Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die iranisch-britische „Geiselaffäre“ in der deutschen Presse:
Eine Sternstunde demokratischer Meinungsbildung über den „Problemstaat“ Iran
23. März – Iranische Sicherheitskräfte nehmen im Schatt al Arab 15 britische Marinesoldaten fest, die dort auf Patrouille waren. Die Botschafter der beiden Nationen werden jeweils einbestellt, Großbritannien teilt mit, die Soldaten seien in irakischen Hoheitsgewässern festgenommen worden. Die Regierung in Teheran erklärt, zu den Festnahmen sei es auf iranischem Gebiet gekommen. Und alle Welt weiß: So ein Zwischenfall ist für Feindschaft bis hin zur militärischen Auseinandersetzung gut, schließlich geht es da um den Respekt zweier nicht ganz unbedeutender Nationen vor der Souveränität der jeweils anderen. Nach 10 Tagen kann Entwarnung gegeben werden. Der iranische Präsident Ahmadinedschad – nicht gerade gut beleumundet hierzulande – lässt die Gefangenen frei, einfach so, als „Geschenk“ an das britische Volk, wie er sagt.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- 1. Die Festnahme der 15 britischen Marinesoldaten: eine verbrecherische Geiselnahme
- 2. Der Iran und seine Führung: ein von Machtkämpfen geprägter undurchsichtiger Geiselbasar
- 3. Die Vorführung der Gefangenen: ein miserabel gemachter stalinistischer Schauprozess
- 4. Die Freilassung: ein groteskes und lächerliches Kostümdrama
Die iranisch-britische „Geiselaffäre“
in der deutschen Presse:
Eine Sternstunde demokratischer
Meinungsbildung über den Problemstaat
Iran
In der „heißesten Krisenregion“ der Welt, an der irakisch-iranischen Grenze – hie britische und amerikanische Soldaten, da iranische Revolutionssoldaten – kommt es zu einem brisanten Zwischenfall
„23. März – Iranische Sicherheitskräfte nehmen im Schatt al Arab 15 britische Marinesoldaten fest, die dort auf Patrouille waren. Die Botschafter der beiden Nationen werden jeweils einbestellt, Großbritannien teilt mit, die Soldaten seien in irakischen Hoheitsgewässern festgenommen worden. Die Regierung in Teheran erklärt, zu den Festnahmen sei es auf iranischem Gebiet gekommen.“ (FAZ, 5.4.07)
Und alle Welt weiß: So ein Zwischenfall ist für
Feindschaft bis hin zur militärischen Auseinandersetzung
gut, schließlich geht es da um den Respekt zweier nicht
ganz unbedeutender Nationen vor der Souveränität der
jeweils anderen. Nach 10 Tagen kann Entwarnung gegeben
werden. Der iranische Präsident Ahmadinedschad – nicht
gerade gut beleumundet hierzulande – lässt die Gefangenen
frei, einfach so, als Geschenk
an das britische
Volk, wie er sagt.
Überrascht ist die hiesige Öffentlichkeit schon für einen kurzen Moment, schließlich passt dieses Ende nicht so ganz zur abgrundtief schlechten Meinung, die sie vom Iran und seinem Präsidenten, diesem Schurken im Staatsdienst, hat. Es bereitet ihr allerdings keine große Mühe, den Vorgang passend zu machen.
1. Die Festnahme der 15 britischen Marinesoldaten: eine
verbrecherische Geiselnahme
Schon der Zwischenfall selber lässt, richtig betrachtet, ja keine Zweifel zu.
„Wie es aussieht, ging diesem Akt der Piraterie keine Provokation voraus. Die Matrosen hatten gerade die Routinepatrouille eines zivilen Frachtschiffes abgeschlossen und wollten zur Fregatte Cornwall zurückkehren. Sie befanden sich zudem in irakischen Gewässern, obschon die Demarkationslinie im Schatt al Arab, dem Grenzfluss zum Iran, traditionell schwierig zu bestimmen ist.“ ... „Im Konflikt mit Iran um die dort gefangenen britischen Soldaten ist Großbritannien zunächst einigermaßen hilflos. Iran hat die Krise herbeigeführt. London hat bis dato sehr vernünftig agiert und reagiert.“ (SZ, 23.3. und FAS,1.4.)
Die Meinungsbildung – das kennt man – fängt bei der
Klärung internationaler Affären gerne, ganz wie die
agierenden Staaten, die sich wechselseitig beschuldigen,
mit der Schuldfrage an. Die lautet schlicht: ‚Wer hat
angefangen?‘ Und die wird nicht durch die Chronologie der
Ereignisse, sondern durch Parteinahme entschieden – die
historische Stelle, an der man den jeweiligen Streit
passenderweise seinen Anfang nehmen lässt, findet sich
dann schon. In diesem Fall steht für die überwiegende
Mehrheit der deutschen Presseorgane fest: Iran ist der
Provokateur, Großbritannien das unschuldige, reagierende
Opfer. Klar, dass die britischen Soldaten sich nicht in
iranischen Hoheitsgewässern herumgetrieben haben, wenn
Großbritannien das doch versichert; schließlich ist das
Land in der EU, in der NATO, eine einwandfreie
Demokratie, also schon mal ganz grundsätzlich im Recht.
Die Frage, was britische Soldaten inklusive schwer
bewaffneter Fregatte im iranischen Grenzgebiet eigentlich
verloren haben, stellt sich den deutschen Kommentatoren
einfach nicht. Die ist für sie durch die internationalen
Gewaltverhältnisse vor Ort längst definitiv beantwortet:
Die USA und Großbritannien sitzen als Aufsicht führende
Besatzungsmächte im Irak und haben sich kraft ihrer
Überlegenheit und Mehrheit im Sicherheitsrat ein
UNO-Mandat für die Kontrolle des irakischen Grenzgebiets
abgeholt. Deshalb schippern sie mit ihren Kriegsschiffen
auch nach Auffassung unserer Öffentlichkeit
vollkommen zu Recht vor der iranischen Grenze
umher. Ihr Kontrollanspruch gegenüber allen anderen
Staaten geht – an der UNO-Resolution sieht man es ja –
völlig in Ordnung, also haben auch die britischen Schiffe
vor Ort nichts mit einer Provokation zu tun, mag sich
ihre Präsenz auch ausdrücklich gegen den Iran richten –
das sind einfach Routinepatrouillen
im Rahmen der
Resolution 1723, fertig.
Wer sich diesem Kontrollregime nicht umstandslos
fügt, wer wie der Iran bei passender Gelegenheit einmal
demonstrativ seine Grenzhoheit verteidigt, der begeht
folglich ein politisches Verbrechen, eine
Geiselnahme
eben; er „provoziert“ also, steuert
einen rabiaten Konfrontationskurs
, weswegen sich der
Perserstaat auch nicht zu wundern braucht, wenn er am
Ende mit Krieg überzogen wird:
„Sollte das Regime so fortfahren, könnte am Ende eintreten, was niemand, auch nicht die USA, bislang ernstlich ins Auge fassen mochte: ein militärischer Schlag.“
Die Kriegsschuldfrage wäre also schon mal geklärt, quasi auf Vorrat.
Ein anerkennenswertes Interesse – Grenzsicherung oder so
– kann dieser Staat in dieser Affäre einfach
nicht haben. Das wirft die Frage auf: Was führt er dann
im Schilde, der Iran, mit seiner Geiselnahme
?
Soviel steht vorab fest: nichts, wofür man Verständnis
haben könnte. Damit öffnet sich das weite Feld der
Spekulation über die ‚wahren‘ Gründe des iranischen
Vorgehens, und da ist erst einmal Ratlosigkeit am Platz:
„Die Gefangennahme der britischen Matrosen zeigt, wie komplex und undurchsichtig die iranische Politik ist.“ (SZ, 25.3.)
Zeigt
sie das wirklich? Oder zeigt sie das
Offensichtliche – hier demonstriert ein laufend
angefeindeter Staat seinen Souveränitätsanspruch,
verlangt zwar nicht mehr als eine offizielle
Entschuldigung, die aber schon! – nur demjenigen nicht,
der einfach felsenfest auf Seiten der Aufsichtsmächte
steht? Aber so „undurchsichtig“ ist die iranische Politik
dann doch nicht, dass hiesige Begutachter ihr nicht
umstandslos auf die Schliche kommen: Es kann sich
zweitens, so einfach ist die „komplexe“ Politik im
Endeffekt, nur um die Verfolgung bösartiger Zwecke der
Iraner um Ahmadinedschad handeln.
„Mit ihrem Überfall auf die britische Patrouille haben die Iraner geschickt vom eigentlichen Thema in der Region abgelenkt, der Diskussion um ihr Atomprogramm.“(netzeitung, 31.3. Presseschau)
Äußerst raffiniert! Von einer außenpolitischen Front
ablenken, indem man den Aufsichtsmächten eine neue
aufmacht, vor allem, wo dieses unglaublich
geschickte
Ablenkungsmanöver noch in der letzten
deutschen Redaktionsstube sofort durchschaut wird. Weil
den deutschen Öffentlichkeitsarbeitern beim Iran immer
nur das „Thema“ einfällt, das ihre Regierungen auf die
Tagesordnung gesetzt haben – dass Iran seine atomaren
Ambitionen aufzugeben hat –, kann es auch dem Iran um gar
nichts anderes gehen. Vielleicht ist aber auch genau das
Gegenteil richtig und Iran lenkt nicht ab, sondern
eskaliert mit den 15 Geiseln gerade im Atomstreit, wer
weiß das schon!
„Offenkundig sollen die 15 Soldaten als Faustpfand im Atomstreit genutzt werden.... Der Zwischenfall fällt zeitlich zusammen mit der Vorbereitung einer neuen UN-Resolution gegen Iran. Die fünf ständigen Mitglieder legten dem Sicherheitsrat einen Entwurf für eine Resolution zum Atomstreit vor...“
Und überhaupt drängen sich den Beobachtern – einmal in Fahrt gekommen – lauter weitere Berechnungen auf, die einer für die imperialistischen Konkurrenz- und Gewaltaffären empfänglichen journalistischen Phantasie durchaus verständlich, aber im Fall Iran keinesfalls zu billigen sind. Vielleicht richtet sich die Aktion des Iran ja doch weniger gegen eine drohende neue UN-Resolution als direkt gegen Amerika:
„Vielleicht fürchtet er auch eine Militärintervention der Amerikaner und sichert sich mit den Gefangenen ein wichtiges Faustpfand.“
Am Ende fürchtet sich das Land doch glatt vor Kriegsaktionen, mit denen nicht nur die Kommentatoren schon einmal ideell kalkulieren, sondern die USA und ihr örtlicher Verbündeter Israel laufend drohen! Oder es ist noch ganz anders, und der Iran versucht einen unsittlichen Handel anzubahnen:
„Der Iran will die 15 festgenommenen britischen Soldaten offenbar gegen Iraner in amerikanischem Gewahrsam austauschen,“ (Zitate aus FAZ.net, 31.3.)
die von den USA aus iranischen Konsulaten im Irak heraus verhaftet worden sind; was vielleicht auch nicht ganz sauber war, aber natürlich nie und nimmer als eine Geiselnahme zu bewerten ist.
Ablenken, Eskalieren, Freipressen, Faustpfand gegen Sanktionen, Kriegsdrohungen, internationale Einsprüche in Sachen Atomprogramm: Reihenweise und kunterbunt fallen den Journalisten lauter hinterhältige Tatmotive des Iran ein. Ihre Phantasie dreht sich dabei immer um den einen Punkt, dass sich der Iran der berechtigten Forderung der USA und der EU zu entziehen trachtet, er habe seine atomaren Ambitionen aufzugeben. Die stehen ihm einfach nicht zu:
„Es ist fatal, dass Iran ausgerechnet auf dem Gebiet der Atomtechnologie mit dem Westen gleichziehen will.“
Wo es doch so viele andere, schöne Betätigungsfelder für Staaten gibt; z.B. das Feld der Kultur, der Pflege der altiranischen Sprache usw.. Wieso nicht auf diese Art nationale ‚Größe‘ zeigen, durch machtmäßige Zurückhaltung, die ja bekanntlich zu den vornehmsten Staatstugenden gehört:
„Seiner früheren Größe würde das Land eher gerecht, wenn es neben eigenen Interessen auch die Ängste und Besorgnisse anderer ins Kalkül zöge, kurz: wenn es politisch verantwortlicher als bisher handelte, gerade aus einer Position neu gewonnener Stärke.“ (FAZ, 12.4.)
Wahre nationale Größe nach diesem Verständnis – wie man sie z.B. am Auftreten von Blair oder Merkel studieren kann – ist aber von der iranischen Führung nicht zu erwarten, da kennen wir uns bestens aus; die Perser sind traditionell so:
„Die Vermengung von Außenpolitik und kriminellen Akten wie Geiselnahme und Erpressung ist alte Übung.“ (Der Spiegel Nr. 14)
Und das ist fatal. Denn mit so einem Staat kann man natürlich nicht vernünftig verkehren.
2. Der Iran und seine Führung: ein von
Machtkämpfen geprägter undurchsichtiger
Geiselbasar
In dem, was dieser Staat treibt, lassen sich beim besten Willen keine vernünftigen Berechnungen erkennen. Seine Führung vergeht sich grob gegen das wohlverstandene Eigeninteresse ihrer Nation, das sie, verblendet, wie sie ist, noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen will:
„Dass all dies nicht im nationalen Interesse Irans liegt, ist für Außenstehende offensichtlich.“
Was dem Iran nützt und schadet, das wissen deutsche Journalisten viel besser als dessen Führung. In seinem Interesse wäre es, von allen Interessen Abstand zu nehmen, mit denen er sich doch nur die Feindschaft der USA und der EU zuzieht. An solchen Interessen festzuhalten, schadet ihm, weil ihm die nicht zugestanden werden, sondern mit allen Mitteln ausgetrieben werden sollen:
„Fest steht jedenfalls, dass Iran mit der Geiselnahme einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat.“ (FAS, 1.4.)
Klug und vernünftig wäre es, die westliche
Entschlossenheit zur Beschränkung der iranischen
Machtambitionen in Rechnung zu stellen und sich der Macht
zu beugen. Wenn Ahmadinedschad, der kleine Mann aus
der Provinz Garmsar
, das nicht einsehen will, dann
hat er einfach keinen Sinn für die politischen
‚Realitäten‘, für die Mächte nämlich, mit denen er sich
da anlegt, ist also nicht nur gefährlich, sondern
gefährlich dumm:
„Dass er das Spiel mit dem Feuer auch mit einer gehörigen Portion Dummheit betreibt, ist neu. Seit dem widerrechtlichen Überfall auf ein britisches Suchkommando müssen wir jene Dummheit miteinkalkulieren.“ (Berliner Morgenpost, 29.3.)
Vielleicht ist es aber auch so, dass von einer Führung in dem Sinn bei diesem Staatswesen gar nicht gesprochen werden kann:
„Iran spricht nicht mit einer Stimme, weil es keine eindeutigen Machtstrukturen gibt. Die Islamische Republik ist zwar 28 Jahre alt. Noch immer haben sich ihre Machtstrukturen aber nicht zu einer Pyramide verfestigt, wie sie normalerweise eine Verfassung vorgibt. ... Was der eine sagt, ist für den anderen nicht bindend.“ (FAZ, 3.4.)
Wollen deutsche Journalisten wirklich nichts anderes als verfassungsmäßig garantierte Verlässlichkeit im Iran, oder gar einen machtvoll gefestigten, nach innen verbindlichen und nach außen einheitlichen Staatswillen? Natürlich nicht! Dem vorhandenen und von Staatspräsident Ahmadinedschad repräsentierten Staatswillen versagen sie dermaßen gründlich jeden Respekt, dass sie ein Bild von Verhältnissen zeichnen, in denen von einem Staatswillen gar nichts mehr erkennbar sein soll:
„Wer auf dem Geiselbasar von Teheran das Sagen hat, wer die Ware heranschafft, wer den Preis bestimmt – das ist kaum zu durchschauen. In Teheran stehen viele Instanzen miteinander in Konkurrenz, weltliche wie religiöse, Pragmatiker wie Hardliner. Baldiges Ende oder monatelanges Tauziehen mit gefährlicher Eskalierung – auch der Ausgang der Geiselkrise zwischen London und Teheran hängt davon ab, wer sich im undurchsichtigen Machtgefüge des Gottesstaates letztlich durchsetzen wird.“ (Der Spiegel, 14/07)
Sie zeichen das Bild von einem Staatswesen, in dem politisch Verantwortliche, mit denen man sich ins Benehmen setzen könnte, gar nicht recht greifbar sind; in dem lauter dubiose Fraktionen unterwegs sind, die einzig mit sich und ihrem Intrigenwesen beschäftigt sind – von deren Treiben wir aber betroffen und abhängig sind; in dem man noch nicht einmal weiß, auf wen man setzen soll; kurz: ein Unstaat, mit dem man keine gewöhnlichen politischen Beziehungen und keinen geregelten diplomatischen Verkehr haben kann, bei dem sich daher nur eine Frage stellt: mit welchen Mitteln man ihm politische Vernunft einbläuen kann.
Mit dieser Sicht der Dinge ausgestattet, kommt es unseren Journalisten überaus menschlich verständlich vor, dass ihnen da erst einmal Militärgewalt einfällt:
„Der menschlich natürliche Impuls ruft nach Bestrafung der Geiselnehmer.“ (FAS, 1.4.)
Eine entsprechende Einschätzung der Mittel ergibt allerdings einen traurigen Befund:
„Eine Befreiungsaktion mit militärischen Mitteln birgt neben den offensichtlichen politischen auch sehr praktische Risiken. Man muss sich nur an einen entsprechenden Versuch der Amerikaner vor mehr als zwanzig Jahren erinnern.“
Also gilt es wenigstens den zweitbesten Weg einzuschlagen:
„Teheran muss schon jetzt auf dem Preisschild lesen können: Sanktionen, Sanktionen, Sanktionen. Nur so wird die innere Unzufriedenheit in Iran wachsen und das Regime geschwächt.“
Das hätten sie also gerne, wenn schon zuschlagen mit militärischer Gewalt nicht so einfach geht: Ein Sanktionsregime, das der Bevölkerung richtig weh tut, damit die ihre wahren, auswärtigen Freunde erkennt und ihre eigene Regierung hinwegfegt.
3. Die Vorführung der Gefangenen: ein miserabel gemachter
stalinistischer Schauprozess
Was die gefangenen 15 britischen Soldaten zu erwarten haben, ist für die demokratische Öffentlichkeit, die sich ein solches Zerrbild iranischer Macht zurechtbastelt, klar: Es steht das Schlimmste zu befürchten – Folter, Todesurteile usw. – Nun kommt es ja doch ein bisschen anders:
„Teheran betont Respekt vor internationalem Recht und verspricht, die Gefangenen würden mit allem Respekt behandelt.“ (FAZ.net, 28.3.)
Die Gefangenen werden Tischtennis spielend, rauchend, feixend im Fernsehen vorgeführt,:
„Die wichtigste Botschaft dieser Bilder lautet: Es geht uns gut, sichtlich besser als den Häftlingen in Guantanamo oder Abu Ghraib.“ (SZ, 3.4.)
Aber das ist natürlich alles nur Propaganda. So geht es
natürlich nicht, dass sich der Iran in ein gutes Licht
setzt, statt unser Feindbild zu bestätigen. Aber unsere
kritische Öffentlichkeit lässt sich von einem
„Problemstaat“ natürlich nichts vormachen und durchschaut
auch diese Propagandaschlacht
als zynisches
Spiel vor den Kameras
, als ein unwürdiges
Spiel
mit Menschen
. Dessen
unerträglicher
Höhepunkt: Der britischen Soldatin
Faye hat man ein Kopftuch aufgesetzt und die männlichen
Kollegen in iranische Anzüge gesteckt. Wirklich unerhört!
Und dabei auch noch so beschissen gemacht, dass man den
iranischen Propagandisten Nachhilfe erteilen muss in
Sachen ‚gelungene Manipulation‘:
„Das Muster stalinistischer Schauprozesse mit ihren grotesken Selbstbeschuldigungen müsste die iranische Regie eigentlich vermeiden.“
Ob Kenner wie Chimelli & Co der iranischen „Regie“ dann
geglaubt hätten und dem Staat dann Respekt zollen würden,
wenn man in Teheran auf ein explizites
Schuldeingeständnis der erkennbar gut behandelten
„Geiseln“ verzichtet hätte? Eher ist es ihnen wohl darum
gegangen, gegen den Augenschein, auf den die
iranische Seite Wert legt, die Stichworte „Stalin“ und
„Schauprozess“ ins Spiel zu bringen. Das sitzt und
verbietet es von vorneherein, in den Video-Bildern aus
Teheren das diplomatische Signal in Richtung
Großbritannien zu erkennen, dass der Iran sich für sein
Bedürfnis, die eigenen Souveränitätsrechte einmal
exemplarisch weltöffentlich geltend zu machen, mit dem
Eingeständnis der Grenzverletzung durch die
Festgenommenen zufrieden geben will. „Wir“ reagieren auf
diese TV-Bilder stattdessen mit Abscheu und Ekel
und registrieren allein den iranischen Willen – zur
Provokation:
„Das ist schnell durchschaut – es verschärft die Provokation, steigert die Wut und macht eine gesichtswahrende Lösung unwahrscheinlich.“ (SZ, 30.3.)
Dass man sich vom Iran herausgefordert sieht und herausgefordert sehen will, wird – nach dem sattsam bekannten Muster, nach dem im Wirtshaus noch jede Schlägerei vom Zaun gebrochen wird: ‚Willst du Streit?!‘ – dem Iran als dessen ureigenes Motiv zur Last gelegt: Er will uns in Wut versetzen und unternimmt, wahrhaft infam, alles, um friedlich-schiedliche Lösungen zu verunmöglichen:
„Anläufe der Gemäßigten, nicht zuletzt im Außenministerium, die Affäre gütlich aus der Welt zu schaffen, werden optisch unterlaufen. Die Sicht der radikalen Revolutionswächter wird im Massenmedium Fernsehen zum Standpunkt Teherans gemacht.“ (SZ, 3.4.)
Also sieht sich ein stets für Mäßigung und Besonnenheit eintretendes liberales deutsches Weltblatt wieder einmal in dem bestätigt, wovon es ausgeht: dass mit dem Iran ein Auskommen im Guten nicht zu haben ist. Nicht nur in dem Fall, sondern überhaupt:
„ ... Jenseits des bedauernswerten Schicksals der 15 Seeleute aber stellt sich die Frage: Wie bitte soll eine Lösung im Atomstreit gefunden werden, wenn die Unglaubwürdigkeit, der Mangel an Kooperationswillen und die Dreistigkeit Irans bereits in einem Fall von geringerer strategischer Bedeutung derart aggressiv zur Schau gestellt werden?“ (SZ, 30.3.)
Was ein paar propagandistische Fernsehbilder einem Vertreter demokratischer Öffentlichkeit alles klarmachen! Am Ende sogar die Unumgänglichkeit von Gewalt gegen diesen Staat. Denn, wie soll man mit so einem Provokateur auf der Welt zusammenleben?
4. Die Freilassung: ein groteskes und lächerliches
Kostümdrama
Während sich die hiesige Öffentlichkeit das gerade noch fragt, lässt Ahmadinedschad, die verhafteten Briten frei. Eine Geste des guten Willens, die auch so verstanden wird. Sogar eine überaus honorige Geste nach den Maßstäben der Feinddiplomatie, die den Kommentatoren so vertraut sind. Also eine Geste, die so auf keinen Fall stehen bleiben darf. Da muss mindestens etwas ganz Schäbiges dahinterstecken – und siehe da, nach eingehender Prüfung finden deutsche Journalisten heraus, was sie von Anfang an gedacht haben:
Der „große Auftritt war ein perfider Auftritt.“ (Der Spiegel, 15/07) „Hinter den Kulissen von Ahmadinedschads politischem Komödienstadl, bei dem die einstige Weltmacht Großbritannien blamiert auf der Bühne stand, scheint aber ein Geschäft gemacht worden zu sein. Verschiedene Hinweise sprechen dafür, dass Amerikaner und Briten zugesagt haben, mehrere im Irak festgenommene iranische Diplomaten und Soldaten freizubekommen. Angesichts der sehr begrenzten Möglichkeiten, die britischen Soldaten freizubekommen, könnte das tatsächlich der einzige Weg gewesen sein“ (SZ, 6.4.)
Vielleicht war es aber auch wieder ganz anders, und der iranische Präsident, der nun weltöffentlich den generösen Staatsmann gibt, ist in Wahrheit von anderen Kräften in seinem Land dazu genötigt worden, die Briten freizulassen:
„Niederlage der Fanatiker – Die Eiferer um Ahmadinedschad hätten die Briten wohl nur zu gern als Faustpfand behalten.“ (Der Spiegel Nr. 15) „Wurden die Hardliner um Ahmadinedschad von der etablierten Machtelite zurückgepfiffen? Hat das Regime erkannt, in welche Gefahr es sich begibt?“ (SZ, 6.4.)
Oder es ist das Gegenteil der Fall und die theatralische Geste Ahmadinedschads war ein perfider Trick, mit dem sich der iranische Präsident im undurchschaubaren Machtgefüge in seinem Land mehr Anerkennung verschafft hat:
„Ein Sieg für die Revolutionswächter – Durch die Inszenierung der Geisel-Affäre hat Irans Präsident seine Hausmacht gestärkt.“ (SZ, 7.4.)
Was auch immer – so oder so ist das überraschende Ende der Affäre die letzte Bestätigung dafür, wie sehr dieses Regime unser Misstrauen und unsere Feindschaft verdient hat.