Eine neue Rubrik:
Kein Kommentar!
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Kein Kommentar!
Von der Zeitschrift GegenStandpunkt sind auch in Zukunft
keine teilnahmsvollen Überlegungen zu der Frage zu
erwarten, ob ein Kirchentag in Leipzig dem
Zusammenwachsen der Deutschen dient oder ob die
Flächentarifverträge noch in die sozialpolitische
Landschaft passen. Es ist uns auch weiterhin egal, ob
Präsident Clinton seine Sekretärinnen verführt; wir haben
keine Vorschläge, wie die europäische Sozialdemokratie
ihre Sache besser machen könnte; wir enthalten uns der
Stimme, was die Auswahl des Kanzlerkandidaten der SPD
betrifft; wir plädieren weder für bessere Präsidenten in
Kroatien und Iran noch für gelungenere deutsche
Fernsehfilme zum Thema RAF. Alles das gibt es schon; die
Organe der demokratischen Öffentlichkeit sind pausenlos
damit beschäftigt, beim lesenden Publikum und dessen
Regierenden Mahnungen und Verbesserungsvorschläge
einzureichen; und der Pluralismus der Standpunkte, von
denen aus das geschieht – im Namen der Umwelt, der
sozialen Gerechtigkeit oder auch schlicht des
Rucks
, der durchs Land zu gehen hätte – ist schon
groß genug. Wenn wir dennoch mit einer neuen Sorte
Kurzartikel auf etliche der Tagesereignisse
eingehen, mit denen die professionellen Meinungsbildner
sich Tag für Tag kommentierend und meinungsbildend
befassen, dann deswegen, weil uns daran immer von neuem
das Gegenteil auffällt: die Notwendigkeit, mit der sie
so, wie sie sich abspielen, zur Demokratie, zur
Marktwirtschaft, zur Weltordnung und zu all den anderen
großen Sorgeobjekten des allgemeinen Verbesserungs- und
Verschönerungswillens dazugehören – oder umgekehrt: was
für ein unverbesserliches Licht sie auf jene großartigen
Prinzipien unseres Zusammenlebens
werfen.
Deswegen werden wir im GegenStandpunkt auch weiterhin keine
Skandale aufdecken. Im Gegensatz zu „Bild“ oder „taz“,
„konkret“ oder „Spiegel“ halten wir nämlich sogar die
arbeitslosen Bauarbeiter in Ostdeutschland und die
ausländerfeindliche Wahlwerbung des niedersächsischen
Ministerpräsidenten, die unerwünschten Gewaltphantasien
von Bundeswehrsoldaten und die völlig verbotenen
Gewalttaten unzufriedener Patrioten im Baskenland und
anderswo nicht für Abweichungen von einer Norm, die
sowieso nie wirklich, sondern dafür nur um so
eigentlicher gilt. Wir erkennen darin bloß Fälle und
Unterfälle von Grundsätzen und Sachzwängen, die
tatsächlich in Kraft sind und unter idealistisch
verfremdenden Titeln sogar einen unbestritten guten Ruf
genießen. Wenn sich bei unseren Erläuterungen der
Eindruck eines gewissen Zynismus aufdrängt, so ist das
schon ganz richtig: Uns geht es genauso, wenn wir uns mal
wieder klarmachen, wie konsequent etwa die
sozialstaatliche Organisation des Pflegerisikos
zu
den unhaltbaren Zuständen
führt, die die
Organisatoren selbst am Extremfall skandalisieren, damit
und so daß das normale Elend auch moralisch in Ordnung
geht.
Daß der GegenStandpunkt mit den Bemerkungen zu den aufgespießten Ereignissen nicht aktuell ist, ist uns aus den gleichen Gründen egal. Wir haben nicht die Not, der jeweils frischesten Gemeinheit postwendend einen hochmoralischen Unvereinbarkeitsbeschluß mit den real existierenden Verhältnissen nachzureichen und uns darüber als korrekte Interpreten des Tagesgeschehens interessant und beliebt zu machen. Die Identität von Fall und Prinzip, die wir bemerken und bemerkenswert finden, die erscheint uns auch dann noch mitteilenswert, wenn der Fall schon wieder fast in Vergessenheit geraten ist.
Sie allenfalls als Beispiele zu erwähnen, im Rahmen von Artikeln über umfänglichere Gegenstände wie ganze Nationen oder über die Prinzipien der freiheitlichen Weltordnung selber, das erschien uns auf Dauer zuwenig. Die zahllosen Einzelfälle sind schließlich der Stoff, aus dem wir alle Erkenntnisse haben, die wir in den Aufsätzen der umfänglicheren Art systematisch darzustellen versuchen.
Daher diese neue Rubrik.