Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Vorzeitiges Aus für unrentablen „Schrottreaktor Stade“:
Ökologie zwingt AKW-Betreiber zu ökonomischer Vernunft
Der Atomausstieg kommt „schneller als erwartet“. Der „Schrottreaktor Stade“ wird stillgelegt. Wie das? Dieser Beschluss der Energiewirtschaft geht schlicht auf betriebswirtschaftliche Berechnungen zur Bereinigung von Überkapazitäten zurück; das ist auch überall nachzulesen – die Grünen entblöden sich dennoch nicht, das als ihr Verdienst zu feiern.
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Vorzeitiges Aus für unrentablen
„Schrottreaktor Stade“
Ökologie zwingt AKW-Betreiber zu
ökonomischer Vernunft
Da hatte sich eine auf- und abgeklärte
Atomausstiegsrepublik gerade mal damit angefreundet, dass
sich trotz der „historischen Vereinbarung“ vom Sommer am
Zustand des 19-fach in deutschen Landen rumstehenden
„Restrisikos“ so schnell und absehbar nichts wird ändern
lassen. Schließlich kennt sie ihre Pappenheimer aus der
Atomwirtschaft nur zu gut: Die Stromkonzerne werden
die verabredeten Strommengen bis zur letzten
Kilowattstunde ausnutzen wollen
(FR, 23.6.00) – wo die Nutzung der
Restlaufzeiten abgeschriebener Atommeiler doch einer
„Lizenz zum Gelddrucken“ gleichzusetzen sei. So und
ähnlich die einhellige Überzeugung von damals. Und schon
gleich würde sich die Atomlobby ja wohl schwer davor
hüten, ausgerechnet einer rotgrünen Regierung freiwillig
Wahlkampfhilfe zu leisten und noch in dieser
Legislaturperiode die Abschaltung auch nur eines Reaktors
für die nächste bekanntzugeben.
Und dann das. Anfang Oktober ist die „Überraschung“
perfekt: Der Atomausstieg kommt „schneller als erwartet“.
Die beiden größten privaten Stromversorger Europas, die
zur E.ON und zur RWE.power AG fusionierten Konzerne
Viag/Veba und RWE/VEW, beschließen den Abbau von 15%
ihrer Stromerzeugungskapazität zwecks kostensenkender
„Bereinigung von Überkapazitäten“, die auf Preis und
Margen im liberalisierten europäischen Stromgeschäft
drücken. Neben zahlreichen Kohle-, Öl- und Gaskraftwerken
soll wahrhaftig auch ein Atomkraftwerk stillgelegt
werden. Dass im Zuge des Programms, europäischer
Kostenführer werden im Hinblick auf den brutalen
Verdrängungswettbewerb
– ein Wettbewerb, den unsere
Energiemultis gerade dabei sind, mit ihren
Zusammenschlüssen zu forcieren –, ein paar tausend
lohnabhängig Beschäftigte mit ihrem Lebensunterhalt auf
der Strecke bleiben, diese „Bereinigung“ ist natürlich
keine Überraschung. Das ist in unserem System und seiner
Rechnungsführung vielmehr sturzvernünftig, wenn auch
bedauerlich für die „menschlichen Schicksale“, und wird
voll verstanden. Dass dem „Rotstift“ jedoch ein
„riskanter Atom-Oldie“ (FR)
zum Opfer fällt, über dessen Betriebsgenehmigung die in
Atomfragen bekanntermaßen kritische Öffentlichkeit
nachträglich nur noch ihren sachverständigen Kopf
schütteln mag, das provoziert dann doch die Nachfrage,
wem die freudige Botschaft denn nun aufs
Umweltschutzkonto gutzuschreiben sei.
Die Energiewirtschaft stellt umgehend klar: Der Beschluss
geht auf gar kein Umweltschutzkonto. Die Entscheidung,
das AKW Stade ein Jahr früher abzuschalten als
vorgesehen, soll auf keinen Fall als „Bauernopfer“ an den
ökologischen Geist der „historischen Vereinbarung“
missverstanden werden, geschweige denn als „Signal“ für
ein dem Konsens geschuldetes weitergehendes
Ausstiegsszenario. Schlicht und einfach nackte
Betriebswirtschaft
(E.ON
Energie-Chef Harig) habe dafür den Ausschlag
gegeben.
So offensichtlich es die Absicht der
Energiewirtschaftsbosse ist, den Atomkonsens und seine
Auswirkung auf ihr Geschäft zu blamieren, so wenig ändert
das an der Blamage des ganzen rotgrünen
„Ausstiegs“theaters: Da inszenierte sich eine rotgrüne
Reformregierung als Retter der nationalen Ökologie vor
der „Profitgier“ einer „übermächtigen“ und zu jeder
Schadensersatzklage bereiten Atomlobby, der man in
monatelangen Verhandlungen einen „de luxe“- aber immerhin
doch einen Ausstieg
abgehandelt habe. Jetzt stellt
sich heraus: Ohne jede politische Nötigung und
Vorschrift, ohne einen Handschlag seitens der
ökologischen Jahrhundertreformer kommt für einen lange
Jahre als unverzichtbar beschworenen
(Der Spiegel) „Schrottreaktor“ das
vorzeitige Aus. Ganz sachlich nüchtern und ausschließlich
in voller Verantwortung vor dem Betriebsergebnis und dem
Value ihrer Shareholder haben die Strommanager ihren
Kraftwerksbestand durchmustern lassen. Und ganz nebenbei
fällt dabei die Schließung des Kernkraftwerks Stade mit
ab. Wenn eine gesetzliche Vorgabe in ihrer Kalkulation
überhaupt eine Rolle gespielt hat, dann war es eher
die Sonderbelastung mit zusätzlich rund 16 Millionen
DM pro Jahr durch den sogenannten niedersächsischen
Wasserpfennig
(E.ON
Pressemitteilung) und keinesfalls die ökologische
Jahrhundertvereinbarung mit all ihren vorstellig
gemachten „Verpflichtungen“. Das soll aber nicht heißen,
dass die Stromwirtschaft beim vorzeitigen Ausstieg aus
Stade darauf verzichten würde, den Atomkonsens mit
Leben zu füllen
(Bundeswirtschaftsminister Müller). Wo
das „geniale Umlageverfahren“ nun schon mal in der
atomwirtschaftlichen Welt ist, wird die nicht mehr
geschäftlich ausnutzbare „Reststrommenge“ des AKW Stade
als zusätzliches künftiges Verstromungsrecht auf die für
ihre gesundheitsfördernde Wirkung berühmten Meiler
Krümmel und Brokdorf übertragen. Man weiß ja nie, wie
sich der rentable Atomstrombedarf die nächsten Jahrzehnte
noch entwickeln wird.
Dass die Atombosse für die Schleifung eines ihrer Kernkraftwerke und den damit verbundenen „Abbau von Arbeitsplätzen“ einfach nicht die rotgrüne Bundesregierung und ihre „falsche Ausstiegspolitik“ haftbar machen wollen, das können die ökologischen Cheferneuerer der Republik dann doch nicht auf sich sitzen lassen. Aber die Profitrechnung der Stromkonzerne einfach zu dementieren, das kommt auch nicht in Frage. Schließlich wollen die rotgrünen Reformer nicht als Kostentreiber dastehen, die mit ihrer Ausstiegsökologie der Energiewirtschaft die Rentabilität von Atomstromfabriken versaut haben. Also warten sie mit einer Deutung der stromwirtschaftlichen Kostenrechnung auf, die in ihrem Sinne Ökologie und Ökonomie versöhnt:
„Die Energiewirtschaft hätte sich das Abschalten doch dreimal überlegt. Denn das hat immer politische Symbolkraft. Niemand muss jetzt, um die Kernkraft hochzuhalten, an einem Kernkraftwerk festhalten. Herr Stoiber hätte wahrscheinlich noch alle Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, selbst wenn sie keinen Absatz mehr hätten.“ (Bundeswirtschaftsminister Müller in der Welt, 15.10.)
Vorbei sind also für unsere Stromwirtschaft die schlimmen Zeiten, wo sie wegen politischer Vorgaben und ideologischer Selbstverpflichtung rücksichtslos gegen jede Rentabilitätsrechnung immerzu überflüssigen Atomstrom produzieren musste. In Zeiten der ökologischen Energiewende ist für solch wirtschaftlich unbegründete Liebe zur Kernkraftnutzung kein Platz mehr. Atomkonsens sei Dank, sind die Herren des Stromgeschäfts endlich von allen ideologischen und sonstigen Schranken befreit und dürfen in ihrem risikoreichen Gewerbe scharf kalkulieren – mit vereinbarten Restlaufzeiten, die kein Atomstromgeschäft so lange aushält. Kein Wunder, dass sich so „nachhaltige ökologische“ Erfolge wie von selbst einstellen müssen.
Mit anderen Worten: Der Atomkonsens zeigt Wirkung!
(Trittin)