht: Fürs erste hat die
afghanische Taliban-Regierung dem Terroristen-Finanzier
Osama bin Laden verboten, von Afghanistan aus den USA zu
drohen
. (SZ 25.8.) Und
auch was die bislang strikt zurückgewiesene Auslieferung
bin Ladens angeht, sind nach der eindrucksvollen
Kostprobe der neuen amerikanischen Strategie bereits
erste anderslautende Signale zu vernehmen:
„Die Taliban dürsten nach ihrem erfolgreichen Feldzug geradezu nach internationaler Anerkennung und wissen, daß ohne das ausdrückliche Plazet der USA viele westliche Staaten vor diesem wichtigen diplomatischen Schritt zurückschrecken werden.“ (NZZ 22.8.)
5. Natürlich konnte es nicht
ausbleiben, daß politologisch vorgebildete Redakteure und
politische Beobachter den Einsatzbefehl Clintons als
Ablenkungsmanöver
von dem juristischen Nachspiel
seiner Sexaffäre mit Monica Lewinsky interpretierten.
Eine geistige Konfusion dieser Klasse ist allerdings nur
für einen demokratisch eingestellten Verstand keine. So
disparate Dinge wie ein militärischer Angriffsbefehl und
ein präsidentialer Seitensprung wird da über ihren Bezug
auf die Popularitätskurve des Präsidenten locker als
gleichwertig behandelt. Die Sorge, ob der
Präsident denn auch wirklich jederzeit und ohne jegliche
Irritation seine Anordnungen hundertprozentig im Sinn
Amerikas treffen kann, läßt die internationale
Kommentatorenschaft die wildesten Purzelbäume schlagen.
Waren die Zeitungen bis zur Detonation der Geschosse voll
der Sorge, ob der Präsident nicht wegen seiner
innenpolitischen Probleme außenpolitisch
handlungsunfähig sein könnte, steht nach den
gelungenen Attacken fest, daß er sie mindestens auch,
wenn nicht überhaupt wegen dieser Probleme
befohlen haben kann.
Dabei ist die Sache so banal. Paula Jones hin, Monica
Lewinsky her: Die amerikanische Weltpolitik geht einfach
so konsequent weiter, daß der Präsident auch von seinen
politischen Gegnern aus dem republikanischen Lager, die
ihm mit seinen Bettgeschichten zunehmend lästig werden,
mit Lob über die Attacken überschüttet wurde
(NZZ 22.8.). Innen- wie
außenpolitisch also: Business as usual.