Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wer sagt’s denn:
„Lebensmittelskandale ohne Ende“
Aus giftigen Abfällen der kapitalistischen Produktion macht eine Firma doppeltes Geschäft, indem sie es gegen Geld von ihren kapitalistischen Verursachern abnimmt und nach Recycling als Viehfutter verkauft. Der Staat, der das Geschäft mit dem Billigfutter will und erlaubt, diskutiert, wie dessen unabsehbare „Nebenwirkungen“ – Sauen, die sich nicht mehr wie gewünscht vermehren – in den Griff zu kriegen sind, und sinnt auf Selbstkontrollen oder Kontrolle der Kontrolleure.
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Wer sagt’s denn:
„Lebensmittelskandale ohne
Ende“
Keine 6 Wochen nach dem Nitrofen-Skandal folgt der
Hormon-Skandal. In Schweine-, Pferde-, und Rindfleisch
sowie Geflügel finden sich Rückstände des Hormons MPA
(Medroxy-Progesteron-Azetat). Der Wirkstoff
beeinträchtigt sicher die menschliche Zeugungsfähigkeit
und setzt Botenstoffe in Gang, die möglicherweise
Allergien und Krebs auslösen. Im Zentrum des Skandals
steht die belgische Firma Bioland, die man – darum bitten
besorgte Kommentatoren – nicht mit dem gleichnamigen und
schon durch den Nitrofen-Skandal rufgeschädigten
deutschen Ökoverband verwechseln soll. Sie hat von einer
irischen Pharma-Firma Antibabypillen bezogen, die sie
entsorgen soll, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen
ist. Statt sie zu entsorgen, vermischt sie die
empfängnisverhütenden Hormone mit Zuckersirup und
verkauft die Mixtur als Melasse an
Futtermittelproduzenten sowie als Sirup an
Fruchtgetränkehersteller. Ende Juni bemerkt ein
niederländischer Schweinezüchter, dass in seinem Stall
immer weniger Ferkel geboren werden, lässt das Futter
untersuchen und das Hormon wird bei den Tests
festgestellt. Die Ermittlungen nehmen den bekannten
Verlauf: Vom Schweinezüchter über den
Futtermittelproduzenten zu Bioland und von deren
Lieferlisten wieder zurück zu den Großhändlern für Futter
und Sirup und den Endabnehmern reichen die Stationen des
Vertriebswegs, massenhaft Höfe werden geschlossen, auf
das Hormon getestet und wieder geöffnet. Die
Fruchtsaftfirmen müssen nicht geschlossen werden. Sie
haben ihre Bestände des Hormonsirups bereits restlos
abgesetzt, weswegen in Sachen Verbraucherschutz
kein Handlungsbedarf besteht.
Zur Entsorgung anstehenden, hochgiftigen Abfall
im Kreislauf der Produktion für die Versorgung
unterzubringen: auch dieses Recycling kriegt ein gesunder
marktwirtschaftlicher Geschäftssinn prima hin.
Lebensmitteln, die nachgerade ekelhafte Formen
(Künast) annehmen, stehen
Geschäftsbilanzen gegenüber, die nachgerade goldene
Formen annehmen: Die irische Pharmafirma wird ihren
Arzneimüll kostengünstig los, Bioland kassiert gleich
zweimal, für die Entsorgung der Pillen und bei ihrem
Verkauf als Zusatz zum Zuckersirup, und die Bauern kommen
obendrein in Genuss, ihr Futtermittel 30% unter dem
marktüblichen Preis einkaufen zu können. Eine Gefahr
für den Menschen
ist nicht auszumachen, weil das in
diesem Fall verfütterte Hormon bei Schweinen erstens
nicht gut anschlägt und zweitens, wie ein Experte vom
niederländischen Schweinezüchterbund über die Usancen
seines Gewerbes wissen lässt, als funktionelle Beigabe
zur Schweinemast in so geringer Dosis wenig Sinn
macht – um Wachstumshormone zur Fleischerzeugung zu
verwenden, müssen Sie sie in hoher Dosis einsetzen.
(FR, 17.7.02) Bei Zuchtsauen,
die seinetwegen nur unfruchtbar werden, macht der
Hormonzusatz aber überhaupt gar keinen Sinn, und
dieser marktwirtschaftliche Kollateralschaden
tritt dann den Skandal los.
Freilich: Konsequenzen aus dem Hormonskandal
müssen in jedem Fall gezogen werden. Mit der Vergoldung
von Dreck hat die Fa. Bioland nicht nur schon länger gute
Erfahrung – seit anderthalb Jahren
hat sie alte
Hormonmedikamente entsorgt, indem sie die Substanzen in
Glukosesirup mischte
(taz,
17.7.) –, sie ist auch nicht die einzige, die sich
erfolgreich auf dieses Geschäftsprinzip verlegt hat:
Es gibt Hersteller, die kaufen europaweit den
billigsten Kram: Abfälle, Säuren und Laugen aus der
Industrie, solange das Zeug nur irgendeinen Nährwert
hat
(Künast, in SZ vom
17.7.), und um kriminelle Elemente
handelt
es sich dabei gar nicht immer – tatsächlich ist
manches davon nicht einmal illegal. Wer nicht gerade
ausdrücklich verbotene Hormone und Antibiotika oder
extrem gesundheitsschädliche Medikamente ins Futter
mischt, bewegt sich juristisch im grauen Bereich.
(SZ, 17.7.) Die Angelegenheit
ist äußerst verzwickt. Wo allenthalben aus Dreck Nährwert
extrahiert und zu Lebensmitteln verpackt wird – soll man
da besser aufschreiben, welche Abfälle man dazu
nicht verwenden darf? Das nutzt eher nicht viel:
Lässig überflügelt die Phantasie skrupelloser
Futtermittelhersteller jedoch das Vorstellungsvermögen
jener Ministerialen, die die Liste bestückt haben: Wer
käme auch schon darauf, auf eine Negativliste für die
Tierfutterherstellung ‚Spülwasser von Reinigungsfirmen‘
zu schreiben? Das lässt sich sehr wohl für die Mast
verwenden.
(SZ, 17.7.)
Besser ist da schon, man schreibt den Produzenten positiv
vor, mit welcher Sorte von Scheiße sie den
Küchentisch bereichern dürfen. Das hilft gegen
ihren geschäftsfördernden Erfindungsgeist nämlich auch
nichts: Doch selbst diese manierliche Auflistung hat
ihre Tücken. Schließlich lassen sich die guten Sachen
auch aus unappetitlichen Dingen gewinnen: Die für die
Mast wichtigen Stickstoffprodukte können zum Beispiel aus
Hühnerkot stammen, Fett aus gebrauchtem Frittieröl und
Vitamine aus den mit Spritzmitteln verseuchten Schalen
von Orangen.
(SZ, 17.7.)
Eigentlich helfen da nur Kontrollen
, und wo die
nicht helfen, eben mehr
und wirksamere
Kontrollen. Am wirksamsten sind dabei solche, bei denen
sich die Kontrollierten selbst kontrollieren. Denn wenn
man der Branche beim Aufbau eines effektiven
Selbstkontrollsystems
(FR,
24.7.) zur Seite steht, brauchen die staatlichen
Stellen ihren hoffnungslosen Kampf gegen die Biochemie im
Kapitalkreislauf gar nicht erst aufzunehmen. Dann können
sie sich voll auf die Kontrolle der Kontrolleure
konzentrieren
und ihre Kraft ganz auf das
Management von akuten Krisen
(ebd.) verwenden, falls beim Babyfutter –
versehentlich – doch wieder der Grenzwert für die
Verwendung eines – verbotenen – Stoffes überschritten
wird. Für Lebensmittelsicherheit kann man auch mit
konsequenter Strafverfolgung und sogar
Schmerzensgeldansprüchen geschädigter Verbraucher
(ebd.) sorgen – vielleicht
verlieren die Produzenten ja einfach die Lust am allzu
phantasievollen Umgang mit Nährwerten, wenn man ihnen den
Preis dafür heraufsetzt. Und der Verbraucher kriegt nicht
nur Brechdurchfall, sondern auch noch Geld für ihn. So
oder so aber gilt in jedem Fall, dass Verbraucherschutz
ganz ohne Übertreibungen
vonstatten zu gehen hat,
für die CDU/CSU daher am besten als Unterabteilung des
Gesundheitsministerium aufgehoben ist. Dann kann sich
Seehofer ganz auf die gesundheitlichen Nebenfolgen
konzentrieren, die dank der – dann endlich wieder
möglichen – vollen Konzentration des
Landwirtschaftsministers auf seine politische
Hauptwirkung, der Förderung des Agrargeschäfts, ins Haus
stehen.