Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Eine schöne Kontroverse über weltpolitische Verantwortung:
Humanismus verpflichtet Deutschland zum Krieg – „wo immer das geht“!
Die Machthaber Serbiens melden die Verhaftung von Ratko Mladic, tags darauf teilt der Kommentator der SZ unter dem Titel „Exempel Mladic“ mit, was man in der Festsetzung des vom Westen gesuchten Kriegsverbrechers eigentlich zu würdigen hat.
Drei Worte – „Schrecken“, „Untat“, „Massaker“ – reichen, um das moralische Feindbild, mit dem der Westen seine Parteinahme im jugoslawischen Staatsgründungskrieg rechtfertigte, in den Grund zu verwandeln, in diesen Krieg einzusteigen und ihn in seinem Interesse zu entscheiden.
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Eine schöne Kontroverse über
weltpolitische Verantwortung:
Humanismus verpflichtet
Deutschland zum Krieg – „wo immer das geht“!
1. Unbedingt – denn Srebrenica steht für
Einmischung
(SZ)
Die Machthaber Serbiens melden die Verhaftung von Ratko
Mladic, tags darauf teilt der Kommentator der SZ unter
dem Titel Exempel Mladic
mit, was man in der
Festsetzung des vom Westen gesuchten Kriegsverbrechers
eigentlich zu würdigen hat:
„Srebrenica, die zur Chiffre des Schreckens gewordene größte Untat des Generals, hat vor 16 Jahren die Welt verändert. Das Massaker war unmittelbarer Auslöser für die amerikanischen Luftangriffe auf serbische Stellungen rund um Sarajevo, die binnen weniger Tage den dreieinhalb Jahre tobenden Bosnien-Krieg beendeten. Danach war ‚Srebrenica‘ das Hauptargument für den Militäreinsatz des Westens im Kosovo, der einen weiteren Völkermord verhindern sollte. Von Srebrenica schließlich lässt sich eine Linie ziehen bis nach Bengasi und Misrata in Libyen. Doch diese Verkettung ist heute wieder sehr umstritten. Srebrenica steht für Einmischung. Die Stimmung, nicht zuletzt in Deutschland sagt eher: heraushalten. Nach den zähen Kriegen in Afghanistan und im Irak wird die militärische Intervention als zu gefährlich, zu langwierig und zu kostspielig abgelehnt. Dafür gibt es im Einzelnen gute Gründe – doch sie dürfen nicht das Prinzip in Frage stellen, wonach die Schwachen von den Starken geschützt werden müssen, wo immer das geht. Massenmorde müssen verhindert werden, Massenmörder müssen gestoppt werden – das ist die wichtigste Lehre aus Mladics blutigen Taten.“ (P. Münch, SZ, 27.5.11, auch alle folgenden Zitate ebd.)
Drei Worte – Schrecken
, Untat
,
Massaker
– reichen, um das moralische
Feindbild, mit dem der Westen seine Parteinahme im
jugoslawischen Staatsgründungskrieg
rechtfertigte, in den Grund zu
verwandeln, in diesen Krieg einzusteigen und ihn in
seinem Interesse zu entscheiden. In der Sicht des Mannes
der SZ hat in Bosnien das Böse schlechthin sein
Unwesen getrieben. Zu dieser Auffassung gelangt er, indem
er radikal von allen politischen Berechnungen
abstrahiert, die Staaten und solche, die es gegen andere
werden wollen, mit dem Einsatz ihrer militärischen
Machtmittel verfolgen – dann bleibt von den Gräueltaten,
die sie der Durchsetzung ihrer Rechte schuldig sind, nur
nur noch eines: Ein Objekt begriffslosen Entsetzens, mit
dem sich der moralische Verstand dann auf seine verkehrte
Weise einen ganzen Krieg verständlich machen kann. So
wird der Gewaltexzess in Srebrenica zur Chiffre
dafür, dass es ungefähr drei handgezählte serbische
Großverbrecher waren, die die Völker in Jugoslawien ins
Unglück gestürzt haben und deren letzter nun endlich auch
noch erwischt wurde. In Untaten
bis hin zum
Massenmord
Exempel seines puren Willen zum Tun des
Bösen zu statuieren: Das wäre es, was dieser General sich
vorgenommen hat, das ist der Inbegriff dessen, was der
Fachmann der SZ den balkanischen Kriegsterror
nennt. Und er braucht an sein einfältiges Weltbild nur
eine Masche weiter anzustricken, schon bewährt sich die
Auflösung aller politischen Kriegsgründe in Moral
andersherum und spricht das Entsetzen über die
Machenschaften des Generals die Bomben heilig, die andere
– und überhaupt nicht nur auf die Verbrecher – werfen.
Denn dem Bösen das Handwerk zu legen, ist ja, wie jeder
gebildete Kindskopf weiß, seit jeher Sache der Guten, und
damit ist man über ein erstes Kapitel des Balkankriegs
komplett im Bild: Des Generals größte Untat
war
ein Auslöser
, ein Weckruf für das Gute
schlechthin, das sich in Gestalt amerikanischer
Luftschläge unverzüglich daran machte, seinem Treiben ein
Ende zu bereiten...
So ist dank diesem Massenmörder die Welt seit Srebrenica
gut auf dem Weg zu ihrer per Krieg herbeigeführten
sittlichen Vervollkommnung. Aus dem Grauen geboren
ging es plötzlich um das große Ganze und das Gute: um
globale Gerechtigkeit und humanitäre Interventionen
–
wobei einen Fanatiker absolut gerechtfertigter westlicher
Gewalt an der ersichtlich vor allem eines betört: Die
grenzenlose Überlegenheit, mit der sie die Sache
des Guten betreibt, so dass nach nur wenigen Tagen
erst die Schwachen in Bosnien und dann, 4 Jahre später,
nach ein paar Wochen Luftkrieg gegen Serbien die
Mühseligen und Beladenen im Kosovo aufatmen konnten. Und
diese Linie
des Siegeszugs der Humanität, die der
Mann von der SZ über die moralische Heiligsprechung der
Kriege des Westens auf dem Balkan per Rückblick gewinnt,
verallgemeinert er dann zum global maßgeblichen
Ordnungsprinzip für jetzt und alle Zukunft. Weil sich für
ihn seit Srebrenica alles, was die Mächte des Westens bei
der Wahrnehmung ihres Kontrollregimes über die Welt im
Einzelnen verfolgen, als Vollstreckung des ihnen
auferlegten edlen Prinzips versteht, Schwache vor bösen
Starken zu schützen, wird dieser Lobhudler der Gewalt
auch noch kritisch gegenüber den Kriegsherren. Er betet
nicht nur deren aktuelle Feindbilder nach und zieht von
Mladic über den libyschen Wüterich Muammar
al-Gaddafi
zum für die Rolle als größter zu
jagender Schurke
ebenfalls bereitstehenden Syrer
Baschar al-Assad
seine Linie
der zu
erledigenden Menschenfeinde. Er fordert von den zur
Weltverbesserung ausersehenen Gewalthabern auch
Konsequenz, will, dass den von ihnen ergangenen
Richtersprüchen über Diktatoren
oder
Despoten
auch Taten folgen und zur Vollstreckung
des Urteils geschritten wird – und ausgerechnet
dabei kneift Deutschland, enthält sich erst im
Sicherheitsrat und macht dann nicht bei dem guten Werk
mit, die Libyer mit Luftkrieg von Gaddafi zu befreien!
Das irritiert ihn in seinem Glauben an die grundgute
Mission deutscher Weltpolitik. Doch so weit, über deren
ausschließlicher Orientierung an karitativen Diensten für
misshandelte Menschen ernsthaft in Zweifel zu geraten,
reicht seine Irritation dann doch nicht. Die Gründe, die
Deutschland für die im Fall Gaddafi an den Tag gelegte
Zurückhaltung haben könnte, interessieren ihn nicht die
Bohne – aber für die Stimmung
im Land, die für
heraushalten
votiert, hat er ein gewisses
Verständnis. Das resultiert bei ihm aus dem Umstand, dass
nach seinen beeindruckenden Inszenierungen der Koinzidenz
von moralischer Wucht und überlegener militärischer
Schlagkraft der Westen zwar nach wie vor unterwegs ist,
die Welt vom Bösen zu befreien, dies ihm jedoch nicht
mehr so leicht von der Hand geht wie seinerzeit auf dem
Balkan. Also entschließt er sich zu einem kleinen Spagat:
Er insistiert eisern auf der unbedingten Geltung des
Prinzips, wonach immer dort, wo die Moral es gebietet,
der Westen mit Krieg regierenden Unholden das Handwerk zu
legen hat – und respektiert, dass dieses Prinzip
so unbedingt dann doch nicht gilt. Dass eine zur
Verbesserung der Welt ausersehene Macht wie Deutschland
bei ihren Kriegen kalkuliert, geht für ihn schon
in Ordnung, dafür gibt es im Einzelnen gute Gründe
auch für einen, der einem das Kriegführen des Westens so
gerne als Akt reiner Selbst- und Berechnungslosigkeit
verkaufen will: Wo immer das geht
, hat Deutschland
in der Welt nach dem Rechten zu sehen – und das ist nur
dann der Fall, wenn der Kampf gegen die Schurken auch den
Erfolg für Deutschland garantiert.
2. Unbedingt – wenn man aus dem Krieg wieder
herauskommt
(de Maizière)
Mit solchen und ähnlich gelagerten Einlassungen wird gegenüber der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik von ihren schärfsten Parteigängern der Zweifel angemeldet, ob sie in Anbetracht ihrer Reserviertheit gegenüber dem Krieg gegen Libyen noch den hehren Grundsätzen entspricht, auf die sie sich beruft. Der zuständige Minister demonstriert in einem Interview im Spiegel, dass und warum sich im Falle Deutschlands Misstrauensbekundungen dieser Art verbieten:
„Wir können nicht alle Diktatoren der Welt mit internationalem Krieg beseitigen... Es gibt zwar die völkerrechtlich verankerte ‚Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung‘ in einem Land, wenn die dortige Regierung massiv Menschenrechte verletzt. Aber heißt das, man darf eingreifen? Heißt das, man muss sogar? Ich meine, jede militärische Aktion muss darauf geprüft werden, ob das Ziel mit angemessenen Mitteln zu erreichen ist und wie man wieder herauskommt. Jede.“ „(Es muss) Kriterien geben für jede Entscheidung zu humanitären Interventionen, auch wenn mich das in manches Dilemma stürzt.“ (de Maizière, Spiegel, Nr. 25/2011, 20.6.11)
Das verlogene Quidproquo von politischer Berechnung und moralischer Berechnungslosigkeit, für das der Autor der SZ seinen gedanklichen Ausflug nach Srebrenica bemüht, schafft der Befehlshaber der deutschen Militärmacht in einem Satz: Mit der Einschränkung, nicht gleich jeden Unhold, der sein Volk abweichend von den hierzulande gebräuchlichen Sitten drangsaliert, mit Krieg wegräumen zu können, gibt er zu verstehen, dass deutsches Militär im Ausland grundsätzlich nur zu dem Zweck unterwegs ist, die Menschheit von Diktatoren zu erlösen. Für diese Trennung der grundguten Absicht von allen politischen Berechnungen bei deutschen Waffengängen stellt auch noch das Völkerrecht den Bürgen. Nur wenn die UNO, die für das Heilen von Verstößen gegen das Gute zuständige oberste Weltbehörde, einen gerechten Krieg in Auftrag gibt, sieht Deutschland sich zu seiner Pflicht gerufen und beteiligt sich an der humanitär gebotenen Gewaltaktion. Freilich heißt das nicht, dass Deutschland lediglich das ausführende Organ der moralischen Weltinstanz wäre. Gerade wegen des ihm zukommenden hohen Auftrags muss es seine internationalen Einsätze in jedem Fall nach seinen eigenen Kriterien überdenken, gerade als Diener der Menschheit sorgfältig prüfen, ob es diesen Dienst auch erfolgreich versehen kann – und das ist dann der schönste Scherz bei einer Veranstaltung, in der sich ein von seiner moralisch fanatisierten Öffentlichkeit zum gerechten Krieg in jeder erdenklichen Hinsicht ermächtigter Minister dafür legitimieren muss, dass er den gegen Libyen nicht führt: Er erinnert die prinzipientreuen Fanatiker, die ihm Inkonsequenz vorhalten, daran, was auch und gerade ihnen in ihrem humanitären Elan wichtig zu sein hat – der praktische Erfolg der guten deutschen Absicht, die zur Tat schreitet. Das zu beurteilen, ist er der Fachmann – und leidet zusammen mit allen Bedenkenträgern manchmal unendliche Gewissensqualen, weil eben nicht jedes Mitmachen in einem Krieg einen umstandslosen Sieg und mit dem einen Erfolg für die genuin deutsche Weltmacht des Guten verspricht...
*
Jede Erinnerung an tatsächliche Gründe und Berechnungen, die Deutschland bei seinen Kriegen und UNO-Einsätzen hat, ist in dieser Kontroverse getilgt. Und doch reflektiert sie auf ihre Weise das Anspruchsniveau, von dem aus Deut-schland ganz selbstverständlich Weltpolitik betreibt. Als moralisch sanktionierte Macht des Guten ist Deutschland in aller Welt dafür zuständig, über auswärtige Herrschaften den Stab zu brechen, sie als Diktatoren zu ächten und im Bedarfsfall mit Gewalt ihren Sturz befördern. Dieses Richteramt nimmt Deutschland stets im Auftrag des Völkerrechts wahr, versteht sich dabei aber keinesfalls bloß als Gerichtsvollzieher der Völkergemeinde. Die Nation reserviert sich das Recht, Mandate des Völkerrechts auf den Ertrag hin abzuklopfen, den ihre Vollstreckung mit Waffengewalt für Deutschland abwirft. Dabei gilt die Devise, dass deutsche Kriege ausschließlich dann stattfinden, wenn sie leisten können, was sie sollen: Im Bedarfsfall erfolgreich den Sieg durchzukämpfen, der Deutschland nützt – das ist die einzige unbedingte Verpflichtung des deutschen Militärs, die aus dem Humanismus erwächst und die sein oberster Befehlshaber als solche gelten lässt.