Schon wieder kein Fall von „Fluch oder Segen der Forschung“
Die Wissenschaft von den Genen, ihr kapitalistischer Gebrauchswert und die letzten Drangsale der abendländischen Moral
„Die Gentechnik“ – hört man – weckt bei vielen Zeitgenossen nebeneinander „Hoffnungen“ und „Befürchtungen“. Welche auch immer: wenn es so ist, sind sie auf alle Fälle falsch. Denn was „unser aller“ Leben wirklich bestimmt, Hoffnungen zunichte macht und manche Befürchtung dann doch nicht wahr werden lässt, ist ein für alle Mal nicht der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis, weder in ihrer grundsätzlichen noch in ihrer technologischen Abteilung, sondern das Ensemble gesellschaftlich herrschender Zwecke.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Schon wieder kein Fall von „Fluch
oder Segen der Forschung“
Die Wissenschaft von den Genen, ihr
kapitalistischer Gebrauchswert und die letzten Drangsale
der abendländischen Moral
„Die Gentechnik“ – hört man – weckt bei vielen Zeitgenossen nebeneinander „Hoffnungen“ und „Befürchtungen“. Welche auch immer: wenn es so ist, sind sie auf alle Fälle falsch. Denn was „unser aller“ Leben wirklich bestimmt, Hoffnungen zunichte macht und manche Befürchtung dann doch nicht wahr werden lässt, ist ein für alle Mal nicht der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis, weder in ihrer grundsätzlichen noch in ihrer technologischen Abteilung, sondern das Ensemble gesellschaftlich herrschender Zwecke. Die determinieren mit so gar nicht natürlicher Gesetzmäßigkeit, welcher Gebrauch unter anderem eben auch von richtiger Theorie und neu entwickeltem technischem Können gemacht wird.
I.
Mit der Genforschung vollendet die Biologie ihren Fortschritt von der Entwicklung und Systematisierung allgemeiner Vorstellungen von ihren Gegenständen und allerlei teleologischen Spekulationen über „Triebkräfte“ „des Lebens“ zur Wissenschaft von den biochemischen Gesetzen, nach denen die Selbstorganisation, der Stoffwechsel, die Reproduktion und die Diversifizierung von Organismen abläuft. Dass die viel bewunderte Zweckmäßigkeit im Bau sowie im Selbsterhaltungs- und Reproduktionsprozess lebender Dinge das Ergebnis nicht einer zwecksetzenden und gestaltenden Vernunft – bzw. eines wie auch immer gearteten mysteriösen Äquivalents – in der Natur, sondern einer chemisch verursachten, durch interne und externe Funktions- und Bestandsbedingungen selektierten und „optimierten“ Verkettung von Kombinationen und Reaktionen zwischen organischen Molekülen ist, das haben Generationen von Wissenschaftlern erst mehr postuliert als nachgewiesen, dann immerhin stückweise aufgeklärt – aus medizinischem Interesse vor allem am Menschen und seinem Stoffwechsel. Vollständig herauszukriegen und darzustellen, wie eine Zelle funktioniert und wie es von einer befruchteten Eizelle zum fertigen Organismus kommt, welche Determinanten da am Werk sind und welche „Unschärfen“ die programmierte Selbstentfaltung eines Organismus – bis hin zur abschließenden Selbstzerstörung – enthält, so dass inmitten eines naturgesetzlich voranschreitenden Syntheseprozesses individuelle Modifikationen an der Tagesordnung sind, Mutationen im Genom stattfinden, sogar neue Arten von Lebewesen entstehen können, gezielt und im Sinne bewusster Zwecksetzungen erfolgreich in das Reproduktionsschema eines Organismus eingegriffen werden kann: Das ist das Programm der modernen Bio-Wissenschaft.
*
Für diese Disziplin gilt übrigens – wie für jede Naturwissenschaft –, dass die angestrebte wissenschaftliche Erklärung biologischer Gebilde und Vorgänge zwar alle Mal dafür gut ist, schon zu Beginn eines Lebensprozesses oder eines Eingriffs über die möglichen Folgen und Ergebnisse Bescheid zu wissen; dieser praktische Nutzen ist jedoch nicht dasselbe wie die wissenschaftliche Erklärung selber; und schon gleich fällt er mit dem Nutzen nicht zusammen, den die maßgeblichen gesellschaftlichen Interessenten an der praktischen Nutzbarmachung des Wissens der Naturforscher im Auge haben. Insofern sind die Genforscher keineswegs verantwortlich für alles, was findige Geschäftsleute aus ihren Forschungsresultaten zu machen verstehen; und für den Staat, der über das kapitalistische Geschäftsleben seine schützende Hand hält, können sie ebenso wenig wie für die Verrücktheiten und moralischen Zynismen, mit denen die Errungenschaften ihrer Disziplin im sittlichen Überbau ihrer Nation Aufnahme finden. Ihre ganz eigene Leistung allerdings ist die berechnende Experten-Einfalt, mit der sie sich freiwillig und zustimmend den auch ihnen nicht wirklich verborgenen Zwecken ihrer Geld- und Auftraggeber dienstbar machen.
II.
Die Gentechnologie setzt Ergebnisse der Genforschung theoretisch ins Verhältnis zu praktischen Interessen am Ablauf und Ergebnis biologischer Prozesse und erfindet Methoden und Instrumente für dem jeweiligen Zweck gemäße manipulative Eingriffe in das interessierende biochemische Geschehen. Öffentlich beliebt macht sich dieser Forschungszweig dadurch, dass seine Vertreter von den Interessen, denen sie dienstbar sein möchten, grundsätzlich nichts anderes mitbekommen haben wollen als lauter edle, menschheitsbeglückende Absichten; denen stellen sie, oft genug auch das wider besseres Wissen und bewusst zwecks Akquisition von Forschungsgeldern, eine perfekte Beherrschung der biologischen Materie in Aussicht, wie sie teils nach dem Stand der Forschung noch in weiter Ferne liegt, teils durch den mittlerweile erreichten Stand der Forschung zumindest bis auf weiteres ausgeschlossen wird. Diese berechnende Selbstanpreisung macht die Errungenschaften, die die Gentechnologie bereits vorzuweisen oder in Arbeit hat, weder falsch noch unanwendbar, wirft aber ein bezeichnendes Licht sowohl auf die Skrupellosigkeit, mit der Protagonisten dieser Wissenschaft in ihrem Diensteifer von den Interessen, denen sie zu Diensten sind, wohlwollend abstrahieren – offenbar ist ihnen jeder Geldgeber recht –, als auch auf das zu bedienende Interesse selbst: Dem sind offensichtlich umgekehrt um seines Nutzens willen alle Mittel recht.
III.
Die „Bio“-Industrie, aus der Medizin- und Agrar-Sparte vor allem, die sich gentechnologischer Errungenschaften bedient und die einschlägige Forschung vorantreibt, hat daran einen Gebrauchswert ausfindig gemacht, der über Natur, Wissenschaft und Technologie und vor allem über jeden physischen Nutzen, der damit zuwege zu bringen ist, grundsätzlich erhaben ist. Er hängt deswegen auch nicht davon ab, dass ein wirklicher medizinischer, ernährungspraktischer oder sonstiger Gebrauchswert der vorliegenden Forschungsergebnisse einwandfrei ermittelt und der Gegenstand vollständig genug begriffen ist, um vor unerwünschten Effekten seines Gebrauchs sicher zu sein oder sie zumindest sicher kalkulieren zu können, sondern macht umgekehrt die Ermittlung derart gegenständlicher Gebrauchswerte und die Abschätzung der Folgen ihres Gebrauchs von sich abhängig: Es geht um das mit Gentechnik zu verdienende Geld. Denn das hat der Unternehmergeist, der die globale Marktwirtschaft beherrscht, aus den ehrlichen Ergebnissen wie den berechnenden Selbstanpreisungen der modernen Biowissenschaft sogleich als deren wahre und eigentliche, nämlich ökonomische Verheißung herausgehört: Da winkt eine ganz neue Gattung von Geschäftsartikeln. Errungenschaften wie Versprechungen der Forschergemeinde werden von den Managern des Interesses, das den ökonomischen Lebensprozess des Globus diktiert, als Mittel gewürdigt, um im Kampf um die Kaufkraft der Weltgesellschaft eine neue Front zu eröffnen.
Diese Würdigung fällt – nach Maßgabe einer Marktanalyse, die alle kommerziellen Chancen und Risiken bis ins Letzte abwägt – im Allgemeinen so positiv aus, dass die bereits einschlägig engagierten Konzerne viel Kapital in die neue Sphäre umlenken und die Börsenspekulation sich schon wieder auf ein neues Betätigungsfeld stürzt. Im Besonderen gibt das spekulative Geschäftsinteresse dem willigen Forschergeist die praktischen Fragestellungen vor, für deren Beantwortung er mit materieller Ausstattung und persönlichen Anreizen rechnen darf, aber auch gleich die Grenzen an, bis zu denen das Interesse an unvoreingenommener Forschung reicht: Marktgängig müssen die Anwendungen sein, die die Wissenschaft aus dem Genom herausdestilliert, das ist die Hauptsache; marktreif sind sie, sobald sich mit ihnen Geld verdienen lässt, ganz gleich, ob die Forschergemeinde nach ihren immanent naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten mit ihrem Gegenstand ansonsten schon fertig ist und wenigstens theoretisch seine Funktionsbedingungen und Wirkungen einigermaßen vollständig im Griff hat. Die längst etablierte kapitalistische Errungenschaft, zweckmäßig zwischen geschäftlich ausnutzbarer „Haupt-“ und um derentwillen vernachlässigbarer „Nebenwirkung“ zu unterscheiden, kommt in großem Stil zur Anwendung.
*
In ihrer ‚klassischen‘ Bio-Technologie
haben es die Forscher bereits ohne den Eingriff ins
Erbmaterial zu einigen nutz- und geldbringenden
Anwendungen gebracht. Sie regeln Wachstum und Vermehrung
von Bakterien, Schimmelpilzen und anderen Mikroben
planmäßig und herrschen ihnen einen zellularen
Stoffwechsel auf, der sie – nach dem Muster der bekannten
alkoholischen Gärung – verwertbare Zwischen- und
Endprodukte ihres Stoffumsatzes in großen Mengen
ausscheiden lässt. Dass sich diese einfachsten Lebewesen
gegen ihre Indienstnahme als Brutmaschinen nützlicher
Stoffe als wenig sperrig erweisen, hat darin seinen
einfachen Grund, dass sie von Haus aus nichts anders
sind, ihr Organismus – Zell-Wachstum und Vermehrung – mit
dem Stoffumsatz und den chemischen Umwandlungsprozessen
in der Zelle zusammenfällt. Nach entsprechender
Massenkultivierung der produktiv gemachten Einzeller
lassen sich so mikrobiell erzeugte Chemikalien und
Proteine gewinnen, die beispielsweise als fettabbauende
Enzyme und geschmacksverstärkende Aminosäuren
geschäftlich interessant sind und die kapitalistische
Warensammlung um fast echt schmeckende Lebensmittel und
Waschpulver bereichern. Gegenüber den etablierten
chemischen Produktionsverfahren bleibt der Nutzanwendung
von produktiven Mikroben allerdings nur ein Nischendasein
reserviert. Nach kapitalistisch sachverständiger Auskunft
liegen die Geschäftsaussichten dieser Abteilung der
Bio-Technologie weniger im Bereich der
Massenchemikalien
, der durch einen harten
Wettbewerb mit chemischen Syntheseprodukten
gekennzeichnet ist
. Mit der Schlagkraft der
chemischen Produktion, die heute Petrochemie ist, können
die zellularen Brüter nicht mithalten, ihr
Wirtschaftspotential
liegt auf der Seite so
genannter Feinchemikalien
, die durch chemische
Synthese nur schwer oder aufwendig oder gar nicht
hergestellt werden können, zumeist nur in geringen Mengen
benötigt werden, oft aber doch sehr hochwertig
sind. Dass Thiobacillus ferrooxidans auch noch
aus Bergwerksabraum die letzten Reste an metallhaltigem
Tauschwert heraus laugen kann, ein anderes Bakterium
krebserzeugendes Benzol als Nährstoff akzeptiert und sich
so für einen Einsatz in der aufstrebenden Branche der
Sanierung von Mülldeponien empfiehlt, ist zwar fein, hält
den geschäftlichen Einsatzbereich der kleinen
Allesfresser aber doch in Grenzen.
**
Ganz anders dagegen die Aussichten, mit Hilfe
gentechnisch veränderter
Organismen
dem Profit in einer kapitalistischen
Produktionssphäre wie der industriellen
Landwirtschaft zu dienen: Indem neue Merkmale in
die kapitalistisch genutzte Pflanzen- und Tierwelt
transferiert werden, lassen sich gentechnisch die
Umschlagsgeschwindigkeit des in der Landwirtschaft
tätigen Kapitals beschleunigen, seine Produktionskosten
senken und der Ertrag steigern. Mais und Raps können
resistent gegenüber Schädlingsbefall gemacht und
gentechnologisch auch noch so tolerant
gegenüber
speziellen Herbiziden eingestellt werden, dass der
Saatgut-Multi auch noch an seinem Monopol auf die einzige
Spritzchemie verdient, welche die Pflanzen vertragen;
Nutzpflanzen mit gentechnisch bewirkten
Qualitätsänderungen, mit eingebauter Reifungsverzögerung,
mit Selbstdüngung und Standortanpassung, mit
Virusresistenz, veränderten Ernährungswerten und sogar
Pflanzen, die Impfstoffe produzieren, werden zum Teil
schon geschäftsdienlich verwertet, zum Teil sollen sie
dies demnächst unbedingt werden. Die erforderlichen
Mittel und Methoden dieses genetic engineering
–
vom Gen-Transportmittel und Selektionsverfahren
angefangen bis hin zur Klonierung des transgenen
Pflanzentarget und seiner Auszüchtung – sind inzwischen
jedenfalls optimiert und standardisiert, und damit kann
man dann ja schon einmal loslegen. Zum Beispiel so, dass
man die Zellwand von Mais und Reis gezielt mit so
genannten Gen-Kanonen
beschießt und mit Hilfe von
Goldkügelchen durchdringt, auf denen das Giftgen des
Bacillus thuringiensis (Bt) haftet, das
für ein Schädlingsbekämpfungsmittel codieren soll – ob
und an welcher Stelle es im Pflanzenerbgut eingebaut
wird, bleibt dem Zufall überlassen, manch anderes damit
auch. Aber das liegt in der Natur der Sache und ist
insofern kein Einwand gegen die Nutzung des technischen
Fortschritts. Das kapitalistische Interesse an nützlichen
Leistungen kann schließlich vorankommen, ohne dass man
dafür einen Positionseffekt mit seinen
Auswirkungen
oder andere Bedingungen ganz verstanden
und im Griff haben müsste: Da helfen zusätzlich
eingeschleuste Marker wie Antibiotika-Resistenz-Gene, mit
denen sich später herausfinden lässt, ob die
Gen-Übertragung angeschlagen hat. Das dafür nötige
Screening
, das Durchforsten auf das transgene
target
und die übrigen Stufen der transgenen
Saatgutentwicklung sind inzwischen immerhin so
hinreichend beschleunigt und kosteneffizient, dass die
geschäftliche Freisetzung gentechnisch manipulierter
Organismen nicht an deren Preis scheitern muss.
An begleitender Forschung über beispielsweise die Frage,
ob transgene Maislinien negativ auf
Nicht-Zielorganismen wirken
, fehlt es
selbstverständlich nicht. Schließlich weiß man bei den
verantwortlichen Sicherheitskommissionen, dass mit der
Freisetzung des Bt-Mais auch sein giftiges Genmaterial
ziemlich unwiderruflich freigesetzt wird und sich so
leicht nicht wieder einsammeln lässt. Also kümmern sich
Bundesforschungsanstalten um die Übertragungswege auf
Mensch und Natur – nicht nur wegen möglicher
gesundheitlicher und ökologischer Risiken
, sondern
allein schon wegen der Abklärung der kommerziell schwer
wiegenden Frage, ob und mit welchem
Sicherheitsabstand
sich das agrarische Eigentum
von Bauern einigermaßen separieren lässt vom gentechnisch
modifizierten Privateigentum der Konkurrenz. Die
Verbreitung der genmanipulierten Organismen durch Samen,
Pollen, Bakterien und höhere Tiere wird ebenso studiert
wie die Konkurrenzfähigkeit des neuen Erbguts in der
Natur; das Auskreuzungs-
und
Hybridisierungsvermögen
auf verwandte Unkräuter
und Wildpflanzen wird in Erwägung gezogen und am
laufenden Feldversuch untersucht, gleichfalls das
allergene Potential
, das durch die neuartigen
Proteine in die Lebensmitteln gelangt; selbst der
horizontale Gentransfer
von Antibiotika-Resistenzen
in die Darmbakterien des Menschen wird nicht vergessen.
Dass da einiges denkbar ist, weiß man also ziemlich
sicher; davon, dass man deswegen nicht gleich in jedem
Fall immer mit dem Schlimmsten rechnen muss, geht man
aus: Nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit rechnet die
Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) das
Übertragungsrisiko
aus; es ergibt sich eine
hinreichend niedrige Zahl im Verhältnis zur
Vermehrungsrate der veränderten Mikroben; und damit ist
gemäß der Gaußschen Normalverteilung des menschlichen
Ermessens erhärtet, dass ein so äußerst seltenes
Ereignis
viel leichter wiegt als die viel
wahrscheinlicheren geldwerten Erträge, die aus der
Anwendung des gentechnologischen Fortschritts
resultieren. Zumal ja auch zu bedenken ist, dass
Allergien und Resistenzen gegen die als Marker
verwendeten Antibiotika ohnehin schon weit verbreitet
sind
. Daher ist bei der fürsorglichen Gewichtung
aller Vor- und Nachteile auch die folgende Logik nur
logisch: Transgener Bt-Mais richtet erst einen Schaden
an, wenn er gleich schädlich oder schädlicher wirkt als
herkömmliche Pestizide. Da die Wahrscheinlichkeit klein
ist, dass Bt-Mais schädlicher auf Nicht-Zielorganismen
wirkt als chemische Pestizide, ist schließlich auch das
Risiko klein.
(Opinion of the
„Scientific Commitee on Plants“ on the invocation by
Austria)
Dass die europäischen Staaten sich noch nicht zur
Freisetzung der kapitalistisch ertragreichen Nutzung des
herbizid- und insektenresistenten Genmaterials
durchgerungen haben, ist nicht allein den
volksgesundheitlichen Fürsorgepflichten zu verdanken, von
denen im nächsten Punkt die Rede ist. Man ist hierzulande
eben noch nicht so weit, um sich auf dem von den USA
dominierten Weltmarkt für transgene Pflanzenprodukte
große Chancen auszurechnen. Also lässt man die Konkurrenz
erst dann zu, wenn man sie auch gewinnen kann: Bis auf
weiteres herrscht ein Moratorium im europäischen Anbau –
bei gleichzeitiger Förderung der Entwicklung transgenen
Saatguts der nächsten Generation. Bis diese fertig ist,
bleibt der Weltmarkt für grüne Gentechnik
-Produkte
der ersten Generation für Amerikas Bauern auf ihr eigenes
Land beschränkt – und der WTO-Tagesordnung ein
europäisch-amerikanischer Streitgegenstand erhalten.
Was die zweite Abteilung der landwirtschaftlichen Nutzung
von Genen betrifft: die Kunst, höhere Organismen wie etwa
Federvieh und Schweine gentechnisch dazu zu bringen,
intrazellular die nötigen Wachstumshormone selbst zu
bilden und sich im Übrigen resistent gegen die
kostentreibenden Krankheiten einer rentablen Massentier-
und Käfighaltung zu machen: Da sträubt sich die Natur des
Viehzeugs noch ein wenig zu sehr dagegen, einfach nur die
mit den veränderten Genen kapitalistisch nützliche
Eigenschaft auszuprägen und ansonsten alles beim Alten zu
lassen, was den Organismus und seine biologischen
Funktionen betrifft. Da ist die Forschung die Klärung
noch schuldig, warum das Vieh im Regelfall die schädliche
Neben- als Hauptwirkung ausbildet, oder die
mikroinjizierten neuen Gene einfach nicht annimmt und
lieber gleich als befruchtete Keimzelle zugrunde geht als
später an der unkontrollierten
Genexpression von
Wachstumshormonen in den adulten Zellen.
***
Nichts schuldig dagegen bleibt die Forschung bei der
Produktion von Techniken und Fertigkeiten, die sich in
der pharmazeutischen Industrie
geschäftlich viel versprechend nutzen lassen. Der Einsatz
der Gentechnik für das Weltgeschäft der Pharmakonzerne im
Kampf gegen Krebs, Herz- Kreislauferkrankungen, Allergien
und Alzheimer war bislang auf die Erzeugung vor allem von
hochwertigen Wirkstoffen ausgerichtet, die in der
Humanmedizin nur in relativ kleinen Mengen für
Medikamente verfügbar sein müssen und die – wenn
überhaupt – allenfalls sehr kostenaufwendig aus dem Blut
oder Gewebe von Menschen und Tieren isolierbar waren. Die
biotechnologisch erst möglich gemachte Produktion solcher
wertvoller
therapeutischer Proteine wie
Interferon, Humaninsulin und EPO aus gentechnisch
veränderten E.coli-Bakterien oder Säugerzell-Linien hat
so den Multis des globalen Heilens mit den darauf
basierenden Medikamenten pharmazeutische
Blockbuster
beschert, die ganz zwangsläufig ein
Bombengeschäft garantieren. Der Durchbruch zum
unschlagbaren Geschäftsmittel, das der Pharmabranche nach
allgemeiner Auffassung das Tor zu einer goldenen
Zukunft
aufstoßen soll, ist der Biotechnologie
allerdings erst mit ihrem Erfolg bei der Sequenzierung
des Bauplans des Lebens
gelungen: Bei der
Erforschung und Herstellung neuer Medikamente zeichnet
sich ein Paradigmenwechsel statt. Das chemische wird
durch ein biotechnologisches abgelöst: Aus den weltweiten
Genomsequenzierungsaktivitäten lässt sich eine große Zahl
neuer Wirkorte für Medikamente identifizieren. Mit Hilfe
neuer hocheffizienter Screening-Systeme können
Wirkstoffkandidaten wesentlich schneller auf positive
Effekte überprüft werden…
(BmBuF) Darauf läuft also
die Umwälzung der marktwirtschaftlich produzierten
Heilkunst hinaus, die der Erforschung des humanen Genoms
zu verdanken ist: Die Produktpipeline
, mit der
Pharmakonzerne ihren geschäftsträchtigen Umsatz machen,
braucht kontinuierlich Nachschub, weil laufend Patente
verfallen und damit die ökonomische Hauptwirkung der
Medikamente, nämlich die auf den Gewinn des Unternehmens.
Jährlich wollen mindestens zwei neue Wirkstoffe auf den
Markt gebracht sein, was nach der bislang gängigen
Ausfallrate einen zehnfach größeren Bedarf nach neuen
targets
bedeutet. Den Wettlauf mit der Konkurrenz
um diesen moralischen Verschleiß von so sündhaft teuer
entwickelten Medikamenten, deren exklusive
Nutzungszeit
– wie auch das Bundesministerium für
Bildung und Forschung weiß – infolge der
Wettbewerbsintensität der Branche sowieso laufend
sinkt
, gilt es zu gewinnen. Und wie? Eben durch seine
Beschleunigung, indem die Abteilung Pharmacogenomics mit
der Suche in allen genomischen Datenbanken der Welt jede
Menge genetischer Fehlfunktionen
, also
patentierfähige Wirkstoffziele produziert, die dafür
passenden Wirkstoffe in anderen chemischen Datenbanken
aufspürt und so den Kapitalvorschuss für den langen
Entwicklungsweg
von Heilmitteln hin zum Profit zu
verringern hilft.
Kurzfristig zeigte man sich ja darüber enttäuscht, dass
von den Humangenom-Projekten die Zahl der menschlichen
Gene auf nur
30000 geschätzt wurde – keinesfalls,
weil homo sapiens so betrachtet der Fruchtfliege und dem
Wurm doch ziemlich nahe steht. Sondern weil von diesen so
wenigen sich allenfalls 3000 Gene als lohnende Ziele
für die Entwicklung von Medikamenten eignen könnten
(Science Bd. 291, 2001).
Inzwischen kann die Pharmaindustrie wieder aufatmen, denn
ihr Geschäftsobjekt bleibt ihr in jedem Fall erhalten:
Nicht Gene, sondern die Wechselwirkung der daraus
hergestellten Proteine sind der Schlüssel zum Körper.
Zwischen 100000 und 250000 Proteine könnten aus den Genen
entstehen. Das macht die Sache schwieriger. Proteinsucher
sind jetzt begehrt.
(Verband
Forschender Arzneimittelhersteller) Und über den
bestimmenden Zweck und Inhalt des Interesses, dieses
‚Schlüssels zum Körper‘ unbedingt habhaft zu werden,
klärt dann einer dieser ergebnisorientiert forschenden
Kollegen auf. An dem wissenschaftlichen Fortschritt –
das genetische Dogma von Francis Crick, ein Gen, ein
Protein oder DNA macht RNA, RNA macht ein Protein mit
einer biologischen Funktion, gilt also in der
apodiktischen Form nicht mehr
– interessiert ihn
sogleich, was denn dann von den erhofften Angriffsstellen
für neue Medikamente übrig bleibt. Und siehe da, die
Errungenschaften der Proteinforschung garantieren ihm,
dass den maßgeblichen Geschäftsinteressen das menschliche
Genom als riesiger Freiheitsraum einer möglichen
profitablen Verwertung erhalten bleibt: Das lässt
viele Unternehmen hoffen, da damit die Zahl der möglichen
Angriffsstellen (targets) für eine Medikamenten- oder
Diagnostikentwicklung sehr viel umfangreicher bleibt und
weiter Investitionen aussichtsreich erscheinen lässt.
(Deutsches Ärzteblatt, Heft 31/32,
2001) Auch wenn man mit dem Wissen über sein
Genmaterial erst am Anfang stehen mag: für die
Geschäftsaussichten der pharmazeutischen Industrie ist
der Mensch überhaupt kein Rätsel mehr. Unter den
Auspizien seiner kapitalistischen Verwertbarkeit
betrachtet, entpuppt sich der hochkomplizierte
menschliche Organismus
als Multiplikationsaufgabe für
Grundschüler: Vier bis fünf Gene, die man als
verantwortlich für jeweils eine seiner 100 bis 150
Krankheiten annimmt
, welche von Interesse für
die pharmazeutische Industrie oder das Gesundheitssystem
sind
– das ist für einen studierten Dr. med.
der entscheidende Unterschied zwischen diesen Krankheiten
und denen, die in Afrika und anderswo Millionen
dahinraffen: weil am Heilen nichts verdient
wird, wird dort weiter an Malaria gestorben! – machen
exakt eine Summe von 5000 bis 10000 potenziell
interessanten, ökonomisch bedeutungsvollen
Genprodukten
(ebd.), also
in jedem Fall schon einmal gesunde Bilanzen.
IV.
Die Regierungen aller bedeutenden nationalen Kapitalstandorte auf dem Globus teilen die Einschätzung ihrer praktizierenden Fachleute für ertragreiches Wirtschaften und unterstützen die Entstehung der neuen Geschäftssphäre, die so viel auch national zu Buche schlagenden Konkurrenzerfolg auf dem Weltmarkt verspricht. Erstens mit nationalen Haushaltsgeldern, die in solche Abteilungen der Genforschung und -technologie fließen, die für die globale Markt-Führerschaft einerseits notwendig, andererseits von lohnender Anwendung – noch – zu weit entfernt sind, als dass vorsichtige Spekulanten dafür den nötigen Vorschuss hergeben würden. Die anderen Abteilungen, die bereits gewinnträchtig erscheinen, werden mit einem fortentwickelten Patentrecht bedient, das nicht bloß bestimmte Produkte und Verfahren, sondern auch ausfindig gemachte biochemisch determinierende Genom-Abschnitte selber, deren Wirkungsweise und Funktion für den Gesamtorganismus noch gar nicht komplett ermittelt sein muss, dem Entdecker auf Zeit für Zwecke der geschäftlichen Ausnutzung reserviert. So trägt die Gesetzeslage dem für die neue Branche typischen Verhältnis zwischen vorauseilendem kapitalistischem Verwertungsinteresse und nacheilendem wissenschaftlichem Erkenntnisstand sehr passend Rechnung. Das dritte Feld, auf dem die Staatsgewalt tätig wird, betrifft die Schäden und Risiken, die aus diesem Verhältnis unweigerlich erwachsen: Der als selbstverständliche Nebenwirkung akzeptierten Skrupellosigkeit des als Hauptwirkung erwünschten kapitalistischen Gewerbes werden mit Blick auf gefährdete andere Rechtsgüter Grenzen gezogen und Rücksichten auferlegt. Bei ihren diesbezüglichen Abwägungen orientieren sich die politisch Verantwortlichen an ihrem überragenden nationalen Interesse, im Kampf um den neuen Wirtschaftszweig mit der großen kommerziellen Zukunft den konkurrierenden Kapitalstandorten keinen Wettbewerbsvorteil einzuräumen. Weil manches Großexperiment dennoch für den eigenen Volkskörper zu brisant erscheint, kommen bisweilen Staaten der verelendeten „3. Welt“ unverhofft in den Genuss einer Teilhabe an wissenschaftlich wegweisenden „Freilandversuchen“. Viertens schließlich haben Staaten von imperialistischem Rang und Gewicht für sich noch einen ganz speziellen Nutzen der Genforschung und -technologie entdeckt: Sie kümmern sich darum, dass der Fortschritt des Wissens auch den Waffen zugute kommt, die sie in ihren Arsenalen zur biologischen Kriegsführung für den Ernstfall bereithalten.
*
Weil mit den Genen große Geschäfte gehen und
möglicherweise noch mehr und noch größere Geschäfte gehen
können, erfreut sich die Molekularbiologie
staatlicherseits einer sehr interessierten Würdigung:
Eine Zukunftstechnologie hat man nach
allgemeinem Dafürhalten hier vor sich. Diese Würdigung
nimmt – wie der Name verrät – nur bedingt Maß am Umfang
des bereits laufenden Geschäfts mit der Gentechnik. An
alles, was an profitabler Nutzung von Zellkernen und
Mikroorganismen schon unterwegs ist oder sich als
demnächst machbar
abzeichnet, heftet sich die
Spekulation, in Gestalt der Biotechnologie ganz generell
über die Waffe zu verfügen, die einem in der
Konkurrenz auf dem Weltmarkt einen durchschlagenden
Erfolg sichert: Weil sie erstens neu und zweitens noch
längst nicht fertig ist, ist sie schon jetzt für jede
Menge von viel versprechenden Erwartungen gut, auf neuen
und riesig wachsenden Märkten ganz viel Geld zu
verdienen. Da macht es wenig aus, dass diese gigantischen
Wachstumspotentiale
nach Umfang und Beschaffenheit
noch gar nicht abzusehen sind. Besetzt werden müssen sie
auf jeden Fall – schon allein deswegen, weil auch alle
anderen konkurrierenden Nationen die Fortschritte der
Biologie in gleicher Weise interessant finden: Wo es um
das anspruchsvolle Ideal der Monopolisierung
einer glatt für konkurrenzentscheidend
befundenen Technik geht, kann und will Deutschland den
USA, Großbritannien und anderen das Feld nicht überlassen
– umgekehrt umgekehrt.
Für dieses Ideal werden alle der miteinander
konkurrierenden Staaten aktiv und engagieren sich für den
Geschäftserfolg ihrer Pharma-Konzerne: Mit monetären
Forschungsmitteln
für öffentliche Institutionen
wie für private Unternehmen sponsern sie den technischen
Fortschritt und springen dort ein, wo Finanzkapitalisten
aufgrund ihrer Renditeerwartungen noch allzu
zurückhaltend sind, die Masse privat angelegten
Risikokapital zu wünschen übrig lässt oder die Anlage
ganz unterbleibt. Weil das Vorhaben, mit einer noch gar
nicht vollständig erforschten und beherrschten Biotechnik
gleich den ganzen Weltmarkt in Beschlag zu nehmen, in
jeder Hinsicht sehr ambitioniert und daher vor allem
teuer ist, verstehen sich die Hand voll Staaten, die sich
da für die Zukunft große Geschäfte ausrechnen,
einstweilen auf eine gewisse Kooperation in
Sachen Genforschung. Die Zusammenarbeit zwischen USA und
Europa im Humangenom-Projekt zielt darauf, auch an den
Forschungsfortschritten der Konkurrenten teilzuhaben und
dabei die finanziellen Lasten des eigenen Aufwands zu
mindern – freilich um den Preis einer entsprechenden
Gegenleistung gegenüber den Partnern. Kooperation ist der
Weg, der Sieg über den Konkurrenten das Ziel, dessen
Erreichen allerdings auch noch an anderer Stelle
erheblichen staatlichen Regelungsbedarf aufwirft.
**
Dem Umstand, dass, wie die Erkenntnisse der
Naturwissenschaft selbst, so auch deren praktische
Anwendung den Interessen des Privateigentums
untergeordnet sind und sich als dessen Mittel zu bewähren
haben, tragen die Hüter der kapitalistischen Standorte
Rechnung: Mit ihrem Patentrecht sorgen
sie dafür, dass von allgemeinem Wissen zeitweilig
ausschließender Gebrauch gemacht werden kann, eine
erfinderische Leistung mit gewerblichem Nutzen zum
Eigentum ihres Urhebers erklärt wird und der dann sein
Wissen so nutzen kann wie den Rest seines geldwerten
Besitzes: als Hebel, sein Geld zu vermehren. Diesen
bewährten Brauch, rührigen Geschäftsleuten den Aufwand
ihrer Bemühungen um die Herstellung gewinnträchtiger
technischer Verfahren und Geräte durch deren rechtlich
geschützte exklusive Nutzungsmöglichkeit zu entgelten,
gilt es dem Umstand anzupassen, dass sich im Fall der
Gentechnologie ein anderer, im Patentrecht ebenfalls gut
bewährter Brauch, zwischen – nicht patentierbaren –
Entdeckungen und – patentierbaren –
Erfindungen zu unterscheiden, als sehr
kontraproduktiv erweist: Der gerade in diesem
Forschungszweig wirksame Wahn, wissenschaftliche
Forschung und wirtschaftliche Nutzung der
Forschungsresultate für so gut wie ein und dasselbe zu
nehmen, ebnet diese bislang geltende Scheidelinie ein.
Und wo die Spekulation auf die geschäftliche Nutzung
eines Stücks Natur dazu drängt, sich das Urheberrecht auf
alle möglichen künftigen erfinderischen Anwendungen zu
sichern, lässt der Gesetzgeber sich nicht bitten. Er
macht sich auch hier zum Patron des technischen
Fortschritts, der dem Profit dient, und ergänzt den
Widerspruch eines „geistigen Eigentums“ um das Paradox
eines Stoffpatents
, das die Identifizierung eines
Gens, also eines Naturstoffs, wie eine
gewerbliche Erfindung behandelt, also als patentfähig
erachtet. Und damit die Spekulation auf profitliche
Verwendungsweisen von Organischem nicht die tatsächlich
verwertbare Anwendung ersetzt, verlangt das neue
Biopatentgesetz, dass der Goldrausch in den Laboratorien
wenigstens eine gewerblich nutzbare Anwendung
eines Gens im Antragsformular darlegt, die halbwegs
plausibel anmutet – patentiert wird dann das Gen, nicht
die Anwendung: Ein Patent (auf das Gen) werde nur
erteilt, wenn der Anmelder die Funktion des Genabschnitts
und auch seine gewerbliche Anwendbarkeit beschreibe.
Allgemeine Angaben zur gewerblichen Verwertbarkeit, etwa
die Formulierung ‚für medizinische Zwecke‘ reichten daher
nicht aus.
(FAZ, 21.6.01)
Das gewährte Recht auf die wirtschaftliche
Gesamtverwertung eines Gens darf die Nutzung einer
gefundenen Anwendungsmöglichkeit freilich nicht
behindern, so dass von konstruktiven Kritikern der
staatlichen Gesetzgebung darauf gedrängt wird, dass schon
auch einzelne Anwendungen
patentrechtlichen
Monopolschutz genießen müssen. Wie auch immer die
amtliche Vorsorge für die profitable Nutzung der
Erkenntnisse vom Innenleben der Zelle ausfallen wird: Die
nationalen Patentwächter werden sich schon deshalb
einigen, weil sie für dasselbe Interesse wirken. Die
Entscheidung von Eigentumsfragen beim Forschen und Denken
zielt nämlich auf Wachstum, und zwar – hier wie sonst
auch überall – gegen andere. Mindestens ein
europäisches, besser noch ein internationales Patentrecht
muss also her, damit deutsche Biotechnologie
patentbewehrt den Weltmarkt besetzt und die Konkurrenz zu
Lizenznehmern degradiert: Inzwischen hat ein
industrieller Wettlauf um die Gewinnung und Verbreitung
genetischer Informationen eingesetzt. (…) Die Motive der
Bundesregierung, die Biopatentrichtlinie alsbald
umzusetzen, liegen auf der Hand: Deutsche und europäische
Unternehmen verlagern zusehends ihre Forschungs- und
Entwicklungsaktivitäten nach Übersee.
(FAZ, 21.6.01)
***
Die Wege, die der wissenschaftliche Fortschritt unter staatlicher Obhut geht, bringen gewisse Risiken mit sich. Die Menschen, die da in ihrer phänotypischen Ausprägung als Teilnehmer einer Marktwirtschaft zugange sind, sind nämlich weniger in der Rolle des Nutznießers an diesem Fortschritt beteiligt. Sie sind als Mittel vorgesehen, soweit sie als Produzenten und erfinderische Helferlein für schwarze Bilanzen der Biotechnologiekonzerne zu sorgen haben, und als Objekt, insofern sie als Konsument oder bloßer Bewohner des Standorts in den Genuss der beabsichtigten wie unbeabsichtigten Wirkungen des Geschäfts mit der Gentechnik kommen. Und als diese Mittel und Objekte genießen sie eigens nochmals staatlichen Schutz in Gestalt der rechtlichen Vorschriften, denen die wissenschaftliche wie geschäftliche Experimentierfreude mit Genmaterial nach staatlichem Willen zu unterliegen hat.
Dass der Staat auf die gesundheitliche Intaktheit seines Volkes ein Auge hat, ist einerseits nichts Neues. Dass die Menschheit als Träger von Leistung und Material des Verschleißes in dieser Wirtschaft verplant ist, sieht nicht nur die Geschäftswelt, sondern auch der Staat so vor. Seine politische Fürsorge ist deswegen darauf gerichtet, die ökonomische Beeinträchtigung der Volksgesundheit so zu betreuen, dass das lebendige Inventar seiner Klassengesellschaft in den Rechten nicht Schaden nimmt, mit denen er es ausgestattet hat. Ihren gesellschaftlichen Dienst am Eigentum verrichten seine Bürger als Personen, die als solche und in allem, was sie sich als solche als ihre unverletzlichen Rechte zurechnen dürfen, Rechtsschutz genießen; dieser Rechtsstatus ist die allererste Voraussetzung für alle nützlichen Leistungen, zu denen sie im Rahmen der verrechteten Konkurrenz der Eigentümer dann antreten dürfen; und in diesem Status werden sie von ihrem Staat, der um alle Formen und Auswirkungen des produktiven Verschleißes seine Volkes bestens Bescheid weiß, gnadenlos geschützt: Seine Richtlinien für eine zu tolerierende Dosis radioaktiver Strahlung beispielweise und gesetzlich festgelegte MAK-Werte der Exposition mit Schadstoffen regeln die allfälligen Kollisionen zwischen den heiligen Rechtsgütern Person und Eigentum, sorgen so für ein politisch akzeptables Verhältnis von gesundheitlichem Verschleiß und wirtschaftlichem Erfolg – und eben dafür, dass die Frage, wer oder was in diesem Land eigentlich gesund ist, weniger von der Verfassung des menschlichen Organismus als von den Ministerialbeamten des rechtsstaatlichen Gesundheitswesens entschieden wird.
Dabei bleibt es auch im Fall der Gentechnik. Die
gesundheitspolitische Bewirtschaftung des Volkskörpers
greift auch hier. Denn der allseits akzeptierte
Standpunkt dieses Forschungszweiges gebietet
geschäftsträchtige Anwendungen möglichst schnell und ohne
übertriebene Risikoscheu auf den Markt und in die
Patentämter zu werfen. Über mehr als Vermutungen,
welche Folgen es haben könnte, wenn
sich beispielsweise eine genmanipulierte Sojasorte unter
und mit verwandten Wildarten des Gewächses breit macht,
verfügt man ja eingestandenermaßen nicht. Absolut sicher
kann man sich darüber sein, dass eine Überwucherung der
Republik mit herbizid-resistenten Unkräutern alle Mal im
Bereich des Möglichen liegt, damit auch jede Menge von
Vermögensschäden betroffener Eigentümer – wie die
allerdings auszuschließen sind, ist ebenso ungewiss wie
die Folgen, die der Verzehr gentechnisch veränderter
Produkte für das Wohlbefinden der Menschen womöglich hat.
So unvollendet also das Wissen um die Sache selbst ist,
so mangelhaft sind die Kenntnisse um ihre schädlichen
Wirkungen – wenn man einmal von den bekannten
Beeinträchtigungen absieht, die unter dem Stichwort
Nebenwirkung im Kleingedruckten des biotechnologischen
Beipackzettels verschwinden. Diesem Stand der Dinge
entsprechend dreht sich die staatliche Sorge um die
Volksgesundheit im Unterschied zur Einhegung des
produktiven Verschleißes, den die Produzenten der
Industrie und Energie besorgen, also nicht einfach nur um
die Beschränkung gewusster Beschädigungen an
Leib, Leben und Natur. Die Fürsorge gegenüber Mensch und
Natur, die hier angezeigt ist, besteht einmal darin, die
Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen dort
möglichst unter Verschluss zu halten, wo
Forschung und Kommerz mit Genen experimentieren: Ein
Recht der Gentechnik regelt, wie Errichtung und Betrieb
der entsprechenden Anlagen als geschlossenes
System
vonstatten zu gehen haben, also so, dass in
besonders heiklen Fällen aus Druckkammern und
Sicherheitsschleusen möglichst nichts unkontrolliert in
die System-Umwelt entweicht – anderen Fällen, in denen
man aufgrund bisheriger Erfahrungswerte Entwarnung geben
kann, trägt das Recht dann in Form herabgestufter
Sicherheitsauflagen Rechnung. Da mit den Mikroorganismen
aber nur – in der Bandbreite von ‚extrem sorgfältig‘ bis
‚einigermaßen‘ – von der Außenwelt abgeschottet
experimentiert werden soll, damit sie in der dann ihre
geschäftsförderlichen Dienste versehen können, gibt es
auch eine eigens dafür vorgesehene
Freisetzungsrichtlinie. Die nimmt sich
die Austestung bekannter, vermuteter und unbekannter
Risiken und Schäden vor, die angesichts der spekulativen
Gewinnerwartungen des Gewerbes erst einmal
selbstverständlich in Kauf zu nehmen sind, weswegen die
staatliche Prüfung von Gefahren gentechnischer Verfahren
und Produkte deren Vermarktung nicht vorausgeht, sondern
ihr nach dem Willen des Gesetzgebers hinterher zu eilen
hat. Kompensiert wird das zeitliche Handicap, mit dem
diese Sorte von Risikowahrnehmung startet, dann durch
eine um so genauere Wahrnehmung der Risiken: Danach
wird es ermöglicht, dass die Freisetzung der veränderten
Organismen mit der verbindlichen Aufgabe eines
Monitorings des in Verkehr gebrachten Organismus
verbunden wird. Außerdem wird die allgemeine
Umweltbeobachtung hinsichtlich gentechnisch veränderter
Organismen eingeführt. Sowohl das Monitoring (…) als auch
die allgemeine Umweltbeobachtung haben zum Ziel,
Veränderungen der Umwelt und mögliche Auswirkungen auf
die menschliche Gesundheit zu ermitteln und zu bewerten.
Insbesondere sollen Wissenslücken über Umweltwirkungen
geschlossen werden.
(Gentechnik
– Fragen und Antworten, www.Bundesregierung.de).
Ausgesprochen nett diese Aufmerksamkeit, die der Staat
dem Befinden seines Volkes schenkt. Er schützt es und die
liebe Umwelt noch dazu, indem er einen Großversuch am
lebenden Objekt startet, alles, was sich beim
aufmerksamen Gen-watching so beobachten lässt,
registriert und nach dem Grad seiner Beachtlichkeit
bewertet
. So, im Wege der Ermittlung
eingetretener Schädigungen, werden dann die
Wissenslücken geschlossen, die in einem ordentlichen
kapitalistischen Staat der Freisetzung einer profitablen
Nutzung des wissenschaftlichen Fortschritts
selbstverständlich nicht im Wege stehen dürfen.
Die wird bislang noch – aus den oben erwähnten Gründen – von einer Inverkehrbringungsrichtlinie sistiert, doch wird die eben nur vom Rechtschreibungsprogramm von MSWord rot unterringelt. Im Rechtsstaat selbst soll sie demnächst in novellierter Fassung erscheinen und die bürgerliche Menschheit mit schon längst freigesetzten, dann aber auch endlich käuflich zu erwerbenden gentechnisch veränderten Produkten beglücken.
****
Auf Waffen zur biologischen
Kriegsführung sind wahrlich nicht nur
Terrorstaaten
scharf. Auch wenn sie als Mittel
eines ‚schmutzigen‘ Krieges völkerrechtlich geächtet, als
‚billig‘ zur erlangende Massenvernichtungswaffe
kleiner
Staaten verschrien und – was ihre
praktische Handhabung als Waffe im Krieg betrifft –
ähnlich schwer zu kalkulieren sein mögen wie die atomar
bestückten Geräte: Natürlich haben vor allem die großen
Staaten für das vorgestellte Szenario eines totalen
Krieges, in den sie involviert sein könnten, alles
an Viren und Bakterien zur Waffentauglichkeit
aufbereitet, womit sie ihren möglichen Gegnern die
Quellen ihrer Kriegsfähigkeit – Soldaten, Bevölkerung,
Territorium – ruinieren können. Und nicht nur das: Da sie
davon ausgehen, dass auch ihre Gegner alles Nötige zur
Verbreitung von Pest, Cholera, Milzbrand und
hämorrhagischem Fieber besitzen, wollen sie
selbstverständlich auch einen mit B-Waffen geführten
Krieg gewinnen können. Also suchen sie in ihren
offiziellen wie heimlichen Forschungslabors nach Mitteln
und Wegen zur Schärfung ihres bakteriologischen
Kriegsgeräts: Bekannte Erreger todbringender Krankheiten
gilt es hinsichtlich ihrer erwünschten Wirkungen
fortzuentwickeln; sie zu deren Perfektionierung mit
anderen zu kombinieren; sie für Strategie und Taktik der
Kriegsführung handhabbar zu machen; Gegenmittel gegen sie
zu suchen; dann Gegenmittel auch gegen diese Gegenmittel
zu finden, usw. Und wo schon die zivile Genforschung die
geglückte Kombination von Aids- und Ebola-Virus als einen
ihrer Erfolge vermelden darf, kann man sich sicher sein,
dass die Leistungen in ihrer militärischen Abteilung
nicht weniger interessant ausfallen werden – auch wenn
man von denen nichts zu hören bekommt. Und noch eines ist
sicher: Wenn dann auch noch als Forschungserfolg
vermeldet wird, dass einer dieser Staaten dabei wäre,
sich auf gentechnischem Wege gewisse Viren zu
konstruiert, die auf fremde Soldaten, Völker oder Rassen
programmiert
sind, also nur bei denen
verheerend wirken und das eigene Personal verschonen;
wenn der Krieg dank der Kunstgriffe bei der
Manipulation menschlichen Erbmaterials
biologisch, als Krieg gegen fremde
Rassen und damit glatt so geführt werden kann, wie
ein großer Feldherr vor einem guten halben Jahrhundert
seinen Krieg immer nur ideologisch verstanden
wissen wollte – so wird man selbstverständlich auch
diesen technischen Fortschritt als Verteidigung
der zivilisierten Staaten gegen den Terror
zur
Kenntnis nehmen dürfen, der von „Regimen“ minderen
Gewichts ja alle Mal droht…
V.
Die christlichen Kulturnationen haben mit einer Sonderabteilung der Gentechnologie ein apartes Spezialproblem: Gesetze gegen die Abtreibung, die den Embryo zu einer eigenen Art von Rechtsperson erklären, dem Verfügungsanspruch der werdenden Mutter entziehen und so die Familie als nationale Reproduktionsinstanz schützen, erweisen sich, obwohl nie so gemeint, als rechtliche Fessel für forschungsrelevante und technologiefördernde, kommerziell hochinteressante Marktsegmente eröffnende Manipulationen an und mit menschlichen Stammzellen. Ungewollt hat der Staat den geschäftlich produktiven Konsum embryonaler Zellen gleich mit verboten; und dieses Verbot wiegt schwer, weil die gesetzgebenden Instanzen auch und erst recht nach ihrem berechnenden Verzicht auf Bestrafung sehr viel für die moralische Ächtung der Abtreibung getan haben. Den staatlich erwünschten Bio-Markt von diesem Verdikt freizusprechen, wäre rein rechtlich zwar eine einfache Übung, fällt unter den so nachdrücklich in Kraft gesetzten sittlichen Gesichtspunkten aber nicht leicht. Also machen die politisch Zuständigen es sich demonstrativ schwer und inszenieren einen öffentlichen Diskurs über die moralischen Qualitäten befruchteter Keimzellen, aus dem hoheitlich ernannte sachverständige Ethik-Kommissionen zu Händen des skrupulösen Gesetzgebers einen brauchbaren Kompromiss herausdestillieren sollen. Das Wichtigste ist schon damit geleistet: Die Mühsal der Entscheidungsfindung heiligt jede Entscheidung im Sinne des sowieso nicht aufzuhaltenden Fortschritts.
*
Wo sich eine reproduktive Gentechnologie
den Umgang auch noch mit menschlichen Stammzellen zu
erobern sucht, da kommen endlich auch deren adulte
Endprodukte mal auf ihre Kosten. In erster Linie und
tatsächlich praktisch alle diejenigen, denen eine Laune
ihres Genoms, ein heftigerer Umwelteinfluss oder sonst
ein Schicksalsschlag die ersehnte Chance verwehrt, ihre
kostbaren Erbanlagen für die Fortpflanzung des
Menschengeschlechts nützlich zu machen: Zeugungs-,
empfängnis-, gebärunfähig? Dabei muss es nicht bleiben!
Niemand muss mehr darauf verzichten, ureigenen Nachwuchs
in eine Welt zu setzen, die zunehmende Prozentsätze ihrer
Welt- als „Überbevölkerung“ abschreibt und zu Grunde
gehen lässt. Zwar geht der Sprössling, dieses leibhaftige
Dokument ehelicher resp. quasi-ehelicher Liebe, dann doch
– jedenfalls wenn in vitro und beim Implantieren nicht
allzu viel schief geht – mit voll entwickeltem Willen und
Bewusstsein seine eigenen, mehr marktwirtschaftlich als
genetisch präformierten Wege. Doch der Wahn, im eigen
Fleisch und Blut
irgendwie fortzuleben und der
Menschheit den Reichtum einer unverwechselbaren
Persönlichkeit zu erhalten – womöglich sogar in einer
gentechnisch leicht aufgebesserten Fassung –, ist
kaufkräftig genug, um professionell kommerziell bedient
zu werden.
Und das ist erst der Anfang – glauben jedenfalls manche „visionär“ veranlagten (?) Genforscher sowie eine wahrscheinlich gar nicht einmal so kleine Zielgruppe, die, kaum erzählt ein Fachidiot oder ein begabter Wissenschaftsjournalist etwas vom „geklonten Menschen“, prompt das unabweisbare Urbedürfnis in sich verspürt, sich selbst buchstäblich, bis zum letzten Buchstaben der Doppelhelix zu verdoppeln. Wer weiß, vielleicht wandert ja sogar das Seelchen irgendwie aufs genetische Duplikat über? Auf alle Fälle winkt die Chance, sich selbst ein absolut unverfälschtes lebendes Denkmal zu setzen. Und das ist, auch wenn es in den Bereich der „fantasy“ gehört, ein umwerfendes Angebot für Leute, die faktisch zwar nur als Charaktermasken im System der Konkurrenz und der demokratischen Herrschaft agieren, eben deswegen aber nur umso mehr einem ganz selbst eingebildeten „Selbst“ nachjagen, das nach „Verwirklichung“ schreit. Dass aus dem Bedürfnis, die Welt gleich von der humanen Keimzelle aus mit lauter Replikanten angeberischer Arschlöcher voll zu stellen, nichts werden wird, ist angesichts der Existenz und der allgemeinen verständnisvollen Würdigung dieses Bedürfnisses wahrlich kein Trost.
VI.
Der moralische Überbau des marktwirtschaftlich-demokratischen Gemeinwesens engagiert sich, ungeachtet der feststehenden Funktion seines Engagements, mit Hingabe in dem von der Obrigkeit bestellten herrschaftsfreien Moral-Diskurs.
Den sittlichen Bedenkenträgern gelingt in ihren
mahnenden Einlassungen ein aufschlussreiches Porträt der
Gesellschaft, in der sie zur tonangebenden sittlichen
Elite zählen: Ihr menschenrechtlich hoch stehendes
Gemeinwesen, da sind sie sich sicher, schreckt vor nichts
zurück, was es vermag, es sei denn auf Grund drastisch
abschreckender Verbote. Die arbeitgebenden Stützen der
Gesellschaft sind scharf darauf, ihre Arbeitnehmer nach
genetischen Merkmalen zu selektieren; Krankenkassen,
ehrenwerte soziale Institutionen also, sind dahinter her,
mit ihren Kunden genauso zu verfahren. Für genügend Geld
wären am freien Markt, dieser Institution hemmungsloser
Menschheitsbeglückung, Klone als menschliches
Ersatzteillager zu haben. Und zwischen der Abtötung einer
befruchteten menschlichen Eizelle und der Massentötung
behinderter Mitmenschen gibt es im Prinzip keine
Hemmschwelle – die besorgten moralischen Sittenwächter
jedenfalls sehen da keine. Deswegen machen sie sich, um
„den Anfängen zu wehren“, hinter denen es bis zum
„Holocaust“ kein Halten mehr gibt, für den Grundwert
Leben
stark, der an Stelle der tatsächlichen
menschlichen Existenz deren primitivste biologische
Voraussetzung so grundsätzlich heiligt, dass dahinter das
Leben, das die Masse ihrer Zeitgenossen wirklich führen
muss, zu völliger Belanglosigkeit verblasst. Diesen Wert
wollen sie von Staats wegen und kraft öffentlicher Gewalt
jeder privaten Verfügung entzogen wissen – welchen
Verfügungen, privater wie öffentlich-rechtlicher und
überhaupt nicht gewaltfreier Art, das zu wirklichen
Menschen herangereifte „Leben“ praktisch unterworfen und
dienstbar gemacht wird, geht sie nichts an. Um die
Monopolisierung aller Verfügungsrechte bei der und durch
die verfassungsmäßige oberste Ordnungsinstanz geht es
ihnen ebenso in ihrer tiefen Sorge um den
„Grundwert Freiheit“, der ausgerechnet
dann seine Krise kriegt, wenn bei der Komposition des
menschlichen Genoms eine manipulativ verwirklichte
Absicht Pate steht. Dann nämlich – sonst eigentlich nie,
aber dann! – wäre der so zurechtgebackene Erdenbürger
entgegen jedem Kant’schen Imperativ zum bloßen Instrument
fremder Zwecke herabgewürdigt. Nur solange der Mensch
seine Naturausstattung der unverfügbaren Laune des
Schicksals verdankt und nicht einem Biochemiker, der sich
unbefugt Verfügungsrechte anmaßt und damit dem lieben
Gott ins Handwerk pfuscht, ist er im Besitz jener
unantastbar würdevollen Freiheit, die er im gesetzlich
geschützten Dienst an den Anforderungen des
kapitalistischen Konkurrenzkampfes sowie der
Durchsetzungsmacht „seiner“ Nation so richtig ausleben
darf. Deswegen finden skeptische Moralisten es auch nicht
einfach zutiefst albern, wenn manche durchgeknallten
Zeitgenossen sich von der Gentechnologie die Chance
versprechen, per Selbst-Klonierung „unsterblich“ zu
werden, sondern entdecken da eine Vermessenheit, mit der
der Mensch seine recht verstandene Würde und Freiheit
verspielt…
Die Befürworter einer von gesetzlichen Restriktionen freigesetzten Biotech-Industrie halten mit einem Argument dagegen, das weniger abendländische Ideologien bemüht als den Tatbestand der allgemein akzeptierten Lüge erfüllt: Den maßgeblichen Beteiligten wäre es in Wahrheit um nichts Anderes und nichts Geringeres als die Ausrottung von Krankheit und Hunger zu tun. Das erbkranke Kind kommt zu Ehren, dessen Leiden hart gesottene PolitikerInnen einfach nicht zusehen können; weshalb es hoch an der Zeit ist, dass die Krankenkassen an der Versorgung der normal chronisch Kranken sparen und dafür den medizintechnischen Fortschritt alimentieren. Im Zeichen der neuen sozialdemokratischen Ehrlichkeit lässt sich mittlerweile aber auch ganz umstandslos der nationale Geschäftserfolg als „verantwortungsethischer“ Höchstwert anführen, gegen den „gesinnungsethische“ Bedenklichkeiten aus der christlichen Mottenkiste zurückstehen müssen – für solche Moralisten des Gelderwerbs trifft ganz sicher das Sittenbild zu, das ihre Kontrahenten von der Skrupellosigkeit „des Marktes“ zeichnen. Über eigene Freiheits-Philosophen verfügen die Apostel einer sittlichen Pflicht zum gentechnologischen Fortschritt übrigens auch: Könnte es nicht sein, dass der Mensch erst dann so richtig bei sich ist, wenn er in Gestalt seiner philosophierenden Elite sich selbst in Gestalt einer dumpfen Masse nicht mehr bloß mit hoffnungslosen Erziehungsbemühungen traktiert, sondern gleich zu einem globalen Philosophischen Quartett heraufzüchtet? Denn das glauben anscheinend die einen wie die anderen gesinnungsfesten Theoretiker der abendländischen Freiheit: dass nicht bloß Wille und Bewusstsein im Allgemeinen, sondern gleich auch alles, was ein Mensch denkt, will und tut, also mit sich und der Welt anstellt, „irgendwie“ durch seinen Zellkern vorgegeben oder überhaupt verursacht ist…