Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Grundkurs Ideologiekritik – heute:
„Trotz Rekordgewinnen: Allianz streicht 7500 Arbeitsplätze“ Was heißt da „trotz“?
Entlassungen finden doch wegen des Gewinns statt: Damit sich noch mehr von ihm in der Bilanz einfindet, entlässt der Betrieb Mitarbeiter, die er dazu nicht mehr braucht. Gegen alle Realität wird so getan, als bestünde da ein Gegensatz zwischen Gewinn und Streichen von Arbeitsplätzen. Das Unternehmen führt doch gerade wieder einmal praktisch vor, dass das eine die Methode fürs andere ist, und das ist auch für niemanden, der schon mal was von Rationalisierung gehört hat, eine Neuheit oder gar ein Geheimnis. Wieso also „trotz“?
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Grundkurs Ideologiekritik –
heute:
Trotz Rekordgewinnen: Allianz
streicht 7500 Arbeitsplätze
Was heißt da
„trotz“?
Die Entlassungen finden doch wegen des Gewinns
statt: Damit sich noch mehr von ihm in der Bilanz
einfindet, entlässt der Betrieb Mitarbeiter, die er dazu
nicht mehr braucht. Gegen alle Realität wird so getan,
als bestünde da ein Gegensatz zwischen Gewinn und
Streichen von Arbeitsplätzen. Das Unternehmen führt doch
gerade wieder einmal praktisch vor, dass das eine die
Methode fürs andere ist, und das ist auch für niemanden,
der schon mal was von Rationalisierung gehört hat, eine
Neuheit oder gar ein Geheimnis. Wieso also trotz
?
Weil die Menschheit gelernt hat, dass der höhere Auftrag, in dem Unternehmer unterwegs sind, darin besteht, „Arbeit zu schaffen“, sie den Beruf des Arbeitgebers ausüben, wenn sie sich um den Gewinn kümmern. Sie hat sich so Unfug eintrichtern lassen wie den, dass „die Gewinne von heute die Arbeitsplätze von morgen“ seien, und glaubt gerne daran, dass der Erfolg des Unternehmens in Gestalt von „sicheren Arbeitsplätzen“ auch der Belegschaft zugute zu kommen hat. Dass also der Profit des Unternehmens – zumindest irgendwie – auch ein Mittel der Belange derjenigen ist und zu sein hat, die fürs Unternehmen arbeiten. Und wenn dann so ein Unternehmen Gewinn macht und Leute entlässt, findet man sich in seinem doch nur allzu berechtigten Anspruch betrogen: Das findet man ungerecht und ist empört.
Diese Empörung taugt nicht viel. Wer sie an den Tag legt, hat längst geschluckt, dass sein privates Fortkommen eine abhängige Variable des Gewinns ist, den andere einstreichen, sein eingebildeter Anspruch umgekehrt ganz darin aufgeht, an einem „Arbeitsplatz“ gegen Lohn arbeiten zu dürfen. Als diese abhängige Variable ist der Klageführer unbedingt dafür, dass das Unternehmen Gewinn machen soll. Er hat eingesehen, dass ein Unternehmen, das Verluste macht, „Kosten sparen“ und entsprechend seine Belegschaft dezimieren muss. Nicht minder klar ist ihm, dass es, um „wieder schwarze Zahlen“ schreiben und „im globalen Wettbewerb mithalten“ zu können, rationalisieren muss. Nur die Konsequenz aus all dem, was er eingesehen und akzeptiert hat, weigert er sich zu ziehen: Dass dann eben auch der Gewinn der letzte Zweck des Unternehmens ist und es auf die Beschäftigten nur als Mittel für diesen Zweck ankommt, ihre Dienste also nur gefragt sind, wenn sie sich fürs Unternehmen rentieren. Und dafür, dass sie dies tun, sorgt das Unternehmen praktisch – indem es laufend die Kosten für die Arbeit senkt, mit und ohne Entlassungen.
*
Dem Volk in seiner Empörung können Politiker und
Öffentlichkeit diesmal nur beipflichten: Erneut
entlässt ein Konzern in großem Umfang, der
gleichzeitig Milliardengewinne erwirtschaftet
,
beschwert sich die ‚Süddeutsche‘, Kanzlerin Merkel hält
die Entscheidung der Allianz, die sie nicht
korrigieren kann
, für bedauerlich
. Sie selbst
haben diesen systemtragenden Schwindel ja jahrelang in
die Welt gesetzt und für seine Verbreitung gesorgt,
wonach „Wachstum Arbeitsplätze schafft“. Das war das
Versprechen, mit dem das Volk sich unter ihrer Anleitung
einbilden durfte, der Geschäftserfolg des Kapitals käme
auch ihm zugute. Also lässt man sich es auch nicht
nehmen, das so betreute Volk dann weiter an die Hand zu
nehmen, wenn es in seiner Lebenslüge ein wenig irritiert
wird. Man bringt zum Ausdruck, dass es mit seinen Sorgen
bei der Regierung gut aufgehoben ist und dass man dort
die Irritation und das ihr zugrundeliegende
Gerechtigkeitsempfinden nur zu gut versteht. Das ist dann
allerdings keineswegs das letzte Wort, sondern der
Auftakt dazu, die ‚verständlichen‘ Beschwerden
zurechtzurücken. Die für Volkes Meinung Zuständigen gehen
regelmäßig dazu über, auch für diese ‚empörenden‘
Entlassungen dann doch wieder gute Gründe ins Feld zu
führen, den „Arbeitsplatz“ zuallererst. Ein Volk, das
schon so viel eingesehen hat und billigt, wird ja wohl
auch verstehen können, dass Unternehmen gerade
wegen des hohen Auftrags, in dem sie unterwegs
sind, ihre „Gewinnsituation“ auch „für die Zukunft
sichern“, also heute entlassen müssen,
um die verbleibenden „Arbeitsplätze sichern“ und
morgen wieder mehr von denen „schaffen“ zu
können: Gerade ein vorausschauendes
Unternehmen
entlässt seine überflüssigen Mitarbeiter
genau dann, wenn der Konzern gesund ist, sich
nicht in einer tiefen Krise befindet und Notoperationen
vornehmen muss
! So nageln Regierende und
Öffentlichkeit das Volk auf seinen dummen Glauben fest
und weisen es zugleich zurecht: Aus dem verletzten
Gerechtigkeitsempfinden lässt sich ein Anspruch auf
„Beschäftigung“ jedenfalls nicht ableiten. Entlassungen
darf das Volk jederzeit und zusammen mit seiner Kanzlerin
für bedauerlich
halten. Es muss aber einsehen,
dass sie einfach unvermeidlich sind.
*
Manchmal aber finden Politiker an den Lebenslügen, die
sie selbst in die Welt gesetzt und heftig kultiviert
haben, keinen Geschmack mehr: Rüttgers wiederholte,
die Union müsse sich von ‚Lebenslügen‘ verabschieden, wie
der, dass niedrige Steuern zu mehr Investitionen und
Arbeitsplätzen führten.
(SZ, 7.8.06) Der
Aufrichtigkeit verpflichtet, wie er nun einmal ist, hält
der Mann es einfach nicht mehr aus, dem Volk in Form
einer Wirkungskette das Versprechen von mehr
Arbeitsplätzen zu unterbreiten. Er ist nämlich der
Auffassung, dass es seiner Partei nicht gut tut, wenn die
sich allzu sehr und immerzu nur mit Steuernachlässen fürs
Kapital profiliert und der dem Volk in Aussicht gestellte
Nutzen auf Dauer ausbleibt. Daher will er unbedingt das
soziale Profil
seines Wahlvereins schärfen
– was er damit auch schon getan hat: Wenn die Partei den
Unternehmen in Zukunft Steuern schenkt, dann tut sie es,
ohne dies dem Volk als Königsweg zu „mehr
Arbeitsplätzen“ zu verkaufen.