Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Grüne Klarstellungen über den Sinn alternativen Lebens, die Rolle der Opposition und die Erfordernisse der Macht in der Demokratie
Nach ihrem Aufstieg zur Regierungspartei verspüren die Grünen das Bedürfnis, ihr „Image“ zu korrigieren. Kritisches Getue mag zur Rolle der Opposition passen, verträgt sich aber nicht mit der Ausübung der Macht, denn da geht es um die alternativlose Durchsetzung der nationalen Sache.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Grüne Klarstellungen über den Sinn alternativen Lebens, die Rolle der Opposition und die Erfordernisse der Macht in der Demokratie
Die Vision der Grünen ist wahr geworden, sie regieren mit. Grund zur Zufriedenheit dieser Partei, mit sich, ihrem Erfolg und vor allem damit, jetzt in die Tat umsetzen zu können, weswegen sie gewählt werden wollte? Für den designierten Außenminister offenbar nicht. Der hält seine eigene Partei für einen untragbaren Zustand:
„Die Partei werde sich ihre bisherigen Strukturen nicht mehr leisten können. Bislang habe man sich als ‚liebenswerte WG-Kultur der achtziger‘ Jahre präsentiert. Fischer kritisierte, die Darstellung der Partei sei unprofessionell gewesen. Man dürfe nicht länger als eine Ansammlung von Initiativen erscheinen.“ (FAZ, 5.10.)
Was immer man alles an sachlichem Gehalt zu den
Initiativen
dazudenken mag, von denen der
Vorsitzende Fischer redet; was immer einem einfällt von
dem, womit die Grünen in die Konkurrenz der
demokratischen Parteien eingestiegen sind und sich in der
behauptet haben: Jetzt, wo sie an der Macht sind, erklärt
ihr Chef, wie das gemeint war mit ihrem notorischen
Beharren auf einer besseren und verantwortlicheren
Gestaltung der Zukunft.
Das war eben ihre,
typisch grüne Tour, Opposition zu spielen. Ihr
Plädoyer für Alternativen
in Sachen Atomkraft und
Umwelt überhaupt, ihre ganzen
fundamentalkritischen
Vorstellungen zu
Bürgerrechten, Militär und Demokratie, die sie dem Bürger
ans Herz gelegt und mit denen sie ihre Wähler gewonnen
haben – das stellt der Vorsitzende der Grünen
rückblickend als einen einzigen riesigen Scherz dar.
Dargestellt
hat man sich; ein Bild von
sich produziert, das genau so lange gepaßt hat und
goldrichtig war, wie die Partei die Funktion wahrzunehmen
hatte, die in der Demokratie einer Opposition zugedacht
ist: Sich als Alternative zur Regierung
aufzustellen. Das haben die Grünen höchst
professionell hingekriegt, aber nun, wo sie selbst mit an
der Regierung sind, gelten eben die Maßstäbe dieser
Profession
– und das Bild, das man von sich als
Alternative der Machtausübung geschaffen hat, nimmt sich
mit einem Mal höchst unprofessionell
aus.
Wo Fischer recht hat, hat er recht: Man ist in der
Demokratie nicht Opposition, weil man an dem Laden, wie
er geht und steht, etwas auszusetzen, und dem wie er
regiert wird, etwas entgegenzusetzen hat. Man hat sich
den Standpunkt einer radikalen Kritik geleistet und nur
leisten können
, weil und solange man die
parlamentarische Rolle des Machtaspiranten
besetzt hat. Zu der gehört es nun einmal, der Regierung
vorzuhalten, nicht ordentlich zu regieren, und sich
pausenlos heraushängen zu lassen, daß man selbst alles
ganz anders und besser macht. Für die Erringung
der Macht ist vieles erlaubt, sogar Kritik, wenn sie der
erfolgreichen Darstellung einer alternativen Kraft im
Lande
dient. Für den Gebrauch der Macht aber
paßt das alles nicht mehr. Denn das Regieren selbst
verträgt keine Opposition und keine
Alternativen zur nationalen Sache, um
die es allein geht, wenn regiert wird: Die steht außer
jeder Kritik, ist in jeder Hinsicht einfach
alternativlos, und wer für sie Verantwortung
trägt, hat sich entsprechend zu ihrer Alternativlosigkeit
zu bekennen. Den alternativen Habitus, den die grüne
Partei sich so überzeugend angeschminkt hat, soll sie
sich also wieder abschminken. Für ihre Sprecherin Röstel
gilt es, Abschied zu nehmen vom politischen
Lebensgefühl der Opposition, … um in ein neues
Rollenverständnis hineinzuwachsen.
Auf dem Weg zur
Macht haben deren Charaktermasken sich ein wenig
gehenlassen dürfen, und weil die Rolle des Machthabers
eine andere Maske verlangt, braucht die grüne Partei
einen neuen Charakter.
*
Die Nagelprobe, daß die Partei diese Botschaft begriffen
hat, findet bei der öffentlichen Beschlußfassung über die
Koalitionsvereinbarung statt. Der Eindruck darf
keinesfalls entstehen, daß noch irgendetwas fraglich sein
könnte, also hat auch Schluß zu sein mit jedem Anflug von
alternativem parteiinternem Leben, der eines ihrer
Markenzeichen war: Muntere Beratschlagungen über den
einzuschlagenden Kurs unter lebhafter Beteiligung einer
bunten Parteibasis – alles Fossilien einer
Alternativkultur
, die einfach nicht mehr tragbar
ist. Diskussionen dienen allein der Bestätigung, daß es
jetzt auf die Machtausübung ankommt, und, noch wichtiger,
der unmißverständlichen Demonstration, daß der ganze
grüne Haufen das begriffen hat. Jeder Streit darüber, was
die Führung zu tun hat, ist unangebracht und schädlich.
Statt dessen sind bekennerhafte Absagen an alles
verlangt, was nach der Streitkultur von gestern aussieht.
Statt vieler Initiativen
ist eine einzige geboten,
die von oben nach unten nämlich, die möglichst einmütige
Akklamation der grünen Machtträgerschaft. So läuft er ab,
der schicksalhafte Parteitag
. Im Vorfeld wird auf
die Schwere der Entscheidung hingewiesen, die da ansteht,
und sorgenvoll oder zuversichtlich darüber spekuliert, ob
die Partei mitzieht
. Dabei ist längst dafür
gesorgt, daß die Beteiligung der Grünen an der Regierung
ein ums andere Mal als der Sachzwang in Erinnerung
gerufen wird, den man entweder entschieden befürwortet
oder dem man sich nur schweren Herzens, unter
Zurückstellung aller noch einmal vorgetragenen Bedenken,
beugt. So braucht man nicht einmal in der Stunde
demonstrativer Geschlossenheit auf seine Überzeugung als
Realo
oder Fundi
zu verzichten: Die einen
geben sich überzeugt, daß die Partei – eigentlich –
sowieso nie etwas anderes gewollt hat, als Verantwortung
für Deutschland zu tragen, so wie es steht und geht; die
anderen führen vor, daß die Partei jetzt einen,
angesichts der neuen Herausforderungen
allerdings
unerläßlichen, Schwenk vollzieht, dessen Notwendigkeit
dadurch verbürgt ist, daß sie, die Vertreter grüner
Ideale besseren Regierens, sich die Entscheidung so
verdammt schwer machen. Delegierten, die nachfragen, ob
sich das Parteitagsmotto: Das Land ökologisch und
sozial gestalten
auch ausreichend in der
Koalitionsvereinbarung wiederfinde, wird beschieden:
Immerhin haben wir drei Minister und fünf
Parlamentarische Staatssekretäre durchgesetzt.
(G.
Röstel) Ab sofort sind eben Ministerposten das grüne
Markenzeichen, das für sich spricht. Positionen messen
sich an Posten und nicht umgekehrt. Also muß auch der
schäbige Restbestand machtkritischen Getues, der vom
basisdemokratischen Aufbruch der Grünen übrig geblieben
ist – Trennung von Amt und Mandat
–, in die
Schranken verwiesen werden. Schließlich geht es jetzt um
Führung, und da ist jeder Schein von Machtbegrenzung zu
vermeiden; da wirkt der kleinste Zweifel, ob die grünen
Hoffnungsträger
im Amt das unbestrittene Kommando
über Partei und Fraktion innehaben, störend und
beschädigt die Autorität der Minister
. Also
braucht es endlich eine strikte Parteihierarchie vom
Minister abwärts, genau wie bei den etablierten
Parteien.
Damit ist er dann fertig, der überhaupt nicht alternative Weg zur Macht, den die grüne Alternative erfolgreich absolviert hat.