Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Kämpferische Arbeiterbewegung heute:
Wir lassen uns den Lohnverzicht nicht verbieten
Eine gewerkschaftlich erzogene Belegschaft, die vom Betrieb die Erpressung ‚Lohnverzicht oder keine Arbeit‘ aufgemacht bekommt, gerät über ihren Anpassungswillen in Konflikt – mit der Gewerkschaft.
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Kämpferische Arbeiterbewegung
heute
Wir lassen uns den Lohnverzicht
nicht verbieten
Bisweilen wundert sich sogar die Frankfurter Rundschau
über gewisse Dinge. Unter der Überschrift: Arbeiter
erkämpfen weniger Lohn
berichtet sie in ihrer Ausgabe
vom 20.12.97 von folgendem Vorfall: „Um ein Haar hätten
Fabrikarbeiter gestern vor der Frankfurter
IG-Metall-Zentrale demonstriert. Sie forderten das Ja der
Gewerkschaft zu unbezahlter Mehrarbeit im Büdinger
Batteriewerk Sonnenschein
. Die Demonstration fiel
aus, weil die Gewerkschaft Zugeständnisse machte.“ Wie es
dazu kam, darüber vermeldet die FR weiter:
„Der US-Konzern Exide modernisierte das Büdinger Werk, die Belegschaft schrumpfte von 1200 auf 524 Menschen … Pressesprecher Baumann: ‚Die Geschäftsführung will die Lohnkosten um zehn Prozent senken – auf welchem Weg auch immer.‘ Schon jetzt leisten die Sonnenschein-Leute zwei Überstunden pro Woche, für die sie nur Freizeit bekommen. Diese Freischichten will der Exide-Konzern streichen. Sonst sei 1999 die Werksverlagerung nach Bad Lauterbach möglich, drohte Geschäftsführer Bernardi. Der Betriebsrat ließ sich beeindrucken. Er billigte die unbezahlte Mehrarbeit. Doch der IG-Metall-Bevollmächtigte Lohnstein weigerte sich, den Abschied von der 35-Stunden-Woche zu unterzeichnen. In Büdingen machte ihn das unbeliebt. Er gefährde die Arbeitsplätze, hielt man ihm vor. Der Betriebsrat rief für gestern früh zur Demo vor der Frankfurter IG-Metall-Zentrale auf … Exide-Sprecher Baumann erklärte Journalisten, warum die Arbeiter gegen ihre Gewerkschaft demonstrieren. Dieser Druck grenze an Erpressung, sagte Gewerkschafter Lohnstein. Die Demo fiel aus. Am Vorabend kam es plötzlich zur Einigung. Die Sonnenschein-Leute dürfen 38,5 Wochenstunden arbeiten, schlug die IG-Metall vor. Mit den 3,5 Überstunden sollen die Arbeitnehmer ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld erarbeiten, das sie bisher per Tarif bekamen. … Lohnstein: Immerhin sei die 35-Stunden-Woche festgeschrieben. Er räumt ein: ‚Die Leute verlieren etwas an Geld.‘ Exide senke die Büdinger Lohnkosten um 7,7 Prozent. Konzern-Sprecher Baumann findet das in Ordnung: ‚Es ist ein Erfolg der Mitarbeiter.‘ Offenbar habe der Wirbel um die Arbeiter-Demonstration die IG Metall zum Einlenken gebracht.“
Und jetzt? Jetzt hat sich die Frankfurter Rundschau
ausgewundert. Weiß der Teufel, warum diese Zeitung, die
neulich die Chronik des GegenStandpunkts unbedingt mit einem
Kommentar verwechseln wollte, um unserer gut
recherchierten
Rubrik besserwisserisch bescheinigen
zu können, sie würde durch einen Verzicht auf die
penetrant kritische Kommentierung der Ereignisse
noch einiges an Schärfe gewinnen, den Konflikt zwischen
der Belegschaft von „Sonnenschein“ und der Gewerkschaft
mit einer wohlrecherchierten Berichterstattung bedenkt,
die jedes Moment von Schärfe vermissen läßt. Vermutlich,
weil er dem Bild widerspricht, das sie von
Arbeitern hat, die treu hinter einer Gewerkschaft stehen,
die machtvoll Arbeiterinteressen vertritt. Und eben das
ist die Mitteilung. Mit der erspart sie sich und ihren
Lesern die Erklärung der in der Tat seltsamen
Begebenheit, daß eine Belegschaft im Verein mit dem
Betrieb, der ihr die Erpressung ‚weniger Geld oder gar
keine Arbeit‘ aufmacht, gegen die Arbeitervertretung
einen Lohnverzicht durchsetzt. Daß sich Arbeiter, die auf
diese Erpressung eingehen, keinen Widerspruch gegen das
Bild leisten, das die Frankfurter Zeitung von ihnen hat,
sondern einen gegen ihr Lebensmittel, braucht ihr
ebensowenig zu denken zu geben wie die Frage, warum diese
Arbeiter damit in Konflikt mit ihrer Gewerkschaft
geraten. So kann sie auch auf häßliche Töne gegen eine
Gewerkschaft verzichten, die Arbeitsplätze – also den
Dienst am Kapital, den ihre Mitglieder verrichten müssen,
um sich einen Unterhalt verdienen zu können – zum
höchsten Gut erklärt, in ihrem Kampf um Arbeit den
Sachzwängen des Geschäfts der Unternehmer bedingungslos
recht gibt und sich zum Anwalt der Unternehmensansprüche
auf immer flexiblere und billigere Arbeitskräfte macht.
Daß einer von dieser Gewerkschaft erzogenen Belegschaft
in einer gewerkschaftlich mitverantworteten und damit
unabweislich gemachten Zwangslage nichts anderes mehr
einfällt, als die armselige und noch nicht einmal
realistische Rechnung anzustellen, gegen ein verlangtes
Geldopfer könnte man wenigstens den Arbeitsplatz
behalten, ist dann leider nur konsequent.
Konsequent ist allerdings auch, daß anpassungswillige
Arbeiter damit in der Gewerkschaft auf ein Hindernis
stoßen. Es kommt zu einem Konflikt mit der
überbetrieblichen Arbeitervertretung, weil die in eben
dieser Angelegenheit – Lohnverzicht für
Arbeitsplätze – anderslautende Verträge abgeschlossen
hat, auf ihre Rolle als Vertragspartei pocht und als
solche jede nicht von ihr unterschriebene
Lohnkürzung und Arbeitszeitverlängerung strikt ablehnt.
Entsprechend wird der Konflikt beigelegt: Ihr Herr
Lohnstein sucht und findet unter dem „Druck“ der
„Sonnenschein-Leute“ eine Weise, deren unbezahlte
Mehrarbeit mit dem Weihnachts- und Urlaubsgeld so zu
verrechnen, daß sie nicht mehr als Verstoß gegen die von
der Gewerkschaft festgeschriebene 35-Stunden-Woche zu
Buche schlägt, sondern als bezahlte Überstunden, die
tarifvertraglich voll in Ordnung gehen.