Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Fraport erklärt der Region ihren Flughafen:
Es war schon immer etwas lauter, Bewohner einer kapitalistischen Metropole zu sein
Seit Oktober 2011 ist die neue Landebahn des Frankfurter „Weltflughafen“ eröffnet und mit ihr der unerträgliche Engpass an verkaufbaren „slots“ – diesen Fachausdruck fürs Geschäft mit startenden und landenden Flugzeugen kann inzwischen sogar der Offenbacher auswendig hersagen – beseitigt, unter der das Wachstum der Fraport AG so gelitten hat. Die steigende Anzahl der Flugbewegungen und die Verlegung der dafür notwendigen Flugrouten hat eine neue „Lärmharfe“ über die Region gelegt, die sogar die Bourgeoisie in ihren Ghettos in und vor der Stadt aus ihren mehrwertgeschwängerten Träumen gerissen und in Teilen in den Widerstand getrieben hat: Heftige Proteste auf allen Ebenen, institutionalisierte Montagsdemos im Flughafen und eine Meinungsschlacht in der Öffentlichkeit, in der die Forderung nach Schließung der doch gerade von Frau Merkel qua Jungfernlandung eröffneten neuen Nordwestbahn als Konsequenz aus den „unerträglichen Belastungen“ (das Volk) eine Parole ist, die an jedem dritten Jägerzaun in den betroffenen Stadtteilen klebt.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Fraport erklärt der Region ihren
Flughafen:
Es war schon immer etwas lauter, Bewohner
einer kapitalistischen Metropole zu sein
Seit Oktober 2011 ist die neue Landebahn des Frankfurter
„Weltflughafen“ eröffnet und mit ihr der unerträgliche
Engpass an verkaufbaren „slots“ – diesen Fachausdruck
fürs Geschäft mit startenden und landenden Flugzeugen
kann inzwischen sogar der Offenbacher auswendig hersagen
– beseitigt, unter der das Wachstum der Fraport AG so
gelitten hat. Die steigende Anzahl der Flugbewegungen und
die Verlegung der dafür notwendigen Flugrouten hat eine
neue „Lärmharfe“ über die Region gelegt, die sogar die
Bourgeoisie in ihren Ghettos in und vor der Stadt aus
ihren mehrwertgeschwängerten Träumen gerissen und in
Teilen in den Widerstand getrieben hat: Heftige Proteste
auf allen Ebenen, institutionalisierte Montagsdemos im
Flughafen und eine Meinungsschlacht in der
Öffentlichkeit, in der die Forderung nach Schließung der
doch gerade von Frau Merkel qua Jungfernlandung
eröffneten neuen Nordwestbahn als Konsequenz aus den
„unerträglichen Belastungen“ (das Volk) eine Parole ist,
die an jedem dritten Jägerzaun in den betroffenen
Stadtteilen klebt. Dieser kritischen Öffentlichkeit
stellen sich Fraport und die Luftverkehrswirtschaft mit
einer eigenen Offensive auf ebenfalls allen Ebenen: neben
der Nutzung der klassischen Agitprop-Foren in Zeitung
Funk und Fernsehen fahren Fraport-Vorstände mit
Infobussen herum, werden doch tatsächlich „im Kampf um
die Straße“ aktiv und gründen zusammen mit den
Fluggesellschaften Lufthansa und Condor die Initiative
„Ja zu FRA!“. Insgesamt also eine sehr intensive
Umlandkommunikation, um der Region die Argumente des
Unternehmens und die Bedeutung des Flughafens zu
erklären
(Fraport-Sprecher
Harrer). Das Strickmuster dieser Argumente ist von
durchschlagender Schlichtheit:
„ Fliegen fasziniert, Flughäfen haben enorme wirtschaftliche Bedeutung, Flugzeuge machen Lärm. Der Luftverkehr hat viele Aspekte. Doch seitdem mit der Eröffnung der Landebahn Nordwest die Kapazität erweitert wurde, scheint es in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet nur ein Thema zu geben: Fluglärm. Das ist eine verständliche Reaktion, aber auch eine unzureichende Verkürzung. Jeder versteht die Betroffenheit durch Fluglärm. Dennoch sollten wir den Blick für das Ganze nicht verlieren.“ (Homepage der Fraport)
Wie sieht es also aus, das „Ganze“, durch dessen Anblick der Lärmschaden, den Fraport dem Regionbürger ja keinesfalls nehmen will, entschieden relativiert werden soll ?
1.
„Der Flughafen Frankfurt ist weit mehr als ein Infrastrukturprojekt. Er hat von jeher den einzigartigen Charakter und globalen Ruf Frankfurts als weltoffene, internationale Metropole geprägt. Sein Ausbau ist daher entscheidend, um unsere Wettbewerbsfähigkeit in Europa und der Welt auch weiterhin zu sichern.“ (Ralf Teckentrup, Vorsitzender der Condor Geschäftsführung)
Was wäre der Frankfurter ohne seinen Flughafen? Ein
Liebhaber saurer Getränke, notorischer Anhänger eines des
Öfteren zweitklassigen Fussballclubs und hauptberuflich
jemand, der sehen muss, wie er sein Geld
zusammenverdient, damit er in diesem teuren Pflaster über
die Runden kommt. Und mit Flughafen? Genau dasselbe, aber
in was für einer Umgebung! Er wohnt zwar nur zufällig
dort, aber jetzt am Tor zur Welt
(Schulte, Fraport Vorstand). Im ersten
Akt ist also die Kunst des Abstrahierens verlangt: Davon,
dass „die Welt“, von der die Fraport so
zustimmungsheischend schwärmt, gar nichts anderes ist als
die Internationale der Geschäftemacher, die so „offen“
ist, jeden Fleck dieser Erde danach durchzusortieren, was
an ihm an geldwertem Vorteil zu holen ist und sich dafür
die „Infrastruktur“ schafft. Mit der werden dann die
Funktionäre dieses Geschäfts zu ihren Meetings und
„internationale Warenströme“ an den Geldbeutel oder „just
in time“ in die Fabriken geschafft, in der die
gewöhnliche Menschheit Dienst an diesem Geschäft tut.
„Internationale Metropole“ ist eine miese
Reiseführermetapher für den ganzen kapitalistischen
Zirkus, der als Leben der gehobenen Güteklasse genommen
werden soll, sein imperialistischer Zuschnitt als Duft
der großen weiten Welt, an dem sogar der Niederräder
schnuppern darf, auch wenn der hauptsächlich nach Kerosin
stinkt. „Aufs Ganze“ gesehen ist der Lärm und Dreck, mit
dem die Flughafenbetreiber die Region beglücken, nichts
als die Begleiterscheinung eines modernen Lebens in einer
Metropole, das die Fraport AG den Frankfurtern
ermöglicht. In einer Weltstadt, die nie schläft, kann man
sich doch nicht über Schlafstörung beklagen! In dieses
Verhältnis gestellt, schrumpft die eigene Betroffenheit
durch den Fluglärmterror auf die Preisform moderner
Urbanität. Wer den nicht zahlen will, möchte wohl ins
Zeitalter der Vorglobalisierung zurück – oder gar in die
Provinz?
2.
Verlassen möchte sich die Interessengemeinschaft
Flughafen bei ihrer Werbung für ihr Premiumprodukt nicht
auf diese Empfehlung fürs falsche Baedeker-Bewußtsein;
ihre geile „Drehscheibe zu den Destinationen der Welt“,
die vor Ort die Notwendigkeiten und Annehmlichkeiten
eines modernen Lebens bietet, kann das natürlich nur
sein, weil und wenn sie selbst ein riesiges Geschäft ist
und für entsprechende Geschäfte anderswo sorgt! Im
zweiten Akt der Gesamtschau soll sich der Bürger der
Region unbedingt wieder an den kapitalistischen Witz des
ganzen Treibens erinnern, von dem er vorher als
Weltbürger so vornehm abstrahieren durfte – als die
Bedingung nämlich, unter der der ganze Spaß nur zu haben
ist. Niemand kann ernsthaft glauben, dass sich
Frankfurt ohne den Airport als Top-Bankenstandort und
Sitz der deutschen Börse etabliert hätte.
(Schulte im Interview mit der IHK
Hanau) Wen das Angebot, sich „das moderne Leben in
einer globalisierten Welt“ als auftraggebendes Subjekt
einzubilden, nicht überzeugt – es wohnt schließlich
nirgends, erteilt keine Aufträge und schließt keine
Verträge mit Schulte und Kollegen ab – , dem kommt der
Fraport-chef mit den wirklichen Subjekten, die
im modernen Leben mit ihren Interessen
maßgeblich bestimmen und die sich das Treiben auf FRA
tatsächlich bestellen, weil sie für ihr Geschäft den
Flughafen brauchen und weil die Bedienung dieser
zahlungskräftigen Interessen das Geschäft der AG
ausmacht. Unter diesem Gesichtspunkt befällt die
maßgeblichen Macher ein regelrechter Bildersturm für ihr
profanes Business, der bei Wachstumsmotor
beginnt
und bei Herzmuskel des Rhein-Main-Gebiets
nicht
endet; sie beschwören den Standortvorteil
für die
hessische Region wie für den ganzen Exportweltmeister
Deutschland und drücken damit immer nur das eine aus:
Ohne das Geschäft der Fraport läuft eben gar nichts in
diesem großstädtischen Idyll, seine Notwendigkeiten
bestimmen auch dieses „Leben“, wenn es das schon
ermöglicht. Weil das so ist, so der kühne Schluss, mit
dem die Fraport hausieren geht, muss man auch dafür sein:
Sie wirbt gar nicht groß für eingebildete segensreiche
Wirkungen ihrer Machenschaften, sondern damit, dass man
diesem Geschäft nicht auskommt – wer im Standort
anschafft, hat also auch das Recht auf den dazugehörigen
Standortpatriotismus! Man merke sich also: Mit dem
urbanen Leben ist gleich der ganze Kapitalismus
eingekauft und vor dessen Sachzwängen schrumpft die
eigene Betroffenheit vom Geschäft der Fraport auf die
Stufe unausweichlich – oder sollen in Zukunft die
Amsterdamer unter dem Privileg leiden, am größten
„Drehkreuz des Kontinents“ zu wohnen ?
3.
Für die notorisch schwer Erziehbaren unter den Protestlern, die nicht so recht kapieren wollen, weshalb sie ihre Beschwerden gegen die unbekömmlichen Wirkungen des Fraportgeschäfts einfach deshalb unterlassen sollen, weil dieses Geschäft die ganze Region beherrscht, haben die Fraportmacher auch noch den Totschläger parat, mit dem hierzulande jede Manifestation von Unzufriedenheit plattgemacht wird:
„‚Der Flughafen ist mit 75 000 Beschäftigten die größte lokale Arbeitsstätte Deutschlands... Für viele unserer Mitarbeiter und ihre Familien, ist der Flughafen nicht nur ein Stück Arbeitsalltag, sondern(!?) ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens‘, unterstreicht Dr. Stefan Schulte, Vorsitzender des Vorstandes der Fraport AG. ‚Der Ausbau des Flughafens sichert Tausende von Arbeitsplätzen und sorgt für die Schaffung vieler neuer Jobs‘, so Schulte. Mehrere tausend neue Arbeitsplätze sollen in den nächsten Jahren entstehen – für eine Vielzahl von Branchen und für alle Ausbildungsniveaus.“ (Pressemitteilung „Ja zu FRA“)
Man kann sich ja über das Leben in einer Metropole jede Menge Scheiß einbilden und einreden lassen: dass es überhaupt stattfinden kann, hängt davon ab, ob Firmen wie Fraport die Bewohner der Region überhaupt zu „unseren Mitarbeitern“ machen und im Dienst an ihrem Geschäft den Lebensunterhalt dafür verdienen lassen. An diese kapitalistische Grundgleichung erinnert der Vorstandschef als eine feststehende Tatsache, zu der die Rhein-Mainer die restlichen „Bestandteile ihres Lebens“ ins Verhältnis setzen sollen. Wer meint, seiner „größten lokalen Arbeitsstätte“ nach vollzogenem „Arbeitsalltag“ mit seinem Ruhebedürfnis vielleicht sogar per Demo auf die Nerven gehen und am Ende auf einer praktischen Beschränkung des Wachstumsinteresses dieses „Kronjuwel des Rhein-Maingebietes“ (Fraport über sich selbst) beharren zu müssen, den konfrontiert er mit der gar nicht verhohlenen Drohung, dass es dann auch im „wichtigen Bestandteil seines Lebens“ unangenehm ruhig zugehen könnte; er muss sich darüber belehren lassen, dass er überhaupt zu spät kommt: Wer mit seinem Lebensunterhalt vom Geschäftsleben im Standort abhängt, der hat von Beginn an keine Wahl. Entweder werden alle Anforderungen, die im Namen des Erfolgs dieses Geschäfts erhoben werden, bedient, dann kann an den so kalkulierten Arbeitsplätzen gearbeitet werden – wenn nicht, nicht. Die Tugend der Kompromissbereitschaft fällt ganz auf die Seite derjenigen, deren Angewiesenheit auf einen Job die bleibende Wahrheit des modernen Lebens auch jenseits der Metropolen ist. Diese Tugend dürfen sie nicht nur in ihrer Freizeit strapazieren, die durch ein „intelligentes Lärmmanagement“ gestaltet werden kann. Vor allem die Fähigkeit und Bereitschaft der Fraport AG, rentable Arbeitsplätze einzurichten, lässt sich nachhaltig fördern: dadurch, dass deren Nehmer im Prinzip nicht so sehr darauf achten, was sie eigentlich von diesem kostbaren Gut als Lohn haben. Am besten verbuchen die geschätzten „Mitarbeiter“ den Lohn, den Fraport nicht zahlen will, gleich als Investition in den Status des Arbeitsplatzbesitzers – so geschehen in dem letzten historischen „Arbeitsplatzsicherungsabkommen“ zwischen Fraport und Belegschaft unter Führung ihres Betriebsrates, in dem diese eine mehrstellige Millionensumme als Lohnverzicht in die Sanierung der Bilanzen der AG eingebracht haben. Wer das kapiert hat, der muss dann nicht mehr die Klappe halten, sondern soll sie aufmachen: auf Demos, die ihm der Arbeitgeber organisiert – in der Freizeit versteht sich, weil freiwillig – und auf denen er nicht nur „Ja zu FRA“ brüllen, sondern coram publico die aktuelle Losung der Belegschaft vortragen darf: „Solange wir die Flieger am Himmel sehen, haben wir Arbeit und Brot“. So geht es, das Metropolenbewußtsein für die Anhängsel des Kapitals.
4.
„Die neue Landebahn sichert die Zukunftsfähigkeit des Frankfurter Flughafens, insbesondere aber auch die positive wirtschaftliche Fortentwicklung der gesamten Region. Über ein Jahrzehnt wurde der Ausbau intensiv unter Beteiligung von Politik, Bürgern Verbänden usw. abgewogen, beispielsweise im Mediationsverfahren. Das deutliche Ergebnis hier: Ja , der Ausbau ist notwendig. Auch die Genehmigungsverfahren und Gerichtsverfahren ergaben ganz klar: Der Ausbau ist im öffentlichen Interesse. Dies erklärte auch bereits die damalige Bundes-Regierung in ihrem Flughafen-Konzept aus dem Jahr 2000. Gemeinsam arbeiten Luftverkehrswirtschaft und Politik weiter daran, die wirtschaftliche Fortentwicklung der gesamten Region mit den Belangen der Menschen, die vom Fluglärm betroffen sind, in Einklang zu bringen.“ (www.flughafenundregion.de)
Eins möchte sich so ein Weltunternehmen wie Fraport nicht
nachsagen lassen: dass es sich die Sache mit ihrem
Flughafenausbau leicht gemacht hat. Erst mal baut so ein
Unternehmen nur solche Landebahnen, die seiner
profitlichen Weiterentwicklung auch eine Zukunft geben,
alle anderen lässt es. Das verdient Respekt, zumal es
sich dann endlos Zeit nimmt zu klären, welche Einwände
mit diesem Ausbau vereinbar sind. Jedenfalls so lange,
bis den Einwändern klar gemacht ist, dass der Ausbau
notwendig ist. Dieses Ergebnis wird Fraport dann von den
zuständigen Machthabern in Berlin und Hessen bestätigt
und mit dem wichtigen Zusatz versehen, dass damit nicht
nur ihr Profitinteresse abgesegnet ist, sondern sich vom
Gedeihen dieses Interesse auch die Instanz abhängig weiß,
die mit ihren Gesetzen definiert, was die Allgemeinheit
als ihr Wohl zu interessieren hat. Und seitdem alle
gerichtlichen Instanzen mit ihrem Recht dieses Interesse
endgültig zum herrschenden gemacht haben – seitdem
kümmert sich diese gelungene Symbiose von Geschäft und
Gewalt geradezu rührend um die Frage, wie sich ein Leben
unter dem Regime dieses Geschäftsinteresses einigermaßen
aushalten lässt. Da wird öffentlich um jeden Fuß Flughöhe
gerungen und kein Ohrstöpsel verwehrt, wenn die
gesetzliche Schallschutzgrenze gerissen wird. Und der
Protest? Auch der kann sich nicht beschweren: Selten war
ein Protest gegen die Zumutungen, die so ein
kapitalistisches Großprojekt seiner Umwelt bereitet, in
besseren Händen als in diesen: In denen eines
Vorstandsvorsitzenden, der beim Einseifen der Betroffenen
vor Ort noch Gefühle hat (Natürlich ist es eine
schwierige Situation, die geht einem auch nahe.
Schulte laut hr-online) und in denen eines
Ministerpräsidenten, der vor lauter „Respekt vor den
Sorgen und Klagen der Menschen“, denen er aber „nichts
versprechen kann“ immerhin nicht vergessen hat, gegen das
Nachtflugverbot eines Gerichts, dass ihm damit das
hochgelobte Mediationsergebnis vorgeschrieben hat, zu
klagen – natürlich nur, damit der Bürger Rechtssicherheit
hat. Die immerhin kann er jetzt genießen.