Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Aufruhr um die Aufklärung der rechtsradikalen Mordserie:
Deutschland entdeckt ein neues Terrorproblem von rechts
Über zehn Jahre hinweg werden quer durch Deutschland bald ein Dutzend Menschen vorwiegend türkischer Herkunft ermordet, im „Klein-Istanbul“ von Köln wird ein Bombenanschlag verübt; 16 Kriminalämter des Hochsicherheitslandes Deutschland fahnden jahrelang mit Sokos unter passenden Namen wie „Bosporus“ erfolglos im Raster „Mafia – Drogen – Rotlicht“ des türkischen „Milieus“; für das Einschlagen des höheren Dienstweges der Staatsschutzabteilung mit Generalbundesanwalt, Antiterrorgesetzgebung, BKA usw. gibt es vorderhand keine Anhaltspunkte, und die paar Hinweise auf rechtsradikale Taten werden von Polizei und Verfassungsschutz als eher unbedeutend verbucht. Und jetzt kommt durch den Fund einer Pistole in einem Wohnmobil zweier Täter in Eisenach, v.a. aber durch ein zeitgleich der Öffentlichkeit zugänglich gemachtes Bekennervideo heraus, dass es sich um ausdrücklich politische Morde einer rechtsradikalen Terrorgruppe handelt, die gezielt auf Ausländer Jagd gemacht hat.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Der Aufruhr um die Aufklärung der
rechtsradikalen Mordserie:
Deutschland entdeckt ein neues
Terrorproblem von rechts
Über zehn Jahre hinweg werden quer durch Deutschland bald
ein Dutzend Menschen vorwiegend türkischer Herkunft
ermordet, im „Klein-Istanbul“ von Köln wird ein
Bombenanschlag verübt; 16 Kriminalämter des
Hochsicherheitslandes Deutschland fahnden jahrelang mit
Sokos unter passenden Namen wie „Bosporus“ erfolglos im
Raster „Mafia – Drogen – Rotlicht“ des türkischen
Milieus
; für das Einschlagen des höheren
Dienstweges der Staatsschutzabteilung mit
Generalbundesanwalt, Antiterrorgesetzgebung, BKA usw.
gibt es vorderhand keine Anhaltspunkte, und die paar
Hinweise auf rechtsradikale Taten werden von Polizei und
Verfassungsschutz als eher unbedeutend verbucht. Und
jetzt kommt durch den Fund einer Pistole in einem
Wohnmobil zweier Täter in Eisenach, v.a. aber durch ein
zeitgleich der Öffentlichkeit zugänglich gemachtes
Bekennervideo heraus, dass es sich um ausdrücklich
politische Morde einer rechtsradikalen
Terrorgruppe handelt, die gezielt auf Ausländer Jagd
gemacht hat.
*
Noch bevor überhaupt eine Kritik so richtig Luft holen
kann, wird sie von höchst offizieller Stelle selbst
verlautbart. Unter dem Tenor: ‚Wer hat da versagt?!‘
macht die Rede von unfassbaren und unglaublichen
Fehlern
, die den deutschen Behörden da unterlaufen
seien, die Runde. Die Empörung über die Verbrechen wird
gleich in die Ecke geschoben, in der wirkliche wie
ideelle Verantwortungsträger nur darauf warten, sich an
der konstruktiven Bewältigung der Angelegenheit zu
bewähren: Welche Schuldigen haben da ihre Pflicht nicht
getan?, fragen sie laut, definieren damit den
eingetretenen Schadensfall und reservieren sich im selben
Zug die Alleinzuständigkeit für seine Reparatur.
Allenthalben konstatiert man unfassbares Versagen
der Sicherheitsbehörden, überall stellen sich
Fragen
. Angeleitet von der Kanzlerin, die eine
Schande für Deutschland
ausruft, hebt in Politik
und Öffentlichkeit wie auf Kommando eine große Runde
Beschämung
und Mitleid mit den Opfern und ihren
Angehörigen
an. Man entschuldigt sich bei den Opfern
für das Unrecht, das ihnen angetan wurde, indem man in
ihren eigenen Reihen nach den Tätern suchte, per Zusage
von staatlichen Entschädigungsleistungen avancieren sie
zu lebendigen Beweisstücken, dass Deutschland zu seiner
staatsmoralischen Bringschuld des Nie wieder!
steht. Der Bundespräsident höchstselbst lädt
Opferangehörige zu einem Gespräch ganz diskret in sein
Schloss ein, so dass es jeder Journalist mitbekommt. Ganz
Deutschland zeigt sich betroffen
von den
verabscheuungswürdigen Taten
. Ganz
Deutschland? Ja, diesmal springt sogar die CDU über ihren
Schatten und fasst zum ersten Mal gemeinsam mit der
Linken eine Entschließung aller Fraktionen im Bundestag,
damit wirklich ein unübersehbares Signal an die Welt
zustande kommt: Wir stehen für ein Deutschland, in dem
alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher
fühlen – ein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt
und Weltoffenheit herrschen.
Offenbar ist man in den leitenden Etagen der Republik der
Meinung, dass die Mordserie im Lichte der neuen
Erkenntnisse dem Ansehen der Nation schadet, nämlich so
aussieht, als könnte oder wollte der staatliche
Rechtsnachfolger des Dritten Reiches den braunen
Terror
nicht so richtig bekämpfen. Gegen den
Eindruck verwahrt sich der deutsche Staat mit seiner groß
angelegten Selbstbezichtigungs- und
Entschuldigungskampagne in einem: Heute und eigentlich
schon immer sind wir
alle prima Ausländer- und
insbesondere Türkenfreunde, die mit ihrem Staat für die
kompromisslose und eigentlich auch erfolgreiche
Ausgrenzung und Bekämpfung des Rechtsradikalismus
einstehen, lautet ungefähr die Botschaft, die jedem
Einwand die Luft rauslässt, noch bevor er überhaupt laut
geworden ist, und den unschlagbar guten Ruf der Nation
unterstreicht.
*
Diese öffentlich zelebrierte Kombination von
Zerknirschung und Solidarität mit Türken ist ein
schlechter Witz. Zur Demonstration ihrer tiefen
Betroffenheit unmittelbar nach dem Bekanntwerden des
politischen Hintergrunds der Taten sehen sich die
Verantwortlichen allein deswegen veranlasst, weil es ja
nicht zuletzt sie selbst waren, die für die Verbreitung
und Vertiefung der Gesinnung gesorgt haben, die im
vorliegenden Fall ein praktisches Exempel statuiert hat.
Dieselbe politische Klasse, die sich jetzt kollektiv
einen Moment lang für den unentdeckten braunen
Terror
in Grund und Boden schämt, hat seit Jahr und
Tag ihr gutes Volk der Anständigen
mal mehr, mal
weniger mit einer Integrationsdebatte
traktiert,
deren vorläufiger Höhepunkt die Auseinandersetzung mit
einem prominenten Kritiker aus den Kreisen der Bundesbank
in Sachen Ausländer- und Migrationspolitik war. Dessen
Thesen vom drohenden Untergang Deutschlands
wegen
einer zu laschen Sozial- und Ausländerpolitik gegenüber
türkisch-arabischen Obst- und Gemüsehändlern fanden
ausgesprochen großen Zuspruch bei den Deutschen, und die
Entgegnung der deutschen Politik auf Sarrazin stand
diesem affirmativen Votum nicht nach: Durch die Bank
recht gegeben wurde dem Mann bei dem „Problem“,
das er zur Sprache brachte, zurückgewiesen wurde er nur
in seinem Vorwurf, die Verantwortlichen verstünden sich
auf dessen Lösung nicht gut. Im Zuge dieser schönen
„Sarrazin-Debatte“ verfestigte sich so zum
nationalen Konsens, dass es Integrationsdefizite
bei Türken und anderen nicht geben darf, ebenso wenig wie
Parallelgesellschaften
wie das „Klein-Istanbul“ in
Köln. Multikulti ist tot!
hieß die Parole, mit der
die Regierung ihre Meinungsführerschaft in der
Ausländerfrage behauptete – eine Klarstellung, dass es in
Deutschland nicht zu dulden ist, wenn Leute auf Dauer
hier leben wollen und uns fremd bleiben
, sich in
muslimischen Bastionen verschanzen, von denen aus sie Zug
um Zug unsere Großstädte übernehmen – und uns
dabei auch noch ausnützen
, indem sie sich als
Verlierer der deutschen Marktwirtschaft im deutschen
sozialen Netz breitmachen, obwohl das ihnen als
Ausländern gar nicht gehört. Und Innenminister Friedrich
sah sich zu seinem Amtsantritt noch bemüßigt zu sagen,
dass der Islam nicht zu Deutschland gehört: So
hören sich die politischen Führer eines Deutschlands an,
das für Verschiedenheit und Vielfalt
steht, wenn
sie ihrem Volk mitteilen wollen, dass es mit seinem
Bedürfnis nach einer nationalen Identität
, vulgo
seiner nationalistischen Gesinnung vollkommen
richtig liegt. Nur weil sie selbst an vorderster
Front die nationale Gesinnung ihrer Bürger in dieser
Frage derart geschärft haben, überkommt die
Verantwortungsträger für Deutschland schlagartig das
Bedürfnis klarzustellen, dass das, was deutsche
Ausländerhasser da getan haben, gar nicht passt
zum Deutschland der Anständigen. Dass sich das ganz und
gar nicht so von selbst versteht, wie sie es behaupten,
davon gehen sie offenbar aus: Wer sich zum ausdrücklichen
Dementi veranlasst sieht, deutsche Bürger könnten sich
wegen ihres gesunden Patriotismus zu derartigen
Schandtaten hinreißen lassen, hat ja selbst im Kopf, was
er so vehement in Abrede stellt. (Eine ausführliche
Kritik der Sarrazin-Debatte findet sich in
GegenStandpunkt 4-10, ebenso der Nachweis, wie
rechtsradikale Parolen und demokratische Politik
zueinanderpassen)
*
Wenn der Boden politisch mal so bereitet ist, erwarten
zahlreiche Angehörige des nationalen Kollektivs von ihren
politischen Herren Taten, die dem Problem
„Ausländer“ gerecht werden, und in der Hinsicht sehen
sich viele deutsche Zeitgenossen dann vom demokratischen
Staat bitter enttäuscht: Dessen Kosmopolitismus gegenüber
der globalen Arbeitskraft, auf die die deutsche
Wirtschaft grenzenlos zugreifen können soll, gibt immer
viel zu wenig Privilegierung der Einheimischen her und
viel zu wenig Härte gegenüber bestimmten Ausländern.
Klar, meist bleibt es bei dieser Enttäuschung aufrechter
Deutscher und der Forderung nach einem härteren Umgang
der Zuständigen mit unerwünschten Ausländern. In gar
nicht so wenigen Fällen aber – das wird jetzt im Zuge der
Aufbereitung der Affäre mal wieder ausführlich
dokumentiert – arbeiten sich Deutsche zu einer
entschiedeneren praktischen Kritik an demokratischen
Politikern vor, die sie eher für Verräter denn Sachwalter
der deutschen Nation halten: Sie werden selbst aktiv und
arbeiten in zahlreichen Stadtteilen und Gemeinden
zwischen Dortmund und Zwickau an ausländerfreien
Zonen
mit. Ausländer und ihnen wohlgesonnene Deutsche
werden angepöbelt, bedroht, terrorisiert, manchmal auch
umgebracht, jedenfalls gibt es eine rechtsradikale Szene
quer durch Deutschland, aus der sich stets genügend
Nachschub für gewaltbereite und -tätige Faschisten
findet, wie eben das jetzt ausgehobene Zwickauer Trio des
NSU, das Taten statt Worte
nicht bloß sehen
wollte, sondern sich entschlossen hat, in der Hinsicht
selbst Hand anzulegen und den deutschen
Volkskörper von ausländischen Elementen zu reinigen:
Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der
Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden
die Aktivitäten fortgesetzt.
(Bekennervideo des NSU)
*
Wieso es das alles bleibend bis anwachsend in
dieser ach so zivilen deutschen Gesellschaft gibt,
interessiert üblicherweise niemanden groß.
Ursachenforschung ist ein Fall für die hinteren
Feuilleton-Seiten oder ein neues Heftchen der
Bundeszentrale für politische Bildung, und das auch nur,
wenn mal wieder etwas über das Maß des Üblichen
hinausgeht wie jetzt. Und auch da besteht die Kritik von
Seiten der Demokraten in einer Ächtung der
Neonazis. Kopfschüttelnd und voller Unverständnis stehen
sie vor ungehobelten, militanten Figuren, fragen sich,
wie es solche Menschen mit so einem grenzenlosen
Hass
überhaupt geben kann, und haben die dafür
passende Antwort immer schon parat: Denen gehen alle
unsere demokratisch guten und schönen Werte ab, Nazis
sind undemokratisch, inhuman,
intolerant, unsere Feinde eben, deren
Entstehung man letztlich zu einem Gutteil irgendwie noch
der DDR in die Schuhe schieben kann. Die theoretische
Auseinandersetzung ist mit dieser Art moralischer
Ausgrenzung perfekt erledigt, jeder Verdacht, zwischen
dem demokratischen Konsens der anständigen Deutschen und
den rechtsradikalen Parolen könnte vielleicht eine
gewisse geistige Verwandtschaft bestehen, hat sich
darüber erledigt. Weitergehende Aktivitäten bleiben der
Zivilcourage und dem Engagement von Bürgerinitiativen
überlassen.
Ansonsten begnügt sich die anständige Mehrheit der Nation
mit dem praktischen Zynismus, diese fehlgeleiteten
Menschen den Sicherheitsorganen der staatlichen Gewalt
überantwortet zu wissen. Die allerdings verfügt bei ihrer
Aufsicht über diese Subjekte schon über ihre eigenen
Gesichtspunkte. Der erste betrifft den Umgang mit der
NPD, der Konkurrenz am rechten Rand
des
Parteienspektrums, an der sich die etablierten
Wahlvereine stören: Da kümmert sich der Verfassungsschutz
darum, die Ächtung dieser Partei mit gerichtsverwertbarem
Material zu unterfüttern, das für ein Verbot des Haufens
hinreicht. Der zweite betrifft die rechte Szene
,
die sich teils offiziell, teils klandestin in
Heimatschutz-, Wehr- und sonstigen Bünden organisiert:
Auch da achten die Behörden des Staatsschutzes darauf,
wann, wo und mit welcher Vehemenz, womöglich auch mit
welcher Militanz die Gesinnung deutscher Patrioten ihren
Übergang hinlegt von der Liebe zum Vaterland zum Hass auf
alle, die es schädigen. In dieser Wahrnehmung als
unter Aufsicht zu haltendes Ordnungsproblem
bereitete die rechtsradikale Szene bis gestern niemandem
aus der Elite dieser Republik besonders große Sorgen: Im
Großen und Ganzen war man damit zufrieden, die Kernszene
auszuspionieren und zu unterwandern und so „unter
Kontrolle“ zu haben. Wenn im vergangenen Jahrzehnt etwas
für Aufregung sorgte, war es der Treppenwitz, dass die
Regierung mit ihrer juristischen Waffe eines
NPD-Verbotsantrag scheiterte, weil die gesamte Partei
so erfolgreich von informellen Mitarbeitern der
Staatssicherheit unterwandert ist: Die Verlautbarungen
der NPD konnten einfach nicht mehr als
gerichtsverwertbare Beweise für eine echte, nicht vom
Verfassungsschutz selbst induzierte – und zu allem
Überfluss auch noch finanzierte! – Verfassungsfeindschaft
verwendet werden. Das sind Niederlagen!
*
Nach dem bekannt gewordenen Übergang zum organisierten
Verbrechen nimmt sich die Rechtsextremismus-Frage für die
Nation etwas anders aus. Auffallend oft werden im Lichte
der aktuellen Enthüllungen die Opfer von
rechtsextremistischer Gewalt zu der stolzen Zahl von 140
bis 200 zusammenaddiert; alle sind irgendwie äußerst
beunruhigt
über den Zustand der Sicherheitsorgane,
so dass sich nicht nur linkssektiererische Kritiker
fragen, ob die deutschen Sicherheitsbehörden nicht auf
dem rechten Auge blind
sind. Das öffentliche
kollektive Erschrecken über diese Taten und das
Eingeständnis der damit verbundenen unfassbaren
Pannen
reicht damit über die staatsoffizielle
Image-Kampagne hinaus: Die Politiker und Behördenleiter
eines Landes mit knapp drei Dutzend Kriminal- und
Verfassungsschutzämtern inklusive dem entsprechenden
Anspruch auf die unumschränkte Geltung ihres
Gewaltmonopols bilanzieren die Tatsache, dass diese
Mordserie nicht aufgeklärt werden konnte, als eine
Niederlage der deutschen Sicherheitsbehörden
(Verfassungsschutzpräsident
Fromm). In der gewalttätigen privaten Amtsanmaßung
der Faschisten registrieren die Behördenleiter einen
Angriff auf ihren Staat selbst, auf seine Art,
Ausländerpolitik und überhaupt Staat zu machen, auch wenn
die Opfer bloß Besitzer von Dönerbuden waren. Der
Innenminister resümiert den Anlass des ganzen Aufruhrs
mit der Bemerkung: Der Rechtsterrorismus ist ein neues
Phänomen.
Neu ist freilich nicht das Phänomen. Bisher war es bloß
so, dass die Staatsführung linksextremistische oder
islamistische Verbrechen auf der einen Seite und
rechtsradikale Taten auf der anderen durchaus
unterschiedlich auf sich bezogen hat. Buback
oder Hans-Martin Schleyer sind definitiv andere Opfer als
ein toter schwarzer Asylbewerber, und ein geplanter
Bombenanschlag von Islamisten wird anders gewichtet als
eine groß angelegte Schlägerei gegen Ausländer, selbst
wenn bei der Menschen zu Tode kommen. Diese
unterschiedliche Gewichtung resultiert aus einer in den
jeweiligen Fällen anders akzentuierten Bewertung der
Betroffenheit des Staates durch die Verbrechen, weshalb
sich beim Umgang mit den Rechten in allen bürokratischen
Stufen der Verbrechensbekämpfung die Frage bemerkbar
macht, ob die Staatsführung die rechtsradikalen
Taten als Angriff auf sich beurteilt und, wenn
ja, welches Gewicht sie dem beilegt: Wer
ermittelt? Mit welchem Fahndungsaufwand? Wer rückt alles
in den Täter- und Sympathisantenkreis? Welche Mittel
stellt der Staat zur Bekämpfung des Umfelds
zur
Verfügung? Usw.
Jetzt ist die deutsche Politik mit einer eindrucksvollen
Serie politisch motivierter Gewalttaten konfrontiert, und
der für die Staatssicherheit zuständige Minister macht
sich daran, diese als ausgewachsenen Fall von Terrorismus
zu definieren. Diese Neubewertung des deutschen
Rechtsextremismus sagt als erstes einen neuen Umgang mit
dem logistischen Umfeld
und dem ganzen Sumpf
von Sympathisanten
an, denen Staaten, wenn sie
Terrorismus identifizieren, etwas anders begegnen als –
wie das hierzulande der Fall war – einem „Milieu“, das
sich oft mit gerichtlicher Erlaubnis in Aufmärschen,
Versammlungen oder gar als wählbare Partei betätigt. Und
diese Aufwertung der rechten Feinde der Demokratie
übersetzt sich zweitens in ein neues Anforderungsprofil,
dem die Staatsschutzbehörden Genüge zu leisten haben: Auf
Höhe mit der neu definierten Feindlage haben sie zu sein
und zur wirksamen Bekämpfung des aufgewerteten
Staatsfeinds effektiv Beitrag zu leisten. Das ist der
Maßstab, an dem die einschlägigen Behörden ab sofort
gemessen werden – und da entdeckt die ganze Republik
rückblickend nichts als schlampige Ermittlung in
Sachen Rechts
und eine unerklärliche Kette von
Versäumnissen
. Aber natürlich blicken die
Sicherheitspolitiker des Staates zusammen mit ihren
konstruktiven Ratgebern der Öffentlichkeit auch
zuversichtlich voraus: Die Mordserie ist der
Anlass, die Ausweitung der Befugnisse und Mittel
staatlicher Aufsichtsbehörden als unabweisbar darzulegen.
Das Erste, was aus der Diagnose der unglaublichen
Pannen
so sicher wie das Amen in der Kirche folgt,
ist eine kreative Diskussion über die allfällige
Einrichtung der bislang umstrittenen
Vorratsdatenspeicherung, über eineVerbunddatei gegen
Rechts, wie es sie für Links- und islamistischen
Terrorismus schon gibt, über eine effektivere Kooperation
der Verfassungsschutzbehörden, über die Einbeziehung des
MAD, usw.
Eng verzahnt mit diesen Fragen
, die im Zuge einer
konstruktiven Bewältigung von Schlampereien beim
Einhalten der Dienstwege und beim Umgang mit Dateien zur
Bewältigung anstehen, wird allerdings auch ein
interessanter Verdacht ventiliert: Konnte oder wollte
der Verfassungsschutz nichts sehen?
, lautet die
Schlüsselfrage, die die obersten Verfassungsschützer,
ihre politischen Dienstherren und die Öffentlichkeit im
Zuge der Aufklärung über ihr Instrument selbst in Umlauf
bringen. Haben die Beamten nicht nur Dateien zu früh
gelöscht
, sondern sie überhaupt nur deswegen
gelöscht, weil sie ihren Auftrag nicht begriffen haben?
Hätten sie dann, wenn sie ihn im Auge gehabt hätten, die
Verbindungen
, die sie nicht gesehen haben, nicht
doch sehen können? Ist bei dieser Behörde überhaupt
Verlass auf ihre Definition des Schutzgutes, das sie im
Namen führt – angesichts der großen Nähe
verbeamteter Staatsschützer zu den Rechtsradikalen und
der vielen Vernetzungen
mit ihnen? Die obersten
Staatsschützer bis zum Innenminister müssen sich
eingestehen, dass viele ihrer V-Männer im rechtsradikalen
Sumpf offenbar deutlich unzuverlässiger arbeiten als
gegen einschlägige Staatsfeinde aus dem linken oder
islamistischen Lager – manchmal neigt die private
Gesinnung der Schnüffler eben dazu, den
Staatsschutzauftrag ihres Amtes ein wenig im Sinne des
politischen Standpunkts ihres Kontrollobjekts auszulegen.
Gestört hat diese nicht nur in Thüringen
verortete Kumpanei in den letzten Jahren niemanden groß,
für das Kontrollinteresse und die dafür nötigen
Informationen hat sie ja ausreichend funktioniert.
Angesichts der neuen Lagedefinition aber wird es zum
Problem, dass der Standpunkt: ‚die haben wir komplett
unterwandert und perfekt unter Kontrolle!‘ ganz aus den
Augen verloren hat, dass es da einen gewaltbereiten
Staatsfeind zu bekämpfen gilt. Und für höchst
kontraproduktiv wird befunden, dass mit dem vielen Geld,
mit dem man von den V-Männern Informationen eingekauft
hat, eben nicht nur Informationen eingekauft, sondern
auch die Objekte der Observation tatkräftig
gefördert wurden.
Das umfängliche Feld der Gesinnungsfreunde der
Braunen Armee Fraktion
wird gleichfalls zum Objekt
einer neu definierten staatlichen Aufsichtspflicht.
Dieser Sumpf beschränkt sich nämlich ersichtlich nicht
auf die Anhängerschaft einer immer noch wählbaren Partei,
die ganz legal Steuergelder als Wahlkampfunterstützung
bezieht. Dieses unerträgliche Ärgernis
ließe sich
zwar durch ein neu und erfolgversprechender anzugehendes
Parteienverbot eventuell aus der Welt schaffen. Aber zum
Lager der Rechten gehören eben nicht nur enttäuschte
CDU-Wähler, die nach dem Wegfall einer wählbaren
Alternative von selbst wieder im Hafen der konservativen
Volkspartei einlaufen würden, zähneknirschend vielleicht,
aber doch so, wie es sich demokratisch gehört.
Einigermaßen bestürzt nehmen die staatlichen Stellen
davon Notiz, dass in den zahllosen rechtsradikalen
Eltern-, Schul- oder Gemeindeinitiativen,
Heimatschutzgruppen usw. nicht wenige unterwegs sind, die
sich sehr gründlich der Demokratie zu entfremden und
ihren Zuspruch zu den im Staat etablierten Parteien
überhaupt zu verweigern drohen. Sie bilden ein rechtes
Sympathisantenumfeld, das ziemlich weit in die Mitte
unserer Gesellschaft
reicht und, was ganz spezielle
Besorgnis erregt, insbesondere für junge Menschen
große Anziehungskraft
entfaltet. Im Osten der
Republik sollen es örtlich bis zu 40 % der Jugendlichen
sein, die weder mit den Werten der demokratischen
Leitkultur noch mit den Parteien, die sie im Namen haben,
etwas anfangen können – Scheißdemokratie!
heißt
umgekehrt der Reim, den sie sich auf ihre Lebenslage
gemacht haben. In Sachen politischer Loyalität droht dem
Staat gleich ein Teil seiner jungen Generation zu
entgleiten, und unter denen, die gesinnungsmäßig zu ihm
schon auf Distanz gegangen sind, gibt es etliche, die es
dabei nicht belassen und zur Tat schreiten, ihre private
Gewalt gegen das Recht des Gewaltmonopolisten stellen: Da
sehen sich Demokraten selbstverständlich in der Pflicht,
für eine erfolgreiche Repatriierung ihrer verlorenen
Jugend zu sorgen – und leisten mit einer Effektivierung
ihres Verfassungsschutzes und vermehrter Polizeigewalt
die nötige Überzeugungsarbeit. Womit denn auch sonst.