Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Frankreich: Ein Staat schafft Ordnung
Die französische Regierung beschließt zwecks „Wiederherstellung der Autorität der Republik“ ein Gesetz „zur Stärkung der inneren Sicherheit“. Mit ihm sollen etliche Ordnungswidrigkeiten von Jugendlichen, Bettlern, Ausländern usw. zu Straftatbeständen erklärt werden. Die Grande Nation definiert damit die zunehmende Pauperisierung von Teilen der Gesellschaft zum Problem eines mangelnden Respekts vor ihrer Staatsgewalt. Die öffentliche Ordnung will sie mit einem vermehrten Einsatz ihres Gewaltapparats gewahrt wissen, gleichgültig gegen die Gründe von Vandalismus, Bandenbildung und Verwahrlosung. Der französische Staat wird anspruchsvoller – an den Gehorsam seiner Untertanen.
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Frankreich: Ein Staat schafft Ordnung
„Alle politischen Lager reden heute von Respekt, Ordnung, Gesetzestreue, Bürgersinn. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Rechte für eine Politik der harten Hand stand und die Linke für Prävention und Sozialarbeit.“ (aus einem Kommentar, März dieses Jahres)
So ist die Stimmung im Land der Franzosen. Bereits die Regierung Jospin hat das Thema innere Sicherheit ganz oben auf die politische Tagesordnung gesetzt. Sie ist mit einem „Gesetz über die Sicherheit im Alltag“ in Erscheinung getreten, mit dem sie einer härteren Gangart in Belangen der öffentlichen Ordnung den Weg bereitet hat, wie z.B. – nur um den ‚Geist‘ dieses Gesetzes zu beleuchten – Gefängnisstrafen für Schwarzfahrer. Im Wahlkampf wird die innere Sicherheit von der konservativen Opposition in Konkurrenz mit Le Pen dann endgültig zum Thema Nr. 1 gemacht. Sie gewinnt die Wahlen; nicht zuletzt mit dem Vorwurf an die Regierung, sie habe dabei versagt, die Sicherheit der Bürger im täglichen Leben zu garantieren.
Die neue Regierung unter Chirac und Innenminister Raffarin verspricht nun in ihrer Regierungserklärung die „Wiederherstellung der Autorität der Republik“. Und sie wird entsprechend tätig:
Sie legt ein Gesetz „zur Stärkung der inneren Sicherheit“ vor. Mit ihm werden eine ganze Reihe von Ordnungswidrigkeiten zu Straftatbeständen erhoben, für die z.T. längere Haftstrafen drohen. Bekämpft werden sollen so u.a. aggressive Formen der Bettelei, physische Bedrohung von Passanten, organisierte Bettelei, auffälliges Verhalten und provozierende Kleidung von Prostituierten, Störung der Ruhe der Bürger, Belästigung von Anwohnern durch Wegelagerer und Banden, Beschlagnahmung kommunaler Flächen durch fahrendes Volk, Hausbesetzungen. Ausländern, deren „Benehmen eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt“, soll künftig die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden; dasselbe gilt für ausländische Prostituierte, die nicht bereit sind, ihre Zuhälter zu denunzieren; usw.
Ein zweites Gesetz „zur Orientierung der Justiz“ widmet sich schwerpunktmäßig der Jugend, nämlich der Verschärfung des Jugendstrafrechts. Ihm zufolge können z.B. Jugendliche, die ihren Lehrer beleidigen, mit einem halben Jahr Gefängnis bestraft werden. Schon 13-Jährige können, so sie als minderjährige Wiederholungstäter auffällig werden, ein halbes Jahr eingesperrt werden. Dafür werden neue geschlossene Erziehungsanstalten geschaffen. Familien, deren Nachwuchs in besagten Anstalten landet, soll das Kindergeld gestrichen werden. Wer beim Graffiti-Sprayen erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe von 3750 Euro und gemeinnütziger Arbeit rechnen. Öffentliche Belästigung durch Jugendliche, aber auch Schulschwänzerei wird verfolgt. Usf.
Polizei und Justiz, die da einiges zu tun kriegen, werden dafür personell aufgerüstet und mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet. Neu geschaffen werden 13500 Stellen bei der Polizei und 10000 im Justizapparat. Schwerpunktmäßig in den verwahrlosten Vorstädten werden Schnellgerichte eingerichtet; anonyme Anzeigen sollen gerichtlich verwertbar werden; etc. pp.
Was ist dagegen schon zu sagen?
1. Der französische Staat sieht sich herausgefordert – durch die Zustände, die er herbeiregiert hat. Als Gewaltmonopolist, der eine Eigentumsordnung in Kraft setzt und ein kapitalistisches Gemeinwesen unterhält, hat er es weit gebracht. Eben nicht nur, was den nationalen Reichtum anbelangt, der sich in der Hand einer Klasse von Eigentümern vermehrt und Frankreich zu einer der 5-7 erfolgreichen kapitalistischen Nationen in der Welt macht. Auch in Sachen Pauperisierung hat es die Grande Nation weit gebracht. Zu ihrem Inventar gehört eine zu stattlicher Größe angewachsene überzählige lohnabhängige Bevölkerung, die mit der Einkommensquelle, auf die sie von Staats wegen verwiesen ist, kein Einkommen erzielen kann, also scheitert; ihre Arbeitskraft ist nicht gefragt. Freigesetzt durch die Methoden, mit denen Unternehmer laufend ihre Produktionskosten senken und ihren Erfolg in der Konkurrenz um Umsatz und Profit betreiben, sind ihre stolzen ‚Besitzer‘ angewiesen auf das, was das sozialstaatlich organisierte Kassenwesen an Lohnersatzzahlungen hergibt, und das unterbietet auch in Frankreich lässig jeden auf ein irgendwie geartetes ‚normales‘ Leben berechneten Mindestlohn. Zusammen mit dieser Reservearmee nicht gebrauchter Arbeitskräfte wächst auch der Bodensatz einer nach allen Kriterien kapitalistischer Nützlichkeit dauerhaft und endgültig überflüssigen Bevölkerung an. Diese fällt dem Staat in seiner Eigenschaft als Sozialkassenwart bloß noch zur Last und wird von ihm entsprechend schäbig behandelt.
Dieser menschliche Ausschuss der kapitalistischen Produktion addiert sich zu jenem speziellen Subproletariat, das sich Frankreich als ehemalige Kolonialmacht mit fortdauernden Einflussinteressen in Afrika eingefangen hat; eine Masse von Zuwanderern aus der frankophonen Zone, vor allem aus den Maghreb-Staaten, die der französische Staat bestenfalls naturalisiert, aber nur sehr bedingt dazu in Stand gesetzt hat, sich in die Konkurrenz um das knappe Gut Arbeitsplätze einzugliedern.
Also nimmt die Verwahrlosung im Land zu. Die Vorstädte, Sammelbecken dieser gescheiterten Existenzen, verrotten mitsamt ihrem menschlichen Inventar. Pauperisiertes Volk, das gar keine Chance hat, es zu so etwas wie einer bürgerlichen Existenz zu bringen, schlägt sich außerhalb der rechtlich geregelten und sittlich erwünschten Bahnen durch. Es organisiert sich auch bandenmäßig, weil auch die Konkurrenz in den eher am Rande der Legalität betriebenen Gewerben ihren eigenen Gewaltbedarf entfaltet. Illegale Ausländer, denen von Staats wegen jede legale Beschäftigung verwehrt ist, können durch ihre Umtriebe das Urteil sowieso nur bestätigen, das über sie als Ausländer längst gefällt ist. Verbrechen, hinter denen eine mit allen bürgerlichen Berechnungskünsten vertraute Öffentlichkeit beim besten Willen kein vernünftiges Motiv mehr entdecken kann, Formen von Vandalismus z.B., greifen um sich. Und auch der nationale Nachwuchs läuft aus dem Ruder: Die Behörden registrieren eine „Zunahme der Gesetzesverstöße durch Jugendliche, ein zunehmend geringeres Alter der Delinquenten“ sowie ein Anwachsen der Gewaltbereitschaft. Anrückende Polizei wird beschossen; Busfahrer steuern bestimmte Haltestellen nur noch unter Polizeischutz an.
2. Natürlich hält es auch die
Regierung in Paris irgendwie für bedauerlich, wenn
eine große Anzahl von Franzosen in eine
Lebenssituation gebracht worden ist, in der sie mit
weniger als dem Mindestlohn auskommen muss
(Raffarin in Le Monde,
28.9.). Aber nicht das ist es, was sie zum Handeln
herausfordert, sondern die negativen Folgen, die diese
‚Lebenssituation‘ für die nützlichen Verhältnisse hat,
die der Staat einrichtet, auf die es ihm ankommt und für
deren Funktionieren er sich zuständig weiß: Die
öffentliche Ordnung wird beeinträchtigt durch die
zunehmende Verwahrlosung.
Weit gebracht hat es die große Kulturnation also auch in der Hinsicht: Der Sozialstaat versagt seinen letzten Dienst als Armutsverwaltung, die ihre Klientel sittlich-moralisch und dafür auch materiell wenigstens soweit in Schuss hält, dass sie nicht allzu störend auffällt. Mit sozialem Aufruhr, Gegnerschaft gegen solche Verhältnisse und den Staat, der sie gewaltsam betreut und sichert, ist es zwar nicht weit her. Dafür aber bevölkert ein wachsendes Heer von Alten und Jungen das Land, die sich nicht an die geltenden Gebote der Rechtsordnung halten, die ihre Chancen nicht mehr, wie es sich gehört, im anständigen Konkurrenzstreben suchen, auch wenn sie gar keine haben, und sich nicht mehr nach den festen Grundsätzen von Recht und Moral durchschlagen. Der Schluss, dass dann von Staats wegen mehr für die soziale Betreuung der Problemfälle getan werden muss, ist nicht im politischen Programm. Nicht nur bei den Konservativen nicht, die jetzt regieren; er war es auch schon unter der linken Vorgängerregierung nicht. Den wohlmeinenden Ratschlag, der Staat könnte sich mit der Aufstockung seiner Sozialbudgets Ordnungsprobleme ersparen, überlässt die Politik der aussterbenden Spezies weltfremder Sozialromantiker, die einfach nicht begreifen wollen, dass der Sozialstaat kein Dienstleistungsbetrieb für nutzlose Elendsfiguren ist; und nicht wahrhaben wollen, dass der soziale Gedanke ihren Staat nur solange erfasst hat, wie der seiner überflüssigen Arbeiterbevölkerung wenigstens noch die immer schon ziemlich relative Nützlichkeit einer zu erhaltenden Ressource abgewinnen konnte. Und das ist bei dem Arbeitslosenheer und dem Bodensatz von Paupers eben schon längst nicht mehr der Fall.
3. Im Konsens mit allen irgendwie maßgeblichen politischen Lagern hat die Regierung in Frankreich einen anderen Rückschluss auf Lager: Für sie zeugen die Ordnungsprobleme, derer sie Herr werden will, vom mangelnden Respekt, den ihre Untertanen vor der „Autorität des Staates“ und der von ihm geschützten Ordnung haben. Die „Werte der Republik“ – als da sind: Bürgersinn, Gesetzestreue etc., die Tugenden der freiwilligen Unterordnung – zählen nichts mehr in der Gesellschaft, lautet ihr Befund, der zwar, als Erklärung ernst genommen, einer Tautologie gleichkommt, aber immerhin Auskunft gibt, was sie auch von ihren missratenen Untertanen fordert: Sie sollen sich einfügen in die famose Ordnung, in der für sie gar keine Funktion und Existenzweise vorgesehen ist. Sie sollen Recht und Gesetz, Sitte und Anstand respektieren, sich quasi wie intakte Staatsbürger benehmen.
Die freilich erbringen ihren staatsbürgerlichen Gehorsam auch nur aufgrund einer Berechnung, die sie mit dem rechtsstaatlichen Zwangsregime anstellen: Sie respektieren die Gesetze, weil sie das Recht als Bedingung ihres Interesses akzeptieren; sie lassen sich berechnend ein auf die rechtsstaatlich gesetzten Konditionen, unter denen sie ihr Interesse – um das es ihnen dabei geht – verfolgen dürfen; und nehmen so ihre Beschränkung, die sie durch den Staat und seine Gesetze erfahren, als positiven Ausgangspunkt all ihrer praktischen Überlegungen in ihren Willen auf – eine Willensleistung, welche die Allgegenwart unmittelbarer Polizeigewalt in den bürgerlichen Verhältnissen erübrigt. Diese Versubjektivierung des Zwangs, mit dem der Staat seine Bürger unter das Recht beugt, indem er jede seinem Recht zuwider laufende Betätigung seiner Untertanen unter Strafe stellt, beruht freilich auf einer materiellen Existenz der Betreffenden, die in der Welt ihr Recht hat und deswegen das Recht als die Grundlage seines alltäglichen Treibens anerkennt.
Pauperisierte Massen, die der Staat für völlig überflüssig, allenfalls störend befindet, denen er selbst also die Grundlagen einer bürgerlichen Existenz gründlich verwehrt hat, haben keinen Grund für die Berechnung, mit der sich der anständige Bürger freiwillig unterordnet. Als Pöbel – wie das früher, vor der Erfindung der political correctness einmal hieß – bilden sie ein anderes Rechtsbewusstsein aus: das von zu Unrecht Verstoßenen, denen die Gesellschaft alles versagt, was in ihr anerkanntermaßen Recht ist. Aus Empörung gegen die Reichen, die Gesellschaft, die Regierung werden sie unverschämt. Von ihnen Respekt und unter Verweis auf die „Werte der Republik“ anständiges Benehmen zu fordern, wie es der Staat von seinen Bürgern ja wohl erwarten kann, ist ein Witz. Aber die Regierung in Paris macht sich da nichts vor und vertut sich auch nicht: Wenn sie bei ihnen auf freiwillige Unterordnung nicht rechnen kann, muss ihre Unterordnung eben ohne Freiwilligkeit hergestellt werden; also durch mehr Unterdrückung.
4. Selbstkritisch befindet der französische Staat, dass er es an der zur Unterordnung nötigen Gewalt hat fehlen lassen. Und in dem Bewusstsein, dass die Anerkennung der Gesetze – von ihm als Tugend hochgehalten! – bei seinem Lumpenproletariat auf nichts als der Angst vor dem Zuschlagen der obrigkeitsstaatlichen Gewalt beruht, will er ihm künftig nachdrücklicher als abschreckende Ordnungsmacht entgegentreten.
Der Rechtsstaat sieht sich bedroht, geht damit von der staatlichen Routine der Aufrechterhaltung des Rechtszustandes – Rechtsbrecher werden verurteilt und bestraft, damit ist der Rechtszustand, der ansonsten ja flächendeckend gilt, wiederhergestellt – zum Programm einer Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung über. Nach dem Motto: Armut ist noch lange kein Grund, sich an Sitte und Anstand zu vergehen, bedroht er die Formen, in denen sie öffentlich in Erscheinung tritt. Die Lumpen sollen die anständigen Bürger nicht mit ihrem Elend behelligen; Bettler und Prostituierte nicht das Straßenbild der wunderbaren Städte verunzieren. Also müssen sie zurückgedrängt werden.
Im Falle der aus dem Ausland neu hereindrängenden oder schon länger in Frankreich hausenden Elendsfiguren gibt es dafür ein probates Mittel, auf das die Staatsgewalt künftig auch verstärkt zurückgreifen will: Grenzen, hinter die sie zurückgeschoben werden können. Und seinen eigenen Elendskreaturen steht der französische Staat grundsätzlich nicht anders gegenüber; nur kann er die nicht einfach abschieben. Denselben Zweck sollen in ihrem Fall erstens eine Polizei erfüllen, die mit neuen Schikanen aufwartet, und zweitens Strafen, die sich an der abschreckenden Wirkung bemessen, die mit ihnen erzielt werden soll.
5. Ein Schwerpunkt dieses Ordnungsprogramms liegt beim Jugendstrafrecht; hier soll eine „umfassend neue Philosophie“ Fuß fassen. Durch die Masse verlotternder Jugendlicher sieht sich der französische Staat nämlich in besonderer Weise herausgefordert. Schließlich handelt es sich bei der Jugend um den nationalen Nachwuchs, die ‚kommende Generation‘; wenn der die elementarsten staatsbürgerlichen Tugenden vermissen lässt, lässt ihn das überhaupt nicht kalt; und dafür, dass das der Fall ist, entdeckt er lauter Indizien:
Schulschwänzer haben offenbar nicht begriffen, dass die Schule keine Unterhaltungsveranstaltung für sie ist, sondern eine Pflicht, der sie sich zu unterziehen haben; auch dann, wenn sie sich von der Vorstellung verabschiedet haben, durch erfolgreiches Absolvieren der Schule im späteren Leben weiterkommen zu können. Wer seinen Lehrer beleidigt, hat nicht mitbekommen, dass er es mit einer Amtsperson zu tun hat, der man – jenseits der Frage, was man (zu Recht oder Unrecht) von ihr hält – mit Respekt entgegenzutreten hat. Jugendliche, die meinen, sie könnten sich ihre Zeit mit Graffiti-Sprayen vertreiben, zeigen damit, dass ihnen das Eigentum nicht heilig ist. Derlei Vergehen, bislang mehr oder minder unaufgeregt hingenommen, nimmt der nunmehr zur Ordnungsstiftung entschlossene Staat deswegen sehr ernst, weil er in ihnen eine völlig verkehrte Einstellung der Jugend am Werk sieht. Gegen sie, die mangelnde Unterordnungsbereitschaft der Jugend, schreitet er ein; und zwar sobald er sie in deren Umtrieben ausmacht und dann auch gleich drastisch. Denn was herauskommt, wenn man sie gewähren lässt, ist ihm völlig klar. Schließlich registriert er, dass immer mehr Jugendliche immer früher mit dem Recht in Konflikt geraten.
Bei den jugendlichen Straftätern, da ist er sich sicher, hilft ohnehin nur mehr eines, um sie ‚zur Vernunft‘ zu bringen: Gewalt. Deswegen revidiert er seine bisherige Rechtspraxis. Diese bestand darin, die straffällig gewordenen Jugendlichen unter dem Gesichtspunkt, dass ihr Wille noch nicht voll ausgebildet ist, er also noch staatsbürgerlich heranreifen kann, nicht gleich mit der ganzen Härte des Erwachsenenstrafrechts zu kommen, sondern mit Bewährungsmaßnahmen, Verweisen und pädagogisch gemeinten Auflagen. Unter demselben Gesichtspunkt hält er das nämlich für die entschieden falsche Konsequenz. Gerade weil ihr Wille noch nicht voll ausgebildet ist, sieht er in der harten Bestrafung gleich beim ersten Mal, auch und gerade bevor sie es zum Status bürgerlicher Eigenständigkeit gebracht haben, eine gute Chance, sie nachdrücklich auf den richtigen Weg zu bringen.
Der erzieherische Aspekt des Jugendstrafrechts bleibt nicht auf der Strecke, wenn dieser Staat mit seiner neuen ‚Philosophie‘ zuschlägt und straffällig gewordene 13-Jährige in geschlossene Erziehungsanstalten einsperrt. Vielmehr kommt der Staat damit zum Kern der Sache, die sich Erziehung nennt: die Disziplinierung der Heranwachsenden. Schließlich wachsen die lieben Kinder nicht natürlicherweise zu Staatsbürgern heran; sie müssen erst lernen, sich zu fügen, und diese elementare erste ‚Lektion‘ wird ihnen, so sieht das der bürgerliche Staat jedenfalls vor, im Elternhaus erteilt.
Also ist es auch nur konsequent, wenn der französische Gewaltmonopolist an den jugendlichen Straftätern ein Versagen der Familie erkennt, ihr ihren missratenen Nachwuchs entzieht, um in eigenen Anstalten mit gebotener Härte an ihm zu retten, was noch zu retten ist. Und konsequent ist es auch, wenn er die betreffenden Familien ihr Versagen spüren lässt; durch Streichung der Bezüge, die sie für die Aufzucht ihrer Kinder von ihm erhalten.
6. Mit all dem setzt der französische Staat seine Ansprüche an seine Untertanen und deren Gehorsam hoch. Er scheidet sie – insbesondere den Nachwuchs – an rigideren Maßstäben in solche, die sich ihr Bürgerrecht durch rechtzeitige Unterwerfung unter sein Recht verdient haben, und in solche, die sich mit der ersten Straffälligkeit fürs bürgerliche Leben schon ziemlich disqualifiziert haben. So ergänzt er die wachsende Verelendung um eine verschärfte Sortierung der Gesellschaft durch seine Rechtsgewalt – wohl wissend, dass damit nicht wenige Karrieren als notorische Straftäter vorprogrammiert sind. Aber davon geht er ja ohnehin aus, wenn er auf Abschreckung setzt.