Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der deutsch-tschechische Zukunftsfonds:
Von wegen „Schlussstrich“!
Die hochherzige „Versöhnungserklärung“ zwischen Deutschland und Tschechien zeigt den Stand des imperialistischen Kräfteverhältnisses.
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Der deutsch-tschechische
Zukunftsfonds:
Von wegen „Schlußstrich“!
Nach aufwendigem Hin und Her, erbittertem Feilschen um
den bereits beschlossenen Text, beiderseitiger
Verstimmung der Vertragspartner und einigen zeitlichen
Verzögerungen wurde Anfang 1977 der deutsch-tschechische
„Versöhnungsvertrag“ von den Regierungen unterzeichnet
und von den Parlamenten gebilligt. Mit ihm sichern sich
beide Staaten wechselseitig ihre territoriale
Unverletzlichkeit zu. Darüber hinaus versprechen sie
sich, nicht länger auf den unheilvollen
Beziehungen
ihrer durch einen deutschen
Kriegsüberfall, Vertreibung von Volksteilen und den
Kalten Krieg gekennzeichneten Vergangenheit herumreiten
zu wollen; das alles im Namen einer gemeinsamen
europäischen Zukunft
, die Deutschland durch seine
Protektion für den EU-Aufnahmeantrag Tschechiens zu
befördern verspricht. Die hochherzige
Versöhnungserklärung stößt in beiden Ländern auch auf
politischen Widerstand: Im Namen der Sudetendeutschen
wendet sich die CSU gegen eine deutsche
„Verzichtspolitik“; überzeugte Tschechen werfen ihrer
Regierung vor, sie sanktioniere nachträglich deutsche
Verbrechen am tschechischen Volk. Beide Regierungen
bringen dagegen „den Geist“ des Vertrags ins Spiel, den
sie allerdings etwas unterschiedlich interpretieren.
Während Prag den endgültigen Verzicht deutscher
Ansprüche
auf den Besitzstand des tschechischen
Staates und seiner Bürger feiert, schiebt Kohl nach: Die
Vermögensfrage der sudetendeutschen Vertriebenen bleibt
offen. So geht es halt, wenn Staatsmänner die Anerkennung
der puren Existenz eines anderen Staates zu einer Frage
der Gewährung erklären, deren Preis in einer
weitergehenden Rücksicht der anderen Seite auf eigene
Wünsche besteht.
Mitbeschlossen sind in diesem Vertrag praktische
Schritte, um die Versöhnung mit Leben zu erfüllen: So die
Einrichtung eines offiziellen Gesprächsforums, in dem
Politiker und Vertreter gesellschaftlicher
Organisationen, die in besonderer Weise an guten
Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien
interessiert sind
, zur besseren Verständigung beider
Nationen beitragen sollen. Und vor allem ein
„Zukunftsfonds“, aus dessen Mitteln unter anderem das
tschechischen NS-Opfern angetane Unrecht gesühnt werden
soll. Die Demonstration des Willens zur
„Wiedergutmachung“ hat für Deutschland Tradition. Mit der
freiwilligen Übernahme von ganz viel Verantwortung, die
ihm aus der Schuld des Hitlerstaates erwächst, beweist
dessen Rechtsnachfolger – der sich diese Schuld nie hat
anlasten lassen – nicht nur seine unvergleichlich bessere
Staatsgesinnung. Mit ihr erkaufte sich die
Kriegsverlierernation vor allem die internationale
Anerkennung als politische Macht, mit der die Staatenwelt
wieder zu rechnen hat. Und mit dieser schönen Tradition
hat Deutschland nie gebrochen. Heute, im Falle
Tschechiens, ist der Preis, den es für die Beseitigung
von Vorbehalten zu zahlen bereit ist, freilich
konjunktur- und dem Kräfteverhältnis gemäß auf das Niveau
von peanuts gesunken: Die Erledigung alter Querelen ist
Deutschland einen Zuschuß von 140 Mio. DM zur
Fondsausstattung wert – wenig Geld, wenn man bedenkt, daß
Tschechien dafür zugestehen mußte, daß es bei der
Angelegenheit nicht nur darum geht, die Verbrechen von
NS-Deutschland an Tschechen diplomatisch zu beerdigen,
sondern die Frage der tschechischen Schuld gegenüber
Deutschen aufzurühren. Als Ausdruck dieser gemeinsamen
Verantwortung hat Prag deswegen seinerseits 25 Mio. DM
zum Fonds beizusteuern.
Mit dem auf den 1. Januar 1998 festgelegten Arbeitsbeginn
beider Gremien hakt es jedoch. Die Bonner Regierung sieht
noch „Klärungsbedarf“, die Verwendung der Fondsmittel
betreffend: Eine individuelle „Entschädigung“ soll an die
Überlebenden der Hitler-Verfolgung nicht ausgezahlt
werden; allenfalls einige Altenheime für tschechische
NS-Opfer ist man bereit mitzufinanzieren. Sonst bekämen
nämlich die letzten paar tschechischen NS-Opfer einen
individuellen Entschädigungsanspruch gegen den deutschen
Staat, ohne daß den deutschstämmigen Vertriebenen der
mittlerweile 2. bis 4. Generation ein ebenbürtiger
Anspruch verschafft würde; und das darf nicht sein.
Dieser Interessengegensatz läßt sich immerhin mit der
Hilfskonstruktion umgehen, daß ein tschechischer
Sozialfonds dotiert wird, aus dem dann doch ein letzter
individueller Rentenzuschuß ausgezahlt werden darf…
Hauptsächlich geht es aber um die personelle Besetzung
des Verwaltungsrats des Fonds. Für Bonn ist das die
Gelegenheit, dem „Zukunftsfonds“ die gewünschte
Stoßrichtung mitzugeben. Schließlich ist er – wie der
Name schon sagt – nicht für das rückwärts gewandte Wühlen
in der „unheilvollen Vergangenheit“ vorgesehen. Die vom
Fonds zu finanzierenden Projekte – Jugendbegegnungen,
Partnerschaften und Minderheitenförderung – sind
eindeutig vorwärtsgerichtet: Sie sollen das
Sudetendeutschtum in Tschechien wiedererwecken bzw.
verankern. Wer sich in Tschechien noch zum Deutschtum
bekennt, wird unter Obhut genommen; den
Vertriebenenverbänden in Deutschland wird Einfluß vor Ort
in Tschechien verschafft; die deutsche Regierung stellt
ihre Rolle als Schutzmacht für die Rechte Deutscher im
Ausland klar: In diesem Sinn besteht die deutsche Seite
auf der Benennung von zwei profilierten Vertretern der
organisierten Sudetendeutschen im Aufsichtsrat des Fonds,
betreibt so die Aufwertung eines Vereins zum offiziellen
Gesprächspartner, der mit der Forderung nach
Wiedergewinnung der alten Heimat und nach Enteignung
tschechischen Besitzes zugunsten deutscher Vertriebener
antritt, und mutet Prag damit die Hinnahme einer
deutschen Rechtsposition, nämlich des Anspruchs auf
Revision der Nachkriegszustände zu, mit dem der
„Versöhnungsvertrag“ aus tschechischer Sicht gerade
Schluß machen sollte. Dagegen setzt sich Prag zur Wehr.
Es beruft sich auf den dokumentierten Vertragswillen
Deutschlands und weigert sich, zwei entschiedene Gegner
des Versöhnungsvertrags als Funktionäre seiner
Ausgestaltung anzuerkennen. Die deutsche Seite legt nach
und weigert sich ihrerseits, die vorgebrachten
tschechischen Einwände überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.
Nach Kinkel verzögert sich die Unterschrift nicht wegen
des von Deutschland provozierten Streits, sondern wegen
der „Handlungsunfähigkeit“ der anderen Seite: Wegen
der Regierungskrise in Tschechien habe man zur Zeit
keinen Ansprechpartner
. Den Rücktritt der Regierung
Klaus nimmt der deutsche Außenminister zum Anlaß, die
Gründe für die ablehnende Position der tschechischen
Seite, hinter der nicht nur die Regierung, sondern alle
tschechischen Parteien stehen, bewußt zu ignorieren. Er
stellt klar, daß es mit der Arbeit des Fonds entweder
unter den Bedingungen Deutschlands oder gar nicht
losgeht, die tschechische Seite diese Bedingungen also
einfach zu schlucken hat.
Das nennen selbst deutsche Zeitungen eine „Brüskierung“ der tschechischen Seite, die drohende Verzögerung der rechtlichen Konstitution des Fonds sei „beschämend“ und so weiter. In ihrer Einschätzung schwanken die liberalen Kommentatoren zwischen der Diagnose notorischer „Ungeschicklichkeit“ Bonns im Umgang mit dieser „heiklen Frage“ und der Entlarvung eines „wahltaktischen Manövers“ zugunsten der CSU, die sich die Forderungen der staatlich subventionierten Sudetenmannschaft nur zu eigen gemacht habe, um ihre Chancen bei der bayerischen Landtagswahl nicht zu beschädigen. Als gäbe es diese wahltaktische Rücksicht überhaupt, wenn demonstrative Sturheit bei der Verfolgung von Rechtsansprüchen gegen Prag nicht fester Programmpunkt der deutschen Außenpolitik wäre!
Jetzt ist die Unterschrift zweier Staatssekretäre unter das Zukunftspapier doch noch rechtzeitig erfolgt, zwei Tage vor Ultimo. Die Frage der Postenbesetzung ist einvernehmlich auf später vertagt und im Sinne Deutschlands entschieden worden: Beide Seiten verzichten darauf, Mitsprache über die Benennung der Vertreter der anderen Seite zu beanspruchen. Den damit gelungenen Aussöhnungsfortschritt vermeldet der Bonner Regierungssprecher Schmülling:
„Hervorzuheben sind die konkreten weiterführenden Schritte zur Vertiefung der deutsch-tschechischen Zusammenarbeit durch gemeinsame Projekte sowie zur Verwirklichung eines breit angelegten Dialogs aller am deutsch-tschechischen Verhältnis interessierten Gruppen. Damit seien auch die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, daß die im deutsch-tschechischen Verhältnis besonders engagierten Sudetendeutschen in diesen Dialog aktiv einbezogen und in den neu geschaffenen Gremien angemessen vertreten sein werden“. (FAZ, 30.12.97)