Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das Ende der Harald Schmidt-Show:
Der Hofnarr geht – Deutschland trauert
Harald Schmidt hat sein Publikum dadurch unterhalten, dass er tagespolitischen Geschehnissen die übliche Ernsthaftigkeit und den Respekt verweigert und sich darüber lustig macht. Er anerkennt kein Tabu und inszeniert in all seinem Sarkasmus sich mit seinen Qualitäten als freier Geist. Er richtet sich damit gegen nichts und niemanden, das / den er mit seinem Sarkasmus überzieht, sondern dagegen, dass es für wichtig befunden wird – affirmative Ironie als Akt geistiger Freiheit.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
Das Ende der Harald
Schmidt-Show:
Der Hofnarr geht – Deutschland
trauert
Ein Entertainer kündigt eine kreative Pause
an –
und die Welt des schönen Geistes ist untröstlich.
Harald Schmidt zieht sich zurück und hinterlässt ein
Publikum, das ratlos, aufgeregt, traurig oder alles
zugleich ist.
(FAZ,
10.12.03). Die großen Tageszeitungen halten ihn
für den größten Verbündeten des Feuilletons
, die
Kollegen aus Funk und Fernsehen für unersetzlich
und singulär
. Für Politiker und Intellektuelle
gehört es seit Jahren zum guten Ton, sich öffentlich als
Schmidt-Fans zu outen.
(AZ,
9.12.) Die Deutschen haben Verlustgefühle, wenn
sie an Harald Schmidt denken.
(Die Zeit, 11.12.) Mit dem angekündigten
Ende wird seine Talkshow, seit langem Kultobjekt für sein
Publikum, endgültig zum nationalen Kulturgut. Der Mann
muss für die Unterhaltung des freien Geistes Großartiges
geleistet haben, und Deutschlands größte Tageszeitung
bringt es auf den Begriff: Harald Schmidt ist der
Hofnarr der Nation
(Bild,
9.12.). Offensichtlich ist dieser traditionsreiche
Beruf nicht abhängig von einer besonderen
Herrschaftsform. Hofnarr in der Demokratie – wie geht
das? Was verliert die Nation, wenn sie Harald Schmidt
verliert?
1. Dirty Harry
Mit seiner Late-Night-Show hat er das nationale Tagesgeschehen viele Jahre satirisch begleitet. Die Arbeitslosigkeit, die Wahlen, die Betroffenheit über den 11. September – nichts war ihm heilig, alles hat er zur Zielscheibe despektierlicher Witze gemacht. Anders als manche seiner Kollegen hat Harald Schmidt keine kritische Mission; er will weder mit den Mitteln der Satire die Abwesenheit demokratischer Ideale (Hildebrandt) noch die Dummheit einer verrohten Volksseele (Polt) geißeln. Schmidt will unterhalten – und er tut dies, indem er sein Publikum in der letzten Stunde des Tages über die Ehr- und Anstandsfragen erhebt, denen es den lieben langen Tag Respekt zollt. Damit hat er selbst die Wächter der demokratischen Debattierkultur zum Lachen gebracht und auch noch ihre Bewunderung errungen:
„Solche Sätze sind wie Hochgebirgsklettern in Sandalen. Absturz garantiert. Eigentlich. ‚Hat Hitler jemals die Vertrauensfrage gestellt? Und was passierte damals mit Abweichlern?‘ Harald Schmidt wirft die Frage mit harmlos großen Augen seinem Adlatus Manuel Andrack zu und balanciert ohne jedes Straucheln am Abgrund des Nazivergleich entlang, als wäre nichts. Und wenn das Studiopublikum solche Ausflüge aufs Tabu-Terrain mit erschrocken-verlegenem ‚Hohoho‘-Lachen begleitet, blökt der Late-Night-Entertainer unvermittelt grob ‚hohoho‘ zurück. Knapper und sarkastischer kommentiert keiner das Tagesgeschehen.“ (Nürnberger Nachrichten, 23.12.)
Was will uns Deutschlands Chefzyniker
mit seiner
Anspielung eigentlich sagen? Dass die ewige
Rücktrittsdrohung von Kanzler Schröder sich Maßstäben der
Regierungskunst verpflichtet weiß, die auch der Führer zu
schätzen wusste? Dass der Unterschied zwischen Faschismus
und Demokratie nicht so groß ist, wie man hierzulande
gerne glaubt? Oder dass Abweichler es noch nie
so gut hatten wie heute? Ehrlich gesagt: Wir wissen es
nicht, und die, die solche Ironie in den höchsten Tönen
loben, vermutlich auch nicht. Unser Star-Satiriker will
eben weder die Gepflogenheiten der innerparteilichen
Demokratie für ihre Nähe zum Faschismus tadeln noch
umgekehrt eine solche Kritik von sich weisen. Mit der
Leichtigkeit
und moralischen Indifferenz
,
die das Feuilleton so sehr an ihm liebt, spielt er auf
beides an und mit beidem, nimmt jede Aussage zum Anlass,
sich mit einer flapsigen Bemerkung von ihr zu
distanzieren, verweigert also den Ernst, den die
Öffentlichkeit bei der Befassung mit diesem Thema
erwartet, und macht dieses kokette Balancieren am Rande
eines Tabus zur eigentlichen Botschaft bzw. zum
Gegenstand des Genusses.
Von dem Sumpf, auf dem dieser Humor seine schillernden
Blüten treibt – das demokratische Deutschland
institutionalisiert in den höheren Etagen der
Staatsbeweihräucherung einen Vergleich zu seinem
faschistischen Vorgänger, der gegen alle Gesetze der
Logik nur Differenzen und kein tertium
comparationis mehr kennt, erklärt seinen
Rechtsvorgänger zum Inbegriff des Bösen und stellt sich
mit der demonstrativen Verurteilung der Vergangenheit
eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für alle Zukunft aus
–, von diesem Sumpf also muss unser Scherzkeks nicht viel
wissen und schon gleich gar nichts verstanden haben. Für
seine Zwecke ist es völlig ausreichend, dass er mit dem
Instinkt des ewigen Pennälers spürt, dass hier ein
moralischer Kotau verlangt ist – und schon hat er eine
Gelegenheit gefunden, ihn zu verweigern. Wenn ihm sein
Auditorium auch noch den Gefallen tut, sich bei diesem
Ausflug auf Tabu-Gebiet befangen zu zeigen, dann ist
Dirty Harry
in seinem Element, weil er durch das
Nachäffen und Sich-Absetzen von seinem verlegenen
Publikum seine exklusiven Qualitäten als freier Geist
erst so richtig demonstrieren kann. All das versetzt die
professionellen Beobachter der Unterhaltungs- und
Humorlandschaft in schieres Entzücken: Welcher Mut,
welches Geschick, was für ein Esprit!
Sein Künstlername ist Harald Schmidt Programm: Es kommt
ihm nicht darauf an, eine bestimmte Sache aufzuspießen
und sie ihrer Lächerlichkeit zu überführen.
Vielmehr ist ihm keine Gelegenheit zu blöd, um
seine locker-flockige Art an den Mann zu
bringen; und so greift er wahllos nach jedem Tabu
,
um sich daran zu reiben. Diese Sorte Humor gibt ihm seine
Themen rund um das Feld der political
correctness vor: Ein bisschen sexuelle Anspielung,
ein paar Witze über Frauen (Harald Schmidt ist so frei,
tituliert sie zuweilen als Weiber
und langt
Samantha Fox an die Brüste – Wahnsinn!). Mit Üzgür, dem
radebrechenden Chauffeur, macht der Cheffe
die
Figur des subalternen Ausländers zum sidekick,
seine Polenwitze macht er zum running gag, mit dem er
sein treues Publikum jahrelang unterhält – und das nach
dem immergleichen Muster: Wenn Schmidt einen Polenwitz
erzählt, dann macht er nicht wie Meier und Müller einen
schalen Stammtischwitz – dann sorgt er bei der
Intelligenzija für gute Laune, weil einer, der es nicht
so meint, einen Witz machen darf, den einer, der es so
meint, eben nicht machen dürfte. Man lacht mit – über die
eigene political correctness, von der man sich
unter Harald Schmidts Anleitung erholt. Man ist ja nicht
verbiestert und kennt schon das Bedürfnis, Frauen,
Ausländer, Arbeitslose und andere inferiore Existenzen
herabzusetzen, das man sich und anderen im normalen Leben
verbietet. Davon nimmt man vor Mitternacht eine kleine
garantiert unschuldige Auszeit.
Verlacht wird nicht nur die offizielle, sondern auch und
erst recht die oppositionelle Sittlichkeit der Republik:
Der Protest, der sich unter Berufung auf seine
Betroffenheit Gehör verschaffen will
(Protestgruppierungen wie Ärzte gegen den
Atomkrieg
und das Ansteckfähnchen zum
Weltaidstag
verhohnepipelt er mit der Anstecknadel
Rinder gegen den Wahn
), die Müsliszene, die wegen
ihres alternativen Anstands Berücksichtigung verlangt
(der Lieblingsfeind: die zickende Oberstudienrätin in
Birkenstock-Sandalen), die Aufregung über den Umgang mit
Arbeitslosen (dieses unfassbare Elend eines
arbeitslosen 42-jährigen Elektrikers, dem man schon
wieder keinen Job als Chefarzt anbietet
), kurzum:
quer durch alle Abteilungen des bürgerlichen Geistes- und
Gemütslebens einfach alles, was dem Publikum irgendwie
wichtig ist (bzw. einmal war). Alles wird mit Sarkasmus
überzogen, und in keinem Fall richtet sich sein Spott
gegen das, was dem verehrten Publikum so alles
ans Herz gewachsen ist, sondern allein dagegen, dass
irgendetwas für umstandslos wichtig und gut
empfunden wird. Harald Schmidt unterhält mit dem Angebot
von Distanz; eine Distanz, für die er weder Inhalt noch
Bedingung oder Grund benennt.
Obwohl Schmidt mit seinem Sarkasmus gleichmäßig nach
allen Seiten zielt, weil er keine Seite schlecht machen
will, sich vor jedem ernsten Ton hütet, der seinen Witzen
Tendenz verleihen könnte, stets den penetranten Charme
des idealen Schwiegersohns versprüht und seine Gäste
betont fair behandelt, wurde er zu Anfang, als er noch
eine ungewohnte Erscheinung war, als haltloser Zyniker
missverstanden: Zu Beginn der Show konnten SZ (zotig,
zappelig, peinlich
) und Bild über das
Ekelfernsehen um Mitternacht
überhaupt nicht
lachen.
Im Laufe der Zeit finden Entertainer und Publikum dann
doch zusammen. Das Publikum lernt, dass Harald
Narrenfreiheit hat und seine Seitenhiebe auf das
Zeitgeschehen nicht ernst genommen sein wollen, und kann
sie deshalb als Akt geistiger Freiheit genießen.
Schließlich ist die sittliche und politische Verfasstheit
der Republik unumstritten; man kann also zeigen, dass man
Spaß versteht. Endgültig vollzogen ist die Wende, als
nach Jahren der Verstimmung die Bildzeitung merkt, dass
sie unter der Rubrik Das Beste aus der Harald
Schmidt-Show
die üblichen Polen- und Weiberwitze
abdrucken kann und den volkstümlichen Humor damit nicht
nur bedient, sondern auch noch adelt. Denn bei einem, der
solche Witze machen darf, weil er es nicht so meint, kann
sich das einfache Volk ungeniert über die Scherze
amüsieren, die es dann sehr wohl so meint.
Der Erfolg eröffnet dem Satiriker neue Freiheiten. Wenn
er es schon geschafft hat, dass seine Show von der
Bildzeitung empfohlen und von der FAZ unverhohlen
bewundert wird, dann kann er auch dazu übergehen, sein
Erfolgsrezept nicht mehr nur auf das Zeitgeschehen,
sondern vor allem auf sich, seine Show und den
Kult-Status, den beide genießen, anzuwenden. So wird aus
Dirty Harry
–
2. His Schmidtness
und seine Show – wie seine Kollegen von der
Titanic moniert haben – zunehmend
selbstreferentiell
. Statt seine Zuschauer mit Gags
und Pointen zu unterhalten, unterhält er sie jetzt mit
der Anspielung auf Gags und Pointen, die er früher einmal
gemacht hatte; diese Anspielungen macht er zum running
gag, um sich alsbald mit einer Anspielung auf die
Anspielung zu begnügen… Zum tausendsten Mal rückt er
seine Brille zurecht, kündigt die Studioband an, oder
trinkt auch nur einen Schluck Wasser – und all das gerät
zur selbstironischen Demonstration souveräner
Gelassenheit, die mit großer Geste zelebriert wird. Das
Publikum steht dem eigenen mitternächtlichen Amüsement
zuweilen ratlos gegenüber –
„Harald Schmidt bringt es fertig, seine Zuschauer mit genial läppischem Scheiß in seinen Bann zu schlagen. Wieso fasziniert mich dieser Unfug? Keine Ahnung. Ich habe wie irre Tränen gelacht.“ (SZ, 10.12.) –
und ist in wachsender Zahl begeistert. Das spornt den
Meister zu immer neuen Höchstleistungen an: Kann
er es schaffen, ein Publikum bei der Stange zu halten,
dem er alle Elemente von Unterhaltung verweigert? Harald
Schmidt schaut minutenlang auf Schnecken und Kreisel,
lässt die Bildübertragung auch mal ganz entfallen und
sendet Schwarzfernsehen. Jetzt ist das Auditorium nicht
nur begeistert, sondern geradezu fasziniert. Je mehr
Harald Schmidt sich weigert, sein Publikum zu
unterhalten, umso mehr ist es davon überzeugt, einem echt
intellektuellen Ereignis beizuwohnen. Gerade das
geistlose Geblödel – eine raffinierte Form von
Zeit-Pornographie
, eine Annäherung an den
Stillstand, das Nichts, die Nacht … Mediale Leere,
Sonnenfinsternis, vorübergehende Massenblindheit …
(Die Zeit, 11.12.). Hier geht
es um nichts weniger als die Verhöhnung des Fernsehens
im Fernsehen
, den Tanz am Quotenabgrund
eines
Quoten-Maximierungssenders
.
Hat die Öffentlichkeit bei Dirty Harry
das Paradox
affirmativer Ironie als einen Akt geistiger
Freiheit genossen, so schätzt sie nun bei His
Schmidtness
die selbstverliebte Anwendung dieses
Paradox auf seinen Anstifter: Ein Spötter, der nicht nur
die Welt, sondern auch den Spötter und sein Medium selbst
verspottet! Und so geht der Dialog zwischen dem Dichter
und seinen Interpreten weiter, wie er weiter gehen muss:
Deutschlands intelligentester Showmaster
bedankt
sich für so viel Verehrung und ironisiert auch dieses
Kompliment – nicht ohne zu zeigen, dass er seiner würdig
ist. Kommentarlos verliest er die dunkelsten Stellen aus
Kants Kritik der reinen Vernunft
, stellt mit
Playmobil-Figuren die Odyssee und klassische Opern nach
und erzählt die Geschichte von dem Mann, dessen Windhunde
Minima und Moralia hießen.
Jetzt bekommen auch die Verwalter des zeitgenössischen
Kunst- und Hochkulturerbes feuchte Augen; erleben wir
hier doch den Impressario des absurden
Fernseh-Theaters
. Und die Mattscheibe, die schwarz
bleibt – ist das nicht eine Anspielung auf Magrittes
weißes Quadrat auf weißem Hintergrund? Finden so
– und das in einem schmuddeligen Privatsender
! –
das Banalitätsgebot des Fernsehens und unser aller
Hoffnung auf intellektuelle Erlösung zusammen?
(FAZ, 10.12.)
Es gibt also doch ein richtiges Fernsehen im falschen, und dafür gibt’s Fernsehpreise und Auszeichnungen zuhauf. Kulturministerin Krause schlägt vor, Harald Schmidt einen Preis für Kulturkritik zu verleihen. Zu Recht.