Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Ein Endpunkt des gewerkschaftlichen Kampfs um Arbeitsplätze
Die IG Metall appelliert an die Wirtschaftsinteressen der Bundesregierung
Die IG Metall, Arbeitervertretung von über zwei Millionen Metallbeschäftigten, wendet sich mit einem ganzseitigen offenen Brief in den großen deutschen Tageszeitungen unter der Überschrift „Energiewende jetzt! Stillstand gefährdet 200 000 Arbeitsplätze!“ an die Bundesregierung.
Die Arbeitervertretung sorgt sich um die elementare Lebensbedingung ihrer von Arbeit und Lohn abhängigen Klientel, um deren Arbeitsplätze. Allerdings ist von Ansprüchen, Sorgen und Nöten der Lohnarbeitenden überhaupt nicht die Rede, wenn sie zur Rettung von Arbeitsplätzen eine „Energiewende jetzt!“ verlangt. Dafür umso mehr von den Ansprüchen, Sorgen und Nöten der Unternehmen des Energiebereichs ...
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Ein Endpunkt des gewerkschaftlichen
Kampfs um Arbeitsplätze
Die IG Metall appelliert an die
Wirtschaftsinteressen der Bundesregierung
Die IG Metall, Arbeitervertretung von über zwei Millionen
Metallbeschäftigten, wendet sich mit einem ganzseitigen
offenen Brief in den großen deutschen Tageszeitungen
unter der Überschrift Energiewende jetzt! Stillstand
gefährdet 200 000 Arbeitsplätze!
an die
Bundesregierung:
„Es geht um mehr als Strom, seinen Preis und seine Herkunft. Im Kern geht es um die energetische Basis unserer Industriegesellschaft und ihre Produkte … die Entwicklung eines Technologie- und Wohlstandsmodells … Für die Technologiebranchen ist die Energiewende eine herausragende Chance … Motor für eine ökologische Modernisierung der industriellen Wertschöpfung … Neue Technologien eröffnen den Unternehmen nicht nur Märkte der Zukunft, sondern sichern bereits heute hunderttausende Arbeitsplätze. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag für den Klima- und Umweltschutz. Wer die industrielle Leistungsfähigkeit stärken will, muss grüne Innovation durch die Energiewende fördern und das zu wettbewerbsfähigen Preisen. Sie muss ein Leitmotiv im industrie- und energiepolitischen Handeln der Bundesregierung sein … Indes gibt die aktuelle Entwicklung in Branchen und Betrieben Anlass zur Sorge. Innovationen werden zurückgefahren oder zögerlich betrieben. Geschäftsfelder werden aufgegeben oder in Frage gestellt. Standorte werden geschlossen oder restrukturiert. Akut werden bereits tausende Arbeitsplätze abgebaut. Über zweihunderttausend sind bedroht … Märkte allein können eine grüne Transformation der Wirtschaft nicht schaffen … Dafür brauchen wir eine Bundesregierung, die die Energiewende voranbringt. Stehen Sie nicht auf der Bremse, sondern gestalten Sie die Zukunft mit uns. Erarbeiten Sie einen Masterplan, um die Energiewende zu einem industriellen Erfolg zu machen. Nur so sichern Sie Arbeit in Deutschland.“
Die Arbeitervertretung sorgt sich um die elementare
Lebensbedingung ihrer von Arbeit und Lohn abhängigen
Klientel, um deren Arbeitsplätze. Allerdings ist von
Ansprüchen, Sorgen und Nöten der Lohnarbeitenden
überhaupt nicht die Rede, wenn sie zur Rettung von
Arbeitsplätzen eine Energiewende jetzt!
verlangt.
Dafür umso mehr von den Ansprüchen, Sorgen und Nöten der
Unternehmen des Energiebereichs. Die Gewerkschaft
argumentiert wie eine nationale
Wirtschaftsberatungsinstanz, die sich um Deutschlands
ökonomische Bewährung in einem zukunfts-, also
geschäftsträchtigen Bereich sorgt. Sie mischt sich in die
nationale Debatte um die ‚Energiewende‘, deren
geschäftliche Aussichten und eine entsprechende
politische Förderung ein und fordert die Regierung zu
mehr Unterstützung für das deutsche Energiekapital in der
Konkurrenzschlacht um den boomenden Markt alternativer
Energiegewinnung auf.
Das ist schon ein bemerkenswertes Eingeständnis. Die IG Metall geht wie selbstverständlich davon aus, dass die Not der Lohnarbeitermannschaft, deren unsichere Lebenslage und Angewiesenheit auf einen Arbeitsplatz, für sich nichts zählt. Stillschweigend unterstellt sie, dass sie mit den Nöten ihrer Mitglieder bei denen, die ‚Arbeit‘ geben und bei den politischen Instanzen keinen Eindruck macht; dass Unternehmer und Politik mit ihrem Interesse an ‚Beschäftigung‘ keine Rücksicht auf die Lebensbedürfnisse ihrer Klientel nehmen und durch gewerkschaftlichen Einsatz auch nicht darauf zu verpflichten sind. Ausgerechnet dort, wo es darum geht, dass Lohnabhängige überhaupt eine Beschäftigung und damit etwas zu verdienen haben, stellt die Gewerkschaft fest, dass dieses Bedürfnis nur soweit zum Zuge kommt, wie die Arbeit als Mittel erfolgreichen Geschäftemachens taugt, und dass da mit gewerkschaftlichen Forderungen oder gar Drohungen nichts zu erreichen ist. Sie erklärt sich für ohnmächtig – und sieht statt dessen die Regierung in der Pflicht.
Die Arbeitervertretung beruft sich dafür auf lauter allgemeinwohldienliche Ziele, die der Politik am Herzen liegen müssten und die die für das nationale Wachstum Zuständigen ja auch selber im Munde führen: ‚technologischer Fortschritt‘, ‚Klima- und Umweltschonung‘, allgemeiner ‚Wohlstand‘, ‚Modernisierung‘, ‚industrielle Wertschöpfung‘, ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ ... kurz: die ‚Zukunft unserer Industriegesellschaft‘. Sie wirft also lauter wirtschaftspolitische Ideale und Ziele unterschiedslos zusammen, die aufgehen müssen, damit das Gemeinwesen insgesamt vorankommt und mit seinem Vorankommen am Ende auch Gelegenheiten für Lohnabhängige herausschauen, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Am ausreichenden Einsatz für dies Sammelsurium guter nationaler Zwecke, denen das Wirtschaftswachstum nach gewerkschaftlichem Dafürhalten dient, deren Gelingen damit aber auch vom Vorankommen der Unternehmen abhängt, die mit ihrem geschäftlichen Erfolg das nationale Wachstum stiften, lässt es die zuständige politische Instanz nach Auffassung der IG Metall fehlen, weil sie den Unternehmen der Energiebranche zu wenig finanzielle und sonstige politische Unterstützung zukommen lässt.
Bei ihrer Aufzählung von Bedingungen, von denen das Lebensmittel Arbeitsplatz abhängt, scheint die Gewerkschaft dann doch eine ganz entscheidende vergessen zu haben. Denn bei allem Einvernehmen mit dem Sorgestandpunkt, an den sie bei der Regierung appelliert und den sie bei ihr vermisst, kommt in der Klage, die sie über deren mangelnde ‚Verantwortung‘ führt, ja durchaus zum Vorschein, dass die Regierung sich ihre Subventions- und Wirtschaftsförderungspolitik anders einteilt. Die weiß offensichtlich anders als die Gewerkschaft zwischen schönfärberischen Idealen und handfesten Zielen ihrer Wirtschaftspolitik zu unterscheiden und kalkuliert anders mit „den Märkten“, die die Gewerkschaft so einfühlsam für hilfsbedürftig erklärt – weil die all das nicht „alleine schaffen können“, was ihnen die Gewerkschaft an Verdienstvollem zuschreibt. Die für die Förderung des nationalen Wachstum Zuständigen rechnen offenkundig nach dem Prinzip: Wenn die real existierenden Märkte, das heißt die dort konkurrierenden Unternehmen keine ‚Arbeitsplätze schaffen‘, dann werden sie dafür schon ihre Gründe haben; auf jeden Fall ist das für die Regierung kein Grund, sie mit Geld dazu zu überreden. Nur ‚Beschäftigung‘, die sich garantiert geschäftlich lohnt, zählt auch national etwas und verdient politische Unterstützung.
Für die IG Metall jedoch ist klar, dass nicht sie da etwas Entscheidendes übersehen hat, sondern die Regierung. Großzügig bietet sie ihre Hilfe an für die Erstellung eines „Masterplans“ für einen kapitalistischen Fortschritt, einen globalen Konkurrenzerfolg der Nation, der am Ende dann auch nichts Geringeres „sichern“ würde als „Arbeit in Deutschland“. Sie quittiert also den Bescheid über die Belanglosigkeit ihres Anliegens mit der Beteuerung, dass sie sich dadurch in ihrer Haltung konstruktiven Mittuns aus Verantwortung für die nationale Zukunft nicht im Geringsten irritieren lässt. So mündet ihre vom Standpunkt gewerkschaftlicher Ohnmacht aus vorgebrachte Forderung in die Klarstellung, dass sie sich in ihrer Treue zu den Belangen des Staates, in dem die Lebensnöte ihrer Leute nichts zählen, nicht übertreffen lässt. Schon gar nicht von einer Regierung, die „auf der Bremse steht“...