Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Fischer kommentiert den Irakkrieg
Friedensbewegung an der Macht – deutsch und bündnisfähig

USA und England werfen Bomben auf den Irak – Fischers Kommentar, ganz deutsch und friedensbewegt: Schade, dass es so kam, aber angesichts eines Saddam musste es ja so kommen. Und wenn das Schießen vorbei ist, ist es des Außenministers innerstes Bedürfnis, zu unterstreichen, dass man zwar beim Krieg ausgemischt war, sich aber beim anstehenden imperialistischen Weltordnen wieder kräftig einzumischen gedenkt.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Fischer kommentiert den Irakkrieg
Friedensbewegung an der Macht – deutsch und bündnisfähig

Die USA, unterstützt von Großbritannien, werfen Bomben auf den Irak – und Deutschlands demokratische Öffentlichkeit schaut mit Interesse und großer Spannung nach Bonn, oder wo immer sich die Chefs der neuen Regierung gerade herumtreiben: Was sagt der grüne Außenminister dazu? Besteht er diese echte „Bewährungsprobe“? Kriegt Fischer als Grüner einen gescheiten deutschen Standpunkt zu dieser Kriegsaktion hin?

Denn eins ist klar: Schweigen kann Deutschland dazu nicht. Es geht schließlich nicht um irgendein Gemetzel im fernen Afrika, wo die Nation sich nichts vergibt, wenn sie weder Partei ergreift noch in die Rolle des überparteilichen Aufsehers einsteigt. Immerhin treibt da die Führungsmacht des Westens einen Konflikt in der nahöstlichen Ölregion militärisch auf die Spitze, stellt einen Weltordnungsfall der obersten Güteklasse her und statuiert ein Exempel dafür, wie derartige Fälle zu lösen sind, stiftet also ein paar neue Selbstverständlichkeiten in Fragen des internationalen Gewaltgebrauchs und setzt ein paar andere, bislang irgendwie beherzigte Gepflogenheiten – UNO und Völkerrecht betreffend – absichtsvoll außer Kraft. Das alles treiben die USA, ohne auch nur formell in Bonn vorher anzufragen, ob es so auch recht wäre; ohne Deutschland zu seiner vorherigen Zustimmung, geschweige denn – in deutlichem Gegensatz zum Partner England – zum Mitmachen einzuladen; und lassen bei alledem überhaupt keinen Zweifel, daß sie damit ihrem NATO-Vasallen gegenüber eine imperialistische Richtlinienkompetenz in den höchsten Entscheidungsfragen über Krieg und Frieden in Anspruch nehmen. Daß Deutschland dazu einfach keine Meinung haben, nicht Stellung nehmen könnte, ist einfach ausgeschlossen – oder andersherum: Auch das wäre eine Art, Stellung zu nehmen. Denn als Zentralmacht der EU, als ambitionierter Beitragszahler der UN, als amerikanischer Brückenkopf in der NATO, als Aktivist westlicher Ostpolitik und als europäische Weltordnungsmacht von Gewicht ist Deutschland durch diese Aktion herausgefordert – und dadurch, daß es an der am Irak durchexerzierten gewaltsamen Weltordnungsaktion ganz praktisch seine Unwichtigkeit, oder sagen wir: seine vergleichsweise geringere strategische Bedeutung demonstriert bekommt, erst recht.

1. Die Tragweite dieser Herausforderung braucht der deutschen Öffentlichkeit nicht einmal besonders klar zu sein, um mit Interesse und scharfen Kriterien zu prüfen: Was macht Fischer für eine Figur? Wie steht Deutschland in dieser zwiespältigen Lage – angesichts eines Krieges, von dem es ausgeschlossen, von dessen weltpolitischer Bedeutung es aber betroffen ist – mit dem Grünen als Außenminister da? Und ganz nebenbei: Wie geht der deutsche Außenminister mit seiner pazifistischen Erblast um? Wie bewältigt er die Kollision der alten friedensbewegten Ideale mit Amerikas Kriegswut? Kollidiert da überhaupt etwas?

Fischers erste Antwort – die US-Militärs schießen sich gerade ein – besteht aus zwei Teilen.

Erstens: Wir bedauern, daß es zu einem Militäreinsatz gekommen ist. (taz, 18.12.98) Zweitens: Saddam Hussein trägt dafür in vollem Umfang die Verantwortung. Dazu gibt es allerlei erläuternde Zusätze von der Art: Die Weltgemeinschaft kann nicht akzeptieren, daß der Irak die Herstellung von Massenvernichtungswaffen anstrebt. (FAZ, 19.12.98)

Vom Krieg – da läßt der Außenminister rückhaltlos sein friedensbewegtes grünes Herz sprechen – ist Deutschland also erstens überhaupt nicht begeistert. Wie auch: Die Nation ist in keiner Hinsicht Urheber und folglich auch nirgends Nutznießer der amerikanischen Bombennächte, sondern ein kaltgestellter Dritter. Sie hat in Fragen der weltpolitisch letzten Dinge nichts zu melden und ist darüber alles andere als glücklich. Also gibt ihr höchster Außenvertreter diplomatisch zu Protokoll – wir bedauern –, daß man in Bonn mit der eigenmächtigen amerikanischen Eskalation der Affäre durchaus unzufrieden ist und einigermaßen beleidigt, weil nicht gefragt und somit unter Wert behandelt. Dies verdeutlicht, will man es mit der Distanz zur Führungsmacht allerdings auch nicht übertreiben. Schon gar nicht will man einen diplomatischen Dissens heraufbeschwören, so daß der Außenminister noch einmal sein gereiftes friedensbewegtes Gewissen sprechen läßt und, wenn denn schon Krieg stattfindet, nach dem Schuldigen fragt. Wie von selbst fällt seine Antwort auf die Schuldfrage mit der des US-amerikanischen Strafgerichts, die grüne Kriegsmoral also nahtlos mit der ohnehin geltenden zusammen, und damit ist Deutschlands weltpolitischer Standort klargestellt: Die Nation billigt die von den USA vorgenommene Sortierung der Staatenwelt, die Identifizierung eines Feindstaates im Nahen Osten wie auch dessen kriegerische Behandlung. Sie spricht diese Zustimmung in Form eines eigenen, quasi selbständig ermittelten Urteils über den irakischen Diktator aus – soviel formelle Autonomie ist sie sich schuldig. Das schon deswegen, weil in der Sache nichts weiter ausgedrückt ist als die Bereitschaft, der von Washington vorgegebenen und mit ein paar Bombennächten unterstrichenen Richtlinie zu folgen – ein hartes Eingeständnis für eine europäische Führungsmacht.

2. Deswegen ist die distanzierte Unterordnung auch nicht das letze Wort in der Affäre. Daß am Golf Raketenschießen angesagt ist und Deutschland dabei nichts zu melden hat, kann so nicht stehenbleiben. So beeilt sich der Minister, kaum daß die Bombardierungen beendet sind, mit einer zweiten Stellungnahme, in der schon wieder friedensbewegte Erbschaft und bundesdeutsches Nationalbedürfnis vortrefflich zusammenstimmen:

„Außenminister Fischer sprach von ‚großer Erleichterung‘, mit der die Bundesregierung die Beendigung der Luftangriffe der USA und Großbritanniens zur Kenntnis genommen habe… Der Blick der internationalen Gemeinschaft müsse sich nun mit aller Kraft wieder auf das Ziel der Aufhebung der Sanktionen und der Wiederaufnahme des Irak in die Gemeinschaft friedliebender Staaten richten. Die Lebensbedingungen der irakischen Bevölkerung müßten verbessert werden… Es bedürfe jetzt nachdrücklicher Initiativen zu einer Neuorganisation der Abrüstungskontrolle im Irak. Dazu sei auch eine intensive Abstimmung innerhalb der Europäischen Union nötig… Der UN-Sicherheitsrat müsse zu einer einheitlichen Haltung zurückfinden.“ (SZ, 21.12.98).

Eine Wiederaufnahme des Irak in die Gemeinschaft friedliebender Staaten, die nach gemeinsamem Verständnis die Eliminierung von Saddam und der Reste seiner Militärmacht voraussetzt, läßt sich für Fischer doch viel besser ohne Krieg, mit friedlichen Mitteln erreichen, mit einer wie auch immer beschaffenen Neuorganisation der Abrüstungskontrolle im Irak – das ist einmal wieder grün-pazifistische Erbmasse; und zugleich wie geschaffen fürs deutsche Interesse, der Ausgrenzung eine machtvolle Rückmeldung der Nation als nicht zu übergehende Weltordnungsinstanz folgen zu lassen. Sobald es darum geht, die Erträge der englisch-amerikanischen Bombenangriffe weltpolitisch nutzbar zu machen, ist Deutschland nach eigenem Willen wieder voll dabei, verweist dezent auf seine wichtige Rolle beim Sanktionsregime über den Irak, winkt mit seinen ökonomischen Mitteln, die Lebensbedingungen im Irak betreffend, bringt sich als europäische Führungsmacht in Erinnerung und wartet mit eigenen Vorstellungen über die Politik des Weltsicherheitsrates auf, dem es gar nicht angehört: Jeder Punkt eine diplomatische Spitze gegen die USA, die den großen Bruder daran erinnern soll, daß er zwar ohne Rücksicht auf seine Partner Bomben abwerfen kann, aber doch sehr auf sie angewiesen ist, wenn daraus ein Stück dauerhafter Abschreckungs- und Weltordnungspolitik werden soll. Nicht einmal in der diplomatisch allerheikelsten Frage nach der zukünftigen Rolle des höchsten weltpolitischen Vorbehalts, wonach für ordentliche Kriege die Ermächtigung durch ein Mandat des Weltsicherheitsrates nötig ist, rührt die rot-grüne deutsche Außenpolitik am Bestand der transatlantischen Freundschaft. Auch da findet Amerika die Deutschen, hier vertreten durch Fischers sozialdemokratischen Staatsminister Verheugen, an seiner Seite:

„Die von den Amerikanern angesichts des Verhaltens von Saddam Hussein ausgesprochene Drohung mit Gewaltanwendung sei berechtigt. Die Bundesregierung hätte eine friedliche Lösung durch die Vereinten Nationen vorgezogen. Man müsse jedoch zur Kenntnis nehmen, daß die Vereinten Nationen im Fall Irak handlungsunfähig geworden seien, weil sie von Rußland und China im Sicherheitsrat blockiert würden.“ (FAZ 19.12.98).

Wenn gewisse Sicherheitsratsmitglieder meinen, gegen Washingtons Machtwort ein Veto einlegen zu müssen – um so schlimmer für ihr Veto und das UNO-Konstrukt, das ihnen das Recht dazu einräumt; das sieht man auch in Bonn so. Nur soll Washington sich nicht einbilden, es könnte der Weltmacht egal sein, wie man in Bonn/Berlin die Frage der Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen sieht und entscheidet – und daß man dort eine friedliche Lösung vorgezogen hätte…

Das muß der Kinkel zugeben: Die Kombination von Unterordnung unter Amerikas Vorgaben und Anmeldung deutscher Mitentscheidungsansprüche hätte Genscher nicht besser hingekriegt. Deutschlands Öffentlichkeit jedenfalls ist mit ihrem Fischer in der Irakfrage zufrieden.