Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Ein echter Mars unter dem Sternenbanner
Die Bewunderung der technischen Leistung der Raumfahrtnation USA ignoriert, dass Grundlage und Zweck dieser Raumfahrt die militärische Sonderstellung der USA ist. Und um die militärische Macht geht es auch den anderen, weshalb die BRD auf ihren Beitrag scharf ist.
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Ein echter Mars unter dem Sternenbanner
Pünktlich zum Independence Day
plumpst die
amerikanische Sonde Pathfinder
nach sieben Monaten
und einer 500 Millionen Kilometer langen Reise auf den
Mars. Wenig später zieht der Roboter Sojourner
auf
die irdischen Befehle aus dem NASA- Kontrollzentrum hin
die ersten Spuren in den roten Staub. Der Erfolg des
Unternehmens steht damit fest, und die Botschaft, auf die
es einzig ankommt, wird 2 Wochen lang in 3D und Farbe und
gestochen scharf von der Neuen Welt
in die
hiesigen Fernsehstuben transportiert. Seit diesem
denkwürdigen
4. Juli 97 ist klar: Der Mars ist
amerikanisch. Und auch ein wenig deutsch.
Schließlich sind WIR mit einem winzigen Spion
made
in Mainz mit an Bord – laut schwarz-rot-goldener
Technikbrille bekanntlich das Herzstück zur
Erforschung des Mars
. Also wollen die Begeisterung
und das Staunen über das Können und die Fähigkeiten des
NASA D2X2 mit seiner deutschen Spürnase kein Ende mehr
nehmen.
Die historische
Bedeutung der Mission wird
entsprechend in Szene gesetzt. Daß die Nation der
stars and stripes
die Landung auf dem
Wüstenplaneten und seine Erkundung als einen einzigen
Eroberungsfeldzug und als die Inbesitznahme der Neuen
Welt
durch Amerikas ferngesteuerten Raumfahrthelden
zelebriert, das soll nicht nur symbolhaft von der Macht
und Größe dieser Nation zeugen und ihrer
wissenschaftlichen Nationalmannschaft zur Ehre gereichen.
So weit fernab der amerikanischen Heimat, daß selbst das
Licht mit seiner Geschwindigkeit dem Pathfinder
kaum mehr hinterherkommt, in einer kalten Wüste
herumzufahren mit einem Roboter, der auch noch auf das
Kommando Find the rock
hört und handballgroße
Felsen mit so feinsinnigen Namen wie Barnacle Bill
und Yogi
, die Cartoons und anderer amerikanischer
Weltliteratur entliehen sind, selbständig vorwärts
ansteuert und rückwärts analysiert, ja das alles
ist der gemeinte und wahrgemachte
Machtbeweis des irdischen Amerika und seiner
überlegenen technischen Mittel und technologischen
Fähigkeiten. Genau darauf kommt es an beim Aufbruch
ins Sonnensystem
: Daß eben ein
amerikanischer Pfadfinder, ob Maschine oder
künftig Mensch, zuerst und überhaupt es schafft, von
fremden Sternen Besitz zu ergreifen.
Diese Machbarkeit der Durchsetzung im
All verdankt sich der Leistungsfähigkeit und der
nationalen Produktivkraft einer „High-Tech“-Sphäre namens
Raumfahrt, die einzig deshalb auf die Welt kam und deren
Fortschritte mit Billionen an staatlichen Dollars
gestiftet wurden, weil es der Nation, deren Erbe von
Fortschritt, Entdeckungen und Forschungsgeist geprägt
ist
(Grußbotschaft Clintons an Pathfinder
) um
die Herstellung von militärischer Überlegenheit auch im
luftleeren Raum zu tun war. Und nur weil heutzutage der
„Rüstungswettlauf“ im Weltraum entschieden ist, die
ehemalige Sowjetmacht auch den Raum über uns geräumt hat,
und deshalb die technische Herausforderung
eines
Programms für den Weltraumkrieg namens star wars
und SDI so nicht mehr existiert, darf sich die NASA und
das von ihr geleitete Abenteuer Raumfahrt
wie ein
einziger ziviler Großflugbetrieb fürs Außerirdische
ausnehmen – immer unterwegs im Dienste der Wissenschaft
und des Menschheitsfortschritts. Eine Kleinigkeit wird
dabei allerdings übersehen, daß nämlich der exklusive und
monopolmäßige Zugriff auf die leistungsfähigsten
technischen Machtmittel, der die Ausnahmestellung
Amerikas als einer „zivilen“ Raumfahrtnation verbürgt,
auf seiner Sonderstellung als einer militärischen
Weltraummacht beruht. Und umgekehrt geht diese
Nation der Raumfahrer ganz selbstverständlich davon aus,
daß der technologische Fortschritt, den die Expedition
zum Nachbarplaneten
so mit sich bringt, die
Grundlagen und das Know-how erweitern hinsichtlich der
Machbarkeit all der Mittel, mit denen die Weltraummacht
Amerikas aufgerüstet wird.
Wo es um imperialistische Durchsetzungsfragen solchen
Kalibers im Außerirdischen geht, den irdischen Status der
Nationen als Welt(raum)mächte betreffend, da darf sich
unser Beitrag zur Mission grüne Männchen
auch und
gerade von offiziell deutscher Seite der größten
Wertschätzung erfreuen. Und zur rechten Unterfütterung
unseres Rechts auf einen angemessenen Platz in der
Hierarchie der Raumfahrtnationen verabschiedet die
Bundesregierung umgehend ihren überfälligen Beitrag von
2.5 Mrd. zur Finanzierung der künftigen internationalen
Raumfahrtstation, stellt ihre ernsten Finanzsorgen
kurzfristig zurück, und tritt amerikanischen
Befürchtungen energisch entgegen, Deutschland wolle
sich aus der bemannten Raumfahrt zurückziehen
.
Das größte Erkundungsprogramm seit den Mondflügen
will deshalb in deutschen Landen niemand wirklich
schlechtmachen. Im Gegenteil. Für die nötige
Aufbruchstimmung wird allenthalben gesorgt. Und damit
garantiert ein jeder mitbekommt, daß mit unserem
Spektrometer wahrhaft Raumfahrtgeschichte
geschrieben wird, haben die national gesinnten Perry
Rhodans in den Redaktionsstuben den Sinn und Zweck der
Unternehmung ihrem aufklärungsbedürftigen Volk
entsprechend verdolmetscht. Auf den kleinen Unterschied
zwischen Science und Fiktion kann es da nicht groß
ankommen. So ist unser Fernseh- und Analysenrohr im
Gepäck der NASA wenigstens damit zugange, die seit
Urzeiten im Menschen schlummernde Neugier für die Sterne
am Himmel
zumindest ein Stück weit zu befriedigen und
endlich Antwort auf die Fragen zu finden, die einen
deutschen Wertarbeiter seit seiner Kindheit belasten:
Gibt es außerirdisches Leben auf dem Mars?
Muß es
verdursten, oder gibt es Wasser in der roten
Wüste?
Und weil bekanntlich die deutschen Kleinkrämer
auch noch bei der Aufklärung der letzten
Menschheitsrätsel gehörig nachrechnen, müssen sie mit
einem unschlagbar günstigen Preis-Leistungsverhältnis für
die geschichtsträchtige Mission vereinnahmt werden:
Mit einer Mark Kilometergeld eine im Grunde billige
Tour zum Nachbarn im All. Sie befriedigt menschliche
Neugierde und bringt der Menschheit neue Erkenntnisse,
die durchaus auch nützlich sind
(SZ 8.7). Und während
über den Spin-off-Effekt
der Stop and
go
-Sensorentechnik für die Steuerung deutscher
Rollstühle noch spekuliert werden darf, steht jedenfalls
ein Ertrag schon fest, noch längst bevor die riesige
Datenflut
ausgewertet ist: Vielleicht lehrt uns
der öde, einst dem Kriegsgott geweihte Planet aber auch,
die Schönheit der Erde in ihrer Lebendigkeit aufs neue zu
würdigen. Wie fragil sie ist, wird vielleicht ein bißchen
deutlicher, wenn wir genauer wissen, warum der Mars so
trist ist.
(SZ 8.7) Wenn das nicht den Ausflug unserer
Sinnstiftungsnase ins außerirdische Jammertal wert ist!
*
Ach ja, die Kirche meldet sich natürlich auch zu Wort, wo das „Abenteuer Raumfahrt“ an die letzten moralischen Grundsatzfragen rühren soll. Die Schöpfungsgeschichte muß – Vatikanastronom sei Dank – nach dieser Marsmission nicht umgeschrieben werden, weil auch potentielle „grüne Männchen“ garantiert im christlichen Glauben in die Welt gekommen sind.
„Zu außerirdischem Leben meinte der Vatikanastronom: Es wäre höchst bewegend und zeigt uns die Größe der Macht Gottes, der das riesige Universum geschaffen hat.“ (SZ 7.7.97)