Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Enteignungspläne im Fall Hypo Real Estate
Steuerzahler vs. Aktionäre – Geistesverwirrung & Streit um das Rettungsübernahmegesetz
Nachdem der krisenhafte Geschäftsbetrieb der HRE als Großfinancier und weltgrößter Pfandbriefemittent nur mehr mittels stets wachsender Staatszuschüsse und -garantien aufrecht erhalten werden kann, ein Konkurs aber wegen der erwarteten Folgen für das Finanzsystem – „Tsunami“, „Springflut“, „apokalyptisch“ – nicht in Frage kommt, beschließt die Regierung, wenn sie schon zahlt, schnellstmöglich auch das Anschaffen in dem bankrotten Laden zu übernehmen. Durch die Übernahme eines beherrschenden Aktienanteils soll der systemrelevanten Bank die Bonität eines Staatsinstitutes und damit wieder Zugang zum dringend benötigten Kredit auf den einschlägigen Märkten verschafft werden. Das soll entweder durch den möglichst billigen Aufkauf der weitgehend entwerteten Aktien seitens des staatlichen Rettungsfonds Soffin geschehen, oder durch eine Kapitalerhöhung, die, verbunden mit zweckdienlichen Änderungen des Gesellschaftsrechts, die Altaktionäre ohne Mitwirkungs- und Bezugsrechte in eine bedeutungslose Stimmenminderheit verwandelt. Oder am Ende, wenn das alles nichts hilft oder dem Staatsfonds zu teuer wird, als „ultima ratio“ und „nachrangig gegenüber milderen Mitteln“, durch ein eilig vorbereitetes Enteignungsgesetz.
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Enteignungspläne im Fall Hypo Real
Estate:
Steuerzahler vs. Aktionäre – Geistesverwirrung &
Streit um das Rettungsübernahmegesetz
Nachdem der krisenhafte Geschäftsbetrieb der HRE als
Großfinancier und weltgrößter Pfandbriefemittent nur mehr
mittels stets wachsender Staatszuschüsse und -garantien
aufrecht erhalten werden kann, ein Konkurs aber wegen der
erwarteten Folgen für das Finanzsystem – „Tsunami“,
„Springflut“, „apokalyptisch“ (Katastrophenlyrik der SZ,
20.2.09, stellvertr. für alle) – nicht in Frage kommt,
beschließt die Regierung, wenn sie schon zahlt,
schnellstmöglich auch das Anschaffen in dem bankrotten
Laden zu übernehmen. Durch die Übernahme eines
beherrschenden Aktienanteils soll der
systemrelevanten Bank die Bonität eines
Staatsinstitutes und damit wieder Zugang zum dringend
benötigten Kredit auf den einschlägigen Märkten
verschafft werden. Das soll entweder durch den möglichst
billigen Aufkauf der weitgehend entwerteten
Aktien seitens des staatlichen Rettungsfonds Soffin
geschehen, oder durch eine Kapitalerhöhung, die,
verbunden mit zweckdienlichen Änderungen des
Gesellschaftsrechts, die Altaktionäre ohne Mitwirkungs-
und Bezugsrechte in eine bedeutungslose Stimmenminderheit
verwandelt. Oder am Ende, wenn das alles nichts hilft
oder dem Staatsfonds zu teuer wird, als ultima
ratio
und nachrangig gegenüber milderen
Mitteln
(Präambel, Buchst. A,
Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz), durch
ein eilig vorbereitetes Enteignungsgesetz. Die
grundgesetzlich vorgeschriebene Entschädigung der
enteigneten Aktionäre, der Größte von ihnen ein
amerikanischer Investor mit ca. 24 % der Anteile, könnte
dann zum niedrigen Zeitwert der Aktien erfolgen.
Die Dramatik des Anlasses wie auch die grundgut-systemverträgliche gesetzgeberische Absicht sollen – neben den Beteuerungen der Gesetzesmacher – auch im Titel des Teils des Paragrafenwerkes deutlich zum Ausdruck kommen, in dem das Verfahren der Enteignung geregelt ist – Rettungsübernahmegesetz – und in der Befristung des Enteignungsbeschlusses bis 30. Juni 2009 (§ 6 Abs. 1 RettungsG)
*
Die öffentliche Erregung, die diese Pläne hervorrufen,
ist beachtlich: Obwohl es sich bei dem Gegenstand der
evtl. Enteignungsaktion nur um einen längst wertlosen
Misthaufen
(SZ, 23.2.)
handeln soll und der ganze Betrieb keine drei Euro
wert ist, geschweige denn die Aktie die drei Euro, die
die Aktionäre verlangen
(SZ,
20.2.), brechen Wirtschaftskreise in und außerhalb
der CDU, organisierter Mittelstand, Industrie und
Arbeitgeber samt FDP in vielstimmiges Entsetzen aus über
den Tabubruch
, den Wahnsinn
und
Verrat
(süddeutsche.de,
19.2.), den das Enteignungsgesetz möglicherweise
Wirklichkeit werden lässt.
Die Pro-Fraktion, mit einer starken agitatorischen
Bastion in der SZ-Redaktion, macht sich mit Argumenten
grundsätzlichen Kalibers stark für den Gesetzentwurf der
Regierung: Mit ihrem bodenlosen Geschäftsmodell als
Schuldenverteil- und Schuldenmach-Bank
ging es der
HRE stets nur darum, möglichst viel Geld auszuleihen,
um wieder viel Geld verleihen zu können
, so dass sie
am Ende als Pleitebank Deutschland gefährdet.
(Kister, SZ, 20.2.) Auch wenn
man den Redakteur Kister gerne fragen würde, wie viele
Banken er kennt, die jemals ein anderes Geschäftsmodell
gepflegt haben – was zählt, ist der Vorwurf durch
Misserfolg zum nationalen Risiko und damit
verdientermaßen zum Gegenstand staatlicher
Korrekturaktionen geworden zu sein. Ein rechtskundiger
Kollege erkennt dabei nicht nur auf ein Recht, sondern
sogar auf eine Pflicht zur Enteignung aus
vorangegangenem Tun, ... um dem Steuerzahler für seine
vielen Milliarden das bisschen an Gegenwert zu geben, das
noch da ist.
(Prantl, SZ,
süddeutsche.de, 15.2.) Der Kumpel aus der
Wirtschaftsredaktion, naturgemäß weniger mit Rechts-
dafür mehr mit wirtschaftlichen Erfolgsfragen
befasst, segnet die Argumentation auch aus der Sicht
seines Ressorts so entschieden ab, dass von dem
inkriminierten E-Wort ohnehin kaum mehr etwas übrig
bleibt: Hier ist nämlich von einer Enteignung die Rede,
die eigentlich keine ist ... Richtiger wäre wohl, dass
die Regierung aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen
heraus ein Institut übernimmt, das sie seit Monaten
künstlich am Leben erhält, dessen Eigentümer sich ergo
als unfähig erwiesen haben ... Verstaatlichung damit
sogar aus marktwirtschaftlicher Sicht konsequent
(Hulverscheidt, süddeutsche.de,
18.2.)
Der dergestalt blitzsauber begründete Standpunkt findet
denn auch zu einer klaren Handlungsanweisung: Nicht
einen Cent mehr
(SZ,
21.2.) als den aktuellen Marktpreis
sollte
man dem US-Investor Flowers für seine Aktien zahlen. In
einer Abwägung zwischen dem – wenn auch nur in
„normalen Zeiten – ... legitimen und
verständlichen“ Interesse so viel wie möglich aus
seiner desaströsen Investition herauszuschlagen
und
dem des Steuerzahlers, der mit Milliardensummen ...
etc.
, also des Staates und seiner Bürger
(SZ, ebd.), zieht Flowers
klar den Kürzeren.
Allerdings: Dass ein Zwangszugriff auf die Aktien der
HRE ... einen anderen Rang
hat, als die kleine
Enteignung ... widerborstiger Bauern
wegen eines
Autobahnbaus, das wollen auch die öffentlichen Anwälte
der Steuerzahler und der Systemrettung nicht leugnen. Da
greift der Staat ins Herz des Kapitalismus
, wenn
auch als Nothilfe
und nicht zur
Systemveränderung
. (süddeutsche.de, 21.2.)
*
Das kann die Fraktion der Contras jedenfalls teilweise
bestätigen: Sie fühlen sich demonstrativ und
stellvertretend für den ganzen deutschen Kapitalismus
durch die Enteignungspläne ans Herz gegriffen,
in dem ihr Interesse, aus jeder Investition so
viel wie möglich herauszuschlagen, auch und gerade wenn
sie desaströs war, als subjektives
Grundrecht wohnt. Sie halten lautstark dafür, dass –
egal wie gut die Absicht sein mag – immer schon ein Stück
Systemveränderung zum Schlechten in Gang ist, wenn
volkswirtschaftliche Gründe
ausreichen sollen, die
Heiligkeit des Eigentumsrechtes anzutasten.
Eigentum wegzunehmen soll plötzlich
marktwirtschaftlich konsequent
sein? Und Eigennutz
systemschädlich, wo dessen Erfolge, als
nationales Wachstum aggregiert, schon immer der
Ausweis seiner Gemeinnützigkeit waren? Das alles nur
wegen ein bisschen Krise?
So drohen also Anlegerschützer mit Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht, BDI und Arbeitgeberverbände
befürchten die nachhaltige Zerstörung des Vertrauens
von in- und ausländischen Investoren in den
Investitionsstandort Deutschland
(Zeit online, 19.2.) Und die Lobbyisten
des Kapitals in den Mittelstandsvereinen und
Wirtschaftsräten der CDU werden gleich ganz
grundsätzlich. Enteignungen vergehen sich an den
Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft
, dienen
als Vorwand für den Einzug der Staatswirtschaft
,
sind ein ordnungspolitischer Tabubruch, der nicht mehr
tragbar ist
und ein Verrat am Profil der CDU
.
Kurzum: Das Rettungsübernahmegesetz zerstört die
Fundamente unserer freiheitlichen Ordnung.
(Div. CDU-Stimmen, SZ, 19.2.)
Wenn also jetzt ein Gegensatz sein soll zwischen System- und Eigentümerinteresse, dann, so das Ergebnis der Interessenabwägung im Contra-Lager, um so schlechter für das erstere: Es muss doch allemal ein Scheißsystem sein, das sich für seine Rettung am privaten Eigentum vergreifen muss, ein anderes als das, was sie wollen, ein falsches jedenfalls und wert, dass es zugrunde geht!
Deswegen hat Westerwelle für die Kanzlerin aus den alten
VEB-Provinzen des Ostens einen einfachen Lehrsatz
parat, wie einen freiheitlichen Trompetenstoß:
Enteignung ist Sozialismus!
(Zeit online, ebd.) Und das Lager der
Befürworter des Rettungsübernahmegesetzes
kann nur
mehr verwundert den Kopf schütteln über die Radikalität
der Kritiker: Dabei spielt die Frage, was eine Pleite
für Folgen für das gesamte Bankensystem hätte, für keinen
eine herausgehobene Rolle.
(SZ,
19.2.)
*
Dennoch sind tätliche Auseinandersetzungen zwischen den
Lagern nicht zu erhoffen. Die Anwälte und Aktivisten des
Finanzkapitals sind zwar aus voller Überzeugung so empört
wie sie tun, weil sie wissen, dass ihre freiheitlichen
Grundsätze sich auch im vorliegenden Fall in Gewinn und
Verlust niederschlagen und das private Eigentum bei den
allfälligen Preisfragen erst so richtig spannend wird:
Drei Euro pro Aktie bei Übernahme durch den Soffin-Fonds,
oder nur einszwanzig minus x als Entschädigung bei
Enteignung?! Das sind Alternativen, die das Blut freier
Bourgeois in Wallung bringen. Aber noch ist Hoffnung und
der Marsch der Investoren und Mittelständler aufs
Parlament kann noch warten: Schließlich kennt man seine
Staatsgewalt als traditionell befreundete politische
Macht, die immerhin schon in grauer Vorzeit das private
Eigentum unwidersprechlich ins Recht gesetzt und bis zum
heutigen Tag ohne Rücksicht auf Verluste an Mensch und
Material als elementares Grundrecht
und
Werteentscheidung von besonderer Bedeutung
(BVerfGE 14,263) wacker
verwaltet hat. Vielleicht kann man ja noch mal reden:
Wenn Enteignung nur die ultissima ratio
(Wirtschaftsminister
Guttenberg) sein soll, dann lässt sich doch
vielleicht für den Staat eine qualifizierte Mehrheit
von 75 Prozent bei der HRE
auch anders erreichen. Auf
eine Weise evtl., bei der die Aktionäre zwar
entmündigt ... aber eben nicht enteignet
würden (ein
‚Aktionärsschützer‘, SZ, 19.2.).
Eben das hat sich ja auch das
Rettungsübernahmegesetz vorgenommen: Es haben ja
weder die Gesetzesmacher noch die staatsbürgerlich
verantwortungsbewussten Parteigänger der
Systemrettung – notfalls auch durch Enteignung –
vor, Anträge einzubringen, die auf den Widerruf der
Privatmacht des Eigentums über den Reichtum der
Gesellschaft zielen. Vielmehr soll diese Macht in der
Krise in den Stand versetzt werden, die Bilanzen des
kapitalistischen Wachstums irgendwann wieder ins Plus zu
bringen. Vielleicht schafft es der Finanzminister ja, mit
milderen Mitteln
zu den Anteilen der HRE kommen,
wenn das nicht zu teuer wird für die staatlichen
Schuldenverwaltung. Die bastelt ja mitten im schönsten
Billionenschwindel an Schuldenbremsen und hält
fiskalische Sparsamkeit sowie den Schutz des
Steuerzahlers als ihre seriösen Prinzipien so hoch,
dass auch die dringend erwünschten Käufer von
Staatsanleihen sie gut sehen können. Bei soviel
gemeinsamem Interesse am Erfolg des nationalen
Kapitalismus und seiner grundrechtlich
gerüsteten Privateigentümer gibt es sicher auch in
Zukunft viel zu streiten. Steuerzahler und Anleger,
Systemretter und scharf rechnende Investoren,
Citoyens und Bourgeois, sind eben doch
immer nur – ach! – zwei Seelen in derselben Brust, resp.
zwei Backen am selben Arsch.