Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Zwei Wochen Regierungskrise in Italien
Italiens Kommunisten ziehen die Frage nach der Möglichkeit eines vielleicht doch etwas sozialeren Europa zurück, um diejenigen gewesen zu sein, die sie aufgeworfen haben

Die Rifondazione Comunista unterstützt die italienische Regierung bei der Erfüllung der Stabilitätskriterien und segnet die mit der Haushaltssanierung beschlossene Verelendung der italienischen Proleten ab.

Aus der Zeitschrift
Gliederung

Zwei Wochen Regierungskrise in Italien
Italiens Kommunisten ziehen die Frage nach der Möglichkeit eines vielleicht doch etwas sozialeren Europa zurück, um diejenigen gewesen zu sein, die sie aufgeworfen haben

Die Rifondazione Comunista wirft der linken Regierungskoalition, deren parlamentarische Mehrheit sie trägt, vor, die Politik der Rechten zu betreiben. Zwei Wochen lang verweigert sie die Zustimmung zu den neuen Gesetzesvorhaben bei der Haushaltssanierung. Diese sehen die Abschaffung der Möglichkeit vor, nach 35 Arbeitsjahren vorzeitig in Rente zu gehen, ferner Rationalisierungen und Entlassungen bei Post, Bahn und öffentlichen Banken sowie Kürzungen im Gesundheitswesen und die Aufhebung von Zahlungsleistungen für den Süden des Landes.

Durch Italien und Europa geht ein Aufschrei der Entrüstung. Von einem Dolch im Gewande der Nostalgie-Marxisten, von einem Husarenakt der Neokommunisten, von Erpressung und einem Vernichtungsschlag gegen die Regierung Prodi, gegen Italien und gegen ganz Europa ist die Rede. Hierzulande zeigt man sich empört darüber, daß die Bemühungen Italiens zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien – die in anderen Zusammenhängen regelmäßig als Schwindel durchschaut werden – von den Kommunisten mutwillig aufs Spiel gesetzt werden und die Regierung Prodi offenbar nicht dazu imstande ist, endlich Schluß zu machen mit dirigistischen Eingriffen gegen Arbeitslosigkeit, einem unfinanzierbar gewordenen Wohlfahrtsstaat und mit dieser Unsitte, in Staatsbetrieben eine Beschäftigungsmaschinerie im Mezzogiorno zu unterhalten.

Der Regierungschef selbst spricht von der verücktesten Krise der Welt, die die Kommunisten jetzt, wo Italien schon vier der fünf Kriterien von Maastricht erfülle, zu verantworten hätten. Abstriche von den Haushaltsbeschlüssen sind um der Glaubwürdigkeit eines für Europa tauglichen Italiens willen für ihn generell undenkbar. Er droht seinen Rücktritt und neue Wahlen an.

Die Kommunisten sind von ihm sehr beeindruckt, auch davon, daß ihre eigenen Wähler wenig Verständnis für ihren Vorstoß zeigen. Nach ein paar gewährten Zugeständnissen sind sie schnell wieder dazu bereit, Italien regierbar zu machen. Dafür sollen die Einführung der 35-Stunde-Woche demnächst entschiedener betrieben, bei den Frühverrentungen nicht 4 Mrd., sondern 3,6 Mrd. eingespart und die Staatsholding IRI mit weiteren 3 Mrd. zur Förderung von Beschäftigung in Süditalien beauftragt werden. Gleich für ein ganzes Jahr verpflichtet sich die Rifondazione Comunista dazu, gegen den Kurs der Regierung keine weiteren Einwände mehr geltend zu machen.

Mit Nachdruck eingereicht wurde von der Mannschaft um Bertinotti der Antrag, die Regierung solle das Projekt, Italien für Europa tauglich zu machen, nicht durch eine weitere Preisgabe der noch verbliebenen Rücksichten auf die soziale Lage im Land abwickeln. Zurückgezogen wurde dieser Antrag, weil es sich bei den Antragstellern um dieselben handelte, die für alle mit diesem Projekt unabweisbar verbundenen Notwendigkeiten schon bislang jede erforderliche Einsicht zeigten. Sie waren daher nur ein weiteres Mal darüber zu belehren, was alles wegen Europa im Standort Italien heute einfach untragbar ist.

1. „Was tun!“

Ganz grundsätzlich eingesehen hatte diese kommunistische Wiedergründung schon immer, daß die Teilnahme Italiens an der Wirtschafts- und Währungsunion für den weiteren Erfolg dieser Nation unbedingt sein muß; also auch, daß die Nation einiges zu tun hat, um in dem erlauchten Kreis derer Aufnahme zu finden, die künftig mit einem europäischen Gemeinschaftskredit wirtschaften dürfen. Diesbezüglich galt die verlangte Einsicht dem gesamteuropäischen Maß der nationalen Tauglichkeitsprüfung, das in Form von Kriterien einer soliden Haushaltsführung vorgegeben war. Diese Kommunisten verschlossen sich daher auch jenen Schlußfolgerungen grundsätzlich nicht, die in allen europäischen Nationen aus dem Gebot zur Sanierung der Staatsfinanzen gezogen wurden: Solide gemacht wird ein staatlicher Haushalt dadurch, daß sich der Staat möglichst vieler Kosten entledigt, auf die er verzichten kann, also dadurch, daß er die für ihn ab sofort verzichtbaren Kosten definiert und entsprechend einspart. Und hier sind eben alle Staaten vordringlich auf jene Aufwendungen gestoßen, die ihnen angesichts des Rückgangs der Beschäftigtenzahl aus der Finanzierung ihrer überkommenen sozialstaatlichen Einrichtungen erwachsen. In Vergleich zu dem, was sie vom nationalen Lohneinkommen ihrer arbeitenden Arbeiter noch einsammelten, befanden sie das, was sie zur Sicherung der Existenzbedingungen der ganzen nationalen Arbeiterklasse auszugeben hatten, für zu viel. Maß genommen haben sie dabei an ihrem Budget, zugleich aber auch an der kapitalistischen Kalkulation, der der Preis der Arbeit unterliegt: Wenn die Staaten ihren Haushalt in Ordnung bringen und den nationalen Preis der Arbeit durch Sparen an der richtigen Stelle verbilligen, dann könne dies ja nur dem Wachstum des Kapitals dienlich sein, von dem sie ausweislich ihrer Haushaltsnöte ja auch zu wenig haben. So stand für alle europäischen Staaten der Zwang zum Sparen fest, im Namen des Haushalts und im Namen von mehr Beschäftigung.

Mitgetragen hat die Rifondazione Comunista alle Beschlüsse, die zur praktischen Umsetzung der eingesehenen politischen Notwendigkeit in Italien für fällig erachtet wurden. Seinen Grund hatte der Umstand, daß Italien stets als Problemkandidat für das Europa des guten Geldes angesehen wurde, zwar in den nur bedingten Konkurrenzerfolgen dieser Nation auf den europäischen und anderen Märkten. Die Logik aber, nach der Italien für Europa herzurichten war, wurde mit dem Zweck dekretiert, die staatlichen Finanzen zu sanieren, und daran hatte die italienische Standortpolitik Maß zu nehmen. Dabei galt es keineswegs nur, diese oder jene Milliarde an dieser Stelle einzusparen und an einer anderen einzunehmen. Verlangt von dieser Nation war vielmehr, den ganz grundsätzlichen Beweis erfolgreich anzutreten, daß der Staat sich auf Dauer zu konsolidieren gewillt ist, also die für ihn typischen Quellen seiner Unsolidität beseitigt. Und alles, was da im Namen der Glaubwürdigkeit dieses Anwärters für Europa an Maßnahmen – einer demonstrierten politischen Entschlossenheit wie einer praktisch bewiesenen Fähigkeit – zur Durchsetzung von strukturellen Reformen notwendig war, fand seitens dieser Kommunisten im Prinzip Billigung: Tauglich für Europa zu machen galt es Italien, indem Staatsbetriebe privatisiert, also den bekannten kosten- und personalsparenden Rationalisierungseffekten unterworfen wurden, die Erfolg in der Konkurrenz versprechen; indem unnütze Subventionen für Beschäftigung im Süden des Landes gestrichen wurden; und vor allem dadurch, daß diese unfinanzierbaren staatlichen Leistungen zur Versorgung von Rentnern und Kranken sowie die vielen dirigistischen Lohnregelungen, die den Preis der Arbeit nur in unstatthafte Höhe trieben, insgesamt ein Ende fanden. Die Revolutionierung des staatlichen Sozialwesens von oben, mit dem auch in Italien der Staat über ein niedrig entlohntes, aber halbwegs sortiertes und konsolidiertes Arbeitsvolk gebot: Das war der Preis, der für die Gesundung des nationalen Kredits und für die Teilhabe Italiens an einem neuen, gesamteuropäischen Kredit zu zahlen war, und den nicht die Nation, sondern ihr proletarisches Inventar gezahlt hat.

2. „Was geht?“

Die Erfolge der von den italienischen Kommunisten mitgetragenen Maßnahmen fanden seitens der aufmerksamen europäischen Beobachter – auf die es in erster Linie ankommt – Anerkennung. Prodi, so hieß es, habe mit einer budgetären Rigueur, die ihresgleichen in Europa sucht, … in 500 Tagen mehr zustandegebracht als die meisten Vorgänger – eine Zufriedenheitsbekundung, die umso mehr wog, als die Regierung auch versprach, mit ihrer seriösen und vielversprechenden volkswirtschaftlichen Aufbauarbeit auf keinen Fall nachzulassen. Nach der Logik, daß die bisherigen Opfer nicht umsonst gewesen sein dürften, waren zur dauerhaften Absicherung der Haushaltssanierung also immer noch weitere zu beschließen. Und damit sie auch weiter beschlossen werden konnten, mußte das kleine Intermezzo einer Regierungskrise sein.

Die Rifondazione Comunista hatte es aus ihrer nationalen Verantwortung für unbedingt erforderlich gehalten, an allen für Europa nötigen Projekten zur Sanierung des italienischen Staates mitzuwirken. Als linker Verein verfügte man dabei aber stets über eine besondere Interpretation des Zwecks, für den man sich dabei eigentlich politisch zu engagieren gedachte. So hat man politisch für alles Nötige zur Zurichtung des Standorts Italien für das Programm eines europäischen Weltgeldes gesorgt – und daneben die eigenen Beschlüsse ideell einem ganz anderen Kampf gewidmet. Eingestiegen in die Mitwirkung an den Projekten der Regierung ist man nämlich mit der Perspektive, Europa ganz anders zu machen:

„Der Kampf gegen monetaristische Politik und für eine Revision des Maastrichter Vertrages, um Kriterien bezüglich Beschäftigung, Umwelt und sozialem Schutz aufzunehmen, kann jetzt, in Verbindung mit den sozialen Bewegungen in Europa, die gegen Kürzungen der Sozialausgaben durch die rechten Regierungen kämpfen, wieder verstärkt werden.“ (Rifondazione-Parteitag, Dez. 1996)

Im Namen ihrer eigenen Idee von einem besseren, von einem sozialen Europa schlossen sich diese Linken der bürgerlichen Regierung an. Allerdings unterwarfen sie sich damit allen Sachzwängen, die diese im Namen einer Zukunft Italiens in Europa sofort auf die Tagesordnung der nationalen Politik setzte, und so bestand der linke Betrag zur Ausübung der Regierungsgeschäfte vornehmlich darin, die auch von ihnen mitbeschlossenen Maßnahmen zur Sanierung des Landes mit der Vorstellung zu begleiten, dabei im Grunde immer und überall als die letzte italienische Bastion der sozialen Gerechtigkeit zu wirken. Diese Deutung ihres Mitmachens bei Prodis Koalition übersetzte sie sich in einen Kampf gegen die Rechten, womit sie die im italienischen Parlament sitzenden Oppositionsparteien meinte. Diese vertraten hinsichtlich der politischen Sache, die Prodi versah, zwar überhaupt keine furchtbar oppositionellen Standpunkte. Aber aus dem Umstand, diese anerkannten Rechtsparteien erfolgreich vom Regierungsgeschäft fernzuhalten, bezog diese linke Kraft wenigstens das nötige Selbstbewußtsein bei ihrer Mitarbeit am bürgerlichen Regierungsgeschäft. Das belebte die Rifondazione Comunista dann dadurch, daß sie bei allen Einschnitten in das sozialstaatlich geregelte Leben der Bürger nicht immer gleich, sondern erst nach Verhandlungen ihr Placet gaben.

Denn in einer Hinsicht wurde von diesen Linken die zügig durchgeführte soziale Revolution des Standorts Italien stets mit einem Fragezeichen begleitet. Ob sie denn wirklich sein müsse, hieß der dauerhafte Zweifel, den die Rifondazione in die Debatten der Regierungskoalition einbrachte. Gegen die Bedingungslosigkeit, mit der ihre Partner an der Regierungsmacht die Maßnahmen zur Verelendung der italienischen Bürger dekretierten, mahnte Bertinottis Fraktion notorisch eine gewisse Pflicht zur sozialen Rücksichtnahme auf sie an. Weil man sich an ihre Abschaffung machte, erschienen diesen Linken alle sozialstaatlichen Formen und Einrichtungen, mit denen das Elend seinerzeit vom Regime der Christdemokraten verwaltet wurde, mit einmal als eine im Namen des Volkes unbedingt zu verteidigende Errungenschaft. Diese matte Erinnerung an eine doch bislang noch mögliche, national gleichermaßen nützliche wie sozial Frieden stiftende Standortpolitik, die sich an den hehren Zielen von Beschäftigung, von gesicherten Renten und erschwinglichen Gesundheitsleistungen orientierte, hielt die Rifondazione nicht nur für den Gipfel aller überhaupt vorstellbaren volksfreundlichen Dienstleistungen, auf die sie mit ihrer Namensgebung immerhin noch Bezug nahm. Sie hielt sie vor allen Dingen auch für machbar:

„Wir müssen fähig sein, spezifische Ziele in einen neuen machbaren alternativen Kurs der Wirtschafts- und Sozialpolitik einzuführen“.

Den Test darauf, wieviel sozialstaatlicher Konservativismus mit einem für Europa tauglichen Italien noch verträglich ist, hat sie dann einmal riskieren wollen.

Von entsprechenden Verlautbarungen aus Frankreich holte man sich die Bekräftigung ab, mit der Idee von einem sozialen Europa letztlich gar nicht allein zu sein. In Prodi sah man im Prinzip gleichfalls einen geeigneten Ansprechpartner für das Verlangen, sich Europa und den Weg dorthin nicht von dem Deutschen Kohl und den Rechten im eigenen Land vorschreiben zu lassen, und so kündigte man an geeigneter Stelle demonstrativ die schon zur Routine gewordene Gefolgschaft bei der weiteren Exekution des Regierungsprogramms auf. Was man eigentlich wollte, war zwar schon eine etwas andere Politik. Aber von der wollte man eben unbedingt auch, daß sie allen definierten nationalen Notwendigkeiten für den Weg nach Europa positiv Rechnung trägt, also machbar ist. Von der Regierungskoalition, die in Sachen politischer Machbarkeit ja in letzter Instanz immer die Kompetenz besitzt, wurde man dann sehr schlicht davon in Kenntnis gesetzt, was im mitte-links regierten Italien politisch machbar ist und was nicht. Der Chef der Regierung hielt einfach unnachgiebig an seiner politischen Linie fest und machte darüber deutlich, daß es zu der schlicht keine Alternative gibt. Das hat die Freunde des politisch Machbaren beeindruckt. Festhalten an ihrer alternativen politischen Vorstellung wollten sie jedenfalls nicht, nur ein Zeichen seines prinzipiell guten Willens wünschten sie sich noch vom Regierungschef –

„Ich sage nicht, die Regierung soll all unsere Forderungen aufgreifen, aber wenigstens eine, die ein sichtbares Zeichen des Wandels setzt“ (Bertinotti im Parlament).

Und nachdem man dieses Zeichen in Form einiger lächerlicher Zugeständnisse bekam, stand der weiteren Sicherung einer italienischen Regierungsfähigkeit und damit einem ungestörten Fortgang der Dauersanierung des Staatshaushalts nichts mehr im Wege. Hauptsache, es blieb dabei beim Bündnis mitte-links.

3. Wenn nichts geht: „Tun, was geht!“

Es ist zwar schizophren, demonstrativ gegen ein politisches Programm aufzubegehren, das man selbst mitträgt, doch hat diese Schizophrenie schon ihre politische, eben linke Logik. Diese besteht darin, das Projekt einer sozialen, auf die Lebenslage des Proletariats noch irgendwie Rücksicht nehmenden Ausübung der nationalen Regierungsgeschäfte in der Hauptsache für erledigt zu halten, wenn man nur als Partei, die für dieses Projekt steht, an der Ausübung der politischen Macht beteiligt ist. Dies, im demokratisch-parlamentarisch geregelten Vollzug der Macht die wichtige Rolle eines politischen Subjekts spielen zu können, interpretieren diese Linken als Beweis, daß ihr politisches Ideal im Prinzip schon auf dem Sprung ist, wahr zu werden. Daß ihre Abstraktion von allen Notwendigkeiten, die für die erfolgreiche Regelung eines kapitalistischen Gemeinwesens einfach unumgänglich sind und die den politischen Inhalt der Macht bestimmen, sie dann sehr schnell einholt; daß ihnen, kaum wollen sie mitregieren, ein ums andere Mal beschieden wird, wie grundsätzlich unverträglich eine Demokratie heute mit den volksfreundlichen Idealen ist, die sie über sie hegen, kurz: Daß sie die Sache, in deren Namen sie antreten, stets zugunsten des Regierungsgeschäftes opfern müssen, an dem sie sich unbedingt beteiligen wollen, nehmen sie dann schon wieder für einen Beweis. Die Bedingungen sind für sie dann eben noch nicht reif genug, ihrem Anliegen zum Durchbruch zu verhelfen, das politische Kräfteverhältnis z.B. gestattet das Beschreiten der alternativen politischen Wege, auf die sie eigentlich aus sind, noch nicht. Mit dem Bekunden, daß es wohl äußerst schwierig sein wird, den ganz anders beschaffenen Reformwillen einer Regierung auf die eigenen Reformideale zu verpflichten, schultern solche Kommunisten dann immer weiter die Bürde, im Namen der sozialen Gerechtigkeit wenigstens zu versuchen, das Mögliche machbar zu machen:

„Tatsächlich ist es äußerst schwierig, die Prodi-Regierung zu einem Reformkurs zu bewegen. Erstens aufgrund des internationalen Hintergrundes, da die meisten Regierungen in Europa Rechtsregierungen mit einer gemeinsamen Politik des massiven Angriffs auf den Sozialstaat sind. Zweitens wegen der besonderen Situation des italienischen Kapitalismus. Er unterstützt sogar die Mitte-Links-Regierung… Der italienische Kapitalismus möchte eine Politik akzeptabler machen, die zu sozialen Konflikten führen würde, wenn sie durch rechte Regierungen durchgeführt würde. Drittens wegen der Zusammensetzung der Regierung“ (Rifondazione Parteitag, Dez. 1996).

So lügt man sich in drei Schritten die Unverträglichkeit des eigenen politischen Willens mit dem, der regiert, als allenfalls zeitweise Verhinderung der Amtsinhaber zurecht, bei einer guten Sache mitzumachen: Daran gehindert werden Prodi und seine Mannschaft erstens deswegen, weil in ganz Europa regiert wird wie von ihnen, also weil die internationalen Vorbilder fehlen, denen sie entnehmen könnten, daß so, wie sie es tun, doch gar nicht regiert werden müßte. Weil zweitens sogar die Kapitalisten wollen, daß sie so regieren, wie sie es tun, fehlt auch im Volk der nötige Rückhalt für das eigene Anliegen. Den gäbe es nämlich, wenn das Kapital die Rechten beim Abbau des Sozialstaats unterstützte. Dann gäbe es nämlich jede Menge gerechter Empörung. Aber nachdem die soziale Frage in Italien jetzt von mitte-links erledigt wird, bleibt das Volk ganz sozialfriedlich, und Linke, die es gewohnt sind, sich zur Rechtfertigung ihrer Anliegen auf die Empörung der Massen zu berufen, haben es bei deren Ausbleiben natürlich schwer, mit Alternativen zur stattfindenden nationalen Politik durchzudringen. Letzteres wird drittens überhaupt auch noch dadurch erschwert, daß innerhalb dieser Regierung einfach keiner da ist, der einen unterstützen wollte.

So bleibt diesen Linken vorerst einfach keine andere Wahl, als den Spieß eben umzudrehen – und angesichts der Lage der Dinge dann eben die Regierung zu unterstützen. Und zum Beweis, daß es dabei eigentlich immer noch um etwas Besseres geht als die ordinäre Betreuung des kapitalistischen Standorts Italien, macht man selbst sich beim Regieren die Hände nicht schmutzig. Das ist sie dann, die „kritische Solidarität“.

4. Fazit: Mehr „Kommunismus“ geht einfach nicht!

Die Leistungen der Rifondazione Comunista für die Nation Italien sind daher nicht gering zu veranschlagen. Dieser Verein trägt mit seiner Unterstützung der Regierung nicht nur dazu bei, daß alle deren Vorhaben zur Abschaffung des Sozialstaats italienischer Machart gelingen. Er sorgt nicht nur selbst mit dafür, daß die von ihm vertretenen sozialen Belange des Volkes endgültig hinter die Interessen an einem regierungsfähigen Italien, an einer politischen Stabilität und hinter das an dem Vertrauen zurückzutreten haben, das die europäische Finanzwelt diesem Land schenken soll. Indem er als linker Verein alles miterledigt, was alle Rechten zusammen gar nicht besser erledigen könnten, liefert er auch noch gratis den dauernden Nachweis mit, daß es anders als so einfach nicht geht, Einsprüche gegen das, was da so geht, sich also von selbst verbieten. Er repräsentiert als letztes politisch organisiertes Überbleibsel in Italien den Kampf um soziale Gerechtigkeit – und diesen Kampf führt er gleich in Form einer Erkundigung bei den Zuständigen, was in sozialen Dingen vom Standpunkt der nationalen Verantwortlichkeit aus heute noch politisch möglich und machbar ist. Als letzter repräsentiert er eine Kritik, die die Politik an ihren sozialen Versäumnissen mißt und Änderung einklagt – und zieht dann selbst noch diese müde Moral als Leitlinie seines Einspruchswesens gegen die bürgerliche Politik außer Verkehr. Der kann wirklich nichts Besseres geschehen, wenn es ausgerechnet noch Kommunisten dazu drängt, einen lausigen christdemokratischen Sozialstaat zu einer einzigen Nostalgie zu erklären und ihre betroffene Klientel – mit Verweis auf das gegenwärtige Kräfteverhältnis, versteht sich – auf bessere Zeiten zu vertrösten. Immerhin treten in Gestalt der Rifondazione Comunista die anerkannten linken Kritiker des Staates an. Wenn auch noch diese berufenen, anti-bürgerlichen Vertreter der sozialen Frage als Antwort auf das Verelendungsprogramm ihres Staates für die Betroffenen nur noch die Pflicht kennen, es im Namen der nationalen Verantwortung aller friedlich zu ertragen, dann stellen sie dieser Klientel gegenüber abschließend klar, daß der bürgerliche Staat über jede Kritik erhaben ist.