Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bundeswehrsoldaten spielen Bosnien-Einsatz: „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“
Ein „Gewalt-Video“ von Soldaten als rechtsradikale Entgleisung? Die Besprechung in der Öffentlichkeit tut so, als wären Inhalt und Form der Gewalt kein Produkt der Ausbildung, sondern von abseitigen „Neigungen“.
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Länder & Abkommen
Bundeswehrsoldaten spielen Bosnien-Einsatz: „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“
Juli 97 gerät ein Video, das Bundeswehrsoldaten ein Jahr
zuvor während eines Lehrgangs für den Bosnieneinsatz
gedreht haben, in die Öffentlichkeit. Im Fernsehen werden
die gespielten Tötungs- und Vergewaltigungsszenen
gezeigt, Empörung
bricht aus, die Nation hat einen
neuen Bundeswehr-Skandal.
Zu dessen Bewältigung schreitet erstens die
Bundeswehrführung. Sie bagatellisiert den Fall nicht,
sondern kündigt umgekehrt schnelles und entschiedenes
Handeln, den Einsatz aller verfügbaren disziplinar- und
strafrechtlichen Mittel an (von denen nur leider, nach
dem Geschmack der Öffentlichkeit, zu wenige greifen).
Aber die Hardthöhe greift
jedenfalls durch
.
Fragt sich nur, gegen was.
Inkriminiert wird, daß die Soldaten das Ding zu ihrem
Privatvergnügen gedreht und zu Unterhaltungszwecken in
der Armee haben zirkulieren lassen. Dabei ist
andererseits offensichtlich, woher die Freizeitfilmer
ihre Inspirationen bezogen haben, daß nämlich die
offizielle Ausbildung der Sumpf ist, auf dem solche
Blüten gedeihen. Anläßlich des Skandals erfährt man
einiges über die Schulungspraktiken einer modernen Armee;
daß dort z.B. Lehrfilme eingesetzt werden, die sich von
dem beanstandeten Video kaum unterscheiden (außer eben
dadurch, daß es sich dabei um Auftragsarbeiten handelt);
daß dort in Rollenspielen das für die Mission
erforderliche Feindbild lebensnah nachgestellt wird – in
diesem Fall brutale serbische Untermenschen, renitente
Volksansammlungen, unberechenbare Figuren, von denen man
nicht weiß, ob sie betteln oder die Aufsichtstruppen in
eine Falle locken wollen. Gespielt werden eben
Situationen
, auf die die Bundeswehr ihre Soldaten
vorbereitet, damit diese bei ihrem SFOR-Einsatz
angemessen
reagieren – nämlich mit dem passenden
Keil auf den groben Klotz, den sie an den Balkan-Völkern
vor sich haben; so kommt der Alltag der
Friedensmission
auf dem Balkan zur Vorführung.
Diese Übungen haben die Soldaten aus eigenem Engagement
in ihre Freizeit hinein verlängert.
Eben das wird ihnen zur Last gelegt. Die
Bundeswehrführung definiert den Sumpf nämlich
andersherum. Die Prinzipien der militärischen Führung
bestehen auf der strikten Scheidung von Befehlsausführung
und privaten Motiven und Neigungen: Soldaten sollen
funktionieren. Sie sollen auf Kommando ihrem
Handwerk nachgehen und den Dienst nicht zu ihrer
Geschmackssache machen. Das ist ein kapitaler
Widerspruch, denn die Bereitschaft zur militärischen
Gewaltausübung bis hin zum Töten ist schwer zu haben,
ohne daß die Ausführungsorgane auch privat von ihrer
Aufgabe eingenommen sind. Weil die dazugehörigen Tugenden
eben keine Selbstverständlichkeit sind, die Menschennatur
der Rekruten sie gar nicht einfach mitbringt, muß der
Militärberuf ja auch eingeübt werden. Die Verrohung, an
der die Öffentlichkeit so gekonnt herumrätselt – wo
können die Jungs das nur herhaben, aus dem Elternhaus
oder von der vielen Gewalt im Fernsehen??? –, ist
bundeswehreigenes Ausbildungsziel; darauf beruht die
Schlagkraft einer modernen Einsatztruppe
; und sie
steht auch keineswegs im Gegensatz zu menschlichem
Anstand, wie die Öffentlichkeit wissen will. Sie kommt
nämlich durch die Gewöhnung zustande, sich das
militärische Handwerk unter Rechts- und Moraltiteln
einleuchten zu lassen, als eine Reihe von ehrenwerten
Pflichten, von der Vaterlandsverteidigung
bis zur
Friedensmission
in Bosnien. Und dabei ist eben in
Hammelburg der Übergang passiert, daß sich die Azubis mit
Sportsgeist und Freude auf die Gemeinheiten einstellen,
für die sie ausgebildet werden.
Das demonstrative Eingreifen des
Verteidigungsministeriums zeugt davon, daß Minister Rühe
weniger empört als darum besorgt ist, daß nicht wenige
seiner Jungs zuviel eigenes Wohlgefallen an dem Geschäft
finden, für das sie der Staat einberuft; daß er sich auch
längst nicht mehr sicher ist, in welchem Ausmaß seine
Rekruten sich – als politisch denkende Menschen – einen
entschieden rechtsradikalen Vers auf ihren Dienst an der
vaterländischen Gewalt machen; kurz: daß also in der
Moral der Truppe ein gewisser Fortschritt stattgefunden
hat. Gemessen am militäreigenen Funktionalismus von
Befehl und Gehorsam halten sich zu viele solcher
Überzeugungstäter in seiner Bundeswehr auf. Für die
Öffentlichkeit wird mit Disziplinarmaßnahmen die
Scheidung zwischen dem Sumpf
auf der einen und der
sauberen Truppe auf der anderen Seite wiederhergestellt,
in der Truppe soll die exemplarische Abschreckung
sicherstellen, daß sie als Vollzugsorgan funktioniert.
Als zweite Instanz bearbeitet die Öffentlichkeit den
Skandal, indem sie sich in Aufregung versetzt. Keiner der
empörten Kommentatoren weiß, worin denn eigentlich der
Stoff für den Skandal besteht, keiner weiß, woher es
kommt, daß Bundeswehrsoldaten zu so etwas fähig sind –
aber eines weiß jeder genau: Unser Einsatz in Bosnien
könnte in ein schlechtes Licht getaucht werden. Und das
darf nicht sein. Lauthals wird rückhaltlose Aufklärung
verlangt und sich dabei keinen Moment lang für die Gründe
des Vorfalls
interessiert. Erörtert wird statt
dessen die Frage, wer versagt
hat, Eltern, Schule,
Gesellschaft? Und wieder einmal wird ein bedenklicher
Mangel
an Moral konstatiert. Auf diese Weise wird
jeder Zusammenhang zwischen der Institution Bundeswehr
und ihren Ausbildungserfolgen, pardon: den
Entgleisungen
bestritten bzw. von der
Bundeswehrführung gefordert, diesbezügliche Zweifel
auszuräumen. Schließlich verlangt die Presse einen
harmonischen Zusammenklang zwischen dem hohen Auftrag und
einer entsprechend würdigen Aufführung der Beauftragten.
Dort unten soll es um die Beendigung von Kriegselend und
Ahndung von Kriegsverbrechen gehen, die Bundeswehrler
soll man sich vorstellen als eine Truppe, die zum Nutzen
der Bevölkerung und als zivilisierende Rechtsaufsicht
unterwegs ist. Da paßt es wirklich nicht ins Bild, wenn
deren Mitglieder zu ihrem Freizeitvergnügen Morden und
Vergewaltigen spielen. Journalisten schauen vor Ort nach
und kommen mit der Botschaft zurück, daß der Dienst in
Wasserversorgung und Brückenbau besteht, die Mannschaften
vorbildlich arbeiten und in der Bevölkerung beliebt sind.
Die Öffentlichkeit legt großen Wert auf einwandfreies
Benehmen der Soldaten, als ob damit auch schon die Güte
ihres Auftrags außer Zweifel gestellt wäre. Auch sie ist
also nicht empört in dem Sinn, sondern besorgt – um das
Licht, in dem man die neue Wehrmacht sehen soll.
Immerhin geht es um den ersten größeren Auslandseinsatz
der Bundeswehr; gerade neulich noch mußte die Tradition
geklärt werden, in welcher sie steht und in welcher
nicht; Vorfälle
mit rechtsextremistischem und
ausländerfeindlichem Hintergrund
, in die
Bundeswehrsoldaten verwickelt
sind, sind an der
Tagesordnung. Und schließlich haben gerade andere
Nationen gewisse Skandale im Rahmen vergangener
Friedensmissionen aufzuarbeiten
– von all dem soll
sich die Bundeswehr grundsätzlich und positiv
unterscheiden. Die Kunstfertigkeit demokratischer
Skandalmacherei bewährt sich denn auch wieder: Mit der
unverhofften Hilfe des Hochwassers an der Oder gelingt
es, den Fall als klare Abweichung von der Regel
einzustufen, und es wird sich wieder abgeregt. Bis zum
nächsten Mal.
*
Die Bundeswehrführung, der es nicht nur um den Ruf, sondern auch um den Geist der Truppe zu tun ist, denkt allerdings weiter: Die Idee, gewissermaßen als vorbeugende Veranstaltung Rechtsextreme aus der Bundeswehr auszusperren, spricht dafür, daß sie sich ziemlich sicher ist, welchen Geist sie vor sich hat.