Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das Hochwasser: eine Sternstunde der Nation

Im Frühsommer herrscht Flutkatastrophe. Anwohner, Soldaten und Katastrophenhelfer sind im Dauereinsatz gegen die Wassermassen. Weite Landstriche sind überschwemmt, die Leute verlieren Haus, Hof und Einkommen.

Angesichts dieses Ausnahmezustands bleibt die Politik bei ihrem gewohnten Geschäft: Die Katastrophe erweist sich nämlich mal wieder als schöne Gelegenheit, das Lob der Nation und ihrer Tugenden anzustimmen.

Aus der Zeitschrift

Das Hochwasser: eine Sternstunde der Nation

Im Frühsommer herrscht Flutkatastrophe. Anwohner, Soldaten und Katastrophenhelfer sind im Dauereinsatz gegen die Wassermassen. Weite Landstriche sind überschwemmt, die Leute verlieren Haus, Hof und Einkommen.

Angesichts dieses Ausnahmezustands bleibt die Politik bei ihrem gewohnten Geschäft: Die Katastrophe erweist sich nämlich mal wieder als schöne Gelegenheit, das Lob der Nation und ihrer Tugenden anzustimmen.

In ihrer Rede zum Nachtragshaushalt für die Bewältigung der Hochwasserkatastrophe führt Merkel vor, wie das geht.

Von ihren Besuchen in den Hochwassergebieten hat sie, bei aller Zerstörung, Großes und Positives zu vermelden. An den Leuten, die bis zum Umfallen Sandsäcke und Wassereimer geschleppt haben, gefallen ihr nicht nur der Geist der Nachbarschaftshilfe und der Mut und die Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen, sondern ganz etwas anderes:

„Wir erleben einmal mehr: In der Stunde der Not stehen die Menschen in Deutschland zusammen. Sie packen gemeinsam an, sie stehen einander bei. Wir sind ein starkes Land. Der Zusammenhalt ist eine der größten Stärken unseres Landes ... Das ist gelebte Solidarität.“

Wo Nachbarn angesichts der Wassermassen zusammenarbeiten, um Sandsäcke zu schlichten und Keller zu leeren, konstatiert sie: Deutsche helfen Deutschen! Sie sind füreinander da- als Deutsche! Und wenn Nachbarschaftshilfe schon irgendwie dasselbe ist wie die Bildung einer nationalen Schicksalsgemeinschaft – dann ist deutsche Politik ungefähr dasselbe wie Nachbarschaftshilfe:

„Unser Land stellt einmal mehr unter Beweis, dass der so oft bemühte Begriff Solidarität für uns keine Phrase ist ... Zu dieser gelebten Solidarität will auch die Politik ihren Beitrag leisten ... Denn immer dann, wenn es darauf ankommt, sind wir füreinander da.“

Da herrscht ein edler Geist, zu dem auch der Staat und seine oberste Dienerin ihren Beitrag leisten: Der Nachtragshaushalt zur Bewältigung der Hochwasserkatastrophe wird zu einem Solidaritätsakt des Staates mit seinem gebeutelten Volk: Soforthilfe und Kurzarbeitergeld für Leute, die mit ihrem Mobiliar und ihrem Arbeitsplatz alles verloren haben, die Investitionshilfen und Kredite für Unternehmen und die Gelder für die Wiederherstellung der Infrastruktur an die Gemeinden stehen für ein und dasselbe: für die Spende des großherzigen Nachbarn Staat an sein ausgezeichnetes Volk.

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In Sachen nationales Lob will die SZ der Kanzlerin in nichts nachstehen. Sie entnimmt der Fluthilfe eine Lehre, auf die man erst mal kommen muss.

Die Flutkatastrophe beweist: Verarmung lohnt sich!

„So gut muss es einem Land erst einmal gehen, so reich muss es sein und so stark. Man stelle sich nur einmal vor, eine Naturkatastrophe dieses Ausmaßes hätte Griechenland heimgesucht oder Spanien oder ein anderes Euro-Krisenland. (...) Die Lehre aus der zweiten deutschen Fluthilfe lautet in einem Satz: Reformen lohnen sich. Es hat sich gelohnt, dass die Sozialversicherungssysteme sattelfester gemacht wurden und der Arbeitsmarkt flexibler. Der Lohnverzicht hat sich gelohnt, es hat sich gelohnt, auf einen Kurs der Haushaltskonsolidierung zu setzen, auch wenn dieser in den vergangenen Jahren deutlich konsequenter hätte gefahren werden können. Wer trotz des größten Wirtschaftsbooms der letzten 25 Jahre noch daran gezweifelt hat, dass die Anstrengen des vergangenen Jahrzehnts der Mühe wert waren, den mag die Nonchalance überzeugen, mit der das Land die Kosten dieser Katastrophe verbucht und wahrhaft leichten Herzens Solidarität übt. (...) Ein Land, in dem öffentlicher Finanznotstand herrscht, kann keine Katastrophen verkraften, ist also im Zweifel nicht in der Lage, denen zu helfen, die Hilfe am nötigsten brauchen.“ (SZ, 15.6.)

Eine kleine Studie über den Unterschied zwischen erklären und rechtfertigen: Wild entschlossen, die Politik der sozialen Kürzungen der letzten Jahrzehnte zu rechtfertigen, lässt sich der Herr von der SZ einen Zusammenhang zwischen Hartz IV-Reformen und staatlicher Fluthilfe einfallen, der sachlich gesehen ein Witz ist: Weil der deutsche Staat in den letzten Jahren sein Volk tatkräftig verarmt hat, kann er jetzt den Dreck der Flutkatastrophe wegräumen lassen?! Im Sinne dieses konstruierten Zusammenhangs ließe sich alles, was der deutsche Staat an Notwendigkeiten und Luxus locker zu finanzieren vermag – von den Subventionen der Bayreuther Festspiele und der Doping-Forschung bis zum Kampfjet- und Autobahnbau – als rechtfertigende Konsequenz aus den sozialen Kürzungen der letzten Jahre darstellen.

Ob der Mann überhaupt weiß, was er da in seinem Drang, den sozialen Grausamkeiten der letzten Jahre einen guten Sinn anzudichten, aufgeschrieben hat? Wenn tatsächlich die massenhafte Verarmung innerhalb der arbeitenden Bevölkerung nötig sein sollte, damit im Falle einer Überschwemmung hinterher wieder aufgeräumt und aufgebaut werden werden kann – dann wäre das doch wohl ein vernichtendes Urteil über ein Gemeinwesen, das wegen etwaiger Naturkatastrophen sein Volk einer permanenten Verelendungskur unterziehen muss.