Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Italien, seine Erdbebenopfer und ein deutscher Kommentar
Italien lässt seine Erdbebenopfer in Notlagern versauern. Die deutsche Öffentlichkeit macht aus dem politischen Unwillen der italienischen Regierung eine nationale Unfähigkeit und damit ein patriotisches Bekenntnis zu deutschen Fähigkeiten.
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Italien, seine Erdbebenopfer und ein deutscher Kommentar
Italien ist zweifelsohne eine potente Nato- und Euro-Nation. Das Land hat nicht die geringsten Schwierigkeiten, mit einer Schiffsflotte die Adria über Monate hinweg zu kontrollieren, damit keine albanischen Hungerleider italienischen Boden betreten können.
Andererseits zeigt sich dieselbe Nation außerstande, angesichts der seit September absehbaren Tatsache, daß der Winter kommt, dafür zu sorgen, daß die Erdbebenopfer in Mittelitalien untergebracht werden.
Kein Problem hinwiederum besteht darin, daß ungefähr einmal täglich Fernsehmannschaften in die Notlager einfallen, um am Abend der Nation vorzuführen, daß man dort in Zelten und Wohnwagen tatsächlich friert. Und es ist in der päpstlichen Nation auch nicht das geringste Problem, Geld für den zügigen Wiederaufbau des „kulturellen Erbes“ in der Hochburg der Bigotterie, in Assisi, aufzutreiben und es standesgemäß herzurichten.
Die deutsche Tagesschau hat sich an diesem Fall wieder
einmal ihr Urteil über typisch italienische
Mißwirtschaft
bestätigt. Diese Einsortierung sorgt
auf zweifache Weise für die korrekte demokratische
Ausrichtung der aufgerufenen Empörung: Zum einen erklärt
sich der staatliche Umgang mit den Erdbebenopfern nicht
aus den politischen Prioritäten, die in Italien gelten,
sondern eben aus dem „Miß…“; der politische
Unwille wird mit einer nationalen
Unfähigkeit entschuldigt. Wie immer und überall
im Reich der Demokratie darf nicht von politischen
Absichten sondern nur von politischem Scheitern die Rede
sein. Zum anderen läßt sich diese Unfähigkeit dann
patriotisch im Lichte der eigenen Fähigkeit besichtigen,
damit auch klar herauskommt, daß in Deutschland alles
ganz anders aussieht. Schließlich können sich die
deutschen Hochwasseropfer angesichts der
privaten Spendenwut nicht beklagen, und die
deutschen Prinzipien im Umgang mit sozialem
Ausschuß geraten erst gar nicht in den Verdacht,
Geldmangel oder eben eine „Miß“wirtschaft könnte der
Grund für die schäbige Behandlung von Armen sein.
Umgekehrt ist man sich ja ziemlich einig darüber, daß die
zu gute Behandlung der Armen der Grund für den Geldmangel
der Nation ist.