Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Green-Card-Initiative: ein Fall von Globalisierung

Das Bedürfnis des Kapitals nach erweitertem Zugriff auf globale menschliche Reichtumsquellen erfordert eine Modifikation des deutschen Ausländerrechts: Die Regierung erfindet eine deutsche Green Card nach amerikanischem Vorbild. Das sorgt für Aufregung: Einige sehen das eingebildete Eigentumsrecht des deutschen Volkes an deutschen Arbeitsplätzen verletzt. Der Staat sorgt schließlich dafür, dass nur „die Richtigen“ kommen, die uns „nützen“ und nicht „ausnützen“; er wird also der fälligen Globalisierung des Arbeitsmarktes gerecht, ohne die Diskriminierung ausländischer Bewerber zu vernachlässigen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Die Green-Card-Initiative: Noch ein Fall von Globalisierung

I.

So wünscht man sich die Gesetzgebung: Die Betroffenen dürfen das Gesetz, das sie wünschen, selbst aufschreiben – jedenfalls im Wesentlichen. Arbeitgeber aus der Computer- und Software-Industrie haben sich über die restriktive und umständliche Regelung beklagt, der die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte für Posten unterliegt, für die sich qualifizierte Bewerber aus dem EU-Raum nicht finden lassen. Das ging auch bisher schon. Der Kanzler erhört die Klagen und gibt dem Bedürfnis der Industrie recht, jederzeit über genau so viel qualifizierte und dabei nicht zu teuere Arbeitskräfte zu verfügen, wie ihr wechselhaftes, jetzt gerade boomendes Geschäft braucht. Die Unternehmer finden es selbstverständlich, dass ihre Gewinnkalkulationen den Rhythmus des Arbeitens vorgeben; daraus leiten sie ein Recht auf stetige und garantierte Über-Versorgung mit Arbeitskräften ab, damit ihr Kapitalwachstum auch in Zeiten größter Nachfrage nicht durch die Anzahl der verfügbaren Kräfte gebremst wird und auf die Herstellung der gewünschten Qualifikationen erst noch warten muss. Das hätten die gern. Der Kanzler ist es, der das unbescheidene Bedürfnis zum nationalen Bedarf erhebt. Zur Eröffnung der Messe CEBIT Ende Februar verkündet er, dass Deutschland nach amerikanischem Vorbild eine Green Card einführen werde, und er sagt auch, warum:

„Die Informations- und Kommunikationstechnik ist inzwischen eine der Triebkräfte der Weltwirtschaft geworden. Unser Anspruch ist, dass unser Land auch im Informationszeitalter im internationalen Wettbewerb einen Spitzenplatz einnimmt. Die Kompetenz in der Anwendung der neuen Technologien entscheidet in starkem Maße über den zukünftigen Rang Deutschlands in der Welt.“ „Das aktuelle Problem ist, dass wir in einer Situation sind, wo die Chancen auf diesen enormen Wachstumsmärkten jetzt verteilt werden und wo jetzt alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um diese Chancen zu nutzen.“ (Schröder, 13.3.)

Die Zukunft Deutschlands und die Attraktivität des nationalen Kapitalstandorts hängen davon ab, dass in allernächster Zeit entscheidende Positionen besetzt, Standards vorgegeben, Portale und Zugänge hier organisiert werden – und nicht anderswo. Damit der deutsche Standort anderen Ländern digitales Geschäft wegnehmen kann, muss es schnell gehen. Für den Kampf um die nationale Konzentration globalen Geschäfts kann auf eine globale Rekrutierung der Fähigsten nicht verzichtet werden. Beschränkung auf das nicht gerade kleine Arbeitskräftereservoir des europäischen Arbeitsmarktes wäre eine Selbstfesselung. Globale Führungsmächte und solche, die es werden wollen, bedienen sich auch bei der Ware Arbeitskraft am globalen Markt und eignen sich die international vorhandenen Fähigkeiten und geistigen Potenzen national an.

Spitzfindige Kritiker des Kanzlers haben herausgefunden, dass das Etikett „Green Card“ für die Erleichterung der bisher schon möglichen Anwerbung von außereuropäischen Fach- und Spitzenkräften etwas hoch gegriffen ist. Auch wenn der Vergleich mit dem amerikanischen Original hinkt, verrät er doch überdeutlich, woran der Kanzler deutsche Politik und deutsche Ambitionen zu messen gedenkt: So wie die Amerikaner machen wir es jetzt auch! Wenn wir deren weltbeherrschende Spitzenstellung in der New Economy herausfordern wollen, geht das nicht ohne die Kopie ihrer Methoden: Seit Jahrzehnten kaufen sich die USA die besten Forscher, Ärzte, Ingenieure, Musiker aus aller Welt zusammen. Wahrscheinlich verdanken sie ihre Vorsprünge ohnehin der Abwerbung deutscher Physiker und Chemiker, französischer Molekularbiologen, indischer Programmierer usf.

Der Wille, es den Amerikanern gleich zu tun, treibt richtig Blüten. Man tut so, als habe man den Stein der Weisen in puncto Standortpolitik entdeckt: Nichts leichter und zweckmäßiger, als Konkurrenzpotenz einfach zu importieren! Von 20000 Informatikern, die den Stellenausschreibungen zufolge mit den gängigen Betriebssystemen und den gängigen Programmiersprachen umgehen können sollen, werden nichts weniger als Wunder erwartet: An Leuten, die einmal als billige „Programmier-Kulis“, ein anderes Mal als reine Genies – „Software-Maharadschas“ – angesprochen werden, soll sich Deutschlands Stellung im elektronischen Weltgeschäft von morgen, das Schicksal der deutschen Arbeitsplätze und der Arbeitslosen dazu, entscheiden. Die SZ buchstabiert die etwas wahnsinnige Gleichung vor, die hinter dem geplanten Direktimport menschlicher Reichtumsquellen steckt: Programmierkenntnisse = Kreativität = Wirtschaftswachstum = Arbeitsplatzvermehrung! Es macht nichts, dass von drei Gleichheitszeichen nicht eines stimmt, schließlich geht es um einen neuen deutschen Aufbruch.

„Unter dem Strich würden Computerspezialisten aus Indien oder anderswo den hiesigen Arbeitsmarkt sogar entlasten. Schließlich ist eine Volkswirtschaft keine statische Veranstaltung. Die Zahl der Jobs ist keine feste Größe. Wenn einer dazu kommt, muss ein anderer nicht automatisch auf der Strecke bleiben. Kreative Köpfe haben Pläne. Aus Ideen werden Geschäfte, also zusätzlicher Umsatz und neue Arbeitsplätze. Und weil europäische Spezialisten nun einmal fehlen, ist es höchst rational, sich von außerhalb Kompetenz zu holen. Wer das nicht glaubt, schaue in die Vereinigten Staaten. Ein Grund für die unvergleichliche Dynamik der amerikanischen Gesellschaft und Wirtschaft ist der kontinuierliche Zustrom ausländischer Eliten.“ (SZ, 14.4.)

II.

Schröders Zugriff auf die globale IT-Elite verlangt eine Modifikation der bisherigen, national sortierten Bewirtschaftung des Arbeitsmarktes, die Bewerber aus Nicht-EU-Ländern grundsätzlich diskriminiert: Sie dürfen bislang nur eingestellt werden, sofern sich bevorrechtigte europäische Bewerber mit den geforderten Qualifikationen nicht finden lassen. Die vorwärts weisende Verordnung zur Green Card, die diese Rechtslage verändert, wird zum umstrittenen Politikum nur aus einem Grund. Das patriotische Gemüt hält die rechtliche Schlechterstellung ausländischer Bewerber für einen Schutz der Einheimischen, ja für eine Form ihrer Versorgung mit Arbeitsplätzen und glaubt fest an ein eigentliches Eigentum des deutschen Volkes an deutschen Arbeitsplätzen. Dass von einem wirklichen Eigentum des Volkes an diesem begehrten Gut keine Rede sein kann, anerkennen die guten Deutschen ohne Murren, die seine nationale Reservierung und Rationierung beanspruchen. Wenn die wirklichen Eigentümer der Arbeitsplätze ihre Erträge dadurch steigern, dass sie Arbeit effektiver anwenden, Arbeitslohn einsparen und Millionen auf die Straße werfen, dann kann keiner dieser Volksgenossen die Betätigung eines feindlichen Interesses entdecken; sondern nur die vernünftige Befolgung eines ökonomischen Sachzwangs durch den Mitbürger im Unternehmerstand. Mit Rationalisierung und Entlassung kommt der Wirtschaftsführer seiner Verantwortung nach – für sein Vermögen, seinen Betrieb, das Wirtschaftswachstum und für die Arbeitsplätze, die halt übrig bleiben. Zweifel, ob so etwas als gemeinschaftliche Lebensbewältigung gelten kann, verbieten sich innerhalb der nationalen Gemeinschaft – so lange jedenfalls, wie sich auf den vorhandenen Arbeitsplätzen nicht Ausländer breit machen dürfen. Sogar die bekannte Tatsache, dass Unternehmer keine nationalen Vorurteile hegen, sondern unabhängig vom Pass den jeweils leistungsfähigsten und billigsten Bewerber einstellen, trägt ihnen kaum je den Vorwurf ein, sie würden die Leute ausbeuten; eher schon den anderen, sie ließen es an nationaler Verantwortung fehlen, nach der Deutsche exklusiv Deutsche ausbeuten sollen! Der Zorn der beleidigten Volksgenossen richtet sich natürlich weniger gegen den volksvergessenen Unternehmer, der sie ja nehmen soll, als gegen die Ausländer, die sich ihm unverschämterweise ebenso aufdrängen wie die Einheimischen. Denn nicht daran, ob sie eine Erwerbsquelle haben, und schon gleich nicht daran, was sie taugt, lernen brave Deutsche, dass diese Wirtschaft, die sie als leidige Kostenfaktoren kalkuliert, auch ihre Sache ist. Das beweist ihnen viel zuverlässiger der Umstand, dass Ausländer auf dem Arbeitsmarkt sichtbar schlechter behandelt werden als sie.

Dieses gute deutsche Recht wird von der Green Card durchlöchert, das national verbindende Privileg der Deutschen in Frage gestellt. Kein Wunder, dass sich die christliche Opposition die Gelegenheit nicht entgehen lässt, wieder einmal einen aussichtslosen Wahlkampf durch volkstümliche Ausländerfeindlichkeit zu wenden. Aber auch die Regierung, die an allen sozialen Reformfronten durch demonstrative Rücksichtslosigkeit Punkte macht, möchte in puncto Nationalismus keinesfalls rücksichtslos erscheinen. Auf dem Feld der Schlechterstellung von Ausländern will sie ihre Wähler keinesfalls enttäuschen. Sonst keines, aber dieses „Anspruchsdenken“ verdient die Anerkennung von oben.

Den schönen Einfall des NRW-Wahlkämpfers Rüttgers, Kinder statt Inder an die Computer zu schicken, weist die Regierung kongenial zurück: Angesichts des vitalen deutschen Interesses an weltweit gesuchten Fachkräften sei der Slogan verantwortungslos und schüre Ausländerfeindlichkeit. Solche Töne schädigten den weltoffenen Ruf Deutschlands, auf den seine global agierende Wirtschaft angewiesen sei. Die SPD gibt’s den Rechten: Ihre nationalistische Ideologie schadet der Nation! Andererseits wird die Regierungskoalition selbst nicht müde, den Ausnahme- und Notfallcharakter der Green-Card-Regelung zu betonen, die nur nötig geworden sei wegen früherer Versäumnisse bei der Ausbildung des Nachwuchses. Selbstverständlich hätten Schulung und Umschulung deutscher Kräfte weiterhin Vorrang. Nur für die Übergangszeit und nur so weit keine einheimischen Bewerber zu finden seien, würde von dem ehernen arbeitsrechtlichen Grundsatz „Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche“ eine wohldefinierte Ausnahme gemacht und ausländisches Fachpersonal hergeholt. Die Maßnahme ist einmalig, es wird nur eine begrenzte Zahl von Arbeitserlaubnissen – höchstens 20000 – und nur für eine begrenzte Zeit – 5 Jahre – erteilt. Damit auch die Richtigen reinkommen und die Genehmigung zum Import nicht nur zum Lohndumping missbraucht wird, müssen die Bewerber einen Universitätsabschluss nachweisen oder wenigstens 100000 DM im Jahr verdienen.

So viel regierungsseitiges Verständnis für die „Angst vor Fremden“ drängt die Konkurrenz zur Klarstellung. Rüttgers & Co. achten auf den Ruf des deutschen Standorts, geben sich alle Mühe, ihre Inländerfreundschaft auf moralisch unanfechtbare Weise auszudrücken, und laufen dabei zu heuchlerischer Höchstform auf: Die Abwerbung raube aufstrebenden Entwicklungsländern die Eliten, die sie für ihre Entwicklung dringend bräuchten. CSU-Generalsekretär Goppel, der mit dem Arbeitsmarkt ansonsten höchstens das Problem hat, dass der noch immer nicht genug Markt ist, sieht angesichts von besserverdienenden Indern die Menschenwürde verletzt und beklagt, dass da Menschen wie Waren eingekauft und verschickt würden. So schön besorgt waren deutsche Politiker schon lange nicht mehr um die Zukunftschancen der Dritten Welt und die Würde der Ware Arbeitskraft – und niemand missversteht ihre hochanständigen Bedenken.

III.

Die Rechtsverordnung zur Green Card will beiden Gesichtspunkten gerecht werden, der Globalisierung des Arbeitsmarkts und dem Recht der Einheimer auf Diskriminierung ausländischer Bewerber. Die Öffnung soll sein, aber nur ausnahmsweise, zeitlich und zahlenmäßig und auf das enge Feld der Computerei begrenzt. Jedenfalls vorerst. Der Kompromiss provoziert nämlich Kritik von beiden Seiten. Die einen, die scharf sind auf den Import nationaler Konkurrenz-Kompetenz, bezweifeln, dass die umworbenen Wunderknaben sich von einem so schlechten Angebot locken lassen werden – Amerika bietet mehr! Und überhaupt, wenn diese Genies für Deutschland so viel Gutes leisten und den Deutschen lauter Arbeitsplätze schenken, warum nicht gleich mehr von ihnen, warum keine dauerhafte Nutzung ihrer Potenzen? Und wenn schon ausländischer Menschenvorrat für deutsches Wachstum, warum dann nicht auch Billiglöhner für Billigjobs in Gastronomie und Handwerk – nach allen Regeln der Marktwirtschaft schaffen doch auch die Arbeitsplätze, wenn sie die Löhne drücken! Die anderen Verantwortungsträger, denen die Löhne zwar auch zu hoch, vor allem aber die Ausländer im Land zu viel sind, finden, dass man keinesfalls die gefragten Computerleute auf die lästigen Asylanten „draufsatteln“ (Stoiber) darf, sondern die erwünschte Zuwanderung durch eine mindestens ebenso große Zahl von Abschiebungen kompensieren muss, um die problematischen Ausländerzahlen konstant zu halten. Beide Seiten nehmen die Initiative des Kanzlers als einen nur vorläufigen Einstieg in einen neuen Umgang unserer weltoffenen Nation mit Menschenmaterial von außerhalb: Die größten Ausländerfeinde fordern ein Einwanderungsgesetz, damit Deutschland von der unseligen Praxis loskommt, denen, die uns brauchen, Obdach zu gewähren, anstatt die herzuholen, die wir brauchen. (Angela Merkel) Die Bayern sprechen, wie stets, eine deutlichere Sprache: Die Bundesrepublik braucht weniger von denen, die uns ausnützen, aber mehr von denen, die uns nützen (Innenminister Beckstein). So geht sie, die offene und humane Diskussion über Menschenmaterial für Deutschland; mit der wir hoffen dürfen, den dumpfen Ausländerhass in unserem Volk zu überwinden.