Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Minister in spe Jost Stollmann
Der personifizierte „Ruck durch Deutschland“
Ein deutscher Vorzeige-Yuppie tritt als Schattenminister für Wirtschaft für die SPD an. Die Öffentlichkeit beäugt ihn misstrauisch bis ablehnend ob seiner Qualitäten für das hohe Amt. Dagegen: 10 echt deutsche moderne Tugenden, die ihn auszeichnen.
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Minister in spe Jost
Stollmann
Der personifizierte „Ruck durch
Deutschland“
Eine Knalltüte?
Blindgänger
(Jusos);
Oberflächlicher Möchtegernmodernisierer ohne
Sachkenntnisse
(Gewerkschafter); …läßt – kaum aus dem
Urlaub zurück – bunte Ballons seines Selbstbewußtseins
aufsteigen
(FAZ); Ein
Edel-Arbeitsloser
(taz).
Nicht besonders gut kommt er an, der vom
Kanzlerkandidaten Schröder als Repräsentant der neuen
Wirtschaftskompetenz und Innovationsfähigkeit der SPD
ausgeguckte Quereinsteiger in die Politik. Eine ziemliche
Pflaume, der Unternehmer Jost Stollmann. Ein Angeber und
Dampfplauderer, irgendwo zwischen Größenwahn und
Naivität
(Spiegel)
einzusortieren. Womöglich spinnt er vollkommen: „Das
von Stollmann geplante fun-government scheint
den Kontakt zu dieser Welt nicht nur hier und da, sondern
überhaupt verloren zu haben.“ (FAZ, 25.7.98) So ein Mann im Amt des
deutschen Wirtschaftsministers? Nicht auszudenken: Was
mag jemand an der Spitze einer großen politischen Behörde
anrichten, der sich damit brüstet, ‚keine Lust auf
Konzern‘ zu haben, und der die notwendigen
Abstimmungsprozesse als ‚Tanz um Worte‘ und ‚übliche
Ritterspiele‘ verachtet?
(Ebd.)
Sollte da wirklich jemand bei der Auswahl des
Schattenministers für Wirtschaft so danebengegriffen
haben? Wohl kaum. Bei genauerer Betrachtung ist die
Sorge, da könnte ein in die große Politik stolpernder
Yuppie ein hehres Amt beschädigen, absolut unbegründet.
Im Gegenteil. Der Mann wäre ein echter Glücksfall für
Deutschlands Wirtschaft. Denn die findet ja, wie sein
Vorgänger entdeckte, in der Wirtschaft statt, und er hat
bei sich alles vereint, was es für den bekannten großen
„Ruck“ braucht, der durch das Land gehen muß
:
Die Verkörperung aller modernen deutschen Tugenden!
1. Der Mann ist echt cool. Kritik? Schlechte Presse? Häme? Macht ihm gar nichts, da steht er einfach drüber. Das ist Werbung für ihn. Die sammelt er unter www.jost-stollmann.de in der Rubrik „bonmot“. Das ist souverän. Und sofort weiß die ganze Welt, daß der Mann politisches Rückgrat hat. Etwas anderes als die Macht des Amtes, das er will, beeindruckt ihn überhaupt nicht. Allenfalls noch der Erfolg. Aber der stellt sich mit seiner Person ja ein. Denn er selbst ist
2. ungemein
erfolgreich. Er ist überhaupt von Haus
aus der personifizierte Erfolgsmensch
. Der hat in
seinem Leben hauptberuflich eigentlich nur Karriere
gemacht. Klar, daß es für erfolgreiche Menschen wie
mich
auch in Zukunft gar kein Scheitern geben
kann
. Schon allein mit seiner bloßen Nominierung hat
Deutschland also jetzt schon gewonnen
. Denn wo er
ist, ist Zuversicht – Wir haben dem neuen Denken eine
Hoffnung gegeben
–, wer auf ihn setzt, hat
Mut
, den dann er höchstpersönlich, wenn er endlich
loslegen darf, augenblicklich mit Erfolg belohnt. Das ist
überhaupt nicht vermessen von ihm, denn Erfolg hat er
einfach im Blut. Der ist
3. nämlich bei Stollmanns Tradition. Noch bevor er selbst so richtig erfolgreich wird, hat der junge Jost schon seinen ersten Riesenerfolg hinter sich. Wo so viele andere ihr Lebtag lang arbeiten können, wie sie wollen, und es dabei zu überhaupt nichts bringen, geht er einfach hin und erbt Vermögen. Seitdem hat er Geld, was in seinem Fall selbstverständlich auch nicht von ungefähr kommt. Denn schon im Alter von 29 Jahren weiß er, daß Geld im Grunde nur zu seiner eigenen Vermehrung gut ist. Zusammen mit dem Erbe, das er in die Tasche schiebt, tritt er daher auch gerne die Verpflichtung an, die nun einmal in einer halben Mio. steckt: Er haut sie nicht auf den Kopf, sondern gründet sein erstes eigenes Unternehmen. Freilich reicht sein Erbe nicht ganz dazu, doch die fehlenden Gelder borgt er sich einfach. Das zeigt erstens, wie
4. risikobereit er
schon mit dreißig ist. Im Unterschied zu manch anderen
Existenzgründern zweitens aber auch, wie extrem
zukunftsorientiert er ist. Denn er macht
es sich nicht bequem wie so viele andere, die aus Geld
einfach nur mehr Geld machen. Nach einer dieser
langweiligen Varianten von Ausbeutung – irgendeine
Fabrik, irgendwelche Lohnarbeiter, Maschinen, irgendein
Ramsch, der dann mühsam zu verkaufen ist – steht ihm der
Sinn überhaupt nicht. Diese olle Industriegesellschaft
interessiert ihn einfach nicht. Im Grundkurs an der
Harvard Business School hört er, daß die digitale
Dienstleistungsgesellschaft
im Trend liegt, und in
die zieht er sogleich um, zusammen mit seinem
Startkapital
. Er gründet die Firma CompuNet, und
die kann einfach nicht anders, als schnell zum
führenden herstellerunabhängigen deutschen
Systemintegrator für verteilte Informationstechnik
zu
werden. So bringt er einen bescheidenen Vorschuß ein –
und sahnt unglaublich viel Überschuß ab.
Zukunftsbranche
eben. Er hat einfach den richtigen
Riecher. Woher das Geld kommt, das ihn reich macht,
interessiert ihn nicht. Hauptsache, irgendwo da draußen,
wo es mit produktiver Lohnarbeit verdient wird, liegt
verteilte Informationstechnik herum. Die kann er dann
integrieren.
5. Wachstum, Innovation und
Erfolg verbinden sich daher zwangsläufig mit
seiner Firma, noch viel mehr natürlich mit ihm, weil er
sie schließlich gegründet hat. Die Insignien, die einen
gut gerüsteten Wettbewerber im Zeitalter der
Globalisierung einfach auszeichnen, sind von ihm nach dem
Erfolg von CompuNet also gar nicht mehr wegzudenken,
zumal er dann auch noch dafür Maßstäbe setzt, wie man
dieser modernen Herausforderung erfolgreich trotzt. Erst
macht er eine aggressive internationale
Wachstumsstrategie
auf und kauft sich in einem
US-Konzern ein. Dann, wenn die Kurse es empfehlen,
verkauft er seine Anteile wieder, und schon ist – neben
dem nächsten Batzen Überschuß – auch gleich „eines
der renommiertesten Weltunternehmen für den Standort
Deutschland gewonnen“. Das ist deutsche
Standortpolitik im Zeitalter der Globalisierung. Von
einem, der sie instinktiv beherrscht. Der muß nur einfach
sein Geld vermehren – und schon hat er einen nationalen
Dienst getan. Den muß man gar nicht erst bitten, als
Minister für Wirtschaft im Standort Deutschland alles
richtig zu machen: der macht das einfach so. Freilich
kommt eine so perfekte Beherrschung von Globalisierung
nicht von ungefähr. Da steckt lebenslanges Lernen
dahinter.
6. Denn J. S. kommt aus
gutem Haus, ist Sohn einer erfolgreichen
Unternehmerin und eines höheren Ministerialbeamten
,
also von Geburts wegen zur Elite
gehörig. Das prägt selbstverständlich den Charakter. Das
verbreitete Leiden eines mangelnden Selbstbewußtseins
kennt so einer nicht. Der druckst nicht lang herum mit
allem, was er ist und kann. Der sagt frei heraus, mit was
für einem genialen Wesen man es bei ihm zu tun hat:
Meine Kompaßnadel versucht nach Großartigkeit zu
gehen
(Spiegel). Das
können die wenigsten von sich sagen. Er aber durchaus. Er
ist einfach auf der Welt, um Großes
in der Welt
von morgen
zu leisten. Sagt er von sich. Aber er
redet nicht nur, sondern weiß auch genau, wovon. Er
selbst hat nämlich in sich jene Größe, derer die
Verrichtung großer Werke immer bedarf – Weitsichtigkeit, Mut, Visionskraft,
Kreativität. Wie geschaffen ist er mit seiner
geistigen Begabung für die Welt von morgen, was sich
daran zeigt, wie unverzichtbar er schon für die von heute
ist. Denn wenn nicht er es immer wieder sagte: Von wem
sonst wüßte man denn, daß im Standort heute einfach alles
alte Denke
ist? Wenn nicht er, seine neue
Denke
und sein unermüdliches Verlangen wären, an
Visionen zu arbeiten
: Wüßte man dann vielleicht, daß
außer ihm eigentlich alle kurzsichtig vor sich
hinsumpfen, in Ermangelung feuriger Ideen einfach nur
mutlos in die Zukunft blicken? Daß im Grunde er hier der
einzige ist, der weiß, wo’s für alle langzugehen hat?
Doch auch als Visionär wird man nicht einfach so geboren,
das muß man können. Und er kann:
7. J. St. ist
gebildet. Er ist fähig,
in Abstraktionen zu denken. Das müssen
Politiker unbedingt, weil anders die unüberschaubare
Vielfalt, die sie zu regieren haben, gar nicht auf das
Wesentliche zusammenzukürzen ist, auf das es immer
ankommt. Und wenn Stollmann das nicht auch könnte, wäre
aus ihm nie ein so erfolgreicher Unternehmer geworden.
Denn wenn Unternehmen eine Idee haben, wie sie ein
zahlungsfähiges Bedürfnis erst wecken und anschließend an
ihm verdienen könnten, dann machen sie doch nur von einem
Grundprinzip Gebrauch, welches Innovation
heißt.
Dieses ist ein Sachzwang, der nicht nur schon
allenthalben waltet, denn selbstverständlich ist auch
alles innovativ
, was Renten- und sonstige
Sozialpolitiker zur zügigen Verarmung ihrer Klientel
unternehmen: Mehr, als erfolgreich ihre
Angststarre
vor den alten Strukturen
des
Sozialstaats abzulegen, tun sie doch gar nicht. Daß
einfach alles anders und alles neu wird, ist überhaupt
der Witz der Zukunft
. Endlich weiß einmal einer
genau zu sagen, was dieser „Wechsel“ ist, der auf das
Land zukommt und den es deswegen auch politisch braucht:
Deutschland steht an der Schwelle zur
Wissensgesellschaft, die Welt um uns verändert sich
dramatisch. Das Faszinierende und gleichzeitig
Verunsichernde ist: Wir wissen gar nicht, was da alles
genau auf uns zukommt.
Aber im Prinzip wissen wir’s
doch, Wissensgesellschaft
eben. Eine
Internet-Revolution
, die zack, zack, zack
geht und aus der ganzen Gesellschaft im Großen dasselbe
macht wie die Fa. CompuNet im Kleinen: Sie können etwa
einen ‚Agenten‘ von sich selber schaffen, der im Netz
ihren Platz vertritt, dort reist, nach Gleichgesinnten
sucht. Wenn sie wollen, rufen sie ihn zurück und geben
ihm einen neuen Auftrag. Das ist weit entfernt von einer
alten institutionellen Denke
. Sehr richtig, und
gerade weil es so weit weg ist, braucht diese neue
Gesellschaft
einen, der nicht nur mit Mausklicken
groß geworden ist, sondern vor allem auch entschlossen in
die Tasten haut. Und auch da ist Stollmann der richtige
Mann. Er hat nämlich
8. Macherqualitäten,
Führungswillen und Führungsstärke, und zwar in
allen erdenklichen Belangen: Laßt uns hier auf der
WEB-Seite reden… und dann machen
wir
. Was auch immer. Der Mann fackelt nicht lange,
der redet, um zu machen
. Wir haben keine Zeit
für ideologische Debatten. Zum Pragmatismus gibt es keine
Alternative.
Das ist nämlich das leidige Problem, daß
keiner den wahren Kern entdeckt, der in allem Hin und Her
von Interessen in der deutschen Gesellschaft, aber auch
in allen zögerlichen Abwägungen steckt, wie diese
gescheit regiert gehört. Verkrustete Strukturen
sind das alles. Die stellen sich der digitalen
Zukunft
entgegen, und diese eindeutige Sachlage
vereinfacht die demokratische Beschlußfassung erheblich:
Was behindert, muß halt weg
. Das ist
positiver Machtwille, daraus spricht die
hohe Schule des Managements, das ist
Sozialkompetenz: Führung, sonst nichts.
Wofür eigentlich und wobei, ist da gar nicht so wichtig.
Daß für Probleme
immer Lösungen
gefunden
werden müssen, gilt doch eh für alles, das lernt man in
Harvard schon im Aufbaukurs. Hauptsache also, einer ist
da, der sich ganz ohne Ablenkung durch unnötige
Sachfragen ganz darauf konzentriert, daß andere sie
lösen: Ich bin kein Experte; ich kann Sachverstand
zusammenholen… Meine Stärken sind mehr im Gestalten und
Führen… Ich bringe Führungsfähigkeit ein und nicht
Spezialistenwissen
. Gerade sich mit nichts geistig
belasten zu müssen: das hält den Kopf frei für die
wichtige Aufgabe, anderen erfolgreich zu sagen, was sie
zu tun und zu lassen haben. Tatkraft,
die so umwerfend ist, daß sie gar nicht zu wissen
braucht, worauf sie sich eigentlich wirft: Das
qualifiziert den Mann zum Manager wie zum Minister. Ein
guter Mensch kommt bei allem freilich
schon auch noch zustande:
9. Stollmann hat auch
Werte und ein zu ihnen passendes
Menschenbild: Frei,
selbstverantwortet, sozialverpflichtet,
und dies
alles verkörpert er sehr glaubwürdig.
Mit der Freiheit, die ihm sein Vermögen verschafft, aus
purer Selbstverantwortung, weil aus eigenem Antrieb und
mit eigenem Geld sowie aus reiner sozialer Verpflichtung
startet er eine Initiative: Schlafende Beamte?
Unsinn!
Nieten in Nadelstreifen? Blödsinn!
Standort ohne Zukunft? Quatsch!
Versagende
Führer? Stuß!
Der Mann tritt wirklich ein für das,
was ihm wichtig ist, und das ist offensichtlich eine
gute Sache: Im Kampf gegen die
Standort-Miesmacher
hat er seine eigene Berufung.
Gegen alle Nörgler, Miesmacher und sonstige Querulanten,
die Deutschland nur schlecht machen, baut er sich auf –
mit Plakaten, denn das spart Zeit. Die griffige
Botschaft, die er mit ihnen – zack, zack, zack –
rüberbringt
, soll ihrerseits niemanden
schlechtmachen. Er will mit ihr nur unbedingt das
Gute retten, das die dicke zweite Hälfte seines
Menschenbildes ausmacht: Ein starker Staat und
mündige, freie Bürger. Das ist mein Menschenbild
. Und
einer wie er hat eben nicht nur ein Bild von Staat und
Mensch, sondern auch das entsprechende
Pflichtbewußtsein, für die gute Sache,
für die er ist, auch die fälligen guten
Taten zu verrichten. Für Deutschland hat er ja
schon als Unternehmer gewirkt. Jetzt muß er nur daran
erinnert werden, daß der Standort wirklich ihn als ganzen
Menschen braucht – schon ist er bereit. Denn den liebt er
so wie sich selbst:
„Stern: Mit welchen Argumenten hat sie Schröder rumgekriegt?
Stollmann: Ich habe schon vor Jahren gesagt, wir müssen aufhören, den deutschen Standort mieszumachen. Und jetzt hat er mich beim Wort genommen. Da ist in meinem Kopf angegangen: Wir können nicht nur klagen. Wenn wir einen solchen Ruf bekommen, müssen wir auch mitarbeiten.
Stern: Wären Sie auch gefolgt, wenn Kohl Sie gerufen hätte?
Stollmann: Vorstellbar.“
10. Mit Stollmann kommt also ein
garantiert guter deutscher Nationalist
in die Politik. Der ist so unverkrampft, so
herzerfrischend natürlich deutsch, daß es für alle
übrigen im Standort eine einzige Wonne ist, wenn sie ihm
nur zuhören: Anders als ‚gelernte‘ Politiker legt er
seine Worte nicht auf die Goldwaage. So antwortet er auf
die Frage, ob er gern in diesem Land lebt: ‚Ich bin
stolz, ein Deutscher zu sein.‘ Nicht im Traum käme ihm,
der im patriotischen Amerika studiert hat, in den Sinn,
daß dies ein Satz ist, den Rechtsradikale mißbraucht
haben.
(BamS, 9.8.) Ein
Segen also, wenn dieser Mann sich dann auch noch
praktisch der nationalen Verantwortung stellt, den
Standort für alle kommenden Herausforderungen
herzurichten. Daß er das nicht nur unbedingt will,
sondern auch kann, steht fest: Ein deutscher Yuppie, der
so ist, wie Westerwelle es gerne wäre, ist genau die
Führungsperson
, die dieser Standort braucht.
Spätestens dann, wenn er das für ihn vorgesehene Amt
wirklich bekleidet, wird man ihm als Person auch den
Respekt erweisen, der dem Amtsinhaber gebührt. Bis es
soweit ist, darf man sich über einen Knallkopf schon noch
ein wenig mokieren, dem alle anerkannten Tugenden und
Attitüden des modernen bürgerlichen Individuums so sehr
in Geist und Gemüt gefahren sind, daß er als deren
lebende Karikatur herumläuft.