Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die demokratische Bewältigung des „DVU-Schocks von Sachsen-Anhalt“
Politiker erklären unreifen Wählern, was ein mündiger Bürger zu tun und zu lassen hat

Anlässlich eines DVU Wahlerfolgs erläutern demokratische Politiker ihrem Stimmvieh, was es falsch gemacht hat: Wo der Nationalismus der Wähler seine einzig ehrbare Heimat hat; Anstandsregeln für reife Wähler; eine Nachhilfestunde für enttäuschte Ossis; die Verführer werden ausgegrenzt, weil ‚undeutsch‘;

Aus der Zeitschrift

Die demokratische Bewältigung des „DVU-Schocks von Sachsen-Anhalt“
Politiker erklären unreifen Wählern, was ein mündiger Bürger zu tun und zu lassen hat

  1. DVU: 13% (+13%). Eine Partei, die in faschistischer Manier die Politik der Inkonsequenz anklagt und gegen den antifaschistischen Moralkodex der Nation verstößt, hat Erfolg. Besorgte Journalisten in den Wahlstudios fragen: Woher kommen die Wähler der Rechtsradikalen? Die gefragten Politiker geben eine bemerkenswert klare Auskunft: Aus den Reihen von uns enttäuschter Demokraten, woher sonst. In der ihnen eigenen, unnachahmlichen Art verständnisvoller Wählerbeschimpfung erklären sie ihrem angestammten Stimmvieh, was es diesmal falsch gemacht hat, und geloben, es wieder an den Platz zurückzuführen, wo ein aufgeklärtes Wahlvolk hingehört: Unter den Deckel der demokratischen Parteien. Die Liebeserklärung, die beide Bewerber um die Staatsführung den „Verführten“ noch in der Wahlnacht zukommen lassen (Kohl „entdeckt nicht die Spur eines gefährlichen Rechtsradikalismus, nur Protestverhalten“; Schröder „warnt, junge arbeitslose DVU-Wähler pauschal abzuqualifizieren: Ich werde um diese Menschen kämpfen“), bringt eine bezeichnende Einschätzung des Geisteszustandes ihrer jungen Arbeitslosen zu Gehör. Jeden, der den – staatlich erwünschten, für ihn aber schädlichen – Fehler begeht, seine elende Lebenslage mit dem Ruf nach echt deutscher Politik (ein DVU-Wähler) zu kritisieren, den können demokratische Politiker echt gut leiden: Sie beglückwünschen ihn zu seinem Nationalismus; um genau den wollen sie „kämpfen“. Unfug können sie nur in einer Hinsicht entdecken: Die Enttäuschung eines lohnabhängigen Wählers, die auf der von ihnen überaus geschätzten Täuschung politisierter Bürger beruht, jeden materiellen Mangel einem Mangel an staatlicher Führung anzulasten, soll sich nicht als Votum für eine Protest-Partei äußern. Das bringt die Lässigkeit ihres Regierens durcheinander; dieses „Signal“ soll sich der mündige Wähler hinter die Ohren schreiben.
  2. Damit er dies tut, eröffnen Politiker ihre Wahlanalyse mit dem Eingeständnis von Fehlern, die sie bei sich, vor allem aber beim jeweils anderen ermitteln. Sie selbst, erzählen sie dem erstaunten Wähler, hätten sich denkbar ungünstig verkauft. „CDU-Sitzung nach der Wahlschlappe: Keine Forderung nach Kurswechsel. Als verbesserungswürdig bewertete man aber die Selbstdarstellung“ (FAZ). „Wir haben für die Jugendlichen in Sachsen-Anhalt doch wirklich viel gemacht. Wir hatten im Oktober für jeden einen Ausbildungsplatz. Trotzdem haben wir einen Teil dieser Menschen verloren“ (Höppner im Stern). Christ- und Sozialdemokraten geben zu, daß ihre Politik eigentlich klasse, aber schlecht angekommen ist; bitter müssen sie eingestehen, daß sie den Patienten eine Gesundheitsreform und den Jungs eine Lehrstelle bei der Müllabfuhr besorgen, aber nicht „die Botschaft rüberbringen“: ‚Damit seid Ihr ausreichend bedient‘. Einen anderen Anstoß zur Kritik an ihrer – im Grunde unkritisierbaren – Politik als den kennen sie gar nicht: Zu wenig Zustimmung eingefahren! Weshalb und wogegen die Leute „Protestverhalten“ an den Tag legen, ist einerseits vollkommen egal; das schiere Ankreuzen einer nationalistischen Partei außerhalb des üblichen „Parteienspektrums“ genügt zur Feststellung ungebührlichen Benehmens. Andererseits wissen sie damit genug, um sich das Kommando zu erteilen, die irregeleitete Wählerschar wieder einzusammeln: Dafür zerreißen sie sich öffentlich das Hemd, es versäumt zu haben, sich dem Volk als die einzig ehrbare Heimat seines Nationalismus zu präsentieren.
  3. CDU-Sekretär Hintze weiß, wer dem Rechtsradikalismus „den Boden bereitet“ hat: „Wer mit Linksradikalen paktiert, ruft die Rechtsradikalen auf den Plan. Die SPD hat mit dem Tabu PDS gebrochen. Herr Höppner trägt die Verantwortung, daß die Rechtsradikalen in gespenstische Höhen geschnellt sind“. Eine diffiziler Dreischritt mit allerdings eindeutigen Prämissen: a) Der Wähler ist ein Doofmann; er kann rechts und links so wenig auseinanderhalten wie Hintze. b) Der Wähler ist von Natur aus antikommunistisch; darum darf man ihn nicht mit der „Hofierung“ von Kommunisten verwirren, vor deren „Berührung“ er sich doch hüten soll: Höchste Ansteckungsgefahr! c) Der Wähler will mit „Tabus“ gefüttert werden; man muß ihm nur sagen, was er wählen darf und was nicht, dann tut er’s auch. Kurz: Er verlangt nach Anstandsregeln, damit er weiß, was sich in der Kabine gehört. Diese Wählerpädagogik gilt auch fürs andere „Extrem“. Wer Rechtes unanständig findet, „treibt“ die Leute nur „in die Arme“ der Rechten: „Wenn wir Demokraten den Rechtsradikalismus tabuisieren, brauchen wir uns über dessen Erfolg nicht zu wundern“ (Dähre, CDU). Ein entwaffnend dreistes Bekenntnis zu den herrschenden Verhältnissen als Sumpf des Rechtsradikalismus: Wenn jeder dritte Jungwähler „nun mal“ so denkt, kann die CDU es ihm nicht verbieten – eine andere Art der Kritik ist ihr offenbar unbekannt –; „darum“ sollen Demokraten dazu stehen, daß der Ruf nach „Arbeit für Deutsche“ und dem Rauswerfen „krimineller Ausländer“ nichts Unsittliches ist, nur weil auch die DVU ihn erhebt. Kurz: Dem Volk ist „kristallklar“ zu erklären, daß seine „dumpfe Ausländerfeindschaft“ bei seinen Abschiebepolitikern in Amt und Würden besser aufgehoben ist; sonst landet es mit seiner political korrekten Unzufriedenheit bei den verkehrten Absahnern.

    Wodurch also wird dem Rechtsradikalismus „der Boden bereitet“? Wenn mit PDS-Tolerierung bzw. angeblicher Mißachtung rechten Gedankenguts „die falschen Signale“ gegeben wurden, wenn die CDU Höppner vorwirft, „mit dem Vorurteil vom bösen Westen Wahlkampf gemacht“ zu haben, dann unterstellen Demokraten den Wähler jedes Mal als ihr Echo, in das sie die unpassenden Worte und die falschen Ressentiments hineingerufen haben. Die Logik des „Tabus“ ist die Logik praktizierender Manipulationstheoretiker, die sich gegenseitig bezichtigen, die verkehrten Reize gesetzt zu haben und dafür mit einem unerwarteten, aber verständlichen Widerhall in der Wahlkabine bestraft worden zu sein.

    Deshalb ist der Wähler auch „nicht für die Demokratie verloren“ (Kohl). Man muß ihm nur die richtigen Reizworte zurufen.

  4. Das tut auch die SPD. „Man muß verstehen, daß die Arbeits- und Perspektivlosigkeit vieler junger Ostdeutscher den Rechtsradikalismus fördern. Bei bis zu 40% Erwerbslosigkeit in den Vororten darf man da nicht erstaunt sein“ (Innenminister Dewes in der ARD). Wenn arbeitslos, dann rechtsradikal? Je mieser die Verhältnisse, desto „anfälliger für autoritäre Angebote“ (taz)? Den Schluß, den die Leute aus ihrer „prekären wirtschaftlichen Situation“ (ebd.) gezogen haben – sonst folgt aus mageren Lebensumständen nämlich nichts und bestimmt kein Bedürfnis nach ausländerfreien Wohnblocks –, verstehen sozial denkende Politiker und mit ihnen eine ganze Öffentlichkeit so gut, daß er ohne Umschweife zur notwendigen und natürlichen Reaktion deklariert wird: Auf leere Freßnäpfe und trostlose Hütten reagiert der Anhaltowsche Hund mit rechtsradikalen Reflexen! Von einem Fehler, den selbst der bekloppteste Vorstadtskinhead hinter sich haben muß – jede Misere auf die Mißachtung deutschen Volkstums und die fehlende „starke Hand“ zurückzuführen –, wollen diese intimen Kenner des menschlichen Charakters nicht nur nichts wissen; sie begrüßen diese gängige Praxis staatsbürgerlichen Urteilens sogar. Der Politik gilt „das Kreuz der Zornigen“ (SZ), also genau der richtigen Adresse. Die nimmt die Steilvorlage, die sie sich mit der Diagnose „Arbeitslosigkeit führt zu Nazismus“ selbst gegeben hat, auf und verwandelt sie: in einen Auftrag an sich.

    Dem zornigen Wähler geben die Gewählten die Antwort, die seinem Frust über die Politik gebührt. Wenn Arbeitslosigkeit zu Enttäuschung führt und berechtigt, dann ist eben Arbeit das, was ihm fehlt, was er braucht und überhaupt das Höchste der Gefühle: „Es gibt viele schöne Plätze in Deutschland. Für uns der schönste der Arbeitsplatz“ (SPD-Plakat zur Bundestagswahl). Eine nette Art, die Angewiesenheit der ethnischen Mehrheit der Lohnabhängigen auf einen kapitalistischen Anwender in das einzig legitime Bedürfnis zu übersetzen, das ihr zusteht und dessen Betreuung bei denen bestens aufgehoben ist, die dafür sorgen, daß die Leute es nötig haben, sich an solch düsteren Lokalitäten herumzutreiben. Die Fürsorge, die die Sozis dem Ruf nach – nicht dem Recht auf – „Arbeit!“ zuteil werden lassen, enthält zugleich die Klarstellung, daß jedweder Anspruch an diesen schönen Platz ausgeschlossen ist: Hauptsache einen (bezahlten, dreckigen, knochenharten), irgendeinen Arbeitsplatz! Diesem Wunsch erteilt die Sozialdemokratie ihren vollen Segen und sagt den Hintergedanken sogar dazu: Wer früh morgens zum 610-Mark-Dienst antritt, macht kein dummes Zeug. Für diese, nicht einmal klammheimliche faschistische Moral wollen Demokraten nicht nur der SPD gewählt werden.

    Dem „Denkzettel“ des Zonis, der sich um „blühende Landschaften“ betrogen sieht, erteilen sie die kongeniale Antwort: „Kohl hat zu viel versprochen, den Wähler enttäuscht. Das bereitet den Boden für ein derartiges Protestpotential“ (Höppner). Genau so ist er, der Wähler: Blöd genug, an jedes Versprechen der Politik zu glauben, der er blind vertraut. Und genau so wollen wir ihn haben: In jeder Lebenslage bereit, sein Schicksal aus der Hand der Mächtigen zu empfangen.

  5. Der Befund einer bedenklichen Orientierungslosigkeit, die der Wähler durch seinen 13%-Zuspruch für die DVU („Diesmal Protest wählen!“) unter Beweis gestellt habe, übermittelt einen vielsagenden Tadel: Politiker können es nicht leiden, wenn ihr Volk mit seinem Nationalismus die falschen Führer beglückt; also gilt es, den wieder einzufangen.

    Ein anständiger Nationalist verliert nie die Orientierung. Wie immer die Lebensumstände auch ausfallen: Er nimmt sie, wie sie kommen. Diese Tugend läßt der Ex-Zoni vermissen. Die vielfältigen Diagnosen – „Eine aus der Obhut staatlicher Betreuung entlassene Jugend torkelt orientierungslos“ (Richard Schröder, SPD); „17 Millionen seit Generationen demokratie-entfremdete Menschen, die Vokabeln wie ‚Rechtsstaat‘ und ‚Marktwirtschaft‘ mehr ausspeien als aussprechen“ (SZ) – geben immer das Eine zu Protokoll: Gründe für ihre schlechte Meinung können diese Menschen gar nicht haben. Das öffentlich ausgebreitete (Un-)Verständnis erkennt in der Enttäuschung der Ossis nichts als abweichendes Verhalten – abweichend davon, was es für das Selbstverständlichste der Welt hält: bedingungslos für Rechtsstaat und Marktwirtschaft zu sein; über die politische Herrschaft des Privateigentums redet man nicht verächtlich, man paßt sich ihr an. Sie nehmen diese Republik aber nicht, wie sie ist und wie sie in ihr vorgesehen sind, sondern jammern. So buchstabieren Bonner Anschlußpolitiker, was ein demokratisch reifes Volk auszeichnet: Es hat sich – an den Diktaten der Marktwirtschaft, an den Vorgaben ihrer bewährten Parteienlandschaft – „orientieren“ zu lassen; es „fremdelt“ nicht mit seinen Herren und den eingerichteten Verhältnissen, sondern denkt, fühlt und handelt bei jedem Wetter patriotisch. Sie verlangen eine ebenso bedingungs- wie grundlos positive Einstellung zu allen Härten, die sie verordnen: „Der Osten kann stolz auf das Geleistete sein. Es wurde aber so lange gejammert, bis die Menschen glaubten, es ginge ihnen wirklich schlecht: Falsch, verletzend und bei Wahlen gefährlich, das Elend rauf- und die Blüte runterzureden“ (Vaatz, CDU/SZ). Dem ostdeutschen Volk ist zu helfen, keine Frage: Mit viel Arbeit und Führung, was vom Standpunkt der erwünschten disziplinierenden Wirkung ungefähr das selbe ist.

    Ein anständiger Nationalist wählt nicht radikal. Das gehört sich nicht, weil die Stimmen bereits den „etablierten Parteien“ gehören. Deren Vertreter sind verstimmt und sagen ihm das im Fernsehen: Ein guter Wähler ist treu wie die Nacht. Er versteht, daß diejenigen, die ihn bis gestern regiert haben, das für einen zwingenden Grund halten, dies auch morgen tun zu dürfen. Aus der fortlaufenden Ermächtigung, die sie bisher (offensichtlich sehr) genossen, leiten sie ein gewohnheitsrechtmäßiges Monopol auf Parlamentssitze ab; nur wer sich beim Gebrauch der Macht bewährt habe, hat den Freibrief zum Herrschen verdient. Schlagender Beleg: Der hübsche Einwand gegen die Abgeordneten der DVU, sie hätten „noch nie ein Parlament von innen gesehen und Verantwortung getragen“. Noch keine Werft geschlossen, noch nie einen Schwarzen abgeschoben? Das spricht eindeutig gegen sie.

    Ein anständiger Nationalist benimmt sich in und außerhalb des Wahllokals unauffällig. Die Vertreter der „Bonner Runde“ sind verstimmt: Ein guter Wähler ist dankbar, auf ewig unser; der Ost-Wähler aber hat die neue Freiheit gegen seine Befreier mißbraucht. Den „braunen Rattenfängern“ wird unterstellt, gedemütigten Nationalstolz gegen die Republik aufzuwiegeln („Laß dich nicht zur Sau machen!“), ihn zu bestärken, sich von keinem Polen, aber auch keiner Politikerflasche erniedrigen zu lassen; damit verletzen sie einen Grundsatz von „Politikfähigkeit“: Demokratische Parteien haben dafür zu sorgen, daß der lohnabhängige Teil ihrer Kundschaft rentabel arbeitet, den Zahnarzt bezahlt, wählt und ansonsten die Klappe hält; zu patriotischer Randale, zum Grölen deutscher Lieder und zu tätlichen Übergriffen gegen Ausländer halten sie ihn nur auf Parteitagen, bei Schlagerwettbewerben und im Ernstfall an. Die DVU jedoch, so lautet der Vorwurf, kitzelt nationalistischen Wahn, der aus dem Ruder läuft. Entgegen sonstigen Gepflogenheiten wird diese Partei dafür haftbar gemacht, daß die jungen Männer mit den rasierten Köpfen zu ihren Wählern gehören; ihr legt man zur Last, daß patriotisch wohlerzogene, durchgedrehte Azubis mit und ohne Lehrstelle das staatliche Säuberungsprogramm gegen überflüssige Ausländer als Privatmission mißverstehen.

    Ein anständiger Nationalist sorgt sich um den guten Ruf seines Landes. Das müssen sich die Anhänger der DVU nämlich sagen lassen: „Das Wahlergebnis hat das Bild Deutschlands im Ausland schwer beschädigt.“ Ein Bärendienst, den diese angeblich vaterländische Partei der Nation erweist, die doch längst wieder spitze dasteht in der Welt: Dem unseligen Faschismusverdacht Munition geliefert; alte Hegemonieängste wiederbelebt; den Eindruck erweckt, Kohl hätte sein Volk nicht im Griff; nix Stabilität im europäischen „Stabilitätsvorbild“; der Franzose kann sich ins Fäustchen lachen. Demokratische Kritik weiß, wie sie ihren Rechtsradikalen zu kommen hat: Man erklärt sie zu Schädlingen, deren Existenz der Nation nur Mühe macht.

  6. Damit genug der Diagnose. Noch in der Wahlnacht beginnen die etablierten Regenten den Kampf gegen rechts. Während dem fehlgeleiteten Wähler die dubiose Entschuldigung zuteil wird, „verführt“ worden zu sein, werden seine Verführer nach allen Regeln der Kunst demokratisch-immanenter Kritik durch den Wolf gedreht. Ausgangspunkt und Ergebnis: Die Partei ist falsch, auszugrenzen und fertigzumachen, weil undeutsch.

    Die Rechtsradikalen werden entlarvt: Als Mogelpackung, die vor allen Kriterien der Stiftung Patriotentest gnadenlos alt aussieht. Ihr Nationalismus ist gar kein aufrechter Nationalismus, sondern „hohles National-Pathos“ (SZ). Ihr Führer ist ein „millionenschwerer, geschäftstüchtiger, eigennütziger Verleger“, dessen wenig gemeinnützigen Wesenszüge dem SZ-Reporter schnell ins Auge stechen. Ihre Abgeordneten sind „geldgierig & faul“ (Bild); wollen kriminelle Ausländer rauswerfen, stehen aber selber „mit dem Gesetz auf Kriegsfuß“ (Spiegel); sprechen sogar schlechtes Deutsch. Sie sind wahlweise untätig („arbeiten in Ausschüssen nicht mit“), oder zu agil („bombardieren den Landtag mit Anträgen“). Sie reagieren auf „Hausbesuche“ mit Kamera, die all das beweisen werden, auffällig kontaktscheu. Der „ferngesteuerte“ Regionalboß ist natürlich „arbeitslos“, schlägt sein deutsches Weib („Meine Ehe-Hölle mit dem DVU-Chef!“) und hat einen „Oberkellner mit IM-Vergangenheit“ zur Seite. Kurz: Arbeitsscheues Gesindel, das Gesetz, Anstand, Presse und Familie in den „Kot einer entsetzlichen Tiefe zieht“, wie ein deutscher Staatsmann das einst voller Abscheu formulierte: Das wollen ordentliche Patrioten sein?!

    Den Rechtsradikalen wird das Wasser abgegraben. Aus der Selbstkritik der Demokraten, das Copyright auf Patriotismus fahrlässig den Rechten überlassen zu haben, folgt die Wählerrückgewinnungskampagne: „Nationale Themen besetzen“, so daß kein anderer auf ihnen sitzen kann. Die CSU „will rechte Wähler besser bedienen“, und zwar durch den Beweis, „daß den Rechtsradikalen in Bayern nicht durch Parolen, sondern durch robustes Handeln der Wind aus den Segeln genommen wird: Es wird seitens der Staatsregierung mehr Konsequenz im Vollzug von Abschiebungen und bei der Überprüfung von Sozialschmarotzern geben“ (Glos). Es ist zwar ein bißchen geflunkert, daß dies wegen der DVU geschieht, die Botschaft ist dennoch klar: Alle Rechten reden vom Abschieben. Wir tun es. Die SPD-Regierung in Sachsen-Anhalt beschwert sich bei ihrem Volk, „trotz nur 1,8% Ausländeranteil und der zweithöchsten Abschiebequote nach Niedersachsen“ DVU gewählt zu haben, was durchaus als Ankündigung zu verstehen ist, ihm demnächst noch weniger greifbaren Anlaß zum Vermöbeln zu geben. Es ist zwar nicht ganz richtig, daß Deutschland wegen seiner fremdenfeindlichen Bevölkerung zunehmend weniger Ausländer da haben will, die Botschaft ist dennoch klar: Die ausländerfreundlichste Maßnahme ist das Flugzeug nach Istanbul. Vielleicht leuchtet das ja auch dem „der deutschen Sprache unfähigen“ DVU-Parlamentarier ein, der in „Panorama“ einen Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt bildet: „Wir werden dafür sorgen, daß das deutsche Volk nicht ausgewechselt wird.“

    Die Rechtsradikalen werden zensiert. Da man sich auf die durchschlagende Wirkung demokratischer Überzeugungsarbeit nicht verlassen will, wird die „geistig-moralische Führung“ des Volkes um Überlegungen ergänzt, schon die Möglichkeit seiner Betörung zu unterbinden. Ein DVU-Alterspräsident in Sachsen-Anhalt gehört mit allen Tricks verhindert; praktizierende Antifaschisten von Glogowski bis Bündnis ’90 / Die Grünen sind für ein Verbot von DVU und NPD, erfahrene Verfassungsschützer wie Kanther aber dagegen: „Man muß diese Feinde der Demokratie mit dem Wähler schlagen.“ So oder so: Man trennt die Verführer von den Verführten und legt letzteren damit die Entscheidung vor, ob sie mehr wollen, als nur ihrer verdrossenen Gesinnung Luft machen, nämlich: Gangstern „nachlaufen“ statt den Richtigen zuzujubeln.

P.S.1

Letzte Erfolgsmeldung: Die DVU tritt zur bayrischen Landtagswahl nicht an, „weil eine rechte Partei angesichts des Rechtsrucks der CSU dort keine Chance hat.“ Dies zur Frage: Dürfen Demokraten Rechtsradikale rechts überholen?

P.S.2

Demokratische Reife beweist an diesem Thema auch die deutsche Partei, der diese Qualifikation zumeist und eben zu unrecht abgesprochen wird. Auch die Partei des demokratischen Sozialismus beherrscht die Kunst, rechtsradikale Wähler als lediglich entgleiste eigene Anhänger zu reklamieren und auf deren falsche Wahlentscheidung mit der Selbstkritik zu antworten, man habe Rassisten und Nationalfanatikern nicht genug Verständnis entgegengebracht, sich um ihre Sorgen nicht genug gekümmert, ja sie in die fremdenfeindliche Ecke gestellt, in die sie sich deswegen verzogen hätten.

„Warum gelang es der PDS nicht, viele von denen, die jetzt die DVU gewählt haben, für sich zu gewinnen? Jeder dritte Bauarbeiter im Osten ist arbeitslos. Gleichzeitig arbeiten nicht wenige ausländische Beschäftigte auf dem Bau. Kann man es einem hiesigen Bauarbeiter verdenken, daß er die Wut kriegt, wenn er nicht zuletzt deswegen seine Arbeit verliert? Daß die ausländischen Kollegen z.T. weit unter dem Mindestlohn, häufig unter menschenunwürdigen Bedingungen, auch illegal, arbeiten, für den Profit von Großunternehmern ausgebeutet werden, geht unter. Und doch: Der Bauarbeiter ist kein Nazi und Rassist. Man gewinnt ihn nicht, wenn man ihn in die fremdenfeindliche Ecke stellt: Er fühlt sich ungerecht behandelt, zu Recht. Die Richtung allerdings, in der er Schuld suchend schielt, zeigt nicht die wirklich Verantwortlichen, sondern die noch Schwächeren. Doch was er verlangt, ist legitim, daß Parteien und Politiker seine Lage begreifen, sein Gefühl verstehen. Also seien wir die Stimme seines Protestes und denken wir darüber nach, warum wir es nicht genug sind“ (Christine Ostrowski im ‚Neuen Deutschland‘).

Die Frau hat programmatische Vorstellungen davon, wie sie enttäuschte deutsche Nationalisten ins Lager der Sozialisten herüberziehen will: Erstens muß man ihrer Wut recht geben. Deutsche werden tatsächlich ungerecht behandelt, wenn sie ihre Arbeitsstelle verlieren, während gleichzeitig ausländische Billigarbeiter … Man muß zweitens ihre Suche nach Schuldigen mitmachen, nach jenen Verbrechern, die ihre Fürsorgepflicht für Deutsche so grob verletzen – um diesen gerechten Zorn erst dann vom falschen Objekt, den noch Schwächeren, – ab- und auf die wahren Verantwortlichen hinzulenken: das Großkapital, das ohne nationale Solidarität aber auch ohne nationale Gehässigkeit immer die allerbilligsten Angebote am Arbeitsmarkt ausnutzt.

Bei dieser zu allem entschlossenen Stimmenfängerei fragt sich nur noch eines: Ist es eigentlich Berechnung, wenn die Frau so tut, als hätten sich die DVU-Wähler bloß ein wenig vertan, oder meint sie wirklich, das beleidigte Rechtsbewußtsein eines deutschen Volksgenossen und der sozialdemokratische Schluß vom Elend aufs Großkapital wären austauschbar? Wie wir die PDS kennen, wird sie beides selbst nicht unterscheiden können.