Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Aus unserer Serie Lohnsenkung: jede Woche eine gute Tat
Heute: Die Betriebsrente

Im Rahmen der Entlastung der Sozialkassen gilt nun auch die betriebliche Altersversorgung als unerträgliche Belastung. Auf dem Arbeitsmarkt stehen genügend Arbeitslose aller Kategorien parat, sodass die Kosten für dieses Konkurrenzmittel zur Sicherung des Zugriffs auf speziell ausgebildete Arbeitnehmer für viele Unternehmen entfallen können. Für den Staat ist diese Überlegung einsichtig, auch ihm geht es um die Wettbewerbsfähigkeit seines Standorts. Andererseits muss er seine Sozialkassen im Auge behalten, weswegen er den auf diesen Rententeil entfallenden Teil der Krankenkassenbeiträge auf den vollen Satz anhebt und auch mit diesem Material für die Notwendigkeit der Reformen agitiert.

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Aus unserer Reihe Lohnsenkung: jede Woche eine gute Tat
Heute: Die Betriebsrente

Seit im Zuge der Ursachenforschung nach den Wettbewerbsnachteilen des Standorts D klar ist, dass „wir“ in den letzten Jahrzehnten ziemlich „über unsere Verhältnisse gelebt haben“, stehen die so genannten Besitzstände deutscher Arbeitnehmer auf dem Prüfstand. Der selbe Kapitalismus, der sich dafür rühmte, „sogar“ Arbeiterhaushalte verfügten über Kühlschränke, Pkws, Sparbücher und andere dort offenbar unerwartete und gar nicht selbstverständliche Reichtümer, entdeckt immer neue Sachen, auf die seine abhängig Beschäftigten auch gut verzichten könnten – weil der Lohn, von dem sie sich das Zeug angeschafft haben, „die Wirtschaft“ heute entschieden zu teuer kommt. Die deutsche Marktwirtschaft, die sich dafür rühmte, ihre Erwerbstätigen bei Ausfall der einzigen Verdienstquelle in einem „Sozialen Netz“ abzufedern, entdeckt immer neue Rechte, die sie ihrer Arbeiterklasse einmal genehmigt hat, ihr nun aber wieder entziehen muss – weil der Lohnersatz, den Arbeitslose, Rentner und Kranke aus ihren Beiträgen in die Sozialkassen erhielten, nicht mehr finanzierbar ist. In beiden Hinsichten haben Kapital und Staat zu Beginn des Jahres einen weiteren Posten entdeckt: Freimütig erörtern sie Fluch und Segen der betrieblichen Altersversorgung.

1. Für einige Unternehmen gelten Betriebsrenten heute als Fluch. Bei Durchsicht ihrer Akten springt ihnen ein Teil des Lohns, der für sie schon in Gänze ein Kostenfaktor ist, als besonderer Luxus ins Auge, den sie für ihre werten Mitarbeiter berappen. Laut Spiegel 3/04 „wenden viele große Unternehmen im Schnitt 7,6% der Lohn- und Gehaltszahlungen für Betriebsrenten auf“, meist als anteiligen Zuschuss, manchmal spendieren sie den ganzen Betrag. Die Rechnung, die der Gewährung dieser über- bzw. außertariflichen Leistung zu Grunde lag, ist bekannt – „jahrzehntelang wurden gut qualifizierte Beschäftigte an ihre Unternehmen gebunden“ –, der eingekaufte Nutzen jedoch weitgehend entfallen: Der Zugriff auf speziell ausgebildete Leute ist auf einem Markt, wo in der ‚Hauptsache Arbeit‘ angeboten wird, gratis und bis auf Ausnahmen ohne Extra-Euros zu haben. Dadurch werden aus Betriebsrenten bloße Kosten, die nur noch aus Konvention gezahlt werden und dem Ruf der Firmen, die eine Portion des Lohns als Altenfonds sammeln, bei den richtigen Rentiers sogar schaden sollen: „Auf ausländische Investoren macht das keinen guten Eindruck. Eine Bürde, die internationale Ratingagenturen immer wieder veranlasst, deutsche Unternehmen in ihrer Kreditfähigkeit herabzustufen“. In diesem Sinne haben Commerzbank und Gerling-Konzern ihre Rentenzusagen auf dem jetzigen Stand eingefroren und sprechen keine neuen mehr aus – „aus wirtschaftlichen Gründen“, wie sie ehrlich sagen – und erhoffen dafür nicht zuletzt den Segen der „US-amerikanischen Finanzwelt, die Rückstellungen für betriebliche Renten schlicht als Schulden versteht“, die für Soziales vergeudet statt fürs Geschäft vorgeschossen werden. Was das Kapital nur in der aktuellen Neigung bestärkt, „Besitzstände“ wie die deutsche Betriebsrente als den schädlichen Ballast für seine Bilanzen und Kreditwürdigkeit zu behandeln: Den kausalen Zusammenhang von ungenutztem „Einsparpotenzial von 20-30 Mio €“ an Renten für ausrangierte Kassierer und inferiorer Weltmarktposition stellt die Commerzbank jedenfalls locker her.

Für die abhängig Beschäftigten, die mit oder ohne Eigenanteil Betriebsrente erwarten dürfen, ist der Genuss einer solchen, wie der Name schon sagt, pur davon abhängig, ob die Arbeit, die sie abliefern, dem Betrieb ein Extra wert ist: ein Gnadenbrot für langjährig benutzte Arbeitskräfte, auf dessen Höhe und Dauer sie kein Recht haben – darum auch mit einem Federstrich zu eliminieren, wenn die Buchhaltung das Almosen als überflüssigen Abzug vom Profit kritisiert. So fördert das umstandslose Kürzen der Betriebsrente exemplarisch die allgemeine Trostlosigkeit proletarischer Mühen um einen „gesicherten Lebensabend“ zu Tage: Aus eigenen Stücken können die Bezieher von Lohn oder Gehalt gar nicht vorsorgen. Sie mögen eine Geldsumme für ihr Alter eingeplant haben, aber die war nie ihre, sondern immer freie Dispositionsmasse des Kapitals: Wie das Leben nach der Fabrik oder dem Büro ausfällt, hängt pur an den Berechnungen ihrer kapitalistischen Anwender.

2. Für den deutschen Staat sind Betriebsrenten heute ebenfalls eher Fluch. In „schweren Zeiten“, wo „Arbeit billiger“ und der Lohn von „Nebenkosten“ befreit werden muss, teilen die politischen Vertreter dieser Parolen die Sorgen ihrer heimischen Unternehmer: Wenn das Einsparen der Firmenrente die „Fusionschancen der Commerzbank mit anderen Finanzkonzernen“ und letztlich die „Wettbewerbsfähigkeit“ deutschen Geldkapitals erhöhen soll, kann das für die Wirtschaft, von deren Fähigkeit, internationale Kreditmacht zu mobilisieren, „unser Wachstum“ abhängt, nur gut und nicht schlecht sein.

In zweiter Instanz ist die Existenz von Betriebsrenten, wo und so lange sie gezahlt werden, aber auch ein Segen – für seinen Haushalt und seine Sozialkassen nämlich. 16 Mio. Arbeitnehmer in Deutschland haben neben gesetzlicher Rentenversicherung und privaten Verträgen eine betriebliche Altersversorgung. Diese „3. Säule der Ruhestandssicherung“ durfte vor nicht allzu langer Zeit als Begründung dafür herhalten, dass dann doch Abzüge an der gesetzlichen Rente nicht zu sehr schmerzen könnten, und warum soll man sie nun nicht noch ein wenig mehr für die Nöte des kapitalistischen Gemeinwesens einspannen? Objekt des Zugriffs auf die Einkünfte seiner lohnabhängigen Bürger war sie immer schon; jetzt erhöht der Staat den halben Krankenkassenbeitrag, den er auf Betriebsrenten erhob, auf den vollen Satz. Auch er kann das mit einem Federstrich, indem er seine Hoheit über den Lohn gegen final Ausgemusterte gebraucht: Jede Leistung, die aus irgend einer Kasse an irgend einen Staats- oder Betriebsrentner fließt, nimmt er zugleich als möglichen Beitrag zur Bewältigung seiner Aufgabe ins Visier, Einnahmen und Ausgaben der Sozialtöpfe in ein volkswirtschaftlich ersprießliches Verhältnis zu setzen; also genügt ein Parlamentsbeschluss und ein Vermerk im Bundesgesetzblatt 7/03, um auch Betriebsrentner in die patriotische Pflicht für die unabwendbaren Reformen zu nehmen. Und zwar vermittels eines schöpferischen Kombinats des einen Feldes der Sozialstaatsrenovierung, Verbilligung der Gesundheit, mit dem zweiten, Verarmung der Rentner: Entweder zahlen auch die mehr Krankenkasse „oder Gesundheit wird bald unbezahlbar“.

Für Betriebsrente beziehende Kassenpatienten heißt das: Der Betrag, mit dem sie im Alter rechnen können, hängt zum einen und sowieso davon ab, was der Staat ihnen nach seiner Rentenformel an Einkommen für die letzten Jahre zuteilt. Was eine zusätzliche Betriebsrente zum anderen wert ist, das hängt einzig an den Abwägungen der Politik mit ihr: Belässt man sie als gewissen Ausgleich zur schrumpfenden Staatsrente in den Händen der Leute oder ist sie für Not leidende Sozialkassen des Staates nicht sinnvoller angelegt? So ist die Beschlagnahmung eines Stücks Betriebsrente zur Finanzierung der Gesundheitsreform ein Exempel, wie „Rechnen“ in der freien und sozialen Marktwirtschaft für die Masse der Teilnehmer geht: Die von Kapital und Sozialstaat Abhängigen erhalten nach deren Rechnungen Bescheid, womit sie jeweils rechnen dürfen.

3. Für die moralische Erbauung des Volks sind Betriebsrenten aber in jedem Fall geeignet. Kaum gestrichen bzw. zusätzlich belastet, sorgt nämlich vor allem das für den Skandal: Der Sozialstaat als „Rentenklau“ (Bild), darf das denn wahr sein? Noch schlimmer: Die Bosse sparen nicht auch an sich selber, wie sieht das denn aus! Vorstände im Rentenrausch! (Spiegel) Kein Klassenkämpfer könnte ein schlimmeres Zerrbild des hässlichen Kapitalisten zeichnen, als dieser Bankvorstand es selbst tut. (Arentz, CDU-Sozialausschüsse) Das passt: Da handelt der Sozialstaat einmal mehr nach der klaren Devise ‚Sozial ist, was dem Wachstum nützt‘, da macht das Kapital einmal mehr ernst mit der Wahrheit, dass der Lohn die Manövriermasse seines Geschäfts ist – und die Öffentlichkeit fragt sich, ob dabei fälschlicherweise der Eindruck entsteht, genau so wäre es in unserem feinen System. Dabei bezeugen die Maßstäbe solcher Kritik, dass der Standpunkt seiner politischen Hüter, alles für das Wachstum und den globalen Konkurrenzerfolg der nationalen Wirtschaft zu tun, längst eingesehen ist:

Man hetzt die Leute in Fragen nach dem Sinn der Maßnahme – ‚Hilft Rentenkürzung wirklich dem Standort?‘, der Ehrlichkeit ihrer Veranstalter – ‚Hat die Politik uns bei Zeiten auf alle Härten vorbereitet?‘ und der Gerechtigkeit des Angriffs auf den Lohn – ‚Werden wirklich alle belastet?‘: Schon ist die Notwendigkeit der Reformen ein zweites Mal gegessen.