Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das „Bündnis für Arbeit“: Mit „Zusammenarbeit, Zukunftswillen und Zuversicht“ in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
Nach der Wahl 1998 macht die Regierung Schröder ernst mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und schmiedet ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit.
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Das „Bündnis für Arbeit“:
Mit „Zusammenarbeit, Zukunftswillen und Zuversicht“ in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit
Die neue Bundesregierung stellt sich der „größten Herausforderung für Politik und Gesellschaft am Übergang ins nächste Jahrhundert“ und erklärt der Arbeitslosigkeit in unserem Land den Kampf. Anders als damals Kanzler Kohl, der sich dazu verstieg, die Arbeitslosenzahl bis zum Jahr 2000 halbieren zu wollen, versprach Schröder schon im Wahlkampf ohne jeden falschen Zahlenfetischismus, was für ein „zentrales Anliegen“ ihm die „vielfältigen menschlichen Schicksale der Arbeitslosen“ sind. „Nachdrücklich“ werde er sich um die Verringerung der Arbeitslosigkeit kümmern. Und die „Bürgerinnen und Bürger unseres Landes“ fanden ihn dann auch in Sachen „ernsthafte Aktivitäten zum Abbau von Massenarbeitslosigkeit“ mehrheitlich vertrauenswürdiger als den Kohl.
Eine andere Regierung hätte, kaum an die Macht gelangt, möglicherweise ihr Wahlkampfversprechen heimlich weggepackt oder sich auf höhere Sachzwänge hinausgeredet. Nicht so die rot-grüne Mannschaft! Sie macht ernst und packt die „schwere Aufgabe“ an. Schröder ruft das „drängendste Problem unserer Gesellschaft“ zur „Chefsache“ aus – als hätte er als neuer Chef nicht schon weiß Gott alle Hände voll zu tun! – und wartet mit den klaren Worten auf, das „ehrgeizige Programm zur Verringerung der Arbeitslosigkeit“ sei die „Meßlatte, an der sich Erfolg oder Scheitern meiner Regierungsarbeit zeigen wird“. So wichtig ist ihm die Sache, daß er seinen Wählern glatt gestattet, ihn im Jahr 2002 abzuwählen, wenn nicht mehr Arbeit zustandekommt. Da freuen sich die Arbeitslosen.
Und bereits nach zwei Monaten geht es zur Sache: Das „Bündnis für Arbeit“ bekommt einen neuen Namen. Es heißt ab sofort „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“. Zwar leidet die prägnante Kürze der Erstfassung etwas unter der Begriffserweiterung. Dafür dokumentiert der neue Name regierungsamtliche Sprachkompetenz beim „Besetzen von Begriffen“ und feines Einfühlungsvermögen in die komplexen Zusammenhänge von Lohnarbeit, Profit und internationaler Konkurrenz. Denn auf Arbeitsplätzen frönen ja nicht nur Leute ihrem Materialimus; für sie muß man/frau sich erst einmal qualifizieren; und irgendwann muß auf ihnen schließlich auch noch was für die „Rentabilität“ und die Bewältigung des „globalisierten Wettbewerbs“ geschafft werden. So geht der neue Titel des „ambitionierten Vorhabens“ in Ordnung, auch wenn die Arbeitslosen sich ihn nicht bestellt haben, irgendwie da alles dasselbe ist und man nichts mehr auseinanderhalten kann. Denn nun kann die Rot-Grünen nichts mehr aufhalten.
Oder doch? Kurzfristig gibt es einen Rückschlag, droht sogar ein „Scheitern der Bündnis-Gespräche“. Was ist passiert? Wohlgemeinte Sätze aus Schröders Regierungserklärung – „Wir alle stehen in der Pflicht, unser Bestes zu geben“; „fairer Ausgleich zwischen Geben und Nehmen“ – werden von gewerkschaftlicher Seite in unverantwortlicher Weise zu Forderungen wie „volle Rente mit 60“ durch „Tariffonds mit Arbeitgeberanteil“ aufgebauscht; der SPD-Chef Lafontaine droht mit „gesetzlicher Begrenzung der Überstunden, sollten die Unternehmer diese nicht freiwillig reduzieren“ und sie in Arbeitsplätze umwandeln. Solche Mißtöne müssen bei den Unternehmern, einer Gattung scheu wie das Reh, natürlich „Zweifel am Bündnis für Arbeit“ und die „tiefe Sorge vor einer besorgniserregenden Entwicklung in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt“ wecken. Verschreckt überlegen „existentiell bedrohte mittelständische Unternehmen“, ob sie den Bettel nicht einfach hinschmeißen sollen und Arbeit bei sich zu Hause ohne jeden Beschäftigungspakt schaffen: „Bündnisse gehören in den Betrieb. Nur dort können wir Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze halten und neue schaffen.“ (Hundt, FAZ, 2.12.98) Das läßt der Kanzler aber nicht durchgehen. Ein Bündnis ohne den wichtigsten Bündnispartner: „die Wirtschaft“? Ein Beschäftigungspakt ohne Beschäftiger? Undenkbar! Die Unternehmer gehören „mit ins Boot“. Und wenn sie sich an vorbereitenden Sprüchen stören, die sich wie Forderungen an ihre Adresse anhören – bitte sehr, die lassen sich auch leicht wieder aus dem Verkehr ziehen. „Ohne Vorleistungen und ohne Vorbedingungen“ wird in die Bündnisgespräche gegangen; niemand will von der Wirtschaft etwas anderes als ihr Bestes. Da kann dann auch die Unternehmerseite nicht anders und erklärt sich großzügig „gesprächsbereit“: Wir verweigern uns nicht.
So ist es dann am 7. Dezember 1998 endlich so weit. Das, worauf die Nation so lange gespannt gewartet hat, wird wahr: Unter Leitung des Kanzlers treffen in einem Spitzengespräch die Spitzenfachleute aus fünf Ministerien, sechs Gewerkschaften und vier Unternehmerverbänden zusammen und beschließen, daß sie „in folgenden Punkten übereinstimmen“:
- Das Bündnis ist „nach gemeinsamer Auffassung der Beteiligten“ ein „Prozeß der Verständigung“, in dem „alle zusammenwirken müssen“, damit „gegenseitiges Vertrauen geschaffen wird“, um „gemeinsam spürbare Beschäftigungserfolge zu erzielen“. Man versteht sich also, ist gemeinsam beieinander und fest entschlossen, übereinstimmend und vertrauensvoll die Arbeitslosigkeit für unser aller Problem zu halten.
- Einig und in einer „positiven Gesprächsatmosphäre“ gesteht man sich wechselseitig „unterschiedliche Interessen und verschiedene Meinungen“ zu, die allerdings für eine „enge Abstimmung“ und „Zusammenarbeit“ kein Hindernis sein sollen. Schließlich kommt man nicht zusammen, um auf Interessensgegensätzen herumzureiten oder die Frage aufzuwerfen, wer die Arbeitslosen eigentlich arbeitslos gemacht hat und welches Interesse die Maßstäbe dafür setzt. Man billigt einander also zu, daß die einen ein legitimes Interesse daran haben, Arbeit immer rentabler und dadurch immerzu Arbeiter überflüssig zu machen; die anderen daran, die sozialstaatlichen Unkosten für die Verwaltung der Arbeitslosen zu senken; und daß der dritten beteiligten Partei ein Recht auf die Rolle als anerkannter, national verantwortungsbewußter Anwalt der Lohnarbeiter – derer mit Arbeit ebenso wie derer ohne Lohn – zusteht.
- Einigkeit besteht auch darüber, welches Interesse maßgeblich und entscheidend ist. Wenn schon Arbeit das hohe Ziel des Bündnisses ist, dann führt am Profit, für den schließlich gearbeitet wird, der also die nötigen Arbeitsplätze stiftet, kein Weg vorbei. Im Unterschied zum Lohneinkommen, das sich bekanntlich aus Kosten und Nebenkosten zusammensetzt, ist der Gewinn nicht dazu da, daß an ihm gespart wird. Deshalb „streben die am Bündnis beteiligten Seiten … das Inkraftsetzen der Unternehmenssteuerreform, insbesondere zur Entlastung der mittelständischen Wirtschaft an“. Die freie marktwirtschaftliche Surplusmacherei verdient es darüberhinaus, daß der schlanke Staat ihr unter die Arme greift: „weitere Verbesserung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.“ Außer den Großbetrieben sollen auch und vor allem die kleinen und mittleren mit mehr Geld dazu verführt werden, aus Kredit mehr Geld zu machen: „Verbesserung des Zugangs von kleinen und mittleren Unternehmen zu Chancenkapital.“ An Kapitalmangel soll der gute unternehmerische Wille, „den Weg aus der millionenfachen Arbeitslosigkeit zu ebnen“, nicht scheitern.
- Übereinstimmung kann auch in dem Punkt erzielt werden, daß der Lohnarbeit ein gewichtiger Stellenwert bei der Schaffung von mehr lohnender Arbeit zukommt. Angestrebt wird eine „Enttabuisierung“ der Lohnfrage. Der Lohn, sein Sozialbestandteil allemal, ist hierzulande einfach zu teuer und auch unvernünftig aufgeteilt. Deshalb ist eine „weitere dauerhafte Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten“ genauso unumgänglich wie eine „beschäftigungsfördernde Arbeitsverteilung“ durch „Ausbau und Förderung der Teilzeitarbeit“. Darauf kann man sich gemeinsam verständigen; schließlich liegt es auf der Hand, daß es besser ist, wenn viele ein bißchen Arbeit haben, als wenn die, die eine haben, vom verdienten Lohn auch leben können. Und wenn die Beschäftigten habgierig ihre „Überstundenkonten auffüllen“, die sie dann doch nicht „abfeiern“ können, während die Arbeitslosen auf dem Arbeitsamt bloß Bewerbungszettel ausfüllen, die zu nichts taugen, dann ist damit schließlich auch niemandem gedient.
- Zuguterletzt „werten die Teilnehmer das Treffen als guten Auftakt“. Sie werden sich einig, daß es auch in Zukunft mit ihrer Einigkeit so gut weitergehen soll wie bisher, und „wollen nach dem gemeinsamen Willen der Beteiligten die Gespräche im selben Teilnehmerkreis fortsetzen“. So beschließt das Bündnis seine eigene Erfolgsgeschichte: Es geht immer weiter … und weiter …
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Die kritische Öffentlichkeit ist erleichtert. Der schlimmste Fall, Kanzler und Manager überwerfen sich, ist nicht eingetreten. Die Gefahr eines Zerwürfnisses, zu der sie die klimatischen Störungen zwischen der neuen Regierung, die zu ihrem Einstand Unternehmer glatt einmal an ihre Ausbildungs„pflichten“ erinnert, und Arbeitgeberverbänden, die darin gleich Sozialismus am Werk sehen, aufgebauscht hat, ist abgewendet. Beide Seiten haben sich zusammengesetzt. Das würdigt sie als den Erfolg des Bündnisses für Arbeit. So ähnlich, als öffentliche Klimabetreuungsveranstaltung, wird es dann wohl auch gemeint sein.