Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Hanau und so weiter:
Was „brisante“ Atomexportgeschäfte über den atomindustriellen Status einer Ausstiegsrepublik verraten
Die Hanauer Brennelementefabrik soll von Siemens an China verkauft werden. Die Ausfuhrgenehmigung wird erteilt. Der geplante Ausstieg Deutschlands aus dem Atomstrom soll nicht damit verwechselt werden, dass D seine Spitzenstellung als Ausstatter mit Atomtechnologie aufgibt. Darüber hinaus ist die Atomfabrik dazu geeignet, der aufstrebenden Weltmacht D gute Beziehungen zu einer veritablen Atommacht zu verschaffen, indem China der Einstieg in den MOX-Kreislauf erleichtert wird – inkl. aller „dual-use“-Optionen.
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Hanau und so weiter:
Was „brisante“ Atomexportgeschäfte
über den atomindustriellen Status einer Ausstiegsrepublik
verraten
Da ist seit acht Jahren im hessischen Hanau die
milliardenschwere „Altlast“ eines „Irrwegs deutscher
Energiepolitik“ (Trittin)
„geparkt“. Die nie in Betrieb gegangene nukleare
Brennelementefabrik der Firma Siemens „wartet auf ein
sinnvolles Ende“ (Pressesprecher
Siemens): „ordentlich verpackt in 64 Containern“,
umfassend zertifiziert und sofort lieferbar. Der vom
deutschen Atommulti gesuchte finanzkräftige Kunde muss
natürlich zur Ware passen und sorgfältig ausgewählt sein,
schon allein um den hohen Anforderungen deutscher Export-
und europäischer „Dual-Use“-Richtlinien im Zeitalter des
„Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus“ zu genügen.
Die Regierung in Peking hat Interesse. Man wird sich
handelseinig; die Ausfuhrgenehmigung ist längst beantragt
und Mitte Oktober steht fest, dass keine
exportkontroll- und nichtverbreitungspolitischen
Versagungsgründe erkennbar
sind (Fischers Staatssekretär Chrobog). Zum
„Schnäppchenpreis“ von 54 Millionen Euro soll das „Relikt
einer ursprünglich als genial angesehenen Idee“, nämlich
Plutonium aus verbrauchten und wiederaufgearbeiteten
Brennelementen zu neuem Kernbrennstoff zu verarbeiten,
ins Reich der Mitte wechseln. Zum Auftakt seiner 5.
Chinareise im Dezember, die ganz im Zeichen des „Ausbaus“
der „strategischen Partnerschaft“ steht, lässt der
Bundeskanzler es sich nicht nehmen, auf Anfrage des
chinesischen Ministerpräsidenten demonstrativ und
öffentlich grünes Licht für den Nuklearexport zu geben
unter dem Motto: Ich denke, wir haben wenig
Möglichkeiten eine Exportentscheidung zu verhindern, das
sollten wir auch nicht tun.
Und SPD-Fraktionschef
Müntefering erläutert vor laufenden Kameras noch einmal,
dass am Menschenrecht auf freie Veräußerung deutschen
Privateigentums diesmal kein Weg vorbeiführt: Schließlich
gehe es nur darum, dass ein deutsches Unternehmen
einen Teil seiner Immobilie verkaufen wolle. Da gibt es
wenig zu sagen seitens des Staates
.
*
Das provoziert in einer Atomausstiegsrepublik natürlich
kritische Nachfragen, ob die brisante „Immobilie“ auch
genügend vor Missbrauch geschützt ist, wenn sie
geschäftsmäßig mobilisiert wird und aus
verantwortungsbewussten deutschen Händen in die einer
Volksrepublik gerät. Und vor allem eine: Bleibt denn
nicht die Glaubwürdigkeit des deutschen Atomausstiegs auf
der Strecke, wenn daheim schweren Herzens auf einen
MOX-Brennstoffkreislauf verzichtet, aber auswärts
ausgerechnet Rotchina beim „Aufbau seiner
Plutoniumwirtschaft“ „geholfen“ wird? Wie passt das
zusammen – innen Ausstieg, außen Einstieg?
(SZ) Und
was da nicht alles an „Einstieg“ unterwegs ist. Ein
Atomdeal und Exportwunsch nach dem anderen wird im
Zusammenhang mit dem Abverkauf der Hanauer Atomfabrik
bekannt: Finnische Stromversorger wollen den von Siemens
und Framatome gemeinsam entwickelten und viel
versprechenden Prototyp einer „zukunftsweisenden“
Kernkraftnutzung – Werbetenor: ‚mehr Leistung und
trotzdem mehr GAU-Sicherheit‘ –, der in der
risikobewussten Heimat der „weltweit einmaligen“
Atomwende natürlich nie eine Standortgenehmigung erhalten
hätte, ausprobieren. Der Exportzuschlag kommt pünktlich
zu Weihnachten, ein paar Tage nachdem sich Siemens dazu
entschlossen hat, seinen Antrag auf eine
Regierungs-Bürgschaft großzügig zurückzuziehen und das
Geschäftsrisiko alleine zu tragen. Und das Reich der
Mitte mit seinem „unvorstellbaren Wachstumsmarkt“ in
Sachen AKW’s will sich auch künftig vom bewährten
deutsch-französischen Atompartner ausrüsten lassen, hat
außerdem neben Hanau – trotz bisher abschlägigem Bescheid
– noch Interesse an einem weiteren nuklearen
„Milliardengrab“: dem „Kern“ des ebenfalls eingemotteten
schnellen Brüters in Kalkar. Usw. usf.
Und was lehrt uns das? Dass es sich dabei laut Trittin &
Fischer irgendwie um einen unbedachten
Konstruktionsfehler im Atomkonsens handeln muss?
Dass sich der nationale Ausstiegsbeschluss und
die internationale Betriebsamkeit deutscher
Atomindustrie so gar nicht vertragen und sich gründlich
widersprechen? Das sind doch wohl eher lauter Belege
dafür, dass diese Nation, die dank eines grünen
„Reformmotors“ so in etwa 20 Jahren die nationale
Stromversorgung von einer „Risikotechnologie“ befreit
haben will – vorausgesetzt die rotgrünen
Herrschaftsverhältnisse halten so lange –, von einem
nicht Abstand genommen hat: nämlich als nuklearer
Chefausstatter in aller Welt rumzufuhrwerken.
Wie wenig also der perspektivisch ins Auge
gefasste Verzicht, selber billigen Atomstrom zu
produzieren, am Status der BRD als einer
atomindustriellen Großmacht etwas geändert hat
und ändern soll. Nein, der befürchtete „technologische
Fadenriss“ und der Verlust an kerntechnischer „Kompetenz“
ist nicht eingetreten, nur weil bei uns ein Neubau von
Atomkraftwerken so weit absehbar nicht in Frage kommt.
Die Ausstiegspolitik hat die zwei Seiten: Daheim
langfristig „abschalten“, „umstellen“ auf risikoarme
„zukunftsfähige“ Energieerzeugungstechniken, sie zu
weltmarkttauglichen Schlagern hoch subventionieren und
sich auf dem Feld der nuklearen „Dinosauriertechnik“
(Trittin) gleichzeitig so
wenig wie möglich vergeben, Optionen offen halten und die
„Altlasten“ der atomindustriellen „Irrwege“ aufheben und
funktionstüchtig erhalten. Wozu das alles noch mal
brauchbar ist, stellt sich jetzt heraus. Es lässt sich
entkoppeln und trennen: die energiepolitische
Strategie, wie diese Nation ihre kostengünstige nationale
Stromversorgung künftig strahlungsärmer sicherstellen
will, von den „zukunftsweisenden“
Geschäftsstrategien der deutschen Atommultis zur
Befriedigung des weltweiten Bedarfs nach
Kernkraftausrüstungen und nuklearen
Versorgungsdienstleistungen. Damit deutsche
Kerntechnikkonzerne wie Siemens sich an der „weltweiten
Renaissance der Kernenergie“ bereichern können, müssen
die Chefs dieser Ausstiegsrepublik nur schauen, wie sie
ihrem privatwirtschaftlichen Nuklearzweig politisch die
weltweiten Waren- und Kapitalexporttüren – mit und ohne
staatliche Geschäftsbürgschaften – offen halten, streng
gemäß der Devise: Ich bin froh, dass in Deutschland
ein Konsens über den Atomausstieg vereinbart worden ist.
Es ist aber so, dass das Zeug in anderen Ländern
gebraucht wird.
(Müntefering,
SZ, 12.1.04) Na denn. Das extra für die
Energiewende „novellierte“ Atomrecht gibt das jedenfalls
alles her, so in der Welt atomversorgungsmäßig
rumzuwuchern.
*
Diese Republik ist so elaboriert hinsichtlich ihrer
atomindustriellen Produktivkraft, ihrer nuklearen
technologischen Fähigkeiten und Potenzen, dass unser
Kanzler mit einer seit langem stillgelegten deutschen
Atomfabrik noch beim Reich der Mitte weltpolitisch ins
Geschäft kommen kann. In dieser „Schrotttechnologie“
(Trittin) steckt offenbar
noch ganz schön viel politisch nutzbarer Gebrauchswert
für verantwortungsbewusste Sachwalter deutscher
Weltmachtinteressen, um die „schon guten Beziehungen“ zu
einer veritablen Atommacht noch weiter zu „verbessern“.
Sicher, die BRD ist kein „Atomwaffenstaat“. Sie
hat sich von Anfang an der friedlichen
geschäftsmäßigen Nutzung der Kernkraft
verschrieben. Aber das in einem Ausmaß, dass diese
Ausstiegsrepublik mit ihrer hochgepäppelten nuklearen
Großindustrie und deren gefragten Exportartikeln unter
dem Firmenschild zivil so viel an
Dual-Use
-Macht angehäuft hat, dass ihr rotgrüner
Chef sich hinstellen kann und – sozusagen – von
Atommacht zu Atommacht, der
„drittgrößten Nuklearmacht“ der Welt ein Angebot zu ihrer
friedlichen atomaren Erschließung machen kann. Warum
um Himmels Willen, fragen viele, lädt sich der Kanzler
diesen Riesenkrach auf wegen läppischer 50 Millionen
Euro.
(SZ, 11.12.) Weil
es beim Hanaugeschäft gar nicht bloß um das „Buhlen um
Aufträge“ durch den „ersten Handlungsreisenden der
Nation“ (SZ) geht, um die
„läppischen 50 Millionen Euro“, die Siemens an einer
abgeschriebenen Atomfabrik auch noch verdienen soll, also
um politische Exportförderung im billigen Sinne. Weil
hier vielmehr auf dem furchtbar heiklen Feld der
Proliferation von „dual-use-fähiger“ Kerntechnik
gute Beziehungen
und Vertrauen
zu einer
werdenden Weltmacht gestiftet werden sollen.
Dabei ist es kein Geheimnis, was ein rotgrünes
Deutschland an der „aufstrebenden“ Volksrepublik so
interessant findet: In China haben „wir“ einen „Partner“
gefunden, der genau wie Deutschlands Kanzler entschlossen
auf einen effektiven Multilateralismus im Rahmen der
UNO
(Schröder) setzt. Vor
dem Gesichtspunkt, dass das Reich der Mitte auch mit
„uns“ konkurriert um weltpolitischen Einfluss auf und
Kontrollmacht über die übrige Staatenwelt, ist der
maßgeblichere Gesichtspunkt angesiedelt, dass hier vor
allem ein ambitionierter Konkurrent gegenüber
Amerika „aufstrebt“, der „unumstrittenen“
Führungsmacht der Welt, gegen deren Vormundschaft
Deutschland gerade Einwände erhebt. Insofern ist das
demonstrativ grüne Licht für den Export der eingelagerten
Atomfabrik ein kleiner Hebel, mit dem der Kanzler der
Ausstiegsrepublik im Zeitalter des Kampfes um „enduring
freedom“ und gegen „die Verbreitung von
Massenvernichtungsmitteln“ ein wenig am imperialistischen
Kräfteverhältnis drehen kann. Und es gehört zu den
Künsten der politischen Heuchelei, wenn der oberste
Amtsinhaber, der die „Richtlinien der Politik“ bestimmt,
sich als ohnmächtiger Sachbearbeiter und Vollzugsbeamter
geriert, der aus purer Gesetzestreue brisanten
Atomartikeln einfach ihren Geschäftsweg nach Rotchina
bahnen muss: Es geht nicht um eine politische, sondern
um eine rein rechtliche Entscheidung. Wir können ja nicht
Recht beugen aus politischen Gründen.
(Schröder) ‚Der Hanauexport ist doch bloß
ein rechtmäßiger Verkauf‘, diese Tour, die politische
Bedeutung des Exportgeschäfts herunterzuspielen, ist so
auf der einen Seite eine diplomatische Botschaft nach
außen: Wenn die von Amerika weltpolitisch degradierte BRD
mit China atomar kooperiert, und der Kanzler sich auch
noch gleichzeitig für die Aufhebung des EU-Waffenembargos
gegenüber China stark macht, dann richtet sich das
garantiert gegen niemanden. Schon gar nicht sollen die
USA darin einen Affront sehen gegen ihr weltweites
Non-Proliferationsregime und ihre Chinapolitik der
„Eindämmung“ eines weltpolitisch unsicheren Kantonisten.
Und nach innen ist damit auf der anderen Seite auch die
Form gewahrt, wie sie einer Atomrepublik im
‚Auslaufstatus‘ angemessen ist.
*
Die um die Menschenrechte in China besorgten grünen
Chefarchitekten des „historischen“ Atomkonsenses, die
über das „Kommunikationsdesaster“ und das gebrochene
„Schweigegebot“ des Kanzlers dosiert aus allen grünen
Wolken fallen, sind die Ersten, die an der
weltpolitischen Einflussmacht, die in der heißen
Exportware steckt, Gefallen finden. Natürlich, als Erstes
gehört es sich, solche Ware überhaupt nicht zu
exportieren. Egal wie dringend nach Auffassung des
sozialdemokratischen Regierungspartners „das Zeug in
anderen Ländern gebraucht wird“. Das verlangt allein
schon das hohe Gut der Glaubwürdigkeit eines deutschen
Atomausstiegs, das schließlich das grüne
Koalitionsmitglied maßgeblich verwaltet und betreut. Wenn
es atomrechtlich keine Handhabe gibt, den Verkauf zu
stoppen
(Trittin), dann
muss man zweitens allerdings „lückenlos“ die Kontrolle
über den uns genehmen Gebrauch „militärfähiger“
Nukleartechnik im Reich der Mitte sicherstellen. Mit
einem „formellen Notenwechsel“ über die Zusicherung
friedlicher Nutzung seitens der Atommacht China ist es
nicht getan. Und in dieser Hinsicht können drittens die
Grünen dem vorlauten Kanzler den Vorwurf nicht ersparen,
das Faustpfand Hanau erpresserisch bei weitem nicht
ausgereizt zu haben, um der Volksrepublik mehr deutsche
Atomkontrollbefugnisse abzuringen. So klären einen die
Grünen schnell noch über die Quintessenz ihres
traditionsreichen Selbstverständnisses auf. Was es
nämlich mit dem ganzen bedeutungsschwangeren
Verantwortungsgedöns, die „Heimat, den Globus, unsere
Kinder und Enkel“ vor den „unverantwortbaren Risiken“ der
Kernkraftnutzung und anderer „Naturausbeutung“ retten zu
müssen, letztlich auf sich hat. Im Namen solcher
unwidersprechlicher Menschheitssorgen betreiben sie
Scharfmacherei, was mehr deutschen
Imperialismus auf dem Globus angeht. Diesen
unverzichtbaren Dienst, andere Staaten und erst recht
„aufstrebende“ Atommächte gerade in elementaren
strategischen Fragen zu beaufsichtigen, ist das rotgrüne
Ausstiegsdeutschland nicht nur „der Zukunft der
Menschheit“ im Allgemeinen schuldig, sondern den
freiheitsdurstigen Menschen in China noch im Speziellen,
weil das chinesische Volk keine demokratische
Möglichkeit hat, über die Nutzung der Anlage zu
entscheiden.
(Grünen-Fraktionsvorsitzende Sager, SZ,
12.1.) Das erledigen dann sachgerecht „wir“ für
die Schlitzaugen.
**
Die letzte grüne „Zuspitzung“ im „Hanau-Streit“: Falls
Siemens wirklich stur bleibt und auf seinem
Rechtsanspruch auf Export besteht, dann, ja dann will
unser Verhinderungsminister Trittin seinen letzten Trumpf
mobilisieren und vom deutschen Handybesitzer mit seiner
bekannt atomkritischen Haltung die Glaubwürdigkeit
rotgrüner Ausstiegspolitik retten lassen: Die Leitung
des Konzerns muss entscheiden, ob der Imageschaden größer
ist als der wirtschaftliche Nutzen des Geschäfts.
Immerhin lehnen zwei Drittel der Bevölkerung den Export
der Hanauer Anlage ab. Und Bürgerinitiativen würden die
Gelegenheit sicher nicht auslassen, Siemens erneut als
Atomkonzern zu brandmarken. Das ist für eine Firma mit
einer starken Konsumentenorientierung im Bereich Handys
und PCs ein Faktor.
(Trittin,
Die Welt, 27.12.) Mit einem an die Wand gemalten
Handyboykott gegen den von Rotgrün genehmigten Atomexport
– das kann ja noch lustig werden mit der grünen
Atomwende!