Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Warum die KP Chinas es unserer Öffentlichkeit letztlich doch nie recht machen kann
Journalisten reiben den Regierenden unter die Nase, was sie selbst in Gestalt der „leider unumgänglichen Härten bei der Transformation einer sozialistischen Planwirtschaft“ noch bis vor kurzem für notwendig erachtet hatten – Hunderte von Millionen verelendeter Bauern –, und erinnern hämisch daran, dass dies ja wohl dem Kommunismus widerspreche.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Länder & Abkommen
Warum die KP Chinas es unserer Öffentlichkeit letztlich doch nie recht machen kann
Falsche Bescheidenheit mussten sich die Propagandisten der hierzulande üblichen Maßstäbe bei der Beurteilung des „volkreichsten Landes der Welt“ noch nie vorwerfen lassen. Schon zu Lebzeiten des Vorsitzenden Mao bekamen Vorstandsvorsitzende glasige Augen, wenn sie von China und seiner über einer Milliarde Konsumenten schwärmten. Umstandslos wurde die Volksrepublik ideell als „unser“ Markt vereinnahmt, und die Öffentlichkeit schloss sich dieser Sichtweise vorbehaltlos an. Kein Kommentator machte ein Hehl daraus, dass an China allein sein Nutzen für „uns“ und „unser“ Geschäft interessiert, dass also auch Deng-Hsiao-Pings an das eigene Volk gerichteter Imperativ „Bereichert Euch!“ in erster Linie als eine Einladung an westliche Geschäftemacher zu interpretieren sei. Die Einführung des Kapitalismus in China ist also in erster Linie ein Dienst an „uns“, und „wir“ sind deshalb auch die entsprechend befugten Juroren der einschlägigen „reformerischen Bemühungen“; das war und ist Konsens in der hiesigen Öffentlichkeit.
In dieser Rolle bestand sie sofort darauf, dass die
Bereicherung mit der einschlägigen Entreicherung
einhergehen müsse: Marktwirtschaft und die berüchtigte
‚Eiserne Reisschüssel‘ für die ‚Blauen Ameisen‘ von einst
vertragen sich nun einmal nicht, das dem Menschen
angeblich einzig angemessene System widerspricht einfach
einer gewissen Grundversorgung. Und so forderte man von
der KP besten Gewissens nicht nur die ziemlich
bedingungslose Rücksichtslosigkeit gegenüber den
überkommenen Versorgungsverhältnissen, sondern beäugte
misstrauisch jeden „Reformschritt“ auch daraufhin, ob er
nicht vielleicht doch noch zu viele „soziale Rücksichten“
nehme. Als hätte er einen genauen Plan für die Abwicklung
einer Planwirtschaft im Kopf, entdeckte da z.B. Herr
Strittmatter von der SZ mangelnde Konsequenz
bzw.
Zögerlichkeit bei der Durchsetzung der unabweisbaren
Härten und warf Peking vor, die überfälligen Reformen
nicht schon in den fetten Jahren angegangen
zu haben,
als die Wirtschaft noch zweistellig wuchs
.
(SZ, 16.3.99) Das Bekenntnis
zur Brutalität der neuen Produktionsweise ging also
einher mit dem Imperativ, sie dann auch mit der nötigen
Brutalität durchzusetzen, und die Kritik am Sozialismus,
er ersticke jede Art individueller Initiative, während
die Marktwirtschaft deren bedingungslose Freisetzung
befördere, fand ihre Ergänzung im beständigen Aufruf an
die Adresse der KP, es bloß nicht an der nötigen
gewaltsamen Entschlossenheit im ‚Reformkurs‘ fehlen zu
lassen.
*
Seit einiger Zeit ist es endlich so weit:
„‚Die Eiserne Reisschüssel‘ des Sozialismus, die staatliche Beschäftigungsgarantie mit Minimalbezahlung, aber einigermaßen zuverlässiger Absicherung, ist zerborsten,“ und ersatzweise winkt die Freiheit, zwischen folgenden attraktiven Alternativen wählen zu dürfen: „entweder ein kärgliches Leben im Dorf fristen und den winzigen Hof der Familie weiter bewirtschaften, dabei chancenlos hinter den Lebensstandard der Städter zurückfallen – oder sich dem ‚blinden Strom‘ genannten Treck der innerchinesischen Wanderarbeiter anschließen, der vielleicht größten ‚Völkerwanderung‘ aller Zeiten.“ (Spiegel, 42/04)
Die Teilnahme an dieser historischen Einzigartigkeit
zahlt sich für die Betroffenen zwar nicht besonders aus;
aber der Umstand, für Chinas Wirtschaftswunder gerade zu
stehen, tröstet sie über ihr Elend komplett hinweg:
Sie sind die Arbeitsreserve für die riesigen
Bauprojekte, schuften für Minimallöhne und weitgehend
ohne soziale Absicherung. Ohne das Heer der
Wanderarbeiter wäre Chinas Wirtschaftswunder nicht
denkbar.
Denn selbstlose Hingabe arbeitender
Volksmassen an nationale Aufbruchsprogramme: das pflegt
Redakteure eines Nachrichtenmagazins ungemein zu betören,
das seine Leser seit Jahren mit der stereotypen Analyse
fesselt, dass für ein deutsches „Wirtschaftswunder“
endlich mal gescheit auf Löhne und soziale Absicherungen
verzichtet werden muss. Zumal auch der Anschein ja so was
von trügerisch ist, es könnte sich bei dieser in China
umherwandernden Arbeitsreserve um Verzweiflungstaten
derer handeln, die in ihrer Not keine Alternative für
sich wissen. China-Kenner wissen da einfach mehr, denn
was einem flüchtigen Blick als millionenfaches Elend
erscheinen könnte, ist in Wahrheit ein Strahlenkranz der
Hoffnung – endlich brauchen die Chinesen keinen festen
Wohnsitz mehr und können ihre durch nichts mehr
unterdrückten Chancen in vollen Zügen genießen:
„Was wie ein Zug der Verzweifelten erscheinen könnte, ist für viele Beteiligte auch und vor allem ein Stück Hoffnung – noch vor zwei Jahrzehnten hat eine strenge Wohnsitzkontrolle die Mobilität erschwert, jede Chance unterdrückt. Der amerikanische Autor und China-Kenner Orville Schell glaubt sogar, die Volksrepublik erlebe derzeit die glückliche Zeit, in der ‚Ausbeuter‘ und ‚Ausgebeutete‘ eine Interessensymbiose verbindet.“
Hauptsache für sie, irgendwo gescheit ausgebeutet zu
werden; dafür mit jederzeit prekären Hungerlöhnen – oder
auch nur mit der Hoffnung auf selbige im Kopf –
mobil
zu sein; als Soldat im Heer der
Wanderarbeiter beim Aufstieg der Nation zur
Weltwirtschaftsmacht produktiv verschlissen zu werden
oder auf dem Land vor sich hin zu hungern: Was für eine
glückliche Zeit und welch herrliche Symbiose zwischen den
Interessen aller Beteiligten! Wenn man nur genau
hinschaut, erkennt man auch, dass den Massen chinesischer
Armer auch noch das Privileg zuteil wird, einen weiteren
Weltrekord hautnah miterleben zu können: Noch nie in
der Geschichte wurden in irgendeinem Staat so viele
Menschen so schnell aus der Armut in ein menschenwürdiges
Leben katapultiert.
Wenn es so vielen
besser
geht als ihm selbst, wird der blinde Strom
also
keinesfalls den praktischen Schluss ziehen, der ihm einst
die ‚Eiserne Reisschlüssel‘ bescherte, nämlich dass sein
Elend nur in und wegen der herrschenden Produktionsweise,
deshalb also überhaupt nicht notwendig ist. Vielmehr wird
er sich stattdessen auf seine gelbe Menschennatur
besinnen, nach der, wie der ‚Spiegel‘ auch herausgefunden
hat, für Chinesen … Neid eher eine Antriebsfeder …
ist, mindestens so viel oder möglichst mehr als der
reüssierende Nachbar zu erreichen
. Wo dem Volk die
Konkurrenz quasi genetisch implantiert ist, können auch
die symbiotischen Effekte in Bezug auf die
Konkurrenzerfolge des Staates nicht ausbleiben, und auch
da ist man in Hamburg tief beeindruckt: Kaum ein Staat
hat solche Wachstumsraten, keiner lockt so viele
Investoren an, keine Nation baut so schnell wie die
‚Fabrik der Welt‘.
Marktwirtschaftlich ist China also
schwer in Ordnung, doch wie alles im Leben, so hat auch
das Vor- und Nachteile: China könnte … schon in drei
Jahrzehnten … die Wirtschaftsmacht Nummer eins werden.
Verliert Deutschland Jobs an das Millionenreich – oder
ist dieser Absatzmarkt unsere letzte Chance? Wird Peking
zum größten Gegenspieler Washingtons?
Kaum hat sich
China also weitgehend nach „unseren“ Wünschen entwickelt,
wittert der Journalist die Gefahr, der geschätzte
Partner, den wir als „unseren“ Absatzmarkt ausnutzen,
könnte das Verhältnis zu „unseren“ Ungunsten umdrehen –
eine Schreckensvision, die das Titelblatt in Gestalt
eines züngelnden Drachen, der den ganzen Globus umkrallt,
so leserfreundlich wie möglich ins Bild setzt. Dergestalt
entdeckt der journalistische Sachverstand in der „Chance“
China auch immer gleich das „Risiko“, dieses große Land
könnte zu groß und zu stark werden, was aber wiederum im
Hinblick auf die stets lauernde Konkurrenz zwischen „uns“
und den Amis auch von Vorteil sein könnte – eine
Endlosschleife von Spekulationen, die sich allesamt dem
Ideal verdanken, das „Riesenreich“ solle immer genau so
funktionieren, wie es die einschlägigen deutschen
Interessen erfordern: Es soll „uns“ „unsere“ Waren
abkaufen, was ja bekanntlich nicht auf Kosten
chinesischer Arbeitsplätze geht – aber auf keinen Fall
umgekehrt mit seinen Exporten deutsche Arbeitsplätze
gefährden; es soll sich gegen die USA aufstellen, was
bekanntlich ohne entsprechende wirtschaftliche und
anderweitige Machtmittel nicht geht – von denen soll das
Land selbstverständlich aber auch wieder nicht zu viel
haben usw.
*
Kein Wunder also, dass dieses Gastland es besagtem Herrn
Strittmatter von der SZ nie recht machen kann. Hegte er
bisher die Befürchtung, der „Kommunismus“ im Namensschild
der Partei könne diese zur Inkonsequenz bei der
notwendigen Privatisierung der chinesischen
Wirtschaft
veranlassen, klagt er jetzt an: Arzt
und Schule kosten plötzlich Geld.
Er reibt den
Regierenden unter die Nase, was er selbst in Gestalt der
leider unumgänglichen Härten bei der Transformation
einer sozialistischen Planwirtschaft
noch bis vor
kurzem für notwendig erachtet hat – Hunderte von
Millionen verelendeter Bauern –, und erinnert hämisch
daran, dass dies ja wohl dem Kommunismus widerspreche:
China ist für ihn eine Nation, die sich kommunistisch
nennt, die mittlerweile aber zu den ungerechtesten der
Welt gehört.
(SZ, 1.10.)
Das weiß er aus einem Buch aus China, das eine
‚Untersuchung zur Lage der chinesischen Bauern‘ bringt
und dessen Autoren den ‚Lettre Ulysses Award‘, den
Weltpreis für Reportageliteratur
(ebd.) erhielten. Die Verfasser
wollen
nach eigenem Bekunden der Regierung
helfen, ihre Politik zu verbessern
, und ihre
konstruktive Kritik ist Wasser auf die Mühlen des
Auslandskorrespondenten. Unter penetranter Berufung auf
sie als regimetreue
Kronzeugen entnimmt er dem
Buch immer nur das Eine: dass sich in China die
politische Führung permanent an ihrem Volk vergeht. Was
auch immer sich also hernehmen lässt, um der KP Chinas
einen unschicklichen Gebrauch ihrer Macht vorzuwerfen,
Herr Strittmatter greift es dankbar auf. Denn was die
Autoren nach eigener Auskunft als Abweichung der Partei
von eigentlich gut gemeinten Absichten anprangern, hat
für unseren Mann in Beijing System. Dieser Staat hat so
ein arbeit-, genüg- und strebsames Volk schlicht nicht
verdient: Korruption wird nicht bestraft,
Machtmissbrauch ist an der Tagesordnung, mafiöse
Strukturen kommen im Mantel der KP daher.
Fast möchte
man ihn fragen, ob ihm eine nicht-mafiöse
KP
lieber wäre, aber das täte ihm Unrecht. Denn der Mann hat
ja erfolgreich durchschaut, dass ‚KP‘ in China nur der
Alibi-Name für eine „Struktur“ ist, und zwar für eine
„mafiöse“ Struktur, die in Wahrheit das Land im Griff
hält, und genau damit will er unter Berufung auf die
zitierte innerchinesische politisch-moralische Kritik die
Legitimität der Herrschaft in China so einmal ganz
grundsätzlich in Zweifel gezogen haben. Er spielt sich
als moralischer Richter auf, der dazu befugt ist, den
politischen Herrschaften auf der Welt Zensuren zu
erteilen – offensichtlich ist dem Herrn der Standpunkt
des westlichen und insbesondere europäischen
Imperialismus, sich als weltweite Aufsichtsmacht
aufzubauen, heftig zu Kopf gestiegen. So heftig
allerdings gleich, dass seinem moralischen Zensorenblick
vollkommen entgeht, dass die wirklichen Machthaber in
seinem vorbildlichen Heimatland in ihrer Politik zur Zeit
mit China ganz andere Sorgen haben. Die haben gegenwärtig
anderes im Sinn, als der werdenden Großmacht mit
Vorbehalten zu kommen, die ihr in aller Grundsätzlichkeit
die Legitimität ihres Herrschaftswesens bestreiten:
Solches wäre nämlich ausgesprochen kontraproduktiv für
das Anliegen, aus China nicht nur einen gediegenen
Geschäftspartner, sondern auch einen bedingt brauchbaren
Kompagnon in Sachen multipolarer Weltordnung
zu
machen. Aber einer, der sich darauf kapriziert hat, das
imperialistische Selbstbewusstsein deutscher Politik
abstrakt vor sich hin zu denken, und der aus seiner
Vorstellung von einem unbedingten
deutsch-imperialistischen Zugriffs-, Aufsichts- und
Erfolgsrecht auch noch sich selbst als moralische
Prüfbehörde herleitet, die für die Richtlinien des
politischen Umgangs mit China entscheidungskompetent
wäre, schießt eben manchmal über all die feinen
Berechnungen hinaus, die die politischen Praktiker des
Imperialismus bei der Wahrnehmung ihrer Interessen mit
gutem Grund im Auge haben.