Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der Dalai Lama in Berlin, Proteste in Peking:
Die spinnen ja, die Chinesen! Andererseits: Wenn sie schon so spinnen – ist es dann gut, ihnen Anlass dafür zu bieten?
Einen Monat nach dem Merkel-Besuch in Peking kommt die Nation nochmals auf ihr Verhältnis zu China zurück: Zum ersten Mal empfängt ein deutsches Regierungsoberhaupt den Dalai Lama, natürlich nur privat, wie die ganze Republik weiß, im Zentrum deutscher Macht, dem Bundeskanzleramt, und bloß als religiöses Oberhaupt. Fast so, als hätte Merkel in Peking im August zu viel an Respekt und Anerkennung spendiert – neben allen diplomatischen Unhöflichkeiten, versteht sich –, will sie der chinesischen Regierung offenbar doch noch eine echt „heikle Frage“ auftischen: die dosierte Aufwertung dieses Staatsmannes ohne Land und Volk, um die Rechtmäßigkeit von Chinas Herrschaft über Tibet zumindest als offene Frage, als stets abzurufenden Anlass für Einmischung in chinesische Souveränitätsfragen am Leben zu halten.
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Der Dalai Lama in Berlin, Proteste in Peking:
Die spinnen
ja, die Chinesen! Andererseits: Wenn sie schon so spinnen
– ist es dann gut, ihnen Anlass dafür zu bieten?
Einen Monat nach dem Merkel-Besuch in Peking kommt die
Nation nochmals auf ihr Verhältnis zu China zurück: Zum
ersten Mal empfängt ein deutsches Regierungsoberhaupt den
Dalai Lama, natürlich nur privat, wie die ganze
Republik weiß, im Zentrum deutscher Macht, dem
Bundeskanzleramt, und bloß als religiöses
Oberhaupt. Fast so, als hätte Merkel in Peking im August
zu viel an Respekt und Anerkennung spendiert –
neben allen diplomatischen Unhöflichkeiten, versteht sich
–, will sie der chinesischen Regierung offenbar doch noch
eine echt heikle Frage
auftischen: die dosierte
Aufwertung dieses Staatsmannes ohne Land und Volk, um die
Rechtmäßigkeit von Chinas Herrschaft über Tibet zumindest
als offene Frage, als stets abzurufenden Anlass für
Einmischung in chinesische Souveränitätsfragen am Leben
zu erhalten. Und obwohl unsere Merkel angeblich den
Chinesen die Leviten so geschickt lesen kann, dass die
sich dabei auch noch moralisch geehrt vorkommen, bleiben
die Chinesen diesmal gar nicht locker und
aufgeräumt
. Vorbei ist es mit der ausgesuchten
Freundlichkeit und Höflichkeit
, mit der Merkel in
Peking trotz ihres forschen Auftritts
empfangen
wurde: Krise zwischen Peking und Berlin
, muss die
Süddeutsche am 22./23.9.07 gleich im Titel feststellen.
Der Empfang löst schwere Verstimmungen
in der
chinesischen Führung aus. Der deutsche Botschafter wird
einbestellt, Ministertreffen und eine Tagung im Rahmen
des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs werden
abgesagt. Als sich die chinesische Führung Merkels
diplomatische Frechheiten in Peking höflich gefallen
ließ, da war auch das noch eine Leistung unserer
Kanzlerin – zumindest sah das ja die Presse in ihren
Lobeshymnen auf Merkel im August noch so. Jetzt, wo die
Chinesen mal dagegen halten, geht das selbstverständlich
ganz zu Lasten der Chinesen:
Erstens ist sonnenklar, dass sich die chinesische Führung
da mal wieder reflexartig
und künstlich, also ganz
zu Unrecht aufregt. Das muss die Presse noch
nicht einmal selber und eigens behaupten. Sie muss nur
die diplomatischen Phrasen der deutschen
Zuständigen ganz distanzlos und ohne
Anführungszeichen für bare Münze nehmen – so in etwa nach
dem Motto: ‚Mal ehrlich! Unsere Kanzlerin wird sich doch
noch einen religiösen Führer privat zu
sich nach Hause einladen dürfen, ohne dass die Chinesen
darüber politisch das Toben anfangen; wo sie denen doch
ausdrücklich mitgeteilt hat, dass sie sich nicht
aufzuregen müssten, da sie ja nur das Autonomie-Programm
des Dalai Lama und nicht gleich das antichinesische
Programm eines eigenen tibetischen Staats unterstützt
hätte.‘ – Als würde sich nicht gerade so,
diplomatisch abgestuft und wohlkalkuliert, über die
Respektsbezeugung gegenüber dem Dalai Lama das Recht
betätigen, das sich Deutschland bei seiner Einmischung in
chinesische Souveränitätsfragen herausnimmt! Umgekehrt
durchschaut natürlich jeder deutsche Journalist die
chinesischen Begründungen für die politischen Reaktionen
mit doppelten Anführungszeichen – von wegen Absagen aus
aus technischen Gründen
, da lachen wir ja laut!
Zweitens zeigt die Reaktion Chinas auf so einen
läppischen Privatbesuch schon wieder nur, wie
berechtigt und nötig die deutsche
Vorratshaltung von Einwänden gegen chinesische Politik
überhaupt ist: Gerade wegen der Kritik aus Peking ist
es richtig, dass Merkel die Eiertänze, die andere
Bundesregierungen früher um diese Frage gemacht haben,
nicht wiederholt.
(R. Polenz in
der SZ)
Drittens ist aber auch nationale Gelassenheit angesagt: ‚Selbstverständlich gehen wir davon aus‚dass sich die Chinesen, so künstlich wie sie sich aufgeregt haben, auch wieder abregen‘, lautet in etwa der Tenor der letzten Wortmeldungen, mit denen man sich nochmals bestätigt, wie sehr man mit dem Empfang prinzipiell im Recht ist.
Trotzdem sind Deutschlands Journalisten keineswegs
einmütig der Ansicht, dass dieser Empfang auch wirklich
gut für Deutschland ist. Sie laden ihre Leser
recht herzlich zur Diskussion ein, ob der jüngste Affront
zur Wahrnehmung des Rechts auf Einmischung uns überhaupt
nützt: Es ist richtig, dass Angela Merkel den Dalai
Lama trifft – aber es richtet auch Schaden an
,
überschreibt die SZ ihren Kommentar vom 22./23.9. in der
Unterzeile, und auf der Titelseite derselben Ausgabe wird
dem Leser mitgeteilt, dass der Empfang sogar im
Kanzleramt heftig diskutiert worden ist
und ein
Berliner China-Experte ihn einen schweren
außenpolitischen Fehler auf einem
Nebenkriegsschauplatz
nannte. Dem Vernehmen nach
befürchten einige deutsche Geschäftsleute in China,
dass die Verstimmung auch auf das Klima in den
Wirtschaftsbeziehungen durchschlagen könnte
. (FAZ,
24.9.) Entscheiden muss der Leser in dieser
nationalen Pro- und Contra-Besinnung gar nichts, die
wichtigste Entscheidung haben ihm die Redakteure nämlich
mit dem ihr vorausgesetzten Standpunkt schon abgenommen:
Jedermann wird angehalten, in die Rolle des deutschen
Außenministers zu schlüpfen, und darf frei nach seinem
Gewissen die Sorgen und Widersprüche seiner
Staatsmacht in Asien abwägen: Wie sehr sollen
wir auf unser generelles Aufsichtsrecht über Chinas
(Tibet-)Politik pochen? Verlieren wir mittlerweile nicht
Einfluss an Konkurrenten, wenn wir immer auf China
herumtrampeln? Pflegen wir also nicht besser möglichst
gute Beziehungen zu dieser aufstrebenden Macht, wenn wir
dort schon soviel verdienen wollen? Der interessierte
Leser wird immerhin auf eines vertrauen dürfen: Im
wirklichen Berliner Ministerium wird wohl keine
der vielen Facetten deutscher China-Politik
vernachlässigt werden.