Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Flugblatt zu den Protesten anlässlich des NSU-Prozesses
Wenn Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen und in das Elend oder gar den sicheren Tod zurück geschickt werden; wenn Behörden Ausländer systematisch wie Kriminelle behandeln; wenn Bürger hässlich über Migranten reden, sie schlecht behandeln oder dazu übergehen, sie gewalttätig zu drangsalieren oder gar gezielt umzubringen – dann sind regelmäßig ganz viele Menschen darüber empört. Genauso regelmäßig bleibt es dann dabei: nämlich bei der empörten Aufzählung von Fällen des „alltäglichen“, „normalen“, „strukturellen“, „in der Mitte der Gesellschaft beheimateten“ Rassismus. Aber wenn man in Bezug auf rassistische Gesinnung schon von deren Alltäglichkeit, weiter Verbreitung und tiefer Verankerung in der Gesellschaft spricht: Drängt es sich dann nicht irgendwann einmal auf, in dieser Gesellschaft nach den Grundlagen und Gründen dafür zu suchen? Oder soll nie etwas anderes folgen als der Ruf, dass nicht sein dürfe, was doch alltäglich ist?
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Länder & Abkommen
Flugblatt zu den Protesten anlässlich des NSU-Prozesses
Wenn Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen und in das Elend oder gar den sicheren Tod zurück geschickt werden; wenn Behörden Ausländer systematisch wie Kriminelle behandeln; wenn Bürger hässlich über Migranten reden, sie schlecht behandeln oder dazu übergehen, sie gewalttätig zu drangsalieren oder gar gezielt umzubringen – dann sind regelmäßig ganz viele Menschen darüber empört. Genauso regelmäßig bleibt es dann dabei: nämlich bei der empörten Aufzählung von Fällen des „alltäglichen“, „normalen“, „strukturellen“, „in der Mitte der Gesellschaft beheimateten“ Rassismus. Aber wenn man in Bezug auf rassistische Gesinnung schon von deren Alltäglichkeit, weiter Verbreitung und tiefer Verankerung in der Gesellschaft spricht: Drängt es sich dann nicht irgendwann einmal auf, in dieser Gesellschaft nach den Grundlagen und Gründen dafür zu suchen? Oder soll nie etwas anderes folgen als der Ruf, dass nicht sein dürfe, was doch alltäglich ist?
Gegen staatlichen Rassismus – aber nicht gegen seine Grundlage im Staat?
Soll man es für normal halten, dass Staaten sich mit ihrem Gewaltmonopol gegeneinander abgrenzen und so den ganzen Globus in nationale Territorien einteilen? Geht es in Ordnung, dass jeder Staat seinen Besitzanspruch über Land und Leute eifersüchtig und im Wortsinne mit aller Gewalt verteidigt, weil er sie als Ressource seiner Macht behandelt? Soll man es für nicht weiter befassenswert erklären, dass Staaten mit der Ein- oder Ausgrenzung der Leute in ihr Volk oder aus ihm heraus über alle Lebensumstände der Betroffenen bestimmen und manchmal auch über das pure Überleben? Soll man es einfach so hinnehmen, dass Staaten also lange vor jedem rassistischen Exzess die (Nicht-)Zugehörigkeit zu einem nationalen Kollektiv ganz praktisch zur entscheidenden Eigenschaft jedes Menschen machen?
Soll man sich wirklich nur über den staatlichen Umgang
mit Menschen aufregen, wo der in regelrechten
staatlichen Rassismus
übergeht? Darüber, dass
Behörden bei ihrem gesetzlich geregelten und in
Demokratien auch noch öffentlich besprochenen und
kritisch begleiteten Geschäft des ein Ein- und
Aussortierens gewisse Verfahrensregeln nicht einhalten?
Zum Beispiel eben darüber, dass Amtsträger reihenweise
den grundsätzlichen und ausländerrechtlich verankerten
Vorbehalt gegenüber Fremden auf dem eigenen Staatsgebiet
in ein Vorurteil über eine Neigung der Ausländer
zu kriminellem Tun ummünzen? Und das dann zur Leitlinie
ihrer Ermittlungstätigkeiten machen, indem sie bei
Serienmorden an Türken und Griechen stur im „Milieu“ der
Opfer fahnden?
Gegen alltäglichen Rassismus – aber woher kommt er?
Er hat seine Grundlage darin, dass ein Volk zu seiner
Rolle als Produkt und Basis der staatlichen
Herrschaft und zu deren Ansprüchen nach innen und
außen „Ja!“ sagt und zugleich von dieser Rolle
nichts wissen will: Seine Unterwerfung unter die
Staatsgewalt nimmt es umgekehrt stolz als
Privileg der Zugehörigkeit zu einer exklusiven
nationalen Gemeinschaft wahr, das den anderen, die nicht
dazugehören, nicht zusteht. Das große Wir
hat
zusammenzustehen und sich in einer Welt von
Herausforderungen zu behaupten, die von den
anderen
Staaten und Völkern ausgehen. Dieses
patriotische Selbstverständnis verbietet für jeden
anständigen Volksgenossen, danach zu fragen, was er
eigentlich davon hat.
Soll man eine solche völkische Gesinnung wirklich erst
dann anprangern, wenn sie dieses unterwürfige, schädliche
und dumme Mir san mir!
auch noch im Blut oder in
den Genen finden will? Oder wenn Bürger den Gegensatz der
Nationen in die persönliche Verachtung anderer
Nationalitäten übersetzen? Wenn sie darum als Preis für
die ihnen vom Staat abverlangte Toleranz Ausländern
gegenüber deren deutliche Schlechterbehandlung fordern?
Oder wenn sie offen feindselig werden und von ihrer
Herrschaft verlangen, vor Fremden
im eigenen Land
ganz verschont zu bleiben, und manchen aufrechten Bürgern
ihre Staatsmacht beim Sauberhalten der Ordnung von diesen
Fremden
zu lasch erscheint? Wenn sie sich darum
als Aktivisten nationaler Säuberung von volksfremden
Elementen
aufführen, um keinen Preis gewillt sind,
auch nur deren pure Anwesenheit in ihrer
Nation zu
dulden und darum in Form von Serienmorden,
Brandstiftungen oder Prügelorgien zu der Gewalt greifen,
die sie beim Staat vermissen?
Verfassungsschutz abschaffen – aber was spricht eigentlich gegen diese Behörde?
Dass es eine Behörde ist, deren gesetzlich geregelte und demokratisch legitimierte Aufgabe es ist, die freiheitlich demokratische Grundordnung vor jedem Missbrauch durch abstammungsmäßig oder politisch unzuverlässige Zeitgenossen zu schützen? Dass sie von Amts wegen beweist, dass das große Freiheitsversprechen der Demokratie darauf beruht, also zur Bedingung macht, dass nur der Gebrauch von der Freiheit gemacht wird, der die staatliche Ordnung nicht praktisch bedroht oder auch nur theoretisch in Frage stellt? Dass die Behörde dafür von Amts wegen jedem abweichenden oder irgendwie auffälligen Gebrauch der großartigen Freiheitsrechte nachschnüffelt?
Oder stört bloß die unschöne, für die entsprechenden Mitarbeiter aber anscheinend gar nicht unpassende „rechte Gesinnung“?