Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der „Gipfel der Acht“ in Denver
Die USA erlassen ein Abstandsgebot
Während frühere Gipfel auf den Schein der Einigkeit der Führungsmächte Wert legten, geht es den USA jetzt darum, ihren Vorrang vor allen anderen herauszustellen, was Verletzung diplomatischer Umgangsformen einschließt. Das stört Jelzin am wenigsten, der das Dabeisein schon für einen Erfolg hält.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Der „Gipfel der Acht“ in
Denver
Die USA erlassen ein
Abstandsgebot
Der jährliche G7-Gipfel findet diesmal in
Denver/Colorado und in erweiterter Besetzung statt: Der
amerikanische Gastgeber hat freihändig und ohne große
Rücksprache mit den 6 Kollegen Boris Jelzin, den Garanten
der postsowjetischen Ohnmacht des großen Rußland, zum
Gipfel der Acht
dazugeladen. Und das ist nicht das
einzig Neue und Abweichende am diesjährigen großen
Treffen.
Bisher bestand der entscheidende Inhalt der Zusammenkunft
stets in der nie ganz bruchlosen, aber dann doch in aller
diplomatischen Form zelebrierten und
öffentlichkeitswirksam demonstrierten Einigkeit
der sieben wichtigsten Machthaber der kapitalistischen
Welt. Die Frage: worüber denn? war nie mit
bestimmten, womöglich epochemachenden gemeinsamen
Beschlüssen zu beantworten; schon gar nicht über
irgendeine Entscheidungsfrage „der Weltwirtschaft“, nach
der das Treffen seinen Namen hat; und das gerade war die
Botschaft: Jenseits aller Kontroversen und
weltwirtschaftlichen Gegensätze zwischen den großen
Mächten existiert ein Konsens zwischen ihnen.
Die Konkurrenz, die ihre Nationen sich liefern –
um die national zu verbuchenden Erträge aus dem globalen
Geschäft, um den Stellenwert des jeweiligen Landes als
Kapitalstandort, um das Geld, das sie aneinander
verdienen, und den Wert oder Unwert des jeweiligen
nationalen Geldes als Kapital –, läuft als gemeinsame
Sache ab. Eine solche Rückversicherung brauchen die
sagenhaften globalisierten Märkte
offensichtlich,
um überhaupt zu funktionieren, nämlich als sichere
Grundlage für die Spekulation, die an ihnen stattfindet;
eine solche Garantie brauchen die Großmächte selbst
voneinander, um den Kommerz untereinander
aufrechtzuerhalten, dessen Ergebnisse sie allemal auch
schädigen und notwendigerweise entzweien. Und genau diese
diplomatische Versicherungspolice haben die
abgehobenen Show-Veranstaltungen
der G7 Jahr für
Jahr erneuert. Bislang jedenfalls.
Diesmal gibt es ein paar deutlich andere Akzente. Den
Hauptakzent legen die USA auf die Klarstellung, die
überall auch genau so registriert wird: Sie, aufgrund
eines passenden Zufalls Ausrichter des Treffens, sind
eindeutig das Subjekt des kollektiven
Einvernehmens der Großen; dieses Einvernehmen kann
nämlich im Grunde nur darin bestehen, daß alle Nationen
den Erfolg der USA als Maß aller Dinge anerkennen und
sich danach richten. Daß sie diesem Maß derzeit nicht
genügen, müssen sich diejenigen Europäer ausdrücklich im
Gipfel-Communiqué bescheinigen lassen, die sich am
nachdrücklichsten für Europas Wirtschafts- und
Währungsunion und einen Euro als überzeugende Alternative
zum Dollar einsetzen: Deutschland und Frankreich werden
wegen ihrer Wachstums-
und
Haushaltsprobleme
kritisiert und dabei mit
Italien, über dessen Euro-Tauglichkeit sie selber Zweifel
äußern und als europäische Führungsmächte befinden
wollen, auf eine Stufe gestellt. Das ist eine ganz andere
Zurechtweisung als diejenige wegen angeblich zu hoher
deutscher Lohnkosten, die Deutschlands Führung sich schon
einmal bei einem anderen Gipfeltreffen für den
Hausgebrauch bestellt und abgeholt hat. Mit ihr weisen
die USA ihre Gipfelpartner drastisch, nämlich mit dem
diplomatischen Mittel kalkulierter Unhöflichkeit auf den
enormen Abstand zwischen sich und dem Rest der
Welt hin, den sie auch und gerade von ihren wichtigsten
Mitkämpfern um Macht und Reichtum der Nationen anerkannt
und respektiert wissen wollen. Nicht die Einigkeit der
Großen – bei stillschweigend unterstellter Hierarchie –
ist die Botschaft, auf die Amerika es diesmal anlegt,
sondern sein Vorrang unter den sieben oder acht
überhaupt nicht Gleich-Großen. Und als Führungsmacht
führt sich die US-Regierung auch gleich in den
weltpolitischen Angelegenheiten auf, die sie exemplarisch
als „konkrete“ Gipfelthemen auf die Tagesordnung setzt:
in Sachen NATO – Washington dekretiert die
Ost-Erweiterung um drei Kandidaten und läßt die Forderung
nach einem Fünferpaket gar nicht erst zu; in Sachen
Afrika – die US-Administration okkupiert ideell den
schwarzen Kontinent
als ihre Domäne und lädt die
Kollegen, die doch immer selber die Patrone aller
Negerstaaten sein wollten, ein, sich anzuschließen; nicht
zuletzt in Sachen Rußland – der US-Präsident persönlich
setzt seinen russischen „Kollegen“ rein aus
amerikanischer Machtvollkommenheit in den Rang der Nummer
8 ein. Eine einzige Demonstration des Kräfteverhältnisses
zwischen sich und ihren konkurrierenden Verbündeten:
Darum geht es den Amerikanern in Denver.
Sie werden es wohl nötig haben; zu Zeiten des
amerikanischen Atomschirms
gegen die
sowjetische Gefahr
, als die strategische
Unterordnung und Abhängigkeit der europäischen
NATO-Partner von der transatlantischen Supermacht außer
Frage stand, hat es eine solche Betonung
amerikanischer Suprematie nicht gebraucht. Andererseits
schaffen die USA es ganz locker, das Treffen in Denver
zum Vehikel ihres Führungsanspruchs gegen die sieben
nächstgrößeren Mächte zu machen. Und das so gut, daß die
entsprechende Reaktion der Betroffenen gar nicht
ausbleiben kann: Das Auftrumpfen ihres Gastgebers
quittieren sie mit kaum weniger demonstrativer
Unzufriedenheit. Das Thema, an dem die deutsche
Seite ihren Mißmut öffentlich festmacht, ist speziell zu
diesem Zweck herausgesucht: Helmut Kohls treuherziges
Engagement für den Regenwald und gegen amerikanisches
Kohlendioxid will als Gegenoffensive gegen die
demonstrative Dominanz der USA verstanden werden. Daß
diese Gegen-Demo so vergleichsweise kläglich ausfällt,
hat nichts mit der jeweiligen nationalen Umweltkultur zu
tun, sondern spiegelt nur das tatsächliche
Kräfteverhältnis zwischen den sieben Großen wider, das
mehr als die Bekundung von Mißmut, gar eine Korrektur des
einseitigen amerikanischen Führungsanspruchs fürs Erste
nicht zuläßt. Deshalb lassen es die Betroffenen an
solchen Bekundungen aber auch nicht fehlen. So wichtige
europäische Figuren wie der für einen starken Euro
hauptverantwortliche deutsche Finanzminister – er hat in
Bonn „wichtigere Termine“ – oder der neue französische
Premier lassen sich in Denver gar nicht erst sehen,
„verzichten“ also darauf, dort die Botschaft von der
Einzigartigkeit der USA, ihrer unerreichten
Vorbildlichkeit und ihrer entschlossenen Führungsstärke
entgegenzunehmen und mit ihrem Konsens zu beglaubigen –
immerhin auch eine Art, sich gegen die Zumutung zu
verwahren, die die großen Europäer der Festlichkeit im
Wilden Westen entnehmen sollen und auch entnehmen.
Frankreichs Führungsfiguren äußern sich inoffiziell –
Wir verschwenden hier unsere Zeit. Wir sind hier nicht
mehr als Zugaben in Clintons Marketing-Plan
, so
Chirac in Denver – und offiziell – Es ist eine gewisse
Tendenz zum Streben nach Vorherrschaft zu erkennen
gewesen. Diese Haltung ist nicht unbedingt identisch mit
der Übernahme globaler Verantwortung durch eine
Großmacht
, so Jospin daheim – abfällig über den
weltöffentlich bekräftigten amerikanischen
Führungsanspruch. Und der deutsche Kanzler läßt auch
nicht locker und nörgelt bei Gelegenheit des gleich
anschließenden New Yorker UN-Umweltgipfels weiter an
Amerikas Intransigenz in der Weltvergiftungsfrage herum.
Noch sehr viel direkter kommen, ebenfalls gleich im Anschluß an Denver, Amerikaner und Japaner zur Sache. Erst reicht der US-Präsident eine rhetorische Kriegserklärung gegen den japanischen Überschuß im Handel mit Amerika nach, die er im Kreis der Sieben zumindest nicht öffentlich gemacht hat; postwendend droht Premier Hashimoto, der sich in Denver noch Clintons Cowboystiefel angezogen hat, mit dem Verkauf amerikanischer Anleihen in großem Stil; gegen Gold womöglich, was der Verweigerung weiterer Anerkennung des von der Weltmacht garantierten nationalen Kreditgelds nahekommt. Dieser Hinweis auf mögliche Grenzen japanischer Bereitschaft, die Weltwirtschaft weiter zu Amerikas einseitigen Bedingungen mitzutragen, stürzt immerhin die Börse in New York kurzzeitig in größere Verwirrung.
So legt der G7-Gipfel der Acht
in Denver die
Strukturen der Freundschaft unter Imperialisten offen;
einfach dadurch, daß die USA ein gutes Stück von jenem
diplomatischen Schein des Einvernehmens
kündigen, dessen Festigung die Treffen eigentlich
immer gedient haben.
*
Und der Neue? Daß er ein Mitglied
in
Anführungszeichen und von Amerikas Gnaden ist, macht
Jelzin nichts aus; daß er nur unter der Voraussetzung
zugelassen ist, daß das beim Westen völlig verschuldete
Rußland seinerseits die Schulden von Drittweltländern bei
sich größtenteils streicht, wird akzeptiert; daß er
ausgeschlossen bleibt, wenn die wirklich Großen in Fragen
des internationalen Kredits zur Sache kommen, steckt er
ohne Widerspruch weg. Der Mann nimmt an Anerkennung, was
er kriegen kann – und findet sich prompt so wichtig, daß
er sich in den amerikanisch-europäischen Dissens gleich
ein bißchen einmischt: Im Zweifelsfall wäre Rußland als
europäische Macht auf Seiten Europas zu finden. Was immer
das praktisch heißen mag. Die Gefahr einer Spaltung
des Westens
entdeckt in Jelzins Einlassung jedenfalls
niemand. Die Zeiten sind vorbei, als dieser Westen
immerzu mit zersetzenden erpresserischen
Friedensangeboten aus dem Osten rechnen und sich dagegen
verwahren und stets von neuem verschwören mußte: Sein
Moskauer Hampelmann bringt ihn nicht auseinander.
Das erledigen die Partner ab sofort selber. Diesen Fortschritt dokumentiert das Treffen in Denver und leistet so seinen kleinen diplomatischen Beitrag dazu.