Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Größer, moderner und erfolgreicher mit „ver.di“
Die gewerkschaftliche Antwort auf die Herausforderungen der ‚neuen Arbeitswelt‘: Fusionieren und sich umstellen!

5 Einzelgewerkschaften der Dienstleistungsbranche schließen sich zur „Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft“, kurz „ver.di“, zusammen, nicht um die Gliederung in Berufsstände und deren Konkurrenz um ihre jeweilige Bedeutung zurückzunehmen, nicht um die gemeinsame Abhängigkeit von den Arbeitgebern zur Grundlage eines Kampfes um Lohninteressen zu machen, sondern um sich auf ihren gewohnten Betätigungsfeldern – Mitzuständigkeit für Tarif- und Beschäftigungsformen, „Mitverantwortung für die moderne Arbeitswelt“, Bereitstellung von Service- und Freizeitangeboten für die Mitglieder – mit der Verbreiterung ihrer Basis effektvoller und kostensparend betätigen und anbieten zu können.

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Größer, moderner und erfolgreicher mit „ver.di“
Die gewerkschaftliche Antwort auf die Herausforderungen der ‚neuen Arbeitswelt‘: Fusionieren und sich umstellen!

Jetzt ist es beschlossen und soweit: Fünf Gewerkschaften, ÖTV, HBV, DPG, IG Medien und DAG, schließen sich zur „Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft“, kurz und werbewirksam wie ein Firmenlogo „ver.di“ genannt, zusammen. Warum das?

Soviel vorweg: Jedenfalls nicht, weil sie selbstkritisch Abstand nehmen wollen von ihrer bisherigen Manier, die berufsständische Gliederung der Beschäftigten zur positiven Grundlage ihrer Interessenvertretung zu machen. Dass die Einzelgewerkschaften sich als Anwalt des jeweiligen Berufsstandes verstehen; dass sie sich auf die besonderen Verdienste und Leistungen der Arbeiter in den jeweiligen Branchen berufen und den Wert und Stellenwert der Gewerbe, in denen sie tätig sind, zum Argument dafür erheben, dass sie Respekt und soziale Rücksichtnahme verdienen; dass sie in den unterschiedlichen Branchen nicht die gemeinsame Abhängigkeit vom Lohn und damit von den ihren Lohninteressen entgegenstehenden Kalkulationen der Arbeitsanwender in den Blick nehmen, um die passende Gegenwehr gegen die jeweiligen Bedingungen zu organisieren, mit denen sich die dort Beschäftigten herumzuschlagen haben; dass sie also den Berufsstolz von Proleten und Staatsbediensteten vertreten und deshalb auch untereinander heftig um ihre jeweilige Bedeutung konkurrieren, statt immer, wenn nötig, gemeinsam die Gegenseite unter Druck zu setzen. – Von all dem will der Zusammenschluss nun wahrlich nichts zurücknehmen oder irgendetwas daran korrigieren.

Die Stifter von „ver.di“ geben Auskunft über ganz andere Probleme und Absichten. Ihnen ist ihre Basis für diese Sorte gewerkschaftlicher Vertretung zu klein geworden:

„Bei allen beteiligten Gewerkschaften sind die Beitragseinnahmen rückläufig. Als einzelne Gewerkschaften können die Organisationen eine Umkehrung dieses Trends nach derzeitiger Lage nicht erreichen. Andererseits haben die Gewerkschaften steigende Personal- und Sachaufwendungen.“ (Verschmelzungsbericht der fünf Gewerkschaften)

Die Arbeitervertreter kalkulieren offensichtlich so ähnlich wie Unternehmen oder Behörden, die sich um ihre ‚Einnahmen- und Ausgabenstruktur‘ kümmern, um das finanzielle Ergebnis zu verbessern. Ihre Gewerkschaftsmitglieder verbuchen sie schlicht als Zahler, als Einnahmenseite eines Apparats, der seine nicht ganz billigen, eigenen Notwendigkeiten und Aufwendungen ‚personeller und sachlicher‘ Art hat – und stellen betrübt fest, dass die ‚Gewerkschaftsbasis‘ mehr und mehr den veranschlagten Dienst versagt, diesen Funktionärsapparat ausreichend zu finanzieren. Der Zusammenschluss schafft dieses Problem zwar nicht aus der Welt und wieder mehr Mitglieder her. Damit rechnen die Gewerkschaftsoberen aber auch gar nicht erst. Sie beabsichtigen, ihren Apparat an die prekäre Kostenlage anzupassen. Kostensenkende Rationalisierungen in der ‚Personal- und Sachstruktur‘, die Effektivie-rung einer Arbeitervertretungsbehörde nach Art von ‚lean management‘ – so etwas ähnliches eben wie die von Unternehmen kalkulierten ‚Synergieeffekte‘ einer Fusion einschließlich der dabei ‚unvermeidlichen Entlassungen‘ und ‚sozialen Härten‘ für die Beschäftigten im eigenen Apparat: Das ist es, womit die Gewerkschaftsmanager ihre Klientel als erstes beglücken wollen.

Zweitens versprechen sie sich und ihren Mitgliedern eine Verbesserung des Ertrags, den der ganze kostspielige Organisationsaufwand erbringen soll. Dieser output betrifft die Rolle, die die Gewerkschaft in der Gesellschaft spielen will:

„Die neue Gewerkschaft wird in vielen Bereichen Tarifmacht haben und Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen können. Gemeinsam sind alle beteiligten Gewerkschaften stärker.“ (Verschmelzungsbericht der 5 Gewerkschaften) „An dieser neuen Macht soll kein Weg vorbei führen.“ (HBV) „Wichtig an der Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ist, dass eine einflussreichere Organisation entsteht, die mehr Möglichkeiten hat, auf die Politik und auf die Tarife einzuwirken und sie zu gestalten.“ (H. Mai auf dem ÖTV-Kongress)

Das ist es also, was den Fusionsexperten als materieller Gewinn ihrer Vergemeinschaftung vorschwebt; so stellen sie sich Gewerkschaftsmacht und Einflussnahme vor: Eine ordentliche Gewerkschaft setzt sich nicht in Gegensatz zu den ‚Mächtigen‘ in Wirtschaft und Politik, sie agitiert und mobilisiert nicht in den Betrieben möglichst viele damit sie organisiert für ihre Interessen ein- und antreten. Dass Gewerkschaftsmacht in der Bereitschaft und Fähigkeit zur Gegenwehr gegen das unternehmerische und politische Kommando liegt, dieser Gedanke liegt ihnen völlig fern. Statt dessen kämpft sie darum, von den Instanzen anerkannt zu sein, die über das, was in den Betrieben und außerhalb läuft, zu entscheiden haben. Bei denen will sie mit Verweis auf ihre Mitglieder das Recht einklagen und zugestanden bekommen, als Mit-Zuständiger dabeizusein, wenn über die Belange der Arbeiter verhandelt und beschlossen wird: an der Tariffront und in der hohen Politik. Die Mitglieder kommen in ihrer Rechnung nicht als Akteure vor, die sich durch ihre gewerkschaftliche Organisation für ihre Belange stark machen, sondern als ‚Basis‘, die qua Masse den Funktionären Macht verleiht. Genügend ‚stark‘, macht sie aus denen nämlich Figuren, die in den Sphären Respekt genießen und mitmischen können, wo im nationalen Rahmen über die ‚sozialen Fragen‘ befunden wird. Ohne eine solche anerkannte Mitzuständigkeit sehen die Gewerkschaftsfunktionäre ihren Verein offenkundig zur Ohnmacht verdammt.

Um diese Machtposition steht es allerdings nach Auffassung derer, die sie einnehmen wollen, heutzutage ziemlich schlecht:

„Die moderne Arbeitswelt verhindert nicht nur herkömmliche Berufswege, sondern sie hat den Beschäftigungsverhältnissen auch ihre traditionelle rechtliche Basis, den Normalarbeitsvertrag, entzogen. An seine Stelle traten vielfach befristete Verträge, Leiharbeitsverhältnisse, Werkverträge mit Subunternehmercharakter und andere Formen wirtschaftlich unfreier Selbständigkeit, die bislang kaum sozial gesichert sind.“… „Telearbeit, bei der betriebliche Tätigkeiten im Online- oder im Offline-Verfahren in die Wohnungen der Arbeitnehmer/innen oder in das Call-Center ausgelagert werden“ … „Zersplitterung gewachsener Beschäftigungsstrukturen und Erosion der tariflichen Bindungen. Die Kraft der Arbeitgeberverbände, für den Erhalt und den Ausbau des Geltungsbereiches von Tarifverträgen zu sorgen, schwindet … Solche Erosionserscheinungen zeigen sich mittlerweile auch im öffentlichen Dienst. Dort sinkt die absolute Zahl der Beschäftigten bei Bund, Ländern und Gemeinden seit 1992 kontinuierlich. Bei den verbleibenden Arbeitsplätzen nimmt der Anteil der Vollzeitstellen ab, während die Zahl der Teilzeitstellen zunimmt. Viele der bislang von den öffentlichen Händen erbrachten Dienstleistungen werden ‚Freien Trägern‘ oder privaten Unternehmen übertragen. Die damit verbundenen Veränderungen der Beschäftigungsstruktur schafft viele tarif- und sozialpolitische Probleme: Man findet in diesen Bereichen überdurchschnittlich viele Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, befristete Stellen, ABM-Beschäftigte oder Honorarkräfte.“ (Verschmelzungsbericht)

Einen sehr speziellen Blick werfen die Arbeitervertreter da auf die ‚moderne Arbeitswelt‘. Man könnte den aufgeführten Phänomenen ja durchaus entnehmen, dass die modernen Arbeitsverhältnisse in den Unternehmen und beim Staat mit ihren Anforderungen an ‚Mobilität und Flexibilität‘ jede Festigkeit in puncto Arbeitszeit und Leistung vermissen lassen; dass ihnen jede Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Garantie einer ausreichenden Bezahlung abgeht, also die Lohnabhängigen mit diesen Formen von Über- und Unterarbeit und Billiglohnverhältnissen schlecht bedient sind. Die gewerkschaftlichen Begutachter entdecken etwas ganz anderes – ihre eigene Betroffenheit: Mit den modernen Beschäftigungsmethoden ‚erodiert‘ die Selbstverständlichkeit gewerkschaftlicher Mitwirkung an diesen Verhältnissen. Immer mehr Arbeitsverhältnisse werden an den Gewerkschaften vorbei geregelt, so dass ihre Sicherheit schwindet, als Tarifpartner quasi automatisch in alle Belange eingebunden zu sein und deswegen auch laufend Mitglieder zu rekrutieren. Besorgt stellen die Kenner der Tariflandschaft fest, dass die modernen Beschäftigungsformen – an deren Zustandekommen sie tatkräftig mitgewirkt haben – einen lieb gewonnenen gewerkschaftlichen Besitzstand gefährden: ihre umfassende Mitzuständigkeit für deren Regelung. Ihnen geht die gewerkschaftliche Stammbelegschaft verloren, die eine solche quasi behördliche gewerkschaftliche Vertretung für das Normale hält und deswegen deren Basis bildet; es kommen ihnen die tarifvertraglichen Zuständigkeitsbereiche abhanden; und beides zusammen untergräbt die Berücksichtigung, die sie aufgrund ihrer Mitgliederbasis und ihrer anerkannten Regelungskompetenz bei Staat und Unternehmern genießen. Untragbar, fehlt doch damit die ‚soziale‘ Note, die das gewerkschaftliche Vertretungsmonopol den Zuständen verleiht!

Das schreit nach entsprechender Abhilfe. Angesichts dieser Diagnose kommt eines natürlich nicht in Betracht: die an diesen modernen Arbeitsplätzen ja nicht gerade bestens gestellten Beschäftigten und Nichtbeschäftigten eventuell wieder vermehrt von Notwendigkeit und Nutzen eines gewerkschaftlichen Zusammenschlusses zu überzeugen. Die Figuren in den gewerkschaftlichen Chefetagen, die nicht ihr ganzes bisheriges Treiben kritisieren, sondern ihre beschädigte Stellung als mitentscheidungsberechtigter Tarifbehörde wieder festigen wollen, gehen strikt davon aus, dass sich mit einer Agitation für so überholte Ideen wie gewerkschaftliche Organisation von Arbeiterinteressen die Basis keinesfalls gewinnen läßt, die sie sich wünschen. Mit dem Verweis auf die gewandelte Arbeitswelt erklären sie sich statt dessen abhängig von den Denkweisen und Einbildungen der Internet-Yuppies, Bankangestellten, Amtsfiguren und anderen Beschäftigten, denen sie ein gewerkschaftliches Bewusstsein keinesfalls mehr zutrauen und zumuten, die sie aber unbedingt vertreten wollen. Daher fragen sie sich, ob ihre bisherige gewerkschaftliche Vertretung überhaupt noch zu den Beschäftigten, ihren flexiblen Beschäftigungsverhältnissen und ihren antigewerkschaftlichen Einstellungen passt, und antworten mit einem klaren ‚Nein!‘ Ihrer Auffassung nach haben die ‚modernen Erfordernisse‘ eine Gewerkschaftsvertretung ‚alten Stils‘ obsolet gemacht – nicht weil die Verhältnisse so erträglich geworden wären, sondern weil zuviel an ihr vorbei geregelt wird Also muss sich die Organisation umstellen, um wieder dabei zu sein. Angesichts der ‚Erosion der tariflichen Bindungen‘ gilt es erstens neue ‚Tarifkompetenz‘ anerkannt zu bekommen – um zweitens dadurch auch wieder mehr Anhang bei Leuten zu finden, die dann wieder merken und honorieren können, dass nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Gewerkschaft über ihre Belange zu bestimmen hat. Wenn verschiedene gewerkschaftliche Zuständigkeitsbereiche zusammengefasst werden und die bisher geschiedenen Vereine als eine einzige Verhandlungsinstanz für einen vergrößerten Bereich antreten, so die Rechnung, dann können trotz Mitgliederschwund und trotz des Verlusts an gesicherten ‚Tarifkompetenzen‘ Unternehmerschaft und Staat sich dem Anspruch der Gewerkschaft auf Mitwirkung nicht noch weiter entziehen. Da denken ihre Funktionäre schon wieder ganz ähnlich wie Behörden oder Unternehmen, die mehr ‚Kompetenzen‘ ‚bündeln‘ und ‚neue Felder‘ erobern, also mehr ‚Aufgabenbereiche‘ oder (Markt-)Macht sichern wollen.

Damit die Voll-, Teilzeit-, sonstwie oder auch gar nicht Beschäftigten der ‚neuen Arbeitswelt‘ sowie die Instanzen, bei denen die neue Gewerkschaftsmacht Eindruck machen will, auch merken, was sie an ihr haben, schreiben die Fusionsexperten dem neuen Verein das als Programm ins Stammbuch, worauf sich die Einzelgewerkschaften sowieso schon laufend verpflichten, weil sie der öffentlichen Hetzte gegen das überholte gewerkschaftliche Denken in Gegensätzen und Tarifschablonen den Dauerauftrag zur Selbstkritik ablauschen. Für die neue, moderne Organisation gilt erst recht, keinesfalls ‚bloß‘ gegen die neuen Arbeitsverhältnisse und Denkweisen zu opponieren, schon gleich nicht gegen sie mobil zu machen, sondern sie noch viel mehr als bisher mitzutragen:

„Die neue Gewerkschaft soll gesellschaftspolitisches Profil entwickeln, eine emanzipatorische Tarifarbeit leisten, mehr die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzen und daraus auch Visionen entwickeln. Sie soll für die Gleichbehandlung der Geschlechter, für überprüfbare Qualitätsstandards bei Tarifverträgen eintreten. Sie braucht neue Ansprechformen im Dienstleistungsbereich und hat den Sozialstaat als Gestaltungsmacht bei der Umverteilung von Arbeit zu nutzen. Sie muss die Arbeitgeber zwingen, auf die besonderen Bedingungen und die Reproduktionsbedürfnisse der MitarbeiterInnen Rücksicht zu nehmen (Kinderbetreuung/Fahrgelegenheit).“ (ver.di, Perspektiven)
„ver.di bedeutet für mich Aufbruch und Gestaltung für die Zukunft. ver.di bietet auch die Chance der Veränderung, der Veränderung der Gewerkschaftslandschaft in Deutschland.“ (H. Mai auf dem ÖTV-Kongress)

Und der neue Chef der ÖTV verkündet als seine „Vision“ erfolgreicher Gewerkschaftspolitik,

„dass es unser Tagesgeschäft als Gewerkschafterin und Gewerkschafter ist, mitzugestalten und dass zu diesem Tagesgeschäft auch gehört, Verantwortung zu übernehmen. Wenn das anders wäre, wenn die einen nur für das Fordern da wären und die anderen dafür, Verantwortung zu übernehmen, dann – so habe ich gesagt – dürfte kein Gewerkschaftsmitglied im Gemeinderat und keines im Parlament sitzen; dann könne man das Geschäft des Regierens ja gleich denen überlassen, die sich kraft Stammbaumes oder wegen des Umfangs ihres Geldbeutels dazu berufen fühlten. … Nur bin ich sicher, Kolleginnen und Kollegen, wenn die Arbeiterbewegung dies zur Maxime ihres Handelns gemacht hätte, dann sähe unsere Gesellschaft heute anders aus und wäre weniger lebenswert.“ (Bsirske, Antrittsrede auf dem ÖTV-Kongress im November 2000)

Ganz so wie Politiker, die bekanntlich immerzu Deutschlands Zukunft gestalten und sich den Herausforderungen der modernen Zeit stellen, wenn sie regieren, verkünden die Organisatoren des vergrößerten Vereins mit ihren Floskeln von Zukunft, wissenschaftlichem Fortschritt, Gestaltung und Offenheit, was sie wollen: Sie wollen im Geist einer zu konstruktiver Kooperation bereiten gesellschaftstragenden Kraft in allen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Belangen Mitverantwortung für die ‚moderne Arbeitswelt‘ übernehmen, also diese Verhältnisse nicht korrigieren, sondern sie passend, d.h. angepasst mitbetreuen.

Der neue Name und das so überaus moderne Firmenlogo ‚ver.di‘ bringen dieses Programm passend zum Ausdruck. Als berechtigt und befähigt ausgewiesen sein soll das neue Gebilde dadurch, dass es die bisher in einzelnen Branchengewerkschaften organisierten Mitglieder unter einem übergreifenden, gemeinsamen Gesichtspunkt versammelt, dem die gesellschaftliche Anerkennung einfach nicht versagt werden kann: Sie alle tragen das Gütesiegel eines neuen Berufsstandes, dem garantiert nicht mehr der Ruch des Proletarischen anhaftet, der von vornherein nicht mehr im Gegensatz zu irgendeinem anerkannten Interesse und schon gleich nicht im Gegensatz zum Kapital, sondern in einem durch und durch positiven Verhältnis zu den gültigen Belangen des ‚Allgemeinwohls‘ steht. Organisiert sein sollen da nicht Lohnabhängige im Dienste des Staates, des Kreditgeschäfts, der öffentlichen Medien- und Kommunikationsunternehmen, sondern Berufstätige, die gemeinsam mit ihren jeweiligen Dienstherren und unter deren Regie in Ämtern, Kaufhäusern, Banken, im Internetgewerbe und anderswo damit beschäftigt sind, gesellschaftliche Bedürfnisse zu bedienen: ‚Dienstleister‘, wie der Name schon sagt. Die Repräsentanten dieses Berufsstolzes auf nächsthöherer Ebene haben keine Schwierigkeiten, die Qualität der Dienste zu preisen, ohne auch nur ein ehrliches Wort darüber zu verlieren, dass sie über lauter Belastungen reden, die die dort Beschäftigten jetzt schon oder künftig noch zusätzlich zu bewältigen haben. Als verdienstvolle Mannschaft sollen sie gewürdigt sein, als solche müssen sie aber auch wissen, was sie verlangen können und was nicht, weil die Anforderungen der ‚Kundschaft‘ an diese ‚Dienstleistungen‘ noch allemal der Maßstab zu sein haben. Der neue ÖTV-Chef z.B. ist sich sicher,

„dass Übereinkunft in der Gesellschaft angesichts finanziellen Drucks auf die öffentlichen Haushalte, angesichts zu Recht veränderter Einstellungen bei den Bürgerinnen und Bürgern und angesichts der Erwartungen gegenüber dem, was der öffentliche Dienst leisten soll, nur dann neu begründet werden kann, wenn es uns gelingt, die Leistungsfähigkeit dieses öffentlichen Dienstes nachzuweisen und zu verbessern. Das, Kolleginnen und Kollegen, verlangt von uns allen einen Wechsel der Blickrichtung auch von außen nach innen, verlangt Öffnung in die Gesellschaft hinein, verlangt Selbstveränderung und verlangt einen entsprechenden Rahmen dafür.“ (Bsirske, ebenda)

Der Mann findet es selbstverständlich, dass das, was die Mitglieder des öffentlichen Dienstes verlangen können, von der allgemeinen Zustimmung abhängt, dass sie es wert sind. Das Recht, etwas zu fordern, muss also nach dieser Auskunft erst und je nach Lage immer neu verdient werden, indem die Mitglieder dieses Berufsstandes ihrem ideellen Auftraggeber, der Allgemeinheit steuerzahlender Bürger beweisen, dass sie die öffentlich verkündeten Nöte des Staates kennen, ernst nehmen und die daraus sich ergebenden Spar- und Leistungszwänge für sich gelten lassen.

Mit solchen und anderen programmatischen Reden geben die Propagandisten der neuen weltweit zweitgrößten Gewerkschaft ihrem Bedürfnis Ausdruck, noch viel mehr als die einzelnen Vereine bisher schon Vertretung eines angesehenen Berufsstandes, einer ganzen gesellschaftsdienlichen Abteilung von Berufen nämlich, zu sein. Deshalb zählt es zu den gewerkschaftlichen Erfolgen, dass es mit „ver.di“ endlich gelungen ist, den ehemaligen Konkurrenten DAG in die Reihen des DGB zurückzuholen; die DAG hat sich dafür um keinen Deut verändern müssen. Für diesen Typus gewerkschaftlichen Fortschritts finden sich dann auch die passenden Figuren – wie der neue ÖTV-Vorsitzende, vormals Stadtdirektor und Grünen-Politiker–, die sich bemühen, noch glaubwürdiger als ihre Vorgänger die Absage an den alten Stallgeruch zu repräsentieren, der dem Verein nach seinem eigenen Dafürhalten immer noch zu sehr anhaftet. Und bei diesem unaufhaltsamen Weg zu einer tragenden Institution der ‚modernen Diensleistungsgesellschaft‘ fällt sogar noch ein passendes Werbeangebot an die Mannschaft ab, die dafür als Basis neu gewonnen werden soll. Sie wird mit dem Versprechen bedient, der Verein werde selber als moderner Dienstleistungsbetrieb für alle möglichen sozialen, rechtlichen und Freizeit-Bedürfnisse fungieren, die für seine Klientel auf Basis der neuen Beschäftigungsverhältnisse entstehen und sich funktionalisieren lassen nach der Devise: Es gibt viel zu betreuen, zu versichern, rechtszuberaten …, wir packen’s an!

„Die Mitgliedschaft zahlt sich aus. Die Mitglieder werden eine breite Palette von Angeboten und Vorteilen genießen. Kompetente Beratung, Hilfe und Schutz am Arbeitsplatz bietet nur eine starke Gewerkschaft. Hinzu kommen viele Vorteile, die im Alltag und in der Freizeit nützlich sind.“ (HBV)
„ver.di kann die Dienstleistungen für Mitglieder verbessern. Besserer Service, bessere Beratung, besserer Schutz, besonders Rechtsschutz, sind auf Grund der zunehmenden Komplexität unserer Arbeitswelt geradezu unabdingbar.“ (Ex-ÖTV-Vorsitzender Mai)

Auch für Konkurrenz unter den vereinigungswilligen Einzelgewerkschaften ist ausreichend gesorgt: Sie dürfen sich darum streiten, wer in der neuen schlankeren Organisation Posten und Einfluss bekommt. Die Funktionärsversammlungen dürfen sich über die Perspektiven und die Bedeutung des eigenen Vereins im größeren Laden auseinandersetzen und auf gebührende Berücksichtigung pochen, was den alten ÖTV-Vorsitzenden sogar seinen Posten kostet. Und die innergewerkschaftliche Opposition darf noch ein letztes Mal das überkommene Selbstverständnis eines gestandenen Einzelgewerkschaftlers zum Ausdruck bringen:

„Es geht darum, ob wir zukünftig nur Dienstleistungsgewerkschaft sind oder ob wir eine Kampfgewerkschaft dann sein können, wenn wir eine Kampfgewerkschaft sein müssen.“ (ÖTV-Delegierter)
„Die Bildung der geplanten Mega-Dienstleistungsgewerkschaft beendet nicht die organisierte Spaltung der deutschen Gewerkschaftsbewegung, sondern verschärft diese. Gerade für die IG Medien, deren größter Teil ihrer Mitglieder nicht in ‚industrienahen Dienstleistungen‘, sondern in der industriellen Produktion arbeitet, muss der Zusammenschluss mit ‚reinen‘ Dienstleistungsgewerkschaften zu enormen Identitätsproblemen führen.“ (Mitglieder der IG Medien)

Das sind die Stimmen aus einer anderen Welt, die sich für die Besonderheiten ihres alten Vereins stark machen und dessen bekannt kämpferischen Charakter hochleben lassen, wo diese Vereine gerade um jeden Preis das ungeliebte Image loswerden wollen, bloß Gewerkschaft zu sein, mit der sich Proleten womöglich gegen die alltäglichen Zumutungen lohnabhängiger Beschäftigung zur Wehr setzen.