Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Noch ein Fall von „arm trotz Arbeit“:
Die ‚Generation Praktikum‘
Da wird die Allianz aus Politikern, Arbeitgeberverbänden und öffentlicher Meinung nicht müde, die Bedeutung von „Bildung“ und „Qualifikation“ zu beschwören – „unser rohstoffarmes Land“ könne seinen „Lebensstandard“ und seine „Spitzenposition“ nur mit gut ausgebildeten jungen Menschen halten, Bildung sei aber auch für den einzelnen das „Mittel gegen Arbeitslosigkeit“ und der Schlüssel zum „persönlichen Erfolg“ im Berufsleben – und dann wird mit denjenigen, die sich nach den angeblichen Erfordernissen der „Wissensgesellschaft“ verhalten, alles andere als pfleglich umgegangen. „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ beim Einstieg in den Beruf sind für junge Hochschulabsolventen zur Normalität geworden. Anstatt wie geplant eine Karriere zu starten, müssen Nachwuchsakademiker heute schlechte Bezahlung, befristete Anstellungen, oder erzwungene Selbstständigkeit in Kauf nehmen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Noch ein Fall von „arm trotz Arbeit“:
Die ‚Generation Praktikum‘
Da wird die Allianz aus Politikern, Arbeitgeberverbänden
und öffentlicher Meinung nicht müde, die Bedeutung von
„Bildung“ und „Qualifikation“ zu beschwören – „unser
rohstoffarmes Land“ könne seinen „Lebensstandard“ und
seine „Spitzenposition“ nur mit gut ausgebildeten jungen
Menschen halten, Bildung sei aber auch für den Einzelnen
das „Mittel gegen Arbeitslosigkeit“ und
der Schlüssel zum „persönlichen Erfolg“ im
Berufsleben – und dann wird mit denjenigen, die sich nach
den angeblichen Erfordernissen der „Wissensgesellschaft“
verhalten, alles andere als pfleglich umgegangen.
„Prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ beim Einstieg in den
Beruf sind für junge Hochschulabsolventen zur Normalität
geworden. Anstatt wie geplant eine Karriere zu starten,
müssen Nachwuchsakademiker heute schlechte Bezahlung,
befristete Anstellungen oder erzwungene Selbstständigkeit
in Kauf nehmen. Dazu gehören seit einiger Zeit auch so
genannte „Praktika“. Berufsanfänger mit Hochschulstudium
dürfen sich erst einmal ohne Bezahlung oder bestenfalls
gegen ein paar 100 Euro Taschengeld nützlich machen,
bevor man ihnen eine bezahlte Stelle anbietet – oder auch
nicht. Dabei ist es kein Geheimnis, woher der kleinliche
Umgang mit dem angeblich so dringend benötigten klugen
und hoch qualifizierten Nachwuchs
rührt: Es ist
ein simpler Mechanismus: In Zeiten der
Massenarbeitslosigkeit können es sich Unternehmen
leisten, die Angst der Absolventen vor dem Zurückbleiben
auszunutzen
. (Zeit, Campus online, 25.9.06, so oder
ähnlich äußern sich alle einschlägigen Berichte) Dem
entnehmen wir: Unternehmen sind ganz grundsätzlich darauf
aus, Leute, die auf sie angewiesen sind, auszunutzen.
Sobald sie die Möglichkeit dazu sehen, tun sie es. In
diesem Fall ist es die Angst
von
Nachwuchsakademikern, schon zu Beginn des Berufslebens
ziemlich endgültig den Eintritt in die Welt der besser
bezahlten, angenehmeren und sichereren Jobs zu verpassen,
die den Unternehmen gerade Recht kommt – ebenso wie die
„Masse“ der von ihnen Entlassenen, die sie offenbar auch
bei Akademikern als Druckmittel einsetzen können, um
billige Dienste zu erpressen. Was für die frisch
Diplomierten eine „Notlage“ ist, ist für die Unternehmen
eine günstige Gelegenheit, die sie nicht verpassen. Mit
einem Wort: hier liegt „Ausbeutung“ vor, wie die ZEIT und
andere messerscharf erkennen. Ein schönes Urteil also
darüber, wie in dieser Gesellschaft mit den
„Humanressourcen“ umgesprungen wird – sehr
verschwenderisch nämlich. Die Menschen und das, was sie
gelernt haben, interessieren nur als Ressource für den
Geschäftserfolg der Unternehmer, und wie weit ihr Dienst
daran honoriert wird, hängt nicht von ihren Anstrengungen
und Leistungen ab, sondern fällt ins Belieben der Nutzer
dieser „Ressource“.
Als Aufruf zum Widerstand an alle Billiglöhner
sind solche Diagnosen freilich nicht gemeint. Das böse
Wort von der „Ausbeutung“ fällt den Erfindern des
Schlagworts von der „Generation Praktikum“ ein, weil sie
die Behandlung der Studierten als billige
Arbeitskräfte für unpassend halten. Bekanntlich werden
Zeit, Spiegel, Stern und Konsorten nicht müde, bei nicht
so Hochqualifizierten
die von Kapitalisten
gezahlten Hungerlöhne zwischen 3 und 6 Euro als zwar
harte, aber unumgängliche Notwendigkeit fürs
Arbeiten-Dürfen zu propagieren oder zusammen mit der
Gewerkschaft die Auffassung zu vertreten, dass bei 7,50 €
brutto Mindestlohn, wenn es ihn denn gäbe, von
„Ausnutzen“ und „Ausbeutung“ nicht mehr die Rede sein
kann. Wenn der Spiegel einen Missbrauch von
Hochqualifizierten als unter- oder gar unbezahlte
Ersatzarbeiter
(Spiegel online,
Januar 2007) konstatiert oder von
hochqualifizierten Billiglöhnern
(ARD) die Rede ist, dann liegt der
‚Skandal‘ darin, dass die potenzielle Elite hier einmal
so behandelt wird, wie es der große Rest des gewöhnlichen
Menschenmaterials offenbar verdient. Während sonst das
„Besitzstandsdenken“ gegeißelt wird, ist man von der
Berechtigung der Ansprüche des akademischen Standes
überzeugt und sieht Missbrauch, wenn die unternehmerische
Kostenkalkulation sich von diesen „Ansprüchen“ nicht
beeindrucken lässt. Oder es ist gleich die deutsche
Wirtschaft
selbst, die sich des Mitgefühls besorgter
Kommentatoren sicher sein kann. Sie, die deutsche
Wirtschaft, schadet nämlich in erster Linie
sich, wenn sie den dringend gebrauchten hoch
qualifizierten Nachwuchs
(Zeit) so schlecht behandelt. So wird
sich eingefühlt in die Interessen der Wirtschaft und das
schamlose Ausnutzen einer Notlage
dann doch nur
als ungeschickte, kurzsichtige Geschäftspolitik
registriert. Der Geschäftserfolg wird als oberster
Gesichtspunkt anerkannt und man versichert, er ginge doch
ganz prima mit einem dem Status dieses
Nachwuchses angemessenen Umgang zusammen.
Und die Betroffenen? Sie setzen sich zur Wehr – aber wie!
Die am eigenen Leib gemachte Erfahrung, dass nicht
Qualifikation, sondern kapitalistischer Bedarf ein
Einkommen bringt, erschüttert sie nicht im Glauben an die
‚Leistungsgesellschaft‘ und ihr Anrecht auf eine
besondere Stellung in ihr. Sie wollen nicht das Prinzip
entdecken sondern einen ungerechten Umgang mit ihrem
Stand. Ihr Widerstand ist deshalb an Bescheidenheit kaum
zu überbieten. Sie wenden sich untertänig mit Petitionen
an die Abgeordneten und machen konstruktive Vorschläge
zur Beendigung des unregulierten Zustands, der zum
Missbrauch der Arbeitskraft von Hochschulabsolventen
führt
(homepage
students-at-work.de der DGB-Jugend). Nach dem
Studium ‚Erfahrungen in der Praxis‘ sammeln –
selbstverständlich, aber bitte nicht zu lange: Der
Deutsche Bundestag möge beschließen, dass Praktika von
Hochschulabsolventen, die länger als drei Monate dauern
und in dem Berufsbild abgeleistet werden, für das der
Hochschulabsolvent ausgebildet wurde, in ein reguläres
Arbeitsverhältnis umgewandelt werden
. (Petition der
ehemaligen Dauerpraktikantin Désirée G. an den
Bundestag). Ein bisschen Anerkennung für die geleistete
Arbeit wäre auch nicht schlecht (Petition der Vertreterin
des DGB Mindestlohn von 300 Euro
), und die
Mitbegründerin des Selbsthilfevereins „Fairwork“ verlangt
1200 Euro brutto, wenn es dann doch nicht bei den drei
Monaten bleibt – damit orientieren wir uns am
europäischen Mindestlohn
- sowie eine
akademikergerechte Benamsung, die klarstellt, dass es
sich nicht um mies bezahlte Arbeit, sondern um einen
Einstieg in den Aufstieg handelt: Die Zeit nach dem
Abschluss sollte nicht Praktikum genannt werden, sondern
Trainee-Programm oder Volontariat
(Spiegel-online Interview mit Bettina König,
10.05.).
Der Bundestag mochte sich bisher mit den Anträgen nicht
beschäftigen und auch dem Bundesminister für Arbeit sind
die Nachwuchsakademiker nicht mehr wert als dem Kapital.
Er denkt gar nicht daran, den Kapitalisten Grenzen beim
kostengünstigen Einsatz auch des akademischen Personals
zu ziehen. Im Gegenteil: Wie beim gewöhnlichen Rest der
Menschheit wird auch hier jede gesetzliche Auflage beim
Ausnutzen
von Arbeitskräften als Hindernis von
‚Beschäftigung‘ gesehen. Stattdessen setzt das BMAS
verstärkt auf Aufklärung
(ein
Ministeriumssprecher), die man sich seit Anfang
des Jahres beim extra dafür geschaffenen Internetportal
„Generation Praktikum“ abholen kann. Nach dem alten Motto
des Satiremagazins Titanic‚ das den hungernden Negern
„Spachteln!“ als Lösung ihres Problems empfiehlt, bekommt
man dann folgenden heißen Tipp: „Sich nicht unter
Wert verkaufen ... zusammen mit dem künftigen
Arbeitgeber die Möglichkeit prüfen, statt einen
Praktikumsvertrag einen zeitlich befristeten
Arbeitsvertrag zu schließen“. Genau, so entkommt man
der „Praktikumsfalle“: einfach nicht reintappen!