Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die „Kaufkraft der Lohnminute“ – oder: die volkswirtschaftsgelehrte Verwandlung von Ausschluss in Teilhabe
Regelmäßig wird der Zeitungsleser mit einer
volkswirtschaftlichen Entdeckung bekannt gemacht, für die
zuletzt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IWK) die
statistische Aufbereitung geliefert hat. Das Institut geht in
einigen Studien der Frage nach, wie lange man heute
eigentlich für eine Ware arbeiten muss, und kommt zu dem
Ergebnis: Der deutsche Lohnempfänger kann zufrieden
sein
, denn die durchschnittliche Kaufkraft der
Lohnminute
nimmt tendenziell zu. (www.iwkoeln.de. Ebenso
alle folgenden Zitate, soweit nicht anders gekennzeichnet)
Dass ein Warenkorb, der 1950 noch dem Gegenwert einer
vollen Stunde Arbeit entsprach, (…) heute bereits nach elf
Minuten verdient
ist, wird über die verschiedensten
Bestandteile dieses Korbs – Brot, Bier, Kaffee, Kleidung,
Waschmaschine, Fernseher, Kinobesuch, Energie usw. –
ermittelt. Bei der Erklärung der unterm Strich
konsumentendienlichen Preisveränderungen kommen die Männer
und Frauen vom Fach auf den Grund zu sprechen:
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Gliederung
Die „Kaufkraft der Lohnminute“ – oder: die volkswirtschaftsgelehrte Verwandlung von Ausschluss in Teilhabe
Regelmäßig wird der Zeitungsleser mit einer
volkswirtschaftlichen Entdeckung bekannt gemacht, für die
zuletzt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IWK)
die statistische Aufbereitung geliefert hat. Das Institut
geht in einigen Studien der Frage nach, wie lange man
heute eigentlich für eine Ware arbeiten muss, und kommt
zu dem Ergebnis: Der deutsche Lohnempfänger kann
zufrieden sein
, denn die durchschnittliche
Kaufkraft der Lohnminute
nimmt tendenziell zu.
(www.iwkoeln.de. Ebenso alle folgenden Zitate, soweit
nicht anders gekennzeichnet) Dass ein Warenkorb, der
1950 noch dem Gegenwert einer vollen Stunde Arbeit
entsprach, (…) heute bereits nach elf Minuten
verdient
ist, wird über die verschiedensten
Bestandteile dieses Korbs – Brot, Bier, Kaffee, Kleidung,
Waschmaschine, Fernseher, Kinobesuch, Energie usw. –
ermittelt. Bei der Erklärung der unterm Strich
konsumentendienlichen Preisveränderungen kommen die
Männer und Frauen vom Fach auf den Grund zu sprechen:
„Teurer geworden sind (…) manche Dienstleistungen wie der Friseurbesuch – nicht zuletzt deshalb, weil bei handwerklichen Leistungen meist kaum Produktivitätssteigerungen möglich sind.“ „Besonders deutlich sind die Kaufkraftgewinne dort, wo viele elektrische oder elektronische Bauteile eingesetzt werden – der technische Fortschritt und der durch die Globalisierung verstärkte Wettbewerb drücken hier besonders auf die Preise.“
Die Rechnung mit der steigenden Kaufkraft einmal ernst genommen, also vom Kopf auf die Füße gestellt
Bemerkenswert ist an dieser Auskunft – neben dem
schlechten Scherz, eine Wirtschaftsweise dafür zu loben,
dass tatsächlich auch die darin tätigen Arbeiter etwas
davon haben – bereits die Fragestellung, von der die
Studie des IWK lebt: Wieviel Kaufkraft repräsentiert eine
Lohnminute? Denn die ist absolut doppeldeutig: Wie lange
man heute im Vergleich zu gestern für ein Produkt
arbeiten muss, nimmt einerseits den Lohn in den Blick,
den eine Arbeitsminute einbringt, sowie den Umfang an
Produkten, die sich mit dem verdienten Geld kaufen
lassen; darauf, auf den Arbeitenden als dem letzten Glied
in der Produktionskette, als zahlungsfähigen
Endverbraucher kommt es der
volkswirtschaftlichen Statistik zur Kaufkraft der
Lohnminute
an. Die gänzlich andere Auflösung
derselben Frage nimmt mit dem Hinweis auf den
technischen Fortschritt
den
Arbeitsaufwand ins Visier, der zur Herstellung
eines Produkts nötig ist. Dass eine Lohnminute
auf
immer mehr Waren zugreifen kann, verdankt sich nach
Auskunft des IWK dem Sinken von Warenpreisen, das
wiederum im Wesentlichen auf einer Steigerung der
Arbeitsproduktivität beruht, die im Herstellungsprozess
dieser Waren zur Anwendung kommt, also letztlich darauf
zurückgeht, dass besagte Produkte mit immer weniger
Arbeit herzustellen sind.
Die Rechnung der Volkswirtschaftsgelehrten, dass die
Kaufkraft der Lohnminute
in Abhängigkeit von
Produktivkraftsteigerungen – irgendwie – zunimmt, einmal
ernst genommen: Welche Implikationen sind in dem Argument
des technischen Fortschritts
enthalten und was
haben die mit der Kaufkraft der Lohnminute
zu tun?
Die unausgesprochene Gleichung, die in der
Produktivkraftsteigerung unterstellt ist, mit der das IWK
die Tendenz einer Kaufkraftzunahme pro Lohnminute
begründet, setzt das Arbeitsquantum, das verausgabt
werden muss, um eine Ware herzustellen, und im Maße
steigender Produktivkraft schwindet, ins Verhältnis zum
Warenpreis: Je weniger Arbeit zur Produktion einer Ware
erheischt ist, desto niedriger ist ihr Preis, d.h. das
Geldquantum, das die Ware repräsentiert und im Verkauf
realisiert.
Auch wenn die Konstrukteure der Kaufkraft der
Lohnminute
nichts davon wissen wollen, über welche
ökonomische Bestimmung von Arbeit und Reichtum sie mit
diesen Wirkungen des technischen Fortschritts
reden – der von ihnen als selbstverständlich unterstellte
Zusammenhang von sinkendem Arbeitsquantum und
entsprechend sinkendem Warenpreis unterstellt die
gemeinhin verpönte Arbeitswertlehre von Marx. Erstens
heißt das ja, dass in der Marktwirtschaft an den
Arbeitsresultaten als gesellschaftlich gültiger Reichtum
einzig die Geldmenge zählt, die durch ihren Verkauf zu
erlösen ist, die also der Käufer zahlt, ihr Wert
– im Unterschied zu all den konkreten Eigenschaften der
Güter, dank derer sich diverse Bedürfnisse befriedigen
lassen. Wenn sich die im Warenpreis vorgestellte
Geldmenge, die Wertgröße der Ware, in Abhängigkeit von
der verausgabten Arbeitsmenge, unabhängig von ihrer
jeweiligen konkreten Gestalt, verändert, dann bedeutet
das zweitens, dass der Wert, den eine Ware
repräsentiert, in dem Maße geschaffen wird, wie
mehr oder weniger Arbeitszeit, also purer
Arbeitsaufwand, in der Ware steckt. Die Rechnung
des IWK – um den Zusammenhang noch einmal in Marx’ Worten
auszudrücken – gibt auf ihre Weise zu, dass
„der Wert der Ware (…) Verausgabung menschlicher Arbeit überhaupt“ (Das Kapital, Bd. 1/59) darstellt und „die Wertgröße einer Ware nur das Quantum der in ihr enthaltenen Arbeit“ (60); und dass „dieselbe Arbeit (…) daher in denselben Zeiträumen stets dieselbe Wertgröße [ergibt], wie immer die Produktivkraft wechsle.“ (61)
Wenn das aber so ist, steht drittens damit auch fest: Für
denjenigen, der die Waren kauft, mag sich der
technische Fortschritt
lohnen, da er mit ein und
derselben Geldsumme auf mehr, weil weniger Arbeitsaufwand
und damit weniger Wert, also Geldanspruch
repräsentierende Waren zugreifen kann. Für denjenigen
aber, der die Waren herstellt, stellt sich die
Steigerung der Arbeitsproduktivität als paradox dar: Der
produziert in derselben Zeit vermittels gesteigerter
Produktivität zwar mehr nützliche Gegenstände, aber mehr
Wert, mehr von dem Reichtum, auf den es im Kapitalismus
ankommt, produziert er deswegen noch lange nicht. Im
Gegenteil: Erst einmal bedeutet das ja nur, dass jedes
einzelne Produkt wegen des sinkenden Arbeitsaufwands pro
Ware weniger wert ist. Weil und insofern es beim Arbeiten
aber auf die Herstellung eines Wert-Produkts, also darauf
ankommt, dass Waren und Dienstleistungen über den Verkauf
Geld einbringen, ist die Produktivkraftsteigerung, die
vom Standpunkt nützlicher Arbeit betrachtet eine
gesellschaftliche Errungenschaft wäre – mit weniger
Arbeitsmühe verfügt die Gesellschaft über mehr nützliche
Güter –, vom gesellschaftlich gültigen
Zweck des Arbeitens aus gesehen völlig nutzlos. Sie
mindert ja pro Ware den Zugriff auf den Reichtum, der
zählt: das mit ihr zu erlösende Geld.
Wenn dennoch in der Marktwirtschaft immerzu und
systematisch die Produktivität der Arbeit gesteigert
wird, dann sicher nicht, weil es beim gepriesenen
„technischen Fortschritt“ darum geht, den Arbeitenden
Mühsal zu ersparen und ihnen mehr freie Zeit und Mittel
zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu verschaffen – das
ist , um es vorwegzunehmen, am Ende ja auch gar nicht das
Ergebnis dieses Fortschritts. Diejenigen, die mit ihrer
Arbeitsleistung den ganzen Warenreichtum schaffen, deren
Arbeitsleistung also sich im Wert ihrer Produkte
niederschlägt und einen Anspruch auf Bezahlung der
produzierten Ware begründet, können unmöglich die
maßgeblichen Subjekte einer Produktion sein, die
alles, was für sie von Nutzen wäre, als geminderten
Reichtum verbucht. Da bestimmen offensichtlich andere als
die Arbeitenden über die produktive Tätigkeit,
ziehen andere aus dem wertstiftenden Arbeitsaufwand und
dem „technischen Fortschritt“ ihren Nutzen. In den
Statistiken der Auskenner vom IWK kommen die wirklichen
Nutznießer der Warenproduktion zwar nicht ausdrücklich
vor, aber ihre Rechengröße Lohnminute
, die
entlohnte Arbeitsminuten statistisch
zusammenfasst, verweist ja durchaus darauf: Das wirkliche
Subjekt, das über die Produktion entscheidet und mit dem
Verkauf der Produkte Geld erwirtschaftet, ist der
Unternehmer, der arbeiten lässt, der
die Arbeit anderer in seinem Betrieb in Anspruch nimmt
und kommandiert und dafür einen Lohn zahlt – und dem
deshalb die Waren gehören, die Lohnempfänger unter seiner
Regie produzieren.
Das heißt zweitens aber auch: Der paradoxe Effekt, dass
der ständig gesteigerte Wirkungsgrad der Arbeit das
bezweckte Arbeitsergebnis, das allein zählt und auf das
es den Veranstaltern allein ankommt, den Wert, mindert,
kann auch nicht der eigentliche Zweck
und die eigentliche Kalkulation der Unternehmer sein, die
diese Produktion veranstalten und immer produktiver
machen. Die rechnen ganz offensichtlich überhaupt nicht
mit wertschaffender Arbeit als Reichtumsquelle,
sondern stellen beim Umgang mit den von ihnen
Beschäftigten eine andere Rechnung an, die ihnen die
Ersparung von Arbeitsaufwand, also ausgerechnet die
Minderung der Wertquelle, lohnend erscheinen
lässt – und offenbar auch lohnend macht. Darüber legen
die gelehrten Sprachrohre der Unternehmerschaft ebenfalls
Zeugnis ab: Das IWK bespricht die durch
Produktivitätsfortschritte bewirkten Preissenkungen, also
die Verminderung des Arbeitsaufwands pro Ware, die es als
vermehrte Kaufkraft der Lohnminute
anpreist, ja
selber nur als Effekt von Preiskämpfen, die die
Unternehmen im globalisierten Wettbewerb
veranstalten, um am Markt zu bestehen. Und dabei
unterstellen die Propagandisten wachsender Kaufkraft der
Lohnminute stillschweigend die Rechnung, die die
Unternehmen, die mit niedrigeren Preisen um Marktanteile
konkurrieren, tatsächlich mit der Arbeit anstellen: Dass
an der nur der Preis zählt, den jede
Arbeitsminute sie an Lohn kostet, sowie der
Geldertrag, den sie ihnen in Gestalt
verkäuflicher Güter produziert.
Tatsächlich ist den Unternehmern selber die Abhängigkeit des Warenwerts vom Quantum verausgabter Arbeit von Berufs wegen nur als Wirkung ihrer Konkurrenz um möglichst lohnenden Verkauf bekannt, als Konsequenz des Einsatzes arbeitssparender Produktionsmethoden, die ihnen ‚der Markt‘, also ihre Konkurrenten in Gestalt sinkender Warenpreise als Bedingung ihres Geschäftserfolgs stellen und die sie ihrerseits im eigenen Betrieb als Hebel nutzen, um sich gegen die Konkurrenz mit lohnenden Preisen durchzusetzen. Wertschaffende Arbeitsminuten kommen in ihrer Kalkulation ausschließlich als Lohnminuten vor – als bezahlte Arbeitsleistung, als Kostenaufwand, den sie treiben und treiben müssen, um lohnend verkaufen zu können. Sie interessiert von Anfang an nichts als die in einem Geldbetrag quantifizierbare Differenz zwischen dem Kostenaufwand für die im Betrieb angewandte Arbeit und dem Ertrag, den der Verkauf der unter ihrer Regie produzierten Arbeitsprodukte einbringt. Für sie zählt Arbeit daher nur in genau einer Hinsicht als Quelle von Wert: von mehr Wert, realisiert im Verkaufserlös, als sie in die Arbeit hineingesteckt haben, die ihnen die verkäufliche Ware liefert. Was sie daher interessiert und woran sie sich laufend zu schaffen machen, ist ein möglichst günstiges Verhältnis zwischen dem Arbeitsquantum, das für den Unterhalt der Arbeitskräfte draufgeht, d.h. zwischen der Geldsumme, die sie aus dem Verkaufserlös an Lohn verausgaben müssen, und dem Arbeitsquantum, das darüber hinaus einen Gelderlös begründet, der ihnen als den Eigentümern der Produktion und Anwendern der Arbeitskräfte als Gewinn zufällt. Je größer diese Differenz, desto lohnender das Geschäft, das sie mit ihrem Kommando über fremde Arbeit auf eigene Rechnung machen.
Die kapitalistische Natur des „technischen Fortschritts“
In dieser Rechnung spielt der technische
Fortschritt
eine entscheidende, allerdings ganz
andere als mit dem konsumentenfreundlichen Effekt der
Preissenkung vorstellig gemachte Rolle. Um die Differenz
von Kostenaufwand für den Einsatz von Arbeitskräften und
Geldertrag, den sie als die Organisatoren der Produktion
aus dem Arbeitseinsatz herauswirtschaften, zu steigern,
führen Unternehmer einen ständigen Kampf um die
Senkung der Lohnkosten. Dafür nutzen
sie die mit ihrem Kapitaleinsatz erworbene
Verfügungsmacht über die Agenzien der Produktion und die
in Dienst genommenen Arbeiter. Da kommt – neben
Lohndrückerei und Arbeitshetze – arbeitssparende Technik
zum Einsatz; dafür und ausschließlich dafür, nämlich pro
Warenprodukt bezahlte Arbeit einzusparen, und zwar
mehr bezahlte Arbeit als die Investition in den
technischen Fortschritt
kostet. Verbesserte
Produktionsverfahren und Maschinerie dienen dazu, im
Ergebnis das Quantum bezahlter Arbeit zu
verringern und darüber den Überschuss zu steigern, den
die geleistete Arbeit ihnen abliefert. Worum es
bei der Steigerung der Produktivität der Arbeit
also geht, ist die Steigerung der Produktivität des
eingesetzten Kapitals. Dessen Produktivität ist
gestiegen, auch wenn der Wert der einzelnen Ware durch
die Reduktion wertschaffender Arbeit absolut
sinkt, weil durch die Anwendung Produktivkraft
steigernder Mittel dem Unternehmer pro Ware ein
relativ größer werdender Anteil zufällt, wenn er
mit seinen Investitionen in solche Mittel die
Lohnstückkosten, den Lohnbestandteil pro hergestelltem
Produkt, immer weiter reduziert. Die Arbeit, die noch im
Betrieb verbleibt, produziert mit jeder einzelnen Ware
Wert, von dem ein immer geringerer Anteil an die
Lohnarbeiter weggezahlt werden muss.
Dieses Resultat der rastlosen Bemühungen um mehr Gewinn wird nicht dadurch hinfällig, dass sich die Unternehmen mit ihrer Konkurrenz um den Markt laufend den Vorteil gesunkener Produktionskosten durch Preissenkungen streitig machen. Umgekehrt: Die Anstrengungen, die Kosten zu reduzieren, sind ja darauf berechnet und taugen dazu, auch zum geringeren Preis mehr lohnend Verkäufliches zu produzieren und auf dem Markt abzusetzen. Und wenn das alle gegeneinander machen, dann nötigen sie sich eben nur wechselseitig diese Rechnung auf, so dass insgesamt die Preise sinken; die allgemein gesunkenen Preise aber repräsentieren an jeder einzelnen Ware und insgesamt ein lohnenderes Verhältnis von Kapitalaufwand für Arbeitskräfte und Kapitalertrag aus der mit diesem Lohn gekauften Arbeit. Als Ergebnis dieses Konkurrenzkampfs steht dem wachsenden Kapital eine relativ immer geringere Masse bezahlter Arbeit gegenüber. Ein Arbeiter mag nominell dasselbe verdienen, relativ, d.h. in Bezug auf das Produkt seiner Arbeit, wird er immer ärmer, weil er von einem größer werdenden Ertrag seiner Arbeit ausgeschlossen bleibt.
Wenn also die Steigerung der Arbeitsproduktivität als
Hebel zur Steigerung des Wertquantums, das sich ein
Unternehmer pro Ware aneignen kann, in der Konkurrenz der
Unternehmen um den Markt als allgemeines Prinzip
der Warenproduktion zur Anwendung kommt und dank dieser
Konkurrenz zu sinkenden Preisen führt, dann mögen
diejenigen, deren Arbeitsleistungen nach wie vor in
Dienst genommen werden, mit ihren bezahlten
Lohnminuten
ein Geld in Händen halten, mit dem sie
sich – im historischen Vergleich – tendenziell mehr von
den Waren kaufen können, die mit immer weniger
Arbeitsaufwand herzustellen sind. Allerdings ist der vom
IWK propagierte Kaufkraftnutzen der Konkurrenz für den
lohnverdienenden Konsumenten nicht der Zweck – und am
Ende auch gar nicht das wirkliche Ergebnis – des
gepriesenen „technischen Fortschritts“ im Kapitalismus.
Was die Propagandisten dieses Fortschritts als dessen
entscheidende Leistung anpreisen, nämlich dass eine
durchschnittliche Lohnminute
glatt auf immer mehr
Waren zugreifen kann, ist in Wahrheit ein
Abfallprodukt der immer perfekteren
kapitalistischen Ausnutzung der Arbeit im
gesamtgesellschaftlichen Maßstab: der allgemein
gestiegenen Ausbeute an Wert aus der bezahlten Arbeit –
der Ausbeutungsrate.
Die Konsequenzen des kapitalistischen Fortschritts für die Lohnarbeiterschaft
Um den ‚Kaufkraft‘-Effekt gewinnsteigernder Produktionsmethoden als gesellschaftliche Errungenschaft für die Lohnbezieher hochzuhalten, muss man schon absehen – und sieht das IWK mit seiner Durchschnittsberechnung eines sich ständig positiv verändernden Verhältnisses zwischen einem bestimmten Lohnquantum auf der einen und den Warenpreisen auf der anderen Seite auch ab – von allen maßgeblichen Kalkulationen, die in Wahrheit über Kapitalaufwand, Kapitalertrag, seine Steigerung und damit darüber entscheiden, welche Rolle einer von diesen Rechnungen abhängigen Lohnarbeiterschaft darin zukommt, wie deswegen ihr Arbeiten aussieht und was sie am Ende wirklich an Geld in Händen hält und sich an Konsum leisten kann. In der kapitalistischen Wirklichkeit machen die, denen der Produktivitätsfortschritt laut IWK zugutekommen soll, ganz andere Erfahrungen, als die, dass ihre „Lohnminuten“ sich für sie immer mehr lohnen würden.
Um mit der vom IWK beschworenen Kaufkraft zu beginnen. Soviel steht fest, wenn schon die Anschaffung von Auto, Fernseher und anderen heutzutage unverzichtbaren Dingen eines mobilen, zeitlich und geldlich gut einzuteilenden Arbeitnehmerdaseins als Errungenschaft gelten: Mit der Freiheit des Konsums ist es materiell gesehen soweit nicht her; das Wirtschaftsinstitut vergisst ja auch selber nicht, all die elementaren Güter wie Wohnen, Gesundheit, Energieversorgung aufzuführen, die in der Lohnminutenrechnung zunehmend negativ zu Buche schlagen. Dass, Kaufkraftsteigerung hin oder her, die Einteilungssorgen nicht geringer werden, das liegt allerdings an der anderen Seite, der Organisation von Leistung und Bezahlung der immer produktiveren Arbeit, die die Auskenner und Ausrechner des Instituts nur als durchschnittlich verdiente Geldmenge pro Minute aufführen. Denn was die Konsumenten mit ihrer Kaufkraft an sinkenden Preisen freuen mag, hat für die Lohnempfänger einen Preis, den sie als Produktionsfaktor des Kapitals zahlen müssen und der für sie gleich doppelt anfällt: bei der Arbeit und beim Lohn.
Erstens fallen den Produktivitätsfortschritten massenhaft Lohnabhängige zum Opfer, werden Beschäftigte durch Arbeit einsparende Technik überflüssig gemacht und verlieren Arbeitsplatz und Lohn. Sie sind zu viele, zu teuer – gemessen an der immer anspruchsvolleren unternehmerischen Rechnung mit der Differenz zwischen bezahlter Arbeit und deren Geldertrag –, ein durch produktivere Maschinen zu ersetzender Kostenfaktor. Verringerter Arbeitsaufwand bedeutet wegen dieser Rechnung eben keine Ersparung an Arbeit für alle, sondern eingesparte Arbeitskräfte.
Zweitens begnügt sich das Unternehmen nicht mit der
Lohnstückkostensenkung, die ihm der Ersatz bezahlter
Arbeitskräfte durch produktivere Maschinen aufs Ganze
gerechnet einbringt. Der Gewinn entspringt schließlich
nicht aus den eingesparten Lohnkosten der nicht mehr
angewendeten Arbeitskraft, sondern aus dem Einsatz der
weiterhin angewandten Arbeiter, der mit geringeren
Lohnkosten mehr Geldertrag zu erwirtschaften erlaubt.
Davon können dann die Unternehmer nicht genug kriegen,
sowohl was die Arbeitszeit als auch die möglichst
kostengünstige Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse
betrifft. Und dafür taugt die Produktivitätssteigerung
dann auch noch in ganz anderer Weise. Jede
Rationalisierungs
-Offensive ist unter der Regie
der kapitalistischen Organisatoren immer auch ein Hebel,
das Lohnniveau der weiterhin Beschäftigten
„anzupassen“, also die Kosten für jede einzelne
Arbeitsminute auch nominell zu senken. Durch den
Einsatz neuester Technik wird die Trennung der
produktiven und immer produktiveren Momente der Arbeit
von der Tätigkeit der Arbeitenden vorangetrieben,
bisheriges Können und Geschick hinfällig. Und das nutzen
die Anwender der Arbeitskräfte nach den Gesetzen des
Leistungslohns dazu, deren Leistung geringer zu bewerten,
also geringer zu bezahlen. Mit dem „technischen
Fortschritt“ werden Arbeitskräfte „dequalifiziert“; weil
sie nur mehr einfachere Hilfsdienste an den
gegenständlichen Kapitalbestandteilen leisten müssen,
also auch leicht ersetzbar sind, werden ganze Teile der
Belegschaft abgruppiert, verlieren ihren bisherigen Lohn,
während ihre Arbeit zumeist an Eintönigkeit,
Leistungsdichte und ‚Stress‘ gewinnt. Auch das, die pure
Verdichtung der Leistung und pure Senkung des Lohns,
trägt bei zur Steigerung der Produktivität des
eingesetzten Kapitals, verbessert die Gewinnrechnung
gerade so wie die Steigerung der Produktivität der Arbeit
und macht die erst richtig lohnend.
Gemäß dieser Rechnung werden auch dort, wo sich zeitweilig oder dauerhaft technologische Produktivitätsfortschritte als nicht machbar bzw. als nicht lohnend, weil zu teuer, erweisen, die Arbeitskräfte für diesen Konkurrenznachteil haftbar gemacht: mit ihrer absoluten Leistungsbereitschaft und Billigkeit, für die die Unternehmer mit der Drohung des Arbeitsplatzverlustes sorgen; mit dem auch dem IWK wohl nicht unbekannten Ergebnis, dass gerade die miesesten Jobs auch die am schlechtesten bezahlten sind und dass es zur Normalität einer hochtechnisierten und hochproduktiven Ökonomie gehört, dass Millionen Arbeitskräfte mit mehr oder weniger ‚prekären Beschäftigungsverhältnissen‘ einen ganzen ‚Niedriglohnsektor‘ bevölkern.
Insgesamt nehmen mit den wachsenden produktiven Potenzen der Arbeit in Unternehmerhand also auch die unternehmerischen Mittel und Freiheiten zu, die Lohnsumme zu drücken, die Arbeitsleistung zu erhöhen, die Arbeitszeit gemäß den Betriebsbedürfnissen zu verlängern oder zu ‚flexibilisieren‘. Für die aber, die die Arbeit leisten, wird sie mit den kapitalistischen Produktivitätsfortschritten keineswegs produktiver. Sie gewinnen weder ständig an Mitteln noch an arbeitsfreier Lebenszeit, sondern erfahren beim Arbeiten und beim Geld, dass sie die Manövriermasse der Rechnung sind, die mit ihnen als Kostenfaktor angestellt wird. Sie rechnen daher auch nicht in immer kaufkräftigeren Lohnminuten, sondern können froh sein, wenn sie 35 Stunden und mehr arbeiten dürfen und einen Lohn verdienen, der für den Lebensunterhalt hinreicht. So macht sich im Arbeitsalltag der Lohnbezieher geltend, dass sie nicht die Subjekte und Nutznießer des vermehrten Reichtums sind, sondern mit ihrer Arbeit Mittel seiner Vermehrung in der Hand ihrer Anwender. Um auch das einmal in Minuten auszudrücken: In jeder Arbeitsminute, die Unternehmer verrichten lassen und bezahlen, ist mit den produktiven Fortschritten wachsender gesellschaftlicher Reichtum in Privathand eingeschlossen, von dem die Lohnarbeiter ausgeschlossen sind und der ihnen als vermehrte Geldmacht und Verfügungsmacht über ihre Arbeit gegenübertritt.
Der ideologische Ertrag der „Kaufkraft der Lohnminute“
Die immer kaufkräftigere „Lohnminute“ ist also eine pure Fiktion. Denn von all dem, was die wirklichen Gründe und Folgen der Produktionsfortschritte im Kapitalismus sind, abstrahiert das IWK zielstrebig und stellt damit die Sache gründlich auf den Kopf – für die eine Botschaft, auf die es ihm ankommt: Egal wie die Arbeits- und Einkommensverhältnisse der Lohnarbeiterschaft ausfallen, sie profitiert insgesamt vom kapitalistischen Fortschritt; ihr Wohlstand wächst – mit der steigenden „Kaufkraft der Lohnminute“ statistisch erwiesen und säuberlich ausgerechnet. So wird aus dem wachsenden Ausschluss der lohnarbeitenden Massen vom gesellschaftlichen Reichtum wachsende Teilhabe an ihm.