Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die „Tribüne des Klassenkampfes“ und dessen aktueller Stand
Bundestagsausschuss verurteilt Gysi als Stasi-Spitzel, Gysi klagt zurück
Die juristisch folgenlose Verurteilung Gysis als Stasi-Spitzel zielt darauf, ihn durch Diskreditierung seiner Ehre als Kommunisten fertigzumachen. Und Gysi gibt mit seiner angestrebten Ehrenrettung seinen Gegnern recht.
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Die „Tribüne des Klassenkampfes“ und
dessen aktueller Stand
Bundestagsausschuß verurteilt Gysi
als Stasi-Spitzel, Gysi klagt zurück
Gegen Mitte Mai wird dem prominenten Abgeordneten und
führenden Funktionär der PDS, G. Gysi, von den CDU- und
SPD-Mitgliedern des Immunitätsausschusses des Bundestags
bescheinigt, er sei zu DDR-Zeiten inoffizieller
Mitarbeiter (IM) der Stasi
gewesen, habe unter
verschiedenen Decknamen Arbeitsaufträge der Stasi
ausgeführt
und namentlich seine regimekritischen
Mandanten Bahro und Havemann im Zuge seiner anwaltlichen
Tätigkeit an die Staatssicherheit verraten.
Neben dem PDS-Vertreter stimmt zwar auch der FDP-Mann im
Ausschuß wegen mangelnder Beweise gegen diesen Beschluß;
der Ausschuß aber, stellvertretend für das Parlament,
läßt es sich nicht nehmen, das Versagen der judikativen
Gewalt in dieser Causa auszubügeln, hat die es doch glatt
mit vier Gerichten und der Staatsanwaltschaft
nicht vermocht, hinreichende Beweise für eine
Stasi-Spitzeltätigkeit
(SZ) zusammenzutragen. Er fühlt sich
gerade deswegen als Ersatz-Gericht dazu aufgerufen, dem
Vertreter der verhaßten SED-Nachfolgepartei
wenn
schon kein ordentliches, dann wenigstens ein mit der
Wucht und Würde eines Obersten Bundesorgans versehenes
Quasi-Urteil zu verpassen. Das soll Gysi, wenn es schon
rechtlich folgenlos ist, wenigstens
öffentlich fertigmachen, ihn diskreditieren und
in den Augen aller seiner möglichen Wähler als so
widerwärtig und damit auch unwählbar erscheinen lassen,
wie er es nach Auffassung der Mehrheitsparteien verdient.
So weist das Parlament nachdrücklich darauf hin, daß es
eben überhaupt keine Schwatzbude
ist, vielmehr
seinem gesetzgeberischen Auftrag zur rechtsförmigen
Organisation des Klassenstaates auch hinsichtlich seiner
eigenen, der inneren Belange des Hohen Hauses selbst,
durchaus kämpferisch nachkommt. Wenn ein paar Volksteile
die Idee haben, sich von einer falschen Partei im
Bundestag repräsentiert sehen zu wollen, läßt man das
noch lange nicht durchgehen. Eine Partei, die unter ihren
politischen Urahnen Leute hat, die die bürgerlichen
Parlamente zu Tribünen des Klassenkampfes
machen
wollten, überstimmt man nicht einfach und ignoriert sie
ansonsten. Die kann nicht damit rechnen, daß ihr ihre
eigene demokratische Läuterung abgenommen und ihr ihre
kritisch-konstruktive Anbiederung honoriert wird: Die
wird von denen, die auf der Tribüne das Sagen haben, mit
allen ihnen dafür zur Verfügung stehenden Mitteln
fertiggemacht.
Und was macht dieser demokratische Sozialist mit seiner
Auffassung, doch nur von einem politischen Urteil, das
von vornherein feststand
, gebrandmarkt werden zu
sollen? Geht er vielleicht gegen den politischen Zweck
des Manövers seiner Gegner vor, ihn als
Kommunisten durch die Diskreditierung seiner
Ehre treffen zu wollen? Von wegen. Gysi gibt seinen
Denunzianten recht. Er geht selbst davon
aus, daß die von ihm vertretene politische Sache wirklich
beschädigt wird, wenn sie damit zum Zuge kommen,
ihn in seiner Ehre zu verletzen – und
dagegen versucht er dann vorzugehen: Vor das
Bundesverfassungsgericht will er ziehen, auf daß ein
garantiert unpolitisches Urteil dem Immunitätsausschuß
eine Regelwidrigkeit nachweise und so mit seiner Ehre
auch die des Sozialismus wiederhergestellt sei! Das kommt
offenbar heraus, wenn ein studierter Rechtsanwalt aus
seiner Präsenz im Bundestag den Dauerauftrag ableitet,
für die Anerkennung zu sorgen, die alle guten Demokraten
dem demokratischen Sozialismus
und alle guten
Deutschen der ostdeutschen Biographie
zu erweisen
hätten, die er beide in persona repräsentiert. Wenigstens
weiß man jetzt, wofür die PDS im Bundestag sitzt.