Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Evangelischer Kirchentag in Leipzig
Ein wenig gelungener Beitrag zur nationalen Sinnstiftung
Mit der Frömmigkeitsmobilisierung durch den Kirchentag ist die Öffentlichkeit eher unzufrieden. Auch das Anhängen an kritische Bewegungen bringt der Kirche nicht mehr so viel wie früher.
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Evangelischer Kirchentag in
Leipzig
Ein wenig gelungener Beitrag zur
nationalen Sinnstiftung
Bei Kirchentagen treffen sich die Gläubigen, beteuern ihre Freude in und an Christus, arbeiten mit der Bibel und hoffen, daß Ungläubige mal hereinschauen. Das allein wäre aber langweilig. Der spektakuläre Teil fängt da an, wo die Kirche sich zu ihrer „gesellschaftlichen Verantwortung“ bekennt. Da kommt dann die Politprominenz, zumindest aus der zweiten Liga, vorbei, um im Namen der nicht bloß guten, sondern auch frommen Absichten, mit denen sie die Macht im Staat anstreben bzw. ausüben helfen, für sich und ihren Club zu werben. Die Kirchenleitung ihrerseits spekuliert darauf, daß von der Würdigung ihres Engagements durch die Instanzen und Figuren, die in der Demokratie wirklich das Sagen haben, ein Werbeeffekt für ihren Verein ausgeht.
Der gemeinsame Nenner ist diesmal bereits mit dem
Tagungsort angegeben: Leipzig, die Heldenstadt
von
neulich, in der die Kirche sich als Heimathafen für das
Massenbedürfnis nach besseren politischen Herren bewähren
durfte; mittlerweile einerseits Boomtown
,
andererseits einer von vielen Brennpunkten des damit
verbundenen Elends sowie der gesamtnationalen
Mißstimmung, die im Jahre 7 nach der Einheit allen
Verantwortungsträgern Sorgen macht. Das Kirchentagsmotto
von wegen Gerechtigkeit
, Weg
und
Leben
braucht es kaum, um klarzustellen, worum es
geht: Die Kirche Luthers will mit moralischer Autorität
eine gesamtvölkische Versöhnungsveranstaltung moderieren
und damit der Nation einen guten Dienst leisten, damit
deren Insassen sie wieder ernst und wichtig nehmen.
Daß das nur geht, wenn man erst einmal durch Klagen über
Fehlentwicklungen
, soziale Ungerechtigkeiten,
enttäuschte gesamtvaterländische Hoffnungen und
dergleichen mehr Problembewußtsein demonstriert, ist
eigentlich klar – wie sollte die Kirche sich ohne Problem
als dessen Lösung anbieten? Wo bliebe überhaupt die Sache
mit der Erlösung ohne Jammertal? Etlichen Vertretern des
nationalen Zeitgeistes, der das eigentliche deutsche
Problem in mangelnden völkischen Glücksgefühlen
ausgemacht hat, ist das allerdings schon zu dialektisch:
Das fromme Gerede von einem Riß zwischen den Reichen
und den Armen
im Land finden sie linksradikal und den
Tatbestand der nationalen Spaltung schon dadurch erfüllt,
daß der ideologische Häuptling der PDS, André Brie,
Gelegenheit zu dem Bekenntnis erhält, er hielte nichts –
mehr! – von weltlichen Heilslehren
. Auf der Seite
kann die Kirche also gleich gar keinen Dank ernten für
ihr frommes Bemühen, die sozialen Nebeneffekte des
gesamtdeutschen Kapitalismus und die speziellen
Gemeinheiten des herrschenden Anschluß-Nationalismus in
einen schwierigen Fall zwischenmenschlicher Entfremdung
umzudeuten, die nur durch Verbrüder- und -schwesterung im
Zeichen des himmlischen Vaters, durch –
Kirchentagssymbol! – tausendfach ausgestreckte Hände zu
überwinden sei.
Auch sonst allerdings, in einer für derartige fromme
Albernheiten durchaus aufgeschlossenen Öffentlichkeit,
stößt der Kirchentag auf kein übermäßig erfreutes Echo.
Vermißt wird schlicht – der positive Effekt: Kaum Zonis,
die sich mit ihren altgedienten bundesdeutschen
Volksgenossen, kaum Arbeitslose, die sich mit ihren
Personalchefs und dem Sozialminister, kaum
Arbeitsplatzbesitzer, die sich mit ihren Börsenmaklern
und Globalisierungs-Politikern protestantisch versöhnen
lassen wollen; nicht einmal Begeisterung für die Idee,
Unternehmer, die nachweislich Arbeitsplätze schaffen, als
gute Menschen zu prämiieren; überhaupt keine Anzeichen
für eine Massenbewegung der klassenübergreifend guten
Laune (wie neulich noch beim Fußballfest im Ruhrgebiet…).
Kenner der Szene erinnern sich enttäuscht und mit
leichter Sehnsucht an jene verflossenen großen
Kirchentage, als eine über Bundesdeutschlands neue
Atomraketen erschrockene Friedensbewegung sich im Namen
des Herrn dazu hat bekehren lassen, die Gewalt
vor
allem im eigenen Herzen zu bekämpfen: Das war
Aufbruchsstimmung; da hat das nationale Christentum noch
echt was bewirkt im Land… Nicht so Leipzig. Von dem
Protestantentreffen geht jedenfalls kein Ruck aus, wie
der Präsident ihn doch so nachdrücklich angemahnt hat.
Bleibt die Schuldfrage. Und so fad wie der Kirchentag, so abgewogen fällt ihre Beantwortung aus: Ziemlich schuld sind die Profis aus dem Westen, die wieder mal alles an sich gerissen haben. Deutlich mehr schuld sind die Zonis, die einfach nicht mitmachen beim Grübeln und Lachen in Christo, weil sie immer noch nicht und noch nicht einmal die Kurve zur nationalen Durchschnittsfrömmigkeit hinkriegen. (Hauptsächlich schuld ist also wieder mal… na wer wohl!) Vielleicht hat sich aber auch die Kirche etwas zu sehr „auf sich zurückgezogen“ – doch was soll sie machen?
„Wir können nur werben, denn die Zeiten der gewaltsamen Missionen sind ja wohl vorbei“. (Bischof Kreß, Sachsen)
So ist es: Gewaltsame Missionen wickelt die Demokratie für ihre imperialistischen Belange ab, ohne kirchlichen Auftrag; da müssen die Pfarrer schon selbst sehen, wie sie mit ihrem Segen für gutes Gelingen Aufmerksamkeit auf sich lenken!