Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Ford AG investiert ins Humankapital:
Verschleiß ganzheitlich

Mit einem Zertifikat lässt sich Ford bescheinigen, dass es mit seinen offensichtlich vielen Mitarbeitern, die krank und chronisch krank sind, sogar – was als „leistungsgewandelt“ bezeichnet wird – kurz vor einem Behindertenstatus stehen, auf besonders moderne Art und Weise umzugehen versteht; nämlich mit einem eigenen Behinderten-Management.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Die Ford AG investiert ins Humankapital: Verschleiß ganzheitlich

Die Ford Werke AG ist als erstes deutsches Unternehmen, zudem mit Auszeichnung, für eine besondere Art des „Eingliederungsmanagements“ zertifiziert worden:

„Am 8. Juni hat der HVBG (Verband der Berufsgenossenschaften) das international anerkannte Zertifikat für erfolgreich praktiziertes Eingliederungsmanagement an die Ford-Werke GmbH Deutschland verliehen. Damit ist Ford Deutschland das erste Unternehmen in Europa, welches das konsens-basierte Audit zum Disability Management (Consensus-Based-Disability-Management-Audit CBDMA) erfolgreich absolviert hat.“

Eine sperrige Nachricht, und noch sperriger der Titel der Schrift, die im Verlauf des Zertifizierungsverfahrens erstellt wurde –

FILM (Förderung der Integration leistungsgewandelter Mitarbeiter) – Umsetzung eines Projekts mit dem Ziel eines ressourcenorientierten Managements in die Praxis unter Berücksichtigung des neuen SGB IX –,

aber das eine oder andere kann man dem ja entnehmen. Mit dem Zertifikat lässt sich Ford bescheinigen, dass es mit seinen offensichtlich vielen Mitarbeitern, die krank und chronisch krank sind, sogar – was als „leistungsgewandelt“ bezeichnet wird – kurz vor einem Behindertenstatus stehen, auf besonders moderne Art und Weise umzugehen versteht; nämlich mit einem eigenen Behinderten-Management (Disability Management), das diese bezahlten und arbeitenden Mitarbeiter „eingliedern“ muss, wobei man wohl unterstellen darf, dass es diese Eingliederung zum Wohle des Betriebs betreibt; „konsens-basiert“ soll das aber auch ebenso sehr dem Wohl der Einzugliedernden dienen; und schließlich kommt Ford damit noch besonderen staatlichen Anforderungen nach, nämlich denen des Sozialgesetzbuches IX.

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1. Bis neulich war sie eine feine Sache und sprach sehr für die Soziale Marktwirtschaft: die Frühverrentung. Die Alten konnten sich – gegen Einkommenseinbußen, versteht sich – mit Unterstützung der Sozialkassen früher aus einem Arbeitsleben verabschieden, das ihnen zunehmend zu schaffen machte, und sie räumten ihre Arbeitsplätze für die „nachrückende Generation“ – „ein sozialverträgliches und effizientes arbeitsmarktpolitisches Instrument“. Mittlerweile weiß jeder, der etwas zu sagen hat, dass es sich dabei um eine schwere Fehlentwicklung handelte. Man langt sich an den Kopf: Was für eine

„Verschwendung von Humankapital und Vergeudung hoher Produktivität durch Stilllegung eines über Jahre gewachsenen Wissens- und Erfahrungsschatzes: Die Frührente entzieht der Wirtschaft nicht nur vorhandenes Humankapital, sie verringert und verhindert die Schaffung von Humankapital – und dies in Zeiten einsetzender, demografisch bedingter Fachkräfteverknappung auf dem Arbeitsmarkt. Gerade vor dem Hintergrund wachsender Bedeutung von Wissen, Innovationskraft und Humankapital für die Wirtschaft ist dies ein fataler Mechanismus, der der Wirtschaft viel Innovationskraft und damit Entwicklungspotenzial nimmt.“ (Einer für alle: Sunde, Personalwirtschaft 2/2005)

Da haben sich also Unternehmen dazu verleiten lassen, dem Frühverrentungswunsch der Arbeitnehmer nachzugeben, das eigene Wohl aus den Augen zu verlieren und Wissen, Erfahrung, Innovation, Entwicklung und was nicht noch alles einfach wegzuschmeißen. Sie haben der „Suggestion“ der Arbeitnehmer Vorschub geleistet, sich geistig vor dem regulären Ende des Arbeitslebens schon einmal aufs Altenteil zu setzen und es eben so – Absicht? – herbeizuführen:

„Die Frührente generiert dabei selbst einen Teil des Beschäftigungsproblems älterer Arbeitnehmer: Sie suggeriert, das Ende des aktiven Erwerbslebens läge bereits weit vor dem 65. Lebensjahr. Weil der Zeithorizont bis zur möglichen Frührente recht kurz ist, lohnen sich für viele Arbeitnehmer Engagement, Flexibilität und Einsatz in Form von Weiterbildung nicht. Dies verringert jedoch ihre Attraktivität für die Unternehmen.“ (ebd.)

Der Skandal, den die Sachverständigen anprangern, soll also in einer Kumpanei zwischen Unternehmensführung und alternder Belegschaft bestanden haben, wobei das Unternehmen obendrein noch humankapital-verschwenderisch draufzahlte. Eine perfide Umdrehung des Nutzens, den der Staat mit der Frühverrentung den Unternehmen zugedacht hatte: Sie sollten die Möglichkeit haben, sich alter, verbrauchter, aufgrund langer Betriebszugehörigkeit und starker Kündigungsrechte aber auch mit hohen Entlassungskosten versehener Mitarbeiter auf diese elegante Art zu entledigen – und die haben sie reichlich genutzt. Woher wissen die Sachverständigen nun plötzlich, dass es sich dabei um eine einzige „Fehlentwicklung“ handelte? Daher: Der Staat hat aufgrund der „allgemeinen Entwicklung am Arbeitsmarkt“ und seiner strapazierten Kassen diese Möglichkeit aus dem Verkehr gezogen und seine Sozialkassen angewiesen, sie nicht mehr zu finanzieren.

Damit nicht genug. Er hat auch gleich noch dem Grund, aus dem heraus die Unternehmen so sehr an der Frühverrentung interessiert sind, im Jahr 2004 einen neuen Paragrafen im Sozialgesetzbuch IX – das sich mit den „Belangen behinderter Menschen“ befasst – gewidmet, weiterführende Strategien der Unternehmen antizipierend. Ältere Mitarbeiter sind – neben dem, dass sie höhere Löhne beziehen – einem Unternehmen darum eine Last, weil sie durch die Arbeit, die das Unternehmen strikt an den Anforderungen der Rentabilität ausrichtet, verschlissen worden sind; sie haben zu Hauf die üblichen Berufskrankheiten erworben und erbringen nicht mehr die volle Leistung. Die Frühverrentung ermöglichte – sofern erforderlich – eine Ersetzung durch weniger verbrauchte Arbeitskraft, die Jüngeren eben, unter Umgehung von Kündigungsschutzrechten bzw. Abfindungen. Der neue Paragraf verpflichtet nun die Unternehmen zur „Prävention“ gegen sich abzeichnende Behinderungen, die über die üblichen Berufskrankheiten hinausgehen bzw. zu denen sich diese verfestigen. Dem zweckrationalen Verschleiß selbst schiebt diese Verpflichtung natürlich keinen Riegel vor, aber um die Auswüchse dieses Verschleißes sollen sich auch die Unternehmen kümmern, und die Bequemlichkeit, Leute bis zur Berufsunfähigkeit herunterzuwirtschaften und sie dann an die zuständigen Instanzen – Berufsgenossenschaften, Rehabilitationsträger usw. – abzuschieben, soll so nicht mehr gelten. In Zukunft gilt:

„Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in §93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.“ (§84, Prävention, Abs. 1); und der Frage, ob und inwiefern ein „Betriebliches Eingliederungsmanagement“ fällig ist, muss nachgegangen werden, wenn „der Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist“. (Abs. 2)

Somit hocken die Unternehmen erst einmal auf ihren alten Mitarbeitern. Nicht nur die Frühverrentung geht nicht mehr, auch das Abschieben von Arbeitnehmern, die „gesundheitlich untragbar“ geworden sind, ist erschwert.

Die Botschaft ist angekommen. Die Wirtschaftsberater – wissenschaftlicher und anderer Couleur – machen die Unternehmen auf das aufmerksam, was sie schon selbst wissen:

„Die deutsche Wirtschaft muss umdenken – weg vom System der Frühverrentung, hin zu einer systematischen Personalentwicklung, die Potenziale bis ins Alter aktiviert und ausschöpft… Arbeitgeber investieren eher in das Humankapital solcher Arbeitnehmer, deren erwartete Verweildauer im Unternehmen noch lang genug ist, um die Aufwendungen zu amortisieren und die Investition zu lohnen.“ (Sunde)
„Wenn die Menschen länger arbeiten, dann wird es für die Betriebe und die Beschäftigten selbst wieder lohnend, durch Qualifizierung und eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung in den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit zu investieren. Wir brauchen also eine Umkehr der bisherigen Praxis: Nicht mehr Entlassung in den Vorruhestand, sondern Fitmachen für Arbeit bis ins Rentenalter.“ (Ein Professor Zimmermann in der Neuen Osnabrücker Zeitung, 12.3.05)

Also Schluss mit der „Verschwendung von Humankapital“, ran ans „Fitmachen“ und her mit den „Potenzialen“!

2. Die Ford AG, seit 2001 mit der Planung des neuen Fiesta an den modernsten Fertigungslinien Europas befasst, denkt nicht daran, den Verschwendungsfehler zu begehen:

„In den 60er und 70er Jahren herrschte großer Bedarf an Arbeitskräften, Rekrutierungen vieler ausländischer Arbeitnehmer waren die Folge. Die damals 20-30 jährigen Mitarbeiter sind nun zwischen 50 und 60 Jahre alt und haben teilweise 30 Jahre für den Betrieb gearbeitet. Zum Aufbau einer neuen Fertigungslinie werden dieselben Arbeitnehmer, trotz industriellen Wandels, fortschreitender Automatisierung und Rationalisierung, immer noch bzw. wieder benötigt. Die aktuelle Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter ist mit der von damals aber nicht mehr gleichzusetzen.“ (H. Kaiser, Bewerbung zur Preisausschreibung auf Initiative der HVBG im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen, 2003)

Über das Humankapital dieser „Mitarbeiter der ersten Stunde“ – 503 an der Zahl – bzw. ihre „aktuelle Leistungsfähigkeit“, die nicht mehr ganz die alte ist, erfährt man, dass diese Leute durchschnittlich zusätzlich zur Hauptdiagnose (ca. 50% muskoskelettare Erkrankungen) noch 2,2 weitere Diagnosen hatten und der Zusammenhang von muskoskelettaren und psychischen Erkrankungen hervorzuheben ist. Durchschnittlich 3,2 Diagnosen – da bietet das Humankapital keine so tolle Voraussetzung, könnte man meinen. Doch der Betriebsarzt rechnet vor, warum diese Leute „immer noch bzw. wieder benötigt werden“, und er benennt die Aufgabe des Disability Managers:

„Für die Betriebe wie auch für Sozialdienstleister bedeutet ein Arbeitsausfall handfeste betriebswirtschaftliche Kosten, ganz abgesehen von dem persönlichen Leid der Betroffenen. Kann ein Angestellter nicht mehr zu seiner Arbeit zurückkehren, kommen neben Lohnfortzahlungen die Kosten für die Neueinstellung hinzu (wozu auch allfällige Abfindungen aufgrund der Kündigungsrechte zählen würden). Ford rechnet nach Angaben von Betriebsarzt Erich Knülle bei jeder neuen Stellenbesetzung mit 60.000 Euro. Der Disability Manager soll diese Kosten reduzieren.“

Das Unternehmen investiert in dieses angeschlagene Humankapital, indem es eine neue Stelle schafft: den Disability Manager. Der geht an seine Aufgabe, die Kosten zu reduzieren, mit dem Vorsatz heran, seine Klientel als leistungsgewandelt anzusehen. Da sie nicht zum alten Eisen geworfen werden kann, schaut er nach, ob sie nicht neben den oder außerhalb der manifesten Mängel, mit denen sie behaftet ist, zu anderen Leistungen imstande ist bzw. instand gesetzt werden kann. Darum hat der Disability Manager von Berufs wegen eine gute Meinung von den Objekten seiner Fürsorge und setzt sich vom „defizitären Ansatz“ des herkömmlichen ‚Betrieblichen Eingliederungsmanagements‘ ab:

„Dies bedeutete zunächst ein Umdenken im Sinne einer Abkehr von einem ‚Defizit-Modell‘ (d.h. es werden primär die fehlenden Fähigkeiten der Mitarbeitenden beschrieben) hin zu einem Modell, das beschreibt, was die Mitarbeitenden alles (noch) können. ‚Es ist ein Perspektivenwechsel, nicht nur zu gucken, was der Mitarbeiter nicht kann, sondern nach dem zu fragen, was er kann.‘ (Zink, Chefin des DM)“ (Fachhochschule Nordwestschweiz, Disability Management – theoretische Grundlagen und Einsatzmöglichkeiten in KMU)

Wer bestimmen können will, „was die Mitarbeitenden alles (noch) können“, der hakt einen Gutteil ihrer körperlichen, geistigen und nervlichen Beschaffenheit als verbraucht und unbrauchbar ab, setzt darauf aber die frohe Botschaft, dass er diese Mitarbeiter dann doch nicht als unbrauchbar ablegen will, im Gegenteil: Es kommt ihm auf den Restbestand an, der sich durchaus „noch“ verbrauchen lässt. Das geht, wie sich im Resultat zeigt: Der größere Teil der 503 Mitarbeiter wird an den „modernsten Fertigungslinien“ wieder zu einem vollwertigen Bestandteil der „Wertschöpfungskette“ oder wird in angegliederte Bereiche „re-integriert“ – und um auch das gleich zu sagen: Das Disability Management errechnet bei diesem Projekt eine Kostenersparnis von 9,44 Millionen $, andere Quellen sprechen von 17 Millionen Euro jährlich.

Dafür muss allerdings auch den werten Mitarbeitern ein Umdenken verordnet werden. Wie sagte der eingangs zitierte Sunde? Weil der Zeithorizont bis zur möglichen Frührente recht kurz ist, lohnen sich für viele Arbeitnehmer Engagement, Flexibilität und Einsatz in Form von Weiterbildung nicht. Wenn nun klar ist, dass sich mit dem „kurzen Zeithorizont“ nichts mehr schiebt, bleibt den Mitarbeitern nichts anderes übrig, als mehr „Engagement, Flexibilität und Einsatz“ an den Tag zu legen. Das überlässt der Disability Manager freilich nicht den Mitarbeitern – was sollte ihnen auch schon einfallen! –, sondern nimmt es ressourcenorientiert in die eigene Hand.

3. Dem Disability Management liegen die Ergebnisse des Taylorismus, der Ergonomie, Arbeitssimulationsstudien, die REFA-Handbücher usw. vor, also lauter „Errungenschaften“ der Arbeitswissenschaft im weitesten Sinn, die es erlauben, menschliche Bewegungsabläufe in verschiedenste Einzelkomponenten zu zerlegen und in einer Art und Weise den Anforderungen des Arbeitsplatzes entsprechend neu zusammenzusetzen, auf die ein Mensch im Umgang mit seinem Gliedmaßen nie kommen würde, die ihn aber dafür tauglich machen, exakt das nachzuvollziehen, was die vom Kapitalisten für teures Geld eingekauften Maschinen in ihrer unwidersprechlichen kapitalistischen Rationalität von ihm verlangen – „den Arbeitsplatz ausfüllen“ heißt die moderne Ausdrucksweise für „Anhängsel der Maschinerie“. Diese „Errungenschaften“ sind schon zur Genüge an den Ford-Mitarbeitern angewandt worden und sie haben die „aktuelle Leistungsfähigkeit“, das Kombinat aus körperlicher und geistiger Schädigung, gezeitigt. Aufbauend auf den wissenschaftlichen Vorarbeiten und unter Berücksichtigung der vorzufindenden Schädigungen entwickelt das Disability Management einen „ganzheitlichen Ansatz“ – nach dem Motto: Wenn die eine Hälfte kaputt ist, gibt es die andere ja auch noch, und die wird „ganzheitlich“ beackert. Um herauszufinden und zu aktivieren, „was die Mitarbeiter (noch) können“, müssen Veränderungen und Aufbesserungen an ihrer körperlichen und geistigen Verfasstheit vorgenommen werden, und zwar zum Zwecke des Abgleichs mit den und der Anpassung an die Anforderungen der neuen Arbeitsplätze. Und Ford kommt damit zugleich der neuen Vorgabe des Sozialgesetzbuches IX nach, da „Prävention“ als Bestandteil der aus seinem Interesse geborenen Sichtung und Auswertung des Mitarbeiterbestandes mit erledigt wird.

Eine besondere Rolle spielt dabei ein „frühzeitiges, nachhaltiges und bedarfsgerechtes Gesundheitsmanagement“, bei dem – wie gleich zu sehen – auch die Geisteswissenschaften in Form von Sozialarbeitern und Psychologen und schließlich das gesamte „Umfeld“ zu ihrem Recht kommen. Gegenübergestellt werden ein „Fähigkeitsprofil“ –

„Beginnend mit der Analyse der vorhandenen Mitarbeiterakten, einer Grobsortierung mittels eines Screeningverfahrens, konnten im ersten Schritt bereits Integrationsprognosen erstellt werden. Alle Akten wurden systematisch nach Diagnosen, Krankenhausaufenthalten, ärztlichen Attesten gesichtet, um Informationen in einem Grobraster festzuhalten… Die ärztliche Untersuchung dauerte in der Regel ca. 50 Minuten und setzte sich zusammen aus Exploration, standardisierter arbeitsmedizinischer Untersuchung, Messungen zur funktionalen Leistungsfähigkeit (ERGOS-Arbeitssimulation) und Beobachtungen sowie deren Übertragung in standardisierte Dokumentationsverfahren. Alle Daten flossen in ein Fähigkeitsprofil ein, welches in einer Datenbank gespeichert wurde.“ –

und ein „Anforderungsprofil“:

„Auf der anderen Seite wurden Analysen der (neuen) Fertigungsbereiche getätigt: Layoutpläne, bestehende und entstehende Ergonomiestudien, Studien zur Bewegung von Lasten, Flow-Charts, Logistikpläne, Prozessbeschreibungen, REFA-Analysen, Zeitstudien, Gefährdungsanalysen und weitere Unterlagen aus dem Arbeitsschutz waren die Grundlage, um danach mittels präziser Analyse der konkreten Tätigkeiten Anforderungsprofile in hoher Detailtiefe zu erstellen…
Mittels des IMBA-Profilvergleichsverfahrens können datenbankgestützt in Sekundenschnelle beliebige Fähigkeitsprofile mit Anforderungsprofilen abgeglichen und Integrationsprognosen erstellt werden. Dieses standardisierte Verfahren ermöglicht sowohl die Auswahl geeigneter Tätigkeiten bzw. Arbeitsplätze für einen bestimmten Mitarbeiter, umgekehrt die Auswahl der geeigneten Mitarbeiter für einen bestimmten Arbeitsplatz, als auch den Verlauf von Fähigkeiten eines Mitarbeiters (z.B. vor/nach Reha) darzustellen. Das Verfahren wurde in der gesamten Fertigung eingesetzt und wird zukünftig auf weitere Bereiche und Standorte ausgedehnt.“

Dieser Vergleich zum Zwecke der „Wiedereingliederung“ will die größtmögliche Deckungsgleichheit – „in Sekundenschnelle“! – zwischen Mitarbeiter- und Arbeitsplatzbeschaffenheit ermitteln, aus diesem Vergleich ergeben sich aber auch Schlüsse auf entsprechende zielorientierte Maßnahmen:

„Für Mitarbeiter, deren Integrationsdiagnostik in mehreren Stufen eruiert wurde, konnten geeignete Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet werden. Hier spielte die Verknüpfung mit Rehabilitationseinrichtungen eine tragende Rolle. Die Mitarbeiter wurden von einer Sozialarbeiterin, von ‚neutralen‘ Fachkräften aus dem IQPR (Institut für Qualitätsforschung in Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln) sowie den zuständigen Mitarbeitern im Integrationsteam von Ford (bestehend aus Angehörigen von Management, Medizin, Ergonomie, Schwerbehindertenvertretung und Produktionsleitung) betreut, für weitere Maßnahmen vorgeschlagen und begleitet. Die Einbindung der sozialen Verhältnisse, Gespräche mit den Vertrauensleuten, das Herstellen von Kontakten zu Hilfsorganisationen, Aufzeigen von Problemlösungsstrategien, Verhalten bei Gruppenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen, Selbstbewältigung bei Krankheit, Sucht o.ä. waren für viele Mitarbeiter wichtige und zum Teil im Verlauf von FILM selbstverständliche Hilfen …“

4. Das alles hat, wie gesagt, gefruchtet: Mitarbeiter, die zu einer ganzen Reihe von körperlichen und geistigen Regungen nicht mehr imstande waren, wurden so weit und dahingehend „rehabilitiert“, sich darum nicht weiter zu scheren und sich an den neuen Fertigungslinien die neuen Betätigungen abverlangen zu lassen, die der Vergleich von „Fähigkeiten“ und „Anforderungen“ an ihnen als machbar ermittelt und gefördert und ihnen zugewiesen hat. Die neuen Fertigungslinien waren dafür insofern eine günstige Voraussetzung, als mit jeder „Modernisierung“ eine „Vereinfachung der Arbeit“ einhergeht, was nicht weniger Arbeitsmühe bedeutet, sondern weitere Reduktion auf einfache Handgriffe und die weitere Ausmerzung geistiger Beteiligung – eine Gelegenheit für noch so verschlissene Mitarbeiter, das zum Einsatz zu bringen, „was sie (noch) können“.

Der Disability Manager spricht bei dieser Gelegenheit gern von einer „Bewahrung besonderer Qualifikationen“, schreibt seiner Klientel eine besondere „Expertise“ zu und beugt sogar einem „aufgrund der demographischen Entwicklung drohenden Fachkräftemangel“ vor. Mit seinem hochgestochenen wissenschaftlichen Jargon streicht er zuallererst die besondere Qualität und Notwendigkeit seiner Tätigkeit heraus – und leistet damit zugleich einen Beitrag für das Image seiner Firma, die ein weiteres Mal ihre „gesellschaftliche Verantwortung“ betonen kann. Zum anderen schmeichelt er damit seiner Klientel, da allerdings mit einem handfesten Grund. Den Willen der Leute, bei der ganzen Untersuchungsprozedur, der Offenlegung ihrer Privatsphäre inklusive Freigabe ihrer Krankheitsakten, bei der Teilnahme an Reha-Maßnahmen, schließlich der Umsetzung an neue Arbeitsplätze möglichst angepasst mitzumachen, braucht er nämlich schon. Darum legt er so sehr Wert darauf, dass es sich bei seiner Tätigkeit um eine „konsens-basierte Maßnahme“ handelt, und zu der gehört, den neu einzuspannenden Mitarbeitern das berühmte „Gefühl des Gebrauchtwerdens“ zu vermitteln und sie in ihrer eingebildeten Besonderheit zu bestätigen. Es ist fatalerweise einiges dran, wenn er seine Erfolgsmeldung psychologisch begründet:

„Die Arbeitsunfähigkeitszahlen gingen in Bereichen signifikant zurück. Dies lag daran, dass Mitarbeiter sich wieder als produktive Teile eines Teams fühlten und wieder wertschöpfend arbeiten können.“ (Kaiser)
„Die Mitarbeiter erkannten, dass sich ein ganzes Team um sie kümmerte, sich ihrer Sorgen und Ängste in vielen persönlichen Gesprächen annahm und für sie hilfreiche und arbeitsplatzsichernde Maßnahmen initiierte… Dies führt zu mehr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl und mobilisiert oft brachliegende Ressourcen.“ (Zink)

Der Zwang, sich regelmäßig an Deutschlands Arbeitsstätten einzufinden, ohne Aussicht auf ein vorzeitiges Entkommen, vor die Alternative gestellt, sich zunehmend ruinieren zu lassen oder die Rentnerarmut zu steigern, die durch die „Rente mit 67“ ohnehin wächst – dieser Zwang sieht doch gleich ganz anders aus, wenn der Betrieb sich aus seinem Interesse heraus mit diesen Mitarbeitern befasst. Sie sind tatsächlich froh, weil sie froh sein müssen, wenn man sich um sie kümmert, sie fürs Durchhalten herrichtet und ihre verbliebene Arbeitskraft ausschöpft – und weil dieser Funktionalismus des Betriebs tatsächlich auch ihnen hilft, mit den Verhältnissen auszukommen, mit denen sie auskommen müssen, verwechseln sie dann noch absichtsvoll „wertschöpfend“ mit Wertschätzung ihrer Person und halten den Satz: Der Mitarbeiter steht im Mittelpunkt aller Betrachtungen, er bildet den Kern aller Anstrengungen (Kaiser), zumindest für gut gemeint. Ob sie deswegen die neuen Anforderungen tatsächlich durchstehen, womöglich bis 67, steht freilich auf einem anderen Blatt.