Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
George W. Bush besucht Polen, Russland und den G8-Gipfel in Evian:
Nach dem Zerwürfnis nun die Versöhnung mit der Weltmacht
Bushs Reiseplan demonstriert auf (un)diplomatische Tour die Entwertung des Weltwirtschaftsgipfels: Sollte er bisher den Willen zum Konsens zwischen den konkurrierenden Subjekten des Weltmarkts über dessen Geschäftsgrundlagen repräsentieren, kündigt Bush jetzt den Schein, „primus inter pares“ zu sein, und gibt dessen neue Funktion – Bühne für sein Programm und für seine Regieanweisungen an die „Partner“ – bekannt. Die Botschaft kommt an, ab jetzt wird der Gegensatz des „alten“ Europa zum Irak-Krieg als Meinungsverschiedenheit behandelt und nach vorn geschaut.
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Länder & Abkommen
George W. Bush besucht Polen, Russland
und den G8-Gipfel in Evian:
Nach dem Zerwürfnis nun die
„Versöhnung“ mit der Weltmacht
Was die Weltlage angeht, ist die Frontstellung zwischen
den für die Welt zuständigen Staaten klar. Die USA haben
ihren Anspruch aufs Weltgewaltmonopol angemeldet und
seine Verwirklichung mit den ersten beiden Kriegen des
neuen Zeitalters in Angriff genommen. Bei dem gegen den
Irak haben drei Mächte, die Bush auf dem
Weltwirtschaftsgipfel treffen wird, ihren Widerstand
gegen das US-Programm deutlich gemacht, ihm die sachliche
und, wichtiger noch, die legitimatorische Unterstützung
verweigert. Das Zerwürfnis ist da und
unübersehbar. Die Öffentlichkeit hat es lange genug
thematisiert und auch dramatisiert und kann nicht
glauben, dass tiefe Verstimmung
in den
transatlantischen Beziehungen das letzte Wort sein soll.
Sie hofft auf Versöhnung
, sehnt sich nach einem
Schlussstrich unter die Irakkrise
(Spiegel) und nach einer Rückkehr zur
Tagesordnung
(FAZ), nach
Normalität
im Umgang miteinander: Stets ging es
um die Frage, wie hält Bush es mit den Gegnern seines
Irak-Feldzuges… Würde der Präsident einen Schritt des
Entgegenkommens gehen hin zu Schröder und Chirac, den
Hauptbösewichtern auf der Achse der niederträchtig
Friedfertigen?
(SZ, 2.6.)
Offenbar leidet man hierzulande sehr unter dem Verlust an
Respekt, dessen man sich als Partner Amerikas bislang
immer sicher sein konnte, und erhofft sich die Rückkehr
zu Zeiten, in denen sich die Weltmacht über die
Interessen ihrer Verbündeten nicht einfach hinwegsetzte.
Entsprechend interessiert deutet man im Vorfeld der
Visite des Präsidenten herum, wälzt vor dem
Weltwirtschaftsgipfel in Evian die besorgte Frage:
Kommt er oder kommt er nicht?
, ist, nachdem Herr
Bush sein Erscheinen zugesagt hat, erleichtert und sieht
sich dazu berechtigt, lauter Zeichen der
Versöhnung
, eine Klimaverbesserung
(FAZ) gar zu entdecken. Und
wer auf Zeichen
hofft, die ein Ende der
Eiszeit
bezeugen könnten, wird natürlich fündig:
Jedermann wartete auf Gesten des Verzeihens, indem man
seinen Blick beachtete, sein Lächeln, seinen Händedruck.
Und tatsächlich: Bevor er mit dem Essen begann, ging der
US-Präsident auf den deutschen Kanzler zu und streckte
ihm die Hand entgegen…
– so dass am Schluss
tatsächlich die Versöhnung
zustande kommt: Der
Händedruck, auf den man in Deutschland so lange gewartet
hat.
(SZ, 2.6.)
Ist es tatsächlich so – man bewegt sich wieder
aufeinander zu
?
1.
Bevor der Präsident zu seiner Reise aufbricht, geht er
ausdrücklich auf die Streitigkeiten ein, die im Zuge der
Vorkriegsdiplomatie zwischen der ‚Koalition der Willigen‘
und den ‚Kriegsgegnern‘ eine so bedeutende Rolle
spielten. Während man in Europa heftig die
Stichhaltigkeit der von Amerika vorgebrachten
Kriegsgründe überprüft, lässt Bush seinen
Vize-Verteidigungsministers Wolfowitz ganz nebenbei
ausplaudern, dass man sich in Washington auf das Thema
Massenvernichtungswaffen im Irak
doch nur aus aus
bürokratischen Gründen
konzentriert habe – weil es
der Grund war, dem jeder zustimmen konnte
. Eine
herzerfrischend undiplomatische, weil ausnahmsweise ganz
offen hergesagte Klarstellung zu Sinn und Zweck der
US-Vorkriegsdiplomatie, mit der die amerikanische
Nachkriegsdiplomatie da ihren Auftakt nimmt: Von der
Weltmacht bemühte ‚Kriegsgründe‘ sind ein Angebot, damit
aber auch eine dringliche Aufforderung an alle
‚Unwilligen‘, sich hinter den Krieg der USA zu stellen.
Sie sind diplomatisches Spielmaterial, bei dem sich jeder
blamiert, der es anders nimmt und nachfragt, wo die
Waffen eigentlich abgeblieben sind, derentwegen der Krieg
ja dem Vernehmen nach hat sein müssen: Amerika hat
seine Gründe für seinen Krieg, und die
sind schon dessen vollständige Legitimation;
offiziell der UN und ihrem Sicherheitsrat zur
Beschlussfindung vorgelegte ‚Kriegsgründe‘ sind Titel,
unter denen sich die zum Mitmachen aufgeforderten Partner
ihren Dienst an Amerikas Krieg auch noch gut als Vollzug
höheren Völkerrechts zurechtlegen können, wenn sie das
schon unbedingt wollen. So braucht schon einmal keiner
der ‚alten Europäer‘ zu meinen, Amerikas Präsident sähe
sich in Bezug auf die Legitimität seines Krieges zu
irgendeiner Sorte Stellungnahme verpflichtet, gar dazu
veranlasst, sich in den folgenden Tagen in irgendeiner
Art und Weise zu rechtfertigen. Eine
‚Versöhnung‘, die die Anwürfe der vergangenen Monate
nachträglich auch nur irgendwie ins Recht setzen könnte,
käme einer Relativierung der amerikanischen
Sache gleich, kommt also nicht in Frage.
Eine zweite Klarstellung, die der Präsident seinem
Europa-Trip vorausschickt, betrifft den Stellenwert des
Zusammentreffens der „Mächtigen der Welt.“ Eine
Rückkehr zur Tagesordnung
, wie sie sich die
Öffentlichkeit – und nicht nur sie – erhofft,
schließt er explizit aus. Das macht der
Präsident mit seinem Reiseplan deutlich, der den
alljährlichen Weltwirtschaftsgipfel entwertet.
Die – diplomatisch: unerhörte – Halbierung
seiner Besuchszeit, die Ein- und Unterordnung von ‚Evian‘
in ein dichtes Programm
, in dem als erste
Stationen Polen und Russland stehen und das dann den
Präsidenten zum dringenden Geschäft des Managements eines
Nah-Ost-Friedensprozesses
ruft, ist die seinen
Kollegen eigens vor Augen geführte Kündigung der
bislang gültigen Geschäftsordnung des Treffens der
führenden Wirtschaftsmächte
.
2.
Der amerikanische Präsident bietet Versöhnung
und
Annäherung
an. Beides ist zu haben, wenn die
Kriegsgegner ihr Unrecht einsehen und das
Recht der USA, so, wie sie es im letzten Krieg
gesetzt haben, anerkennen. Der Herstellung
dieser Einigkeit dient die Diplomatie der
Europareise: Die ‚Willigen‘ werden erhoben und belohnt,
nämlich durch das höchstpersönliche Erscheinen des
mächtigsten Mannes der Welt; die ‚Unwilligen‘ müssen
zeigen, ob sie gelernt haben, nach vorne zu
schauen
, sich also in Amerikas neue Weltordnung
einzupassen; dann können sich den ‚good will‘ des
Präsidenten erwerben und haben die Chance zur
Resozialisierung.
Absichtsvoll gewählt ist die erste Station
Polen, Inbegriff des neuen
Europas. Polen hat alles richtig gemacht: Obwohl es
gerade zum Mitglied der Europäischen Gemeinschaft
aufsteigen will, stellt es sich in Sachen Irakkrieg auf
Amerikas Seite, hat also verstanden, dass
wohlverstandenes nationales Eigeninteresse niemals in
Gegnerschaft zur Weltmacht geraten darf, vielmehr darauf
gerichtet sein muss, sich in deren ‚Neue Weltordnung‘
einzuordnen. Damit stellt sich Polen gegen das ‚alte
Europa‘, und das anempfiehlt Bush Europa als
Vorbild. Polen ist überhaupt nicht einer der
Spalter des gesamteuropäischen Einigungswerks, sondern
ein leuchtendes Beispiel für das, was man sich unter
amerikanisch-europäischer Einigkeit und wahrer
transatlantischer Freundschaft vorzustellen hat: Sie
sind nicht so weit gekommen, haben tapfere Aufstände
überstanden, damit man ihnen jetzt sagt, dass sie
zwischen Europa und Amerika wählen müssen.
Polen
ist ein guter Bürger Europas, und Polen ist ein enger
Freund Amerikas – das sind keine Gegensätze
(FAZ 31.5.). Insofern aber
das ‚alte‘ Europa dies noch immer eher andersherum sieht,
ist es selbst der eigentliche Spalter. Wenn es
sich nicht so proamerikanisch gibt wie Polen, versündigt
es sich an Sicherheit, Freiheit und Frieden
und
untergräbt das doch wohl gemeinsame Anliegen der
Bekämpfung des Terrorismus
: Eine starke
transatlantische Partnerschaft ist für Sicherheit,
Freiheit und Frieden sowie die Bekämpfung des Terrorismus
notwendig… Wenn Europa und die USA zusammenstünden,
könnten sie jedes Problem lösen.
Für den passenden
moralischen Nachschlag bedient sich Bush des nahe
liegenden Auschwitz. Dort ist die Schande eines
Deutschland zu besichtigen, das zu denen gehört, die sich
jetzt weigern, die Sache der Freiheit und des Friedens
voranzubringen
, dessen moralische Bedenken gegenüber
Amerika und seinem Krieg also eine einzig Anmaßung sind –
das braucht Bush gar nicht eigens zu betonen. Wichtig ist
ihm die Mahnung und Bestätigung, die ihm
Millionen tote Juden aus ihren Gräbern zurufen: Amerika
darf in seinem Kampf gegen das Böse
nicht
nachlassen, und mit jedem Schritt, den es in ihm
vorankommt, beweist es seine sittliche Erhabenheit – mit
einem anderswo
schlägt er die Brücke vom Krieg
gegen Hitler und zu dem gegen Saddam: Diese Orte
erinnern daran, dass die Menschheit zusammenkommen muss,
wenn es Antisemitismus gibt, in Europa und anderswo. Sie
erinnern daran, dass Böses beim Namen genannt und
bekämpft werden muss.
Mit Russland hat der amerikanische
Präsident bei seinem Vorgehen gegen den Irak die
Erfahrung
einer gewissen Widersetzlichkeit
gemacht. Die hat ihm wohl nicht gefallen, was aber auf
ihn keinen nachhaltigen Eindruck macht, im Gegenteil:
Diese Erfahrung macht unsere Beziehung stärker, nicht
schwächer.
Dafür muss Russland allerdings erstens die
„Stärke“ aufbringen, seine doppelte Schädigung durch den
Irakkrieg widerstandslos zu schlucken. Dass es den
politischen Schaden hingenommen hat, beweist es
durch seine konstruktive Mitarbeit an der Seite der USA,
dafür wird es anerkannt: Bush lobte die russische
Unterstützung bei der Verabschiedung der jüngsten
UN-Resolution zum Irak
. Seinen ökonomischen
Schaden hat Russland selbst zu regeln, es muss sich dafür
ja nur an die richtige Adresse halten: Um die noch
ausstehenden Schulden und die Einhaltung früher
eingegangener Verträge müsse Moskau sich aber schon
selbst bei der neuen irakischen Führung bemühen
(Die Welt, 2.6.) – Russlands
Pech, dass es die irakische Regierung nicht gibt; falls
es sie eines Tages geben sollte, ist sie eine von
Amerikas Gnaden und hat für andere Verträge einzustehen
als ausgerechnet für solche mit Russland. Zweitens kann
Russland auf eine Stärkung unserer Beziehung
nur
hoffen, wenn es sich gleich für die nächste Zumutung
einspannen lässt – es hat seine guten Beziehungen zum
Iran in den Dienst der Bekämpfung dieses
Schurkenstaates
zu stellen: Bush nutzt sein
Treffen mit dem Kremlchef vor allem dazu, um Russland mit
Nachdruck zum Abbruch seiner Nukleargeschäfte mit Iran
aufzufordern
. Ob die von Putin eingeschlagene Linie,
sich als vollwertiger und konstruktiver Partner im
freiheitlichen Lager von Kapitalismus und Demokratie
etablieren zu wollen – dafür die mit historischer
Bedeutungsschwere inszenierte Zusammenkunft in St.
Petersburg, das schließlich vormals von Zar Peter als
‚Tor zum Westen‘ gezimmert wurde –, allerdings von
Amerika Billigung erfährt, muss sich erst noch zeigen.
Diesbezügliche Zweifel erweckt Putin durch sein Treffen
mit Chirac und Schröder, kurz zuvor und ebenfalls in St.
Petersburg. Bush erwähnt es mit keinem Wort, und das ist
beredt genug: Wenn Russland seinen Weg der
bedingungslosen Westorientierung
weiter gehen
will, hat es sich auf dem ausschließlich an die
eine Macht zu halten, die definiert, was ‚der
Westen‘ neuerdings ist, und sich von der die politischen
Direktiven abzuholen.
3.
Dann trifft der Präsident mit denselben Freunden, denen
er schon in Russland die Hand geschüttelt hat, auf dem
Weltwirtschaftsgipfel in Evian nochmals
zusammen – und versäumt auch bei dieser Gelegenheit die
Klarstellung nicht, dass Amerikas Diplomatie nach dem
Krieg nahtlos an dem vorkriegsdiplomatisch erreichten
Stand anknüpft: Er durchkreuzt einfach alles,
was Frankreichs Präsident Chirac, turnusgemäß Gastgeber
des Weltwirtschaftsgipfels, an berechnenden Versuchen
unternimmt, Amerika über die Einbindung in die alte
diplomatische Routine auf
partnerschaftlich-einvernehmliche Gemeinsamkeit
festzulegen. Denn Frankreichs Präsident gibt sich alle
Mühe, ein ‚klassisches‘ Gipfel-Treffen zu arrangieren: Er
setzt seinem Interesse an einer multipolaren Welt
ein Denkmal, fordert ein Handeln im Konsens
, bei
dem sich die Mächtigen der Welt gemeinschaftlich der
Probleme dieser Welt
annehmen sollten und will seinen
Kollegen angesichts eines marginalisierten und
vergessenen Afrikas
besonderen Handlungsbedarf nahe
bringen. Zusätzlich sorgt er für eine massive
Erweiterung des Teilnehmerkreises
, will nur kurze
Zeit für den sicherheitspolitischen Teil reservieren
und stattdessen die wirtschafts- und handelspolitische
Thematik dominieren
lassen. Daraus wird nichts. Die
knappe Zeit des amerikanischen Präsidenten
erzwingt
, die Konzentration auf sein
Kernthema, den Kampf gegen den Terrorismus und dessen
Erpressung der freien Welt
, und der Respekt vor dem
Führer der Weltmacht gebietet den übrigen Teilnehmern
ganz von selbst, seinem Lieblingsprojekt die nötige
Aufmerksamkeit zu schenken. Sie schließen sich der
amerikanischen Auffassung über dringlich zu bekämpfende
Brutherde des Terrorismus
an: Nordkorea wird zu
einer sofortigen Einstellung seines Atomprogramms
aufgefordert. Man ist besorgt über das fortgeschrittene
Nuklearprogramm Irans und verlangt, dass dieser seine
Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag in vollem
Umfang umzusetzen habe. Die wirtschafts- und
handelsdiplomatische Thematik
findet insofern
Erwähnung, als auf Wunsch von Bush die
Abschlusserklärung des Gipfels keine Aussagen zum
Verhältnis von Dollar und Euro enthalten wird
(taz, 3.6.) – und damit ist
sie auch schon erledigt. Schon gleich nichts wird aus dem
Versuch, im Rahmen des Gipfels dem amerikanischen
Präsidenten ein wohl wollendes Kopfnicken zu einer
speziellen politischen Verantwortlichkeit Europas
gegenüber Afrika zu entlocken. Der Präsident hat einfach
Wichtigeres zu tun. Er muss ganz schnell dem Nahen Osten
Frieden bringen, was er nur allein und ohne Europäer tun
kann, und deshalb gleich wieder aus Evian abreisen…
Mit seinem dosierten Erscheinen und der Art, in der er seine Tagesordnung durchsetzt, leistet sich Präsident Bush allerdings nicht nur eine diplomatische Brüskierung seines europäischen Gastgebers: Er setzt damit überhaupt einen Schlussstrich unter den Sinn und Zweck der Gipfeldiplomatie früherer Zeit und gibt seinen Kollegen der G-8 zugleich zu verstehen, welchen Sinn Zusammenkünfte dieser Art für ihn allein noch machen. Wesentlicher Inhalt dieser Weltwirtschafts- und ähnlicher Gipfel war ihr Stattfinden selbst, der auf ihnen zwar in keinem Punkt wirklich realisierte, aber doch alle Mal weltöffentlich repräsentierte Wille zum Konsens, dem die großen imperialistischen Mächte sich über ihr politisches Alltagsgeschäft hinweg verpflichtet fühlten. Jenseits aller Gegensätze, die im Zuge ihrer Konkurrenz um Macht und Reichtum gar nicht ausbleiben können, verständigten sich die maßgeblichen Subjekte dieser Konkurrenz darauf, sich gemeinschaftlich um die Geschäftsgrundlage ihres Erfolges zu kümmern, der ‚einen Welt‘, die sie sich zum Mittel ihrer Konkurrenz gemeinsam hergerichtet haben, auch im Hinblick auf die Sicherung ihres weiteren Bestandes gemeinsame Aufmerksamkeit schenken zu wollen. Der Dokumentation dieses Willens galt die Gipfel-Diplomatie bisher. Auf dem Gipfel in Evian müssen die führenden Weltwirtschaftsmächte zur Kenntnis nehmen, dass nach dem Willen ihrer obersten Führungsmacht Gipfeltreffen ab sofort eine andere Funktion haben: Den Schein, sich lediglich als ‚primus inter pares‘, ansonsten aber ganz auf Basis einer gemeinsamen Interessensgrundlage um die Folgebewirtschaftung der Weltwirtschaftskonkurrenz kümmern zu wollen, kündigt der amerikanische Präsident in jeder nur erdenklichen Hinsicht auf, gibt aber zu verstehen, dass er Treffen wie in Evian dennoch etwas abgewinnen kann: Sie sind für ihn ab sofort die Veranstaltungen, in denen er seinen Partnern erläutert, worauf er sie weltpolitisch auszurichten gedenkt – womit sie sich also gefälligst zu befassen haben!
Diese Botschaft wird von den Adressaten verstanden. Wer
an der Legitimation von Amerikas Irak-Krieg vernehmliche
Zweifel geäußert hat oder sich sonst zu Einsprüchen gegen
Amerikas ‚Unilateralismus‘ hat hinreißen lassen, hält auf
dem Gipfel den Mund: Streitthemen wurden auf dem
Gipfel ausgespart. Die Diskussion über die Gründe der USA
für den Irak-Krieg kam beispielsweise nicht zur Sprache.
‚Welchen Sinn sollte das jetzt machen, sich über diese
Frage zu unterhalten?‘, fragte Kanzlerberater
Mützelburg.
(Spiegel Online,
2.6.) Auf Basis der Bedingungen, unter denen sich
die Weltmacht allenfalls eine Aussöhnung
mit ihren
europäischen Freunden denken kann – willige Gefolgschaft
bei allem, was sie auf die weltpolitische Agenda setzt!
–, macht es freilich überhaupt keinen Sinn, die Einwände,
mit denen man sich schon gestern in Washington unbeliebt
gemacht hat, nochmals aufzuwerfen. Das lässt man besser,
zollt stattdessen der neuen weltpolitischen wie
weltdiplomatischen Lage
seine Anerkennung und
bemüht sich, mit eigenen Beiträgen zur
Deeskalation des transatlantischen Streites dem
Antrag zu entsprechen, einfach nur noch nach vorne zu
schauen
: Bushs wichtigster Termin war das
halbstündige Gespräch mit Gastgeber Jacques Chirac.
Danach waren auch für den französischen Präsidenten die
Meinungsverschiedenheiten über den Irakkrieg nicht mehr
erwähnenswert.
Meinungsverschiedenheiten
also im Verhältnis
Europa-USA. Und mit dieser diplomatischen Sprachregelung
nehmen Europas ‚Unwillige‘ zwar nicht alle von ihnen
vorgebrachten Einwände gegen Amerikas Weltordnungspolitik
zurück, schrauben sie aber doch auf ein so moderates
Niveau herunter, dass sie damit bei Bush keinen Anstoß
mehr erregen. So zeigt Europa das
Entgegenkommen
, das es – mitsamt seiner auf
„Zeichen der Versöhnung“ hoffenden Öffentlichkeit – vom
amerikanischen Präsidenten gerne gesehen hätte und
erwartet hat. Und wenn der deutsche Kanzler so nett ist,
das Zerwürfnis mit Amerika, zu dem er nicht unmaßgeblich
mit beigetragen hat, zum Schnee von gestern zu erklären –
Es hat ein großes Maß an Gemeinsamkeit darüber
gegeben, dass man die Konflikte, die es um den Irak-Krieg
gegeben habe, hinter sich lassen will
–, dann ist der
US-Präsident gleich noch viel netter. Keineswegs will er
auf alten Fehlern herumreiten: Ich kann verstehen,
warum einige mit unserer Irak-Politik nicht einverstanden
waren
. Im Geistes dieses Verständnisses verspricht er
seinen transatlantischen Partnern anschließend für die
Zukunft, mit derselben Entschiedenheit voranzuschreiten,
mit der er sich über das bekundete Nichteinverständnis
mit seiner Irak-Politik hinwegsetzt hat: Doch jetzt
ist es Zeit, vorwärts zu kommen
– basta! Und wer die
Richtung dieses „Vorwärts“ bestimmt, ist für ihn keine
Frage.