Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Antifaschistischer Kampf in den Zeiten der Green Card:
Mit rechtverstandenem gegen rechtsradikalen Nationalismus
Regierung wie Öffentlichkeit basteln an einem demokratischen Umerziehungsprogramm gegen den „dumpfen“ und für einen rundum sympathischen und funktionellen demokratischen Rassismus – schließlich können auch Ausländer ganz schön nützlich für Staat und Gesellschaft sein!
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Antifaschistischer Kampf in den Zeiten
der Green Card:
Mit rechtverstandenem gegen
rechtsradikalen Nationalismus
Bis vor kurzem gehörte es zu den alltäglichen Gewohnheiten zeitungslesender und fernsehender Bürger, sich in unregelmäßigen, aber kurzen Abständen über neueste Überfälle von „Neonazis“ auf Ausländer, Linke, Obdachlose oder jüdische Friedhöfe informieren zu lassen. Das war nach dem Abschalten der „Lichterketten“, mit denen Anfang der Neunziger Jahre Ausländerfreunde ihre ganz persönliche Betroffenheit durch brennende Asylantenheime so stimmungsvoll beleuchtet hatten, kein Anlass mehr für besondere Aufregung im „öffentlichen Raum“. 746 rechtsradikale Gewaltdelikte soll der Bundesverfassungsschutz allein in 1999 in aller Stille aufaddiert haben, etliche davon – allein im Osten seit der Wende über 100 – mit Todesfolge (SZ, 1./2.8.00); die vielen nicht angezeigten Fälle oder von der Polizei in der Rubrik derer abgelegten, die „keinen fremdenfeindlichen politischen Hintergrund erkennen lassen“, nicht mitgezählt.
*
Nach einem noch ungeklärten Bombenanschlag auf jüdische
Russlandauswanderer in Düsseldorf und der Tötung eines
Obdachlosen durch Skins in Ostdeutschland, beginnt die
Nation auf einmal laut mitzuzählen. Dabei kommt
sie leicht auf fünf bis zehn rechtsradikale Attacken pro
Tag, mit denen die Aktivisten der rechten deutschen
Jugend vor allem Ausländern, aber auch Linken und anderen
„asozialen Zecken“ tätige Hinweise auf ihre Unbeliebtheit
in deutschen Landen geben. Diese Jugend soll Umfragen
zufolge insbesondere im deutschen Osten zu etwa 30
Prozent mit ausländerfeindlichem Gedankengut
sympathisieren und sich in kaum geringerem Umfang zu
ihrer „Gewaltbereitschaft“ bekennen. Dieser ziemlich
bekannte Zustand und seine alltäglichen Folgen in der
ganzen Republik werden nun unter Beteiligung aller
demokratischen Parteien und mit einer regelrechten
Medienkampagne noch einmal offiziell und öffentlich
„entdeckt“. Der großspurigen Deklaration national
befreiter, ausländerfreier Gebiete
in den neuen
Ländern, der zunehmenden Dominanz einer
rechtsradikalen und ausländerfeindlichen
Jugendkultur
, der ständigen Herausforderung der
demokratischen Staatsmacht durch Demonstrationen,
Anschläge auf beliebige fremdländisch aussehende
„Mitbürger“ und der dafür werbenden
„gewaltverherrlichenden“ Agitation auf der Straße und im
Internet: Dem allem entnimmt die Staatsgewalt nicht zu
unrecht eine feindselige Insubordination unter
ihre politische Linie, die sie nicht länger hinnehmen
will.
*
Ausgegangen ist die aktuelle Entzweiung nicht von den
Rechten im Lande. Sie haben ihren Standpunkt in
der Ausländerfrage nicht geändert. Bei ihren Aktivitäten
gegen eine Überfremdung des Volkskörpers konnten sie sich
bisher immerhin durch die Menschen in ihrem Umfeld
bestätigt fühlen
und für ihr Tätigwerden viel
klammheimliche Zustimmung
(SZ,
31.7.00) ernten. Was die Innen- und
Justizminister, Ministerpräsidenten und sonstigen
politischen Führungsfiguren aus ihrem Umfeld betrifft, so
war in den letzten Jahren klammheimliche Bestätigung ihre
Sache nicht. Sie gaben mit ihrem gesetzgeberischen und
polizeilich exekutierten Kampf gegen eine Begrenzung
der unerwünschten Zuwanderung
, gegen
Asylmissbrauch
und Wirtschaftsflüchtlinge
,
bis hin zur Organisierung ihrer gesamten Nachbarländer zu
dem Schengenland
, das Deutschland vor der
Asylantenflut
schützen und das volle Boot
Deutschland vor dem Umkippen bewahren sollte, den
allgemeingültigen Standpunkt vor. Dass man sich als
Deutscher von den aus allen Weltgegenden herbeiströmenden
Ausländern zu Recht fast unerträglich
belastet fühlen durfte, dass die Fremden ein
kaum lösbares finanzielles und ein
Ordnungsproblem darstellten, noch dazu bei
grassierender Arbeitslosigkeit, dass es die
Völkerschaften der ganzen Welt offenbar darauf abgesehen
hatten, Deutschland auszunützen, und
Deutschland sich insofern gegen den großen Rest der
Menschheit, der hierher will, aber kraft Geburt gar
nicht hierher gehört, in einer prekären
Abwehrhaltung befand: das alles war für
jedermann der Ausländerpolitik der BRD und der
zugehörigen parteiübergreifenden Agitation in den letzten
Jahren unschwer zu entnehmen. Wenn Teile der
nationalistisch bewegten Jugend den offiziellen
Standpunkt auf eigene Faust betätigten, wenn sie sich von
der mangelnden Härte und Konsequenz seiner
rechtsstaatlichen Exekution enttäuscht und verraten
fühlten, wurde mit den staatlichen Gegenmaßnahmen
nicht dieser Standpunkt, sondern nur
seine kriminelle Konsequenz ins Unrecht
gesetzt. Dies zeigte sich regelmäßig so, dass noch jeder
ausländerfeindliche Exzess neben der Abwicklung
allfälliger Betroffenheit und des Strafverfahrens
zumindest insoweit auf Verständnis rechnen
konnte, als solchen Ereignissen von Politik und
Öffentlichkeit stets auch der Auftrag zu einer
verbesserten Regelung des Ausländerproblems in
dem Sinne entnommen wurde, dass man durch weitere
Verschärfung von Asyl- und sonstigen
Zuwanderungsvorschriften die Bevölkerung vor weiterer
Belastung schützen müsse, um künftige
fremdenfeindliche Reaktionen zu vermeiden – ein Auftrag,
der ausgiebig erfüllt worden ist und der nach wie vor auf
der nationalen Tagesordnung steht.
*
Es ist ja auch gar nicht so, dass diese Sorte Verständnis
mit den letzten erschlagenen Ausländern schlagartig
erstorben ist. Dennoch, die Vertreter der rechtsstaatlich
abgewickelten Ausländerfeindlichkeit der offiziellen
Politik haben jetzt die unzufriedenen, enttäuschten und
kritisch radikalisierten Ausländerfeinde in der rechten
Szene als nationales Problem entdeckt und ihnen
hochoffiziell den Kampf angesagt. Die bundesdeutsche
Politik hat nämlich inzwischen ihrem Standort Bedürfnisse
abgelauscht, die zu einer gewissen Neuorientierung bei
der Betrachtung des lebenden Inventars der globalisierten
Welt geführt haben. Dass der sachliche Reichtum
der ganzen Welt eine einzige deutsche
Geschäftsgelegenheit ist, auf die die Nation
ihrer weitgespannten Interessen wegen einen Anspruch hat,
und umgekehrt die Investoren der ganzen Welt
eingeladen sind, mit ihrem Kapital den deutschen
Standort zu stärken, ist schon lange keine
Neuigkeit mehr. Die aus dem zurückliegenden Erfolg
erwachsende „Entdeckung“, dass seine künftige Fortsetzung
auch den Zugriff auf die weltweiten menschlichen
Ressourcen verlangt und ein gewisses
internationales Kontingent brauchbaren Menschenmaterials
vor Ort unverzichtbar ist, ist jüngeren Datums.
Der deutsche Imperialismus ist gerade dabei, sich sein
Recht am Ausland unter Einschluss des Rechts am
Ausländer, sofern er zu den besten Köpfen
gehört, die uns nützen
, neu zurecht zu legen und
mit bunten „Cards“ und neuem Zuwanderungsrecht die
Verfügbarkeit des gewünschten internationalen human
capital für die Nation in „innovativen
Rechtsformen“ zu organisieren. Mit dem
politischen Beschluss, dass Deutschland in der Konkurrenz
der Standorte nur bestehen kann, wenn es sich die Nutzung
des weltweiten Arbeitsmarktes und der dort
greifbaren Qualifikationen sichert, ist eine neue Linie
in der Frage der political correctness
des deutschen Nationalismus in Kraft: Weil wir heute
Ausländer brauchen, jedenfalls einige von ihnen,
die richtigen eben, gilt nicht mehr die
uneingeschränkte Maxime: ‚Das Boot ist voll‘. Jetzt geht
es darum, Ausländer berechnend, nach ihrer Brauchbarkeit
für die deutsche Reichtumsproduktion auf Weltniveau, zu
sortieren und den Import der erwünschten Nichtdeutschen
möglichst „unbürokratisch“ zu regeln. So sieht heute
korrekte Ausländerpolitik neuen Typs im wohlverstandenen
deutschen Interesse aus.
Wenn heute Rechte, die sich Stoibers, Becksteins, Kochs oder Schilys Ausländerhetze von gestern haben einleuchten lassen, sich bei Demonstrationen die Ausländer nach draußen und deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche wünschen und bei Gelegenheit gleich ein paar Fremden heimleuchten, zeigen sie nicht nur, dass sie den Wandel der Definition dessen, was heute deutschnational heißt und was ein aufgeklärter, korrekter Nationalismus erfordert, nicht verstanden haben; sie schädigen ein deutsches Interesse, dessen Befriedigung die Verwaltung des Standorts als Bedingung künftigen Konkurrenzerfolges ausgemacht hat, und können demgemäß ab sofort nicht mehr mit dem Verständnis der regierenden Nationalisten rechnen, eher schon mit dem Einsatz der Bürgerkriegsarmee des Bundes, des Bundesgrenzschutzes.
*
So kommt es zu einer Wende im Umgang mit denen im Lande,
die an ihrer konkurrierenden Definition eines korrekten
nationalen Standpunkts festhalten. Seine Schärfe bekommt
der Zwist daher, dass diese Typen auf die neue Festlegung
des deutschen Interesses an den Ausländern von
oben mit der Anmaßung von
unten antworten, ihr vom neuen nationalen
Mainstream abweichendes und deshalb falsches und
schädliches Verständnis von Nationalismus auch künftig
praktizieren zu wollen, sich dabei provokativ auf
Traditionen der Nationalsozialisten berufen und zu allem
Überfluss auch noch schwere Straftaten begehen. Damit
wird die alternative Sortierung der Bevölkerung durch den
Rassismus der Rechtsradikalen, die sich den
nationalistischen Berechnungen der neuen
Zuwanderungs-Strategen verweigern, endgültig zu einer
Frage der Staatssicherheit: In den Aktivitäten
der Rechten sieht die Staatsmacht nunmehr einen
unerträglichen Mangel an Respekt vor ihrem, wenn
nicht schon die Eröffnung einer ernstzunehmenden
Konkurrenz um ihr Gewaltmonopol, das nun
gegen die Neonazis konsequent durchgesetzt werden
soll (Der Innenminister von
Mecklenburg-Vorpommern, SZ, 2.8.00). Sie gibt dem
Thema deshalb ab sofort die Bedeutung eines
erstrangigen Problems der deutschen Politik und
kündigt an, vertreten durch eine kaum überschaubare
Truppe entschlossen verlautbarender Politiker, künftig
unnachgiebig den Rechtsradikalen entgegentreten zu
wollen. Anfang August erklärt der demokratische
Rechtsstaat ein paar Wochen lang jeden Tag mehrmals zur
besten Sendezeit und auf allen Titelseiten seine Absicht,
sich seine Definitionsgewalt darüber, wann und
in welchem Maße die von ihm beschlossene
Tagesordnung zur Maßnahme wird, keinesfalls
streitig machen zu lassen. Da will er für die Asyl- und
Ausländerpolitik nichts anderes gelten lassen als für
alle anderen Felder des Regierens: Er behält
sich vor festzustellen, wo staatsnützliche, also
erwünschte Migration anfängt und wo die schädliche. Und
nur Sache der Politik ist es zu bestimmen,
welche und wieviele Ausländer wir wo und wofür brauchen
und wann das Boot wirklich voll ist. Und genauso ist es
im übrigen Sache des Staates, die von ihm
geschaffenen Obdachlosen zu verwalten und
staatsfeindliche linke Umtriebe zu
bekämpfen. Dafür sorgt er mit dem Einsatz der
gesetzlich vorgesehenen gewaltbereiten Organe, und
niemand sonst.
*
Was die Regierung wegen der Uneinsichtigkeit und Anmaßung
der Rechten zum Problem für die innere Ordnung
der Republik erklärt, stört sie im übrigen auch in
anderer Hinsicht: Die rechten Schläger drohen sich als
gravierender Nachteil für den Wirtschaftsstandort
Deutschland zu etablieren, erst recht für den immer noch
schwächelnden Osten.
Politiker warnen
täglich
vor negativen Folgen für das wirtschaftliche und
gesellschaftliche Klima in Deutschland
(SZ, 1.8.00), und die Sprecher von BDI
und Handwerkern, IHK und DIHT fürchten das Ausbleiben
ausländischer Investoren. Zwar habe man noch keine
Erkenntnisse darüber, dass wegen der zunehmenden Gewalt
Investoren ausblieben
, wohl aber gebe es
Anzeichen, dass internationale Forscher und Experten
Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg
meiden würden.
(SZ,
2.8.00) Was immer es mit den Sorgen der
weltoffenen deutschen Kapitalisten auf sich
haben mag, deutsche Politiker sehen jedenfalls
Grund zu „Befürchtungen um das Ansehen
Deutschlands“ (SZ,
1.8.00). Sie halten es für ausgesprochen misslich
und darüber hinaus für ihrem Rang nicht angemessen, sich
unerwünschten politischen Fragen, Misstrauen und Häme auf
internationaler Ebene ausgesetzt zu sehen. Deutschland
hat sich schließlich selbst als Verteiler von
Zensuren vorgesehen und als supranationale Instanz,
die die Kriterien der Statuszuweisung in der Union
festlegt und – wie im Fall Österreich – Strafen auch für
interne gemeinschaftsgefährdende
nationalistische Umtriebe zumisst, und nicht als ein
Land, das von anderen für seine inneren Zustände
schlechte Noten bekommt. Deshalb legt die
deutsche EU-Führungsmacht größten Wert auf ihren
international einwandfreien Leumund. Deutsche Politiker
verkennen aber auch nicht das praktische
Störpotential im Hinblick auf das europäische
Einigungs- und Weltmachtprojekt, das einem Aufschwung des
europafeindlichen Rechtsradikalismus in der deutschen
EU-Hauptmacht und seiner exemplarischen Ausstrahlung auf
andere Länder innewohnt. Das muss mit allen Mitteln
verhindert werden.
*
Mit dem Problem ist auch die Frage nach Diagnose und
Anamnese des grassierenden gesellschaftlichen Übels
aufgeworfen, denn: Voraussetzung für eine erfolgreiche
Therapie ist bekanntlich eine klare Diagnose
(Schily, Der Spiegel,
32/2000). Auf diesem Feld ist allerdings einiges
im Angebot. „Klar“ an der Diagnose scheinen aber, bei
aller Pluralität des politischen und
sozialpsychologischen Diskurses, den Ursachenforschern
zwei Erklärungsansätze
zu sein: Dass aus
Arbeitslosigkeit, Armut und hoffnungsloser sozialer Lage
Rechtsradikalismus und der Hang zum Totschlag gegenüber
ausländischen, linken oder noch stärker pauperisierten
Mitbürgern erwachsen, leuchtet jedem Vulgärmaterialisten
ohne weiteres Argument ein, auch wenn weder vulgäre noch
materialistische Argumente im Spiel sind, wenn sich die
Wut der Zukurzgekommenen
ausgerechnet gegen Leute
richtet, die garantiert nichts mit den Gründen ihrer
Armut zu tun haben: gegen Ausländer, durch Pass und
Hautfarbe ausgewiesene Nicht-Mitglieder der
Volksgemeinschaft. Dass die Hälfte der einschlägigen
Delikte in den „neuen Ländern“ passiert, obwohl dort nur
21 Prozent der Bevölkerung leben, erklärt sich demnach
aus der dort noch schlechteren sozialen Lage.
Andererseits – das merkt inzwischen jeder zweite
Feuilletonist – enthält diese Erklärung viel zu viel
Verständnis im Vergleich zur jetzt gebotenen Verurteilung
des Rechtsradikalismus, so dass jetzt auch mal die
tiefschürfende Erinnerung angebracht ist, dass
schließlich nicht jeder Arbeitslose automatisch
rechtsradikal ist und umgekehrt nicht jeder
Rechtsradikale arbeitslos. Berücksichtigung des
‚subjektiven Faktors‘ ist also geboten. Und da gibt
unendlich viele, aber einige besonders schöne Angebote
für das intellektuelle Bedürfnis, die rechtsradikale
Haltung aus dem Umkreis verständlicher nationaler
Regungen auszugrenzen und als durch und durch
verwerflich zu ächten; so vor allem die
besonders ungünstigen Bedingungen in den neuen Ländern.
Die bevorzugte Erklärung Nummer zwei lautet, dass dort
Faschisterei und Fremdenfeindlichkeit als
mentales Erbe der untergegangenen DDR
ihr Unwesen in den Köpfen der Ossis treiben, also aus den
verflossenen und nie und nimmer aus den jetzigen
Staatsverhältnissen stammen. Die Arbeiter- und
Bauernmacht hatte ja bekanntlich bei sich „bloß“ den
Kapitalismus abgeschafft und damit leichtfertig und
ideologisch
die Wurzel allen Übels für
ausgerottet erklärt
und mit ihrem zur
Staatsideologie erhobenen Antifaschismus … die
Ostdeutschen von jeder persönlichen Auseinandersetzung
mit dem Holocaust entbunden
– wohingegen ‚wir‘ im
Westen uns ganz ohne Antifaschismus mit tiefer
persönlicher Betroffenheit „Schindlers Liste“ reingezogen
haben. Dass diese Unterlassung
ursächlich für den jetzt besonders im Osten
eingehausten Rechtsradikalismus ist, ergibt sich für die
Analytiker daraus, dass es ihn jetzt dort gibt: Dann
müssen wohl Antisemitismus und Rassismus… in
Ostdeutschland seit dem Zweiten Weltkrieg überwintert
(haben) und… nach der Wende wieder virulent geworden
(sein)
– wohingegen bei ‚uns‘ gewisse patriotische
Grundüberzeugungen nie in die innere Emigration gegangen
sind. Daran, dass die rechte Volkswut sich im Osten
vornehmlich an Ausländern austobt, ist 10 Jahre nach
seinem Ende der untergegangene Arbeiter- und Bauernstaat
schuld: Einerseits hat die DDR ihre Bürger durch einen zu
geringen Ausländeranteil an der Bevölkerung schlecht auf
das viele „Fremde“, das ihnen heute in der Freiheit
begegnet, vorbereitet; andererseits, was aber irgendwie
dasselbe ist, war die alte DDR-Gesellschaft
von
einer sozialen Homogenität
, die ihren alten
Bürgern aus unerfindlichen Gründen so gut gefallen hat,
dass sie sie jetzt durch die Abwehr alles Fremden
verteidigen
– wohingegen ‚wir‘ an soviel soziale
Unannehmlichkeiten gewöhnt sind, dass wir uns
mehrheitlich sogar mit Ausländern abgefunden haben. Zu
alledem kommt wiederum umgekehrt erschwerend hinzu, dass
die DDR ein Ort autoritärer Sozialisation
war,
dem, was für kommunistische Sozialisationsorte typisch
ist, die demokratischen Traditionen fehlten
(alle Zitate dieses Abschnitts aus
SZ, zwischen 29.7. und 4.8.00): Schon wieder ein –
wie sich heute herausstellt – folgenschweres Defizit bei
der Vorbereitung der DDR-Bürger auf die
Wiedervereinigung. Nach Belieben ist dem Kreis der
zusammenwirkenden Faktoren
hinzuzufügen: das
Versagen
von Elternhaus, Schule, Justiz und Staat
überhaupt, das Gefühl ein Staatsbürger zweiter
Klasse
zu sein, die kindliche Erfahrung häuslicher
Gewalt und das Internet. So viele Faktoren
und
Bedingungen
für rechte Gewalt; nur ihren
Grund mag niemand benennen, obwohl er immer dann
implizit zur Sprache kommt, wenn die Schläger
von oben mit dem Argument zurechtgewiesen werden, dass
ihr Tun doch ihrer ureigensten Sache, der
nationalen, Schaden zufüge: Wie ein
Tabu, dessen Inhalt jeder kennt, an das aber
niemand rühren mag, wird der schlichte Grund der ganzen
Aufregung behandelt, dass da radikal enttäuschte
Nationalisten am Werk sind, die, jahrelang von
der Ausländerhetze der offiziellen Politik angeleitet,
ihr „Deutschsein“ für ein Privileg halten, wovon sie aber
leider immer nichts merken. Für die fehlende Würdigung
ihres Deutschtums im eigenen Lande wissen sie deswegen
auch die Schuldigen: Schwache oder
pflichtvergessene Politiker, die das Land und seine
Bürger undeutschen Elementen ausliefern. Gegen
die muss man sich wehren, im eigenen wie im
Namen der Nation.
*
So einfältig die Diagnose des Übels ausfällt, so einfach
ist die Therapie: Der erste Einfall heißt quer durch alle
Parteien „Draufhauen“. Bundesgrenzschutz und Polizei sind
gefordert, schärfere Gesetze, härtere Anwendung der
bestehenden, schnellere Gerichtsurteile, Sondergerichte
für rechtsradikale Gewalttaten, Zurückdrängung des
milderen Jugendstrafrechts, Existenzvernichtung durch
Kündigungen, verstärkte Überwachung, Internet-Kontrolle,
Beschränkung des Demonstrationsrechtes, Verbot der NPD.
Das geht vom notorischen Beckstein, der damit gleich eine
Konkurrenz rechts von der CSU, wo eigentlich keine mehr
sein sollte, abräumen will, bis zu dem feingeistigen
Lichterketten-Lorenzo: Ich glaube sehr stark an
Repression.
(im Presseclub der
ARD)
Die zweite Idee ist – gegen Rechtsradikalismus fallen Demokraten eben immer nur rechtsradikale Mittel ein –, den Nationalismus, den man im Zuge der Ursachenforschung gar nicht benennen, geschweige denn kritisieren wollte, agitatorisch zu benutzen: Einsichtige Deutsche sollen sich in der Ausländerfrage auf die Politik der Regierung, und damit auf den Nutzen der Nation einerseits und ihre Ehre andererseits einschwören lassen, um die Rechten, die dem Vorteil wie dem Ansehen des Landes schaden, auszugrenzen; nach dem Motto Stolpes: ‚Man muss den Kerlen in die Köpfe bleuen, dass sie keine Patrioten sind!‘
Dabei soll eine Kampagne der Vorbilder
helfen. In
ihr sollen Führungsfiguren
der Gesellschaft wie
Günther Jauch und Veronika Ferres, Zlatko und die
Kanzlergattin Gesicht zeigen
, so das Motto der
Veranstaltung, und damit um Sympathie und Vertrauen für
die Regierungslinie in allen Fragen eines politisch
korrekten Nationalismus werben: Wer für deutsche
Interessen steht, das dürfen nicht die hergelaufenen
Skins und Faschisten aus dem Bodensatz der Gesellschaft
mit ihrem egalitären Glauben an die Gleichheit aller
Volksgenossen definieren. Das soll man lieber
vertrauensvoll kompetenten Leuten aus
der dazu berufenen Elite des Landes überlassen,
nach der Devise: Wer am meisten Geld verdient und zu den
Prominenten in Deutschland gehört, hat auch am meisten
recht. Die basteln an einem richtigen demokratischen
Umerziehungs- und Agitationsprogramm gegen den
dumpfen
und für einen rundum
sympathischen, funktionellen und irgendwie coolen
demokratischen Rassismus, von dem alle etwas
haben, besonders „wir“. Das lassen sie von den
„Vorbildern“ aus Film, Funk und Fernsehen promoten und
repräsentieren, mit der moralisch einwandfreien
Werbebotschaft, dass auch Ausländer ganz schön nützlich
für Staat und Gesellschaft sein können, wenn es sich um
die Richtigen handelt. Den letzten Beweis dafür treten
die in allen Fragen der Ausnutzung verschiedenartigsten
Menschenmaterials kompetentesten und
glaubwürdigsten der nationalen Führungsfiguren
an, die deutschen Kapitalisten: Würden die
vielleicht einem Ausländer 100.000 DM p.a. in den Rachen
werfen, wenn er nichts nützte? Na eben!
*
Die Anwendung der schärfsten Waffe der freiheitlich demokratischen Grundordnung zur Ausgrenzung einer missliebigen politischen Konkurrenz, ein Parteienverbot, ist hinsichtlich seiner Notwendigkeit und Erwünschtheit in bezug auf die NPD, als die derzeit größte Organisation der Rechtsradikalen, in demokratischen Kreisen unstrittig. Die Vorstellung, es zulassen zu müssen, dass sich eine nationalistische Partei als „politischer Arm“ der rechtsradikalen Schlägerbewegung erfolgreich in ihrer Parteienkonkurrenz etablieren könnte, schmeckt diesen Kreisen gar nicht. Das führt zu einem umfänglichen öffentlichen und nichtöffentlichen Raisonnement über die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrages einerseits und seinen Nutzen, im Falle seines Erfolges, andererseits.
Die demokratischen Konkurrenten, die in einem
gerichtlichen Verbot der NPD endlich das schlagende
Argument gegen diese Partei gefunden haben – ein
besseres ist ihnen nie eingefallen –, trauen nämlich der
Rechtslage und ihrem obersten Gericht nicht ohne
weiteres zu, den erwünschten Erfolg auch wirklich zu
liefern: Immerhin hat man es hier mit einer Partei zu
tun, deren Programm es nicht verbietet,
sie jährlich mit ca. 1,2 Mio DM aus öffentlichen Mitteln
zu fördern. So könnte es passieren, dass das
Bundesverfassungsgericht bei Prüfung der Verbotsgründe im
Programm auf nichts als den wohlbekannten Nationalismus
stößt, wie er in allen anderen Parteiprogrammen so liebe-
und verantwortungsvoll ausgemalt wird, daran nichts
auszusetzen findet und eine für ein Verbot ausreichende
Zuordnung krimineller Taten im Sinne einer
kämpferischen Gegnerschaft zur freiheitlich
demokratischen Grundordnung
zu dem überhaupt nicht
kriminellen Parteiprogramm nicht vornimmt. Diese
Vorstellung ist den etablierten Parteien ein Graus, würde
eine solche Pleite doch einer rechtsstaatlichen
„Heiligsprechung“ der NPD gleichkommen, die man unter
allen Umständen vermeiden will. Deshalb hebt ein großes
Abwägen und vor allem Recherchieren an, wieviel
Gerichtsverwertbares
man dem ungeliebten
Konkurrenten ans Bein binden könnte.
Das macht die diskreten Herren von den
Verfassungsschutzämtern derzeit zu beliebten
Interviewpartnern und deren berufsspezifische
Schnüfflerdummheit zum Gegenstand interessanter Debatten:
Die Agenten des demokratischen Überwachungsstaates gelten
nämlich als die Experten für den Nutzen
des ins Auge gefassten Parteiverbotes. Sie halten dafür,
dass, einmal verboten, die NPD erheblich schwerer zu
beobachten
wäre, und melden deswegen Bedenken an. In
ihrer Berufsblindheit halten es die Verfassungsschützer
für den wesentlichen Zweck eines vom Staat angefeindeten
politischen Vereins, seiner Observation Schwierigkeiten
zu machen, und übersehen dabei glatt, was für ein Schlag
das Verbot für eine Partei ist, die auf nationale
Öffentlichkeit aus ist und am liebsten möglichst
massenhaft demonstrierend unter dem Brandenburger Tor
wahrgenommen werden möchte. Aus Verfassungsschutz-Sicht
wird die – derzeit noch legale – Öffentlichkeit der
Partei zu einer einzigen guten Bedingung der
geheimdienstlichen Überwachung und daraus ein
Argument gegen einen Verbotsantrag. Auch nicht schlecht.
So ähnlich haben wir uns das Verhältnis von Legalität und
Kontrolle in der wehrhaften Demokratie schon immer
vorgestellt.