Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Friedensnobelpreis für Jimmy Carter, Ex-US-Präsident

Eine Würdigung der Leistungen des Jimmy Carter. Als Präsident kämpft er für den Frieden, indem er den Sowjets mit Aufrüstung und Pershings das Angebot ihrer Selbstentwaffnung macht, die „Menschenrechts-Waffe“ erfindet, den Freiheitskampf im Afghanistan anheizt, am Persischen Golf mit seiner „Carter-Doktrin“ jedem mit Krieg droht, der die Interessen der USA verletzt, und mit dem Camp-David-Abkommen die Unterordnung der arabischen Welt unter Israels Eroberungspolitik kodifiziert. Als Ex-Präsident bereist er seitdem die Krisenherde der Weltpolitik, um allen bösen Schurken klarzumachen, was sie zu tun haben, damit Amerika sie nicht mit Krieg überzieht. Denn mit dem, was Amerika gar nicht leiden kann, da kennt er sich ja aus.

Aus der Zeitschrift

Friedensnobelpreis für Jimmy Carter, Ex-US-Präsident

Jimmy Carter erhält den Friedensnobelpreis 2002 … für seinen beharrlichen Einsatz über mehrere Jahrzehnte zur friedlichen Lösung internationaler Konflikte, für Demokratie und Menschenrechte sowie für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. (Begründung des Nobelpreiskomitees, sueddeutsche.de/dpa, 11.10.02). Das hat der Mann verdient. Als

Präsident der USA, 1977 – 1981,

der er erst einmal werden musste, weil man ja zum Friedenstiften ein bisschen mehr als peanuts mitbringen muss, nimmt er sich unverzüglich der „Weltkriegsgefahr“ an. Die kommt für ihn – wie für jeden im Westen – von den Waffen her, die Amerika und die Freiheit auf dem Rest der Welt bedrohen, und da ist ihm eines sonnenklar: Von denen gibt es einfach zu viele und von den amerikanischen zu wenig. Also sorgt er gleich dafür, dass im Haushalt für Verteidigung die nötigen Mittel für eine effektive „Abschreckung“ durch ein „heißes“ Weltkriegsszenario, atomare Abteilung inklusive, bereit gestellt werden. Er weiß aber auch noch etwas anderes: Mit der leidigen „Rüstungsspirale“, die sich da zwischen Amerika und der zweiten „atomaren Supermacht“ vor sich hindreht, kann es keinesfalls weiter gehen. Und wenn man den Sowjets schon die Waffen, die den „Weltfrieden“ gefährden, nicht einfach so wegnehmen kann, dann will er doch wenigstens dafür etwas tun, dass sie nicht immer mehr davon in die Welt stellen. Dafür können sie sich auch voll und ganz darauf verlassen, dass Amerika bei seinen neuen Raketen den eigenen Bedarf definitiv nicht überschreiten wird. Und so, mit Rüstungskontrolle und SALT-II-Vertrag, in dem die beiden unschlagbaren Weltfriedensmächte sich Obergrenzen beim Aufrüsten genehmigen – der westlichen also auch Raum für die hoffnungsvolle Berechnung, dass der sowjetische Koloss mit seinen bekannt tönernen Füßen dabei letztlich doch nicht richtig mithalten kann –, sind „die Risiken eines atomaren Schlagabtausches“ nicht mehr ganz so „unkalkulierbar“ wie vorher. Dieser erste große Schritt hin zu einer doch besseren Abschätzbarkeit der radioaktiven Nebenwirkungen, die der unabdingbare Fortschritt von Frieden und Freiheit auf der Welt mit sich bringt, ermutigt den Präsidenten. Vielleicht, denkt er, wird der Frieden noch sicherer, wenn sich die Russen noch zu einem weiteren Schritt ermuntern lassen. Wenn er sie z. B. ausdrücklich vor einigen zusätzlichen Risiken eines Atomkriegs verschont – und sie zum Ausgleich dafür das Risiko einfach selbst aus der Welt schaffen, das ihre Waffen darstellen. Bestellt sind Pershings und Cruise Missiles zwar schon, aber für den Frieden, d.h. für seine berühmte Null-Lösung in Europa, disponiert der Präsident jederzeit gerne um. Ganz zur atomwaffenfreien Zone wäre Europa damit zwar nicht geworden, aber vor SS-20-Raketen, die die Russen selbst abrüsten sollten, schon einmal sicher. Leider aber haben die schwerfälligen Russen erst noch die Botschaften des nächsten US-Präsidenten gebraucht, um den guten Sinn ihrer einseitigen Abrüstung zu kapieren, und Carter den Erfolg seiner Mission erst nach seiner Amtsperiode gegönnt.

So unkonventionell, wie Carter über die Waffen des Gegners denkt – verschrotten, was denn sonst? – verfährt er auch in Bezug auf den – völkerrechtlich an sich verbrieften – Respekt, den die Staaten der Welt sich gewöhnlich gewähren. Er hält es jedenfalls für ein Unding, wenn Staaten, die grundverkehrt regiert werden, dafür noch belohnt werden und sein Land sich mit denen auf eine Stufe stellen soll. Insbesondere dieser einen Macht, die sich mitsamt ihrem Block nachhaltig der Freiheit, dem demokratischen Regieren und der Marktwirtschaft verschließt, muss er ein ums andere Mal mitteilen, dass es höhere, nämlich moralische, Rechte gibt als die, die sie sich herausnimmt. Das sind – nein, nicht die Schweizer: Er hat’s erfunden! – die Menschenrechte, und ein Staat, der beim Umgang mit seinen Bürgern auf selbige nicht achtet, hat allein schon deswegen sein Existenzrecht verwirkt. Darauf macht der Präsident wiederholt aufmerksam und zeigt damit, dass ihm ein sicherer Frieden auf der Welt viel wichtiger ist als nur eine Ära der Entspannung zwischen ihm und den Russen. Mit dem ur-amerikanischen Impetus des Laien-Predigers beruft er sich zum moralischen Richter über das herrschaftliche Innenleben aller anderen Staaten; sortiert die, die sich nicht ins freiheitliche Lager der Guten hinein sortieren wollen, eigens noch einmal heraus – und sorgt sich dann um die weltdiplomatische Ächtung und weltpolitische Ausgrenzung dieser Staaten, die sein kongenialer Nachfolger im Amt dann nur noch ‚Reich des Bösen‘ zu nennen braucht. Und wie richtig schon Präsident Carter liegt, beweisen ihm die Russen unverzüglich: Ihre Rote Armee schicken sie nach Afghanistan, nur um noch ein Volk mehr zu unterjochen, das unter ihrer Knute gar nicht leben will! Das fordert ihn und mit ihm eine eindeutige Antwort der Weltgemeinschaft heraus, einen Boykott der olympischen Spiele 1980 in Moskau zuallererst, denn mit Staatsverbrechern kämpft man nicht auch noch um die Medaillen der nationalen Ehre. Man macht mit ihnen aber auch keine Geschäfte, weder rüstungsdiplomatische noch sonst welche, also weg mit SALT-II, stattdessen ein Weizenembargo – und viel Geld, CIA und Raketen für den Freiheitskampf in Afghanistan! Dass er mit seinem Engagement für die Freiheit am südlichen Rand Russlands seinen späteren Nachfolgern gleich die Gelegenheit stiftet, sich in derselben Angelegenheit genau andersherum auszuzeichnen, weiß der Ziehvater der Taliban zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht. Ganz sicher aber weiß er schon damals, was der Weltfrieden dort und überhaupt braucht: 1980 stellt er dem Kongress seine Carter-Doktrin vor – Jeder Versuch einer fremden Macht, die Kontrolle über die Region am Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten angesehen. Jeder Angriff dieser Art wird mit allen Mitteln zurückgeschlagen werden, auch mit militärischen – und seitdem muss nur der jeweils amtierende Chef des Weißen Hauses seinen Namen in „…-Doktrin“ einsetzen, damit das Weltfriedenswerk der USA auf den jeweils aktuellsten Stand gebracht ist. Beinahe en passant gelingt ihm mit dem Abkommen von Camp David 1978 ein weiterer großer Beitrag zum globalen Frieden. Halb überzeugt ist Ägyptens Sadat nämlich schon, dass am Frieden mit Israel für ihn kein Weg mehr vorbei führt – Feindschaft gegen Israel, das zeigen die verlorenen Kriege ja, lohnt sich für die Araber nicht. Aber ganz überzeugt eben doch noch nicht, und da ist wieder die Kunst unseres großen Friedensstifters gefragt: Der muss schon noch anmerken, dass sein mächtiges Land auch in Zukunft alles tun wird, damit Israel seinen Staat zu Ende gründen kann, im übrigen aber auch Ägypten, wenn es den Friedenswillen Israels nicht mehr stört, sich der freundschaftlichen Unterstützung Amerikas erfreuen könne. Da ist Sadat endgültig überzeugt und leitet mit seiner Unterschrift den Friedensprozess im Nahen Osten ein, wie er heute noch im Gange ist. Und dann macht der Präsident sich um des Friedens willen auch noch mit einer ganz bescheidenen – wie sich leider herausstellt: allzu bescheidenen – Mannschaft an die Befreiung der amerikanischen Botschaftsgeiseln – und den Vorwurf, daran gescheitert zu sein, wird er trotz aller seiner Verdienste nicht mehr los. Verbittert beschließt er, dann eben als

Ex-US-Präsident

seinem Land weiter zu dienen. Frei von den Lasten des weltpolitischen Alltagsgeschäfts, das er bei allen seinen Nachfolgern prinzipiell in guten Händen weiß, kümmert er sich als Privatmann darum, dass die bei ihrem Einsatz für den Frieden in Freiheit alles richtig machen. Als Wahlbeobachter sorgt er dafür, dass auch noch in solchen Staaten, in denen man das kaum mehr für möglich hält, gut, also von einer korrekt, ohne allzu viel Gewaltexzesse und Betrügereien zustande gekommenen Herrschaft regiert wird, und die Völker, wenn schon von sonst nicht viel, immerhin davon leben können. Bei den diversen Krisenherden auf dem Globus muss er schon allein deswegen vorbeischauen, weil von denen sein Land ja immer unmittelbar betroffen ist. Und wo das der Fall ist, ist immer auch der Frieden höchst gefährdet, J. Carter also sehr gefragt. Z.B. 1994 in Haiti, wo er stellvertretend für seine weniger höflichen Landsleute einreist und den Herrscher der Insel davon in Kenntnis setzt, was der zur Vermeidung einer amerikanischen Invasion alles Gutes tun kann. Oder in Nordkorea im selben Jahr, wo er die Regierenden davon überzeugt, zur Vermeidung eines Krieges mit Amerika doch besser nicht so stur auf dem Besitz von Atomwaffen zu insistieren. Und eigentlich immer und überall, wie er in seiner privaten Jimmy-Doktrin wissen lässt: Diese kleinen Burschen, die vielleicht Atomwaffen bauen oder die Menschenrechte verletzen, brauchen jemanden, der ihnen zuhört, ihre Probleme versteht und ihnen hilft, zu kommunizieren. (FAZ, 12.10.) Er glaubt halt an das Gute in den Schurken der Schurkenstaaten; und vor allem daran, dass sie, wenn er ihnen die Beichte abnimmt, allesamt vom Einbiegen in den rechten Weg zu überzeugen sind. Er hört ihnen zu, um ihnen dann ein wenig von dem großen, mächtigen Land zu erzählen, das Atomwaffen anderswo nicht ausstehen und es auch nicht leiden kann, wenn wo verkehrt regiert wird. Früher oder später werden sie ihn schon verstehen – und so auch, welche Probleme sie bekommen, wenn sie Amerika welche bereiten. Das hilft ihnen, sich zu bessern. Und weil er so der Welt immer den Frieden aus Amerika bringt, den sie so lieb gewonnen hat, und weil er das auch noch dann unverdrossen weiter tut, wenn der gerade amtierende Präsident dieses Landes im Namen der Freiheit, die ihm über alles geht, die Welt mit einem anderen Exportartikel beglücken muss, kriegt er seinen Preis: In der heutigen, von drohender Machtanwendung geprägten Lage hat Carter auf dem Prinzip beharrt, dass Konflikte in größtmöglichem Umfang durch Vermittlung und internationale Zusammenarbeit auf Basis des Völkerrechts, Respekt vor den Menschenrechten und wirtschaftlicher Entwicklung gelöst werden müssen. (Begründung, sueddeutsche.de/dpa) Die regierenden Amis im Weißen Haus stiften die Konflikte, damit ein nicht mehr regierender Ami sie dann beharrlich mit einem größtmöglichen Umfang an kommunikativer Hilfestellung lösen kann: So kommt immer ein Frieden heraus, der sein Preisgeld wert ist.