Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Gewerkschaftspolitik in Krisenzeiten:
Von der Beschäftigungssicherung zur Betriebsbeteiligung
Unternehmen kündigen reihenweise die „Beschäftigungssicherungsverträge“, die sie in den vergangenen Jahren mit den Gewerkschaften abgeschlossen haben und die eigentlich noch zwei bis fünf Jahre gelten sollten. Die sind jetzt Makulatur. Der Vize-Chef der IG Metall, Dieter Wetzel, ist empört: „Ich finde es fast abstoßend, wenn Arbeitgeber wie Heidelberg Druck solche Verträge einseitig aufkündigen … Beschäftigungspakte sind ja gerade für schlechte Zeiten gemacht, dann sollen sie auch wirken.“
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Systematischer Katalog
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Gewerkschaftspolitik in Krisenzeiten:
Von der Beschäftigungssicherung zur
Betriebsbeteiligung
Unternehmen kündigen reihenweise die „Beschäftigungssicherungsverträge“, die sie in den vergangenen Jahren mit den Gewerkschaften abgeschlossen haben und die eigentlich noch zwei bis fünf Jahre gelten sollten. Die sind jetzt Makulatur. Der Vize-Chef der IG Metall, Dieter Wetzel, ist empört:
„Ich finde es fast abstoßend, wenn Arbeitgeber wie Heidelberg Druck solche Verträge einseitig aufkündigen … Beschäftigungspakte sind ja gerade für schlechte Zeiten gemacht, dann sollen sie auch wirken.“ (Nürnberger Nachrichten, 3.4.09)
Das mag sich die Gewerkschaft so gedacht haben, die
Unternehmer sehen die Sache jedenfalls genau andersherum.
BMW-Chef Reithofer stellt klar: Wir haben einen
Beschäftigungssicherungsvertrag, der Kündigungen
ausschließt, solange wir Gewinne machen!
(SZ, 11.4.). Die Unternehmer hatten sich
auf derartige Verträge nur eingelassen, weil der von der
Gewerkschaft unterschriebene Lohnverzicht die
Arbeitsplätze in ihren Betrieben rentabler gemacht hatte,
die Beschäftigung der rentablen Arbeitskräfte, die sie
als Gegenleistung versprachen, also ohnehin in ihrem
Interesse lag. Jetzt sind die ‚schlechten Zeiten‘ da, und
prompt zeigt sich, dass die Verträge, mit denen die
Gewerkschaft das freie Heuern und Feuern beschränken
wollte, nichts wert sind. So war das mit der
„Beschäftigungssicherung“ von den Unternehmern eben nie
gemeint, dass sie Leute weiter in Arbeit und Lohn halten,
die sich nicht gewinnbringend benutzen lassen! Sie lassen
die Verträge nur so lange gelten, wie beide
Seiten dieses merkwürdigen Gebens und Nehmens ihrem
Interesse entsprechen. Sobald die Verträge als Schutz
wirksam und zu einer echten Verpflichtung auf
Gegenleistung zu werden drohen, sind sie unzumutbar und
hinfällig. Leute werden eben rausgeschmissen, wenn man
sich in der Krise gegen Konkurrenten behaupten und die
Rendite verteidigen muss. Keine Vereinbarung mit der
Gewerkschaft darf Bestand haben, die diesem Vorgehen im
Wege steht.
Für die Gewerkschaft ist der Ausstieg aus dem
Vertragswerk vor allem deswegen ein Skandal, weil er gar
nicht nötig gewesen wäre … Im übrigen
enthalten alle Tarifverträge Schlechtwetterklauseln, sie
können also im gegenseitigen Einvernehmen geändert
werden, aber nicht einseitig.
(Wetzel, NN, 3.4.)
Dass Unternehmer nur Verträge unterschreiben, in denen
die Unwirksamkeit der Schutzklausel zur Sicherung der
Arbeitsplätze gleich mit festgeschrieben ist, hat die
Gewerkschaft offenbar schon bei der Erstellung des
Vertrags gewusst, ohne dass sie das vom Unterschreiben
abgehalten hat. Den Verweis auf die
„Schlechtwetterklauseln“ hält sie nicht für das
Eingeständnis, dass der angestrebte Schutz mit den
Unternehmern nicht zu haben ist, sondern für ein
überzeugendes Argument: Angesichts der vertraglichen
Vorsorge für schlechte Zeiten
wäre statt einer
einseitigen Kündigung eine Lösung im Rahmen der Verträge
doch das Mittel der Wahl gewesen! Unter den neuen
‚Bedingungen‘ – Krise! – nachverhandeln und den Vertrag
dem schlechten Wetter ‚anpassen‘-, mit dieser Forderung
wären die Unternehmen bei der Gewerkschaft nicht auf
taube Ohren gestoßen. Sie unterscheidet zwischen seriösen
Krisenbewältigern, die sich beim Sanieren auf Kosten der
Arbeitskräfte an die bewährten Einigungs- und
Konsensverfahren halten und solchen, die sich als
Trittbrettfahrer der Krise
aus den Verträgen
billig rausschleichen
; die Krise also zum Vorwand
nehmen, die Zusammenarbeit mit ihr zu zerstören. Das
findet sie ebenso unerhört wie überflüssig: Wer solche
Pakte bricht, pulverisiert unser ganzes System aus
tariflichen und betrieblichen Vereinbarungen … die
Beschäftigten haben im Vertrauen auf die Zusagen
schließlich schon Gegenleistungen erbracht – etwa durch
Zugeständnisse bei Lohn und Arbeitszeit.
(Hofmann IGM-Bezirksleiter Württemberg, HB,
24.2.) An diesem ‚System‘ wechselseitiger
Zugeständnisse ist der Gewerkschaft gelegen. Deswegen
lässt sie sich auch durch das Vorgehen der Gegenseite
nicht davon abbringen, die Krise, in die sich die
Unternehmen hineingewirtschaftet haben, als eine
Herausforderung zu begreifen, der man mit
einvernehmlichen, neuen Abmachungen begegnen muss: Mit
Arbeitgebern, die über den Tag hinaus denken, werde man
selbstverständlich auch künftig konstruktiv nach Lösungen
für den Umgang mit der Krise suchen.
(HB, 29.4.)
In aller Form bekundet die IG Metall damit ihre
Bereitschaft, mit verstärkter Nachgiebigkeit dem
unternehmerischen Bedarf, der alle Abmachungen in Frage
stellt, zu entsprechen, um die „Pakte“ zu retten. Wie das
geht, am Beschäftigungssicherungsvertrag festzuhalten,
ohne sich den Entlassungsvorhaben der Unternehmen zu
verschließen, führt sie beim Automobilkonzern Daimler
vor. Der alte Vertrag mit Kündigungsschutz bis 2012 wird
storniert, und ein neuer geschlossen mit
Beschäftigungssicherung bis Mitte 2010, Ausstiegsklausel
im Notfall
bereits Anfang 2010. Für 15 000
Mitarbeiter, die ab 2004 eingestellt wurden, gilt weder
der alte noch der neue Vertrag. Soweit „verpflichtet“
sich das Unternehmen gegenüber seiner Belegschaft. Dafür
werden den Beschäftigten erneut
„Gegenleistungen“ abverlangt – auch bei diesem Vertrag,
in dem gleich gar nichts gesichert wird, legt die
Gewerkschaft eben Wert auf die Form, da würde
Beschäftigung gegen Lohn getauscht. Die Tariferhöhung von
2,1 % ist eh schon tarifvertraglich zum Verschieben bis
Weihnachten freigegeben, die Aufzahlung zum
Kurzarbeitergeld wird abgeschmolzen, kaum ist sie fällig,
ferner wird die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich generell
um 9 % gekürzt. Das alles ergibt eine Summe von
mehreren hundert Millionen
an Kosteneinsparung für
das Unternehmen. Ähnlich brutal bei Schaeffler: Wenn die
Lohnkosten um 250 Millionen Euro gedrückt werden, gibt’s
als Belohnung eine ‚Beschäftigungssicherung‘ für ein(!)
Jahr.
So oder so ähnlich geht es bei den meisten Betrieben zu.
Ob die Verträge nun gekündigt oder mit
Schlechtwetterklauseln
modifiziert werden, die
„Beschäftigungssicherung“ erweist sich als das, was sie
schon immer war – nämlich ungefähr ein halbes Jahr
Kündigungsfrist. Die Gewerkschaft gibt die Schutzklauseln
auf, nicht, weil sie ohnehin keine sind, sondern weil sie
selbst solche Klauseln unter den neuen Bedingungen für
eine nicht mehr durchsetzbare und nicht mehr zu
verantwortende Beschränkung der Kapitalseite hält, von
der die Arbeitsplätze abhängen.
*
Mit ihrem Latein am Ende ist die Gewerkschaft deswegen
noch lange nicht. Angesichts geplanter Massenentlassungen
ist ihr Umrechnen von Lohnopfern in fiktive Arbeitsplätze
zwar zur Farce geworden; aber sie gibt nicht auf, sondern
findet einen neuen Weg, die Interessen der Lohnabhängigen
zu verteidigen. Wenn Schutz gegen die Unternehmerfreiheit
für ihre Schutzbefohlenen in der Krisensituation schon
unmöglich ist und jeder solche Versuch kontraproduktiv
wäre, besteht die ehrliche neue Strategie
darin,
unumwunden zuzugeben, dass neue Opfer an Lohn,
Arbeitszeit und Beschäftigung im Interesse der Rettung
Not leidender Betriebe
(Wetzel) fällig sind. Denn, so
Bezirksleiter Hofmann: Unsere Geschäftsgrundlage ist
natürlich die Existenz des Unternehmens.
(HB, 24.2.) Dass die Unternehmen in dem
Bemühen ihre Geschäftsgrundlage zu sichern, die Existenz
der Arbeiter ruinieren, kann eine Arbeitervertretung
nicht erschüttern, die gerade ihre Geschäftsgrundlage zu
retten hat. Ihre neue Strategie, alles zuzulassen, was
die Rentabilität des Kapitals wiederherzustellen
verspricht, ist gleichwohl keine Kapitulation, vielmehr
eine neue Offensive, die die Gewerkschaftsstrategen sogar
mit einer rückblickenden Selbstkritik begründen: Ab jetzt
werde man sich nicht mehr über den Tisch ziehen lassen:
Lohn-Geschenke für Firmen passé!
Es gibt keine
Schenkungen mehr. Die Mitarbeiter werden zu Mitspielern,
sie brauchen in dieser Krise nichts herzuschenken
(Wetzel, NN, 3.4.).
Entweder die Beschäftigten gewähren dem Unternehmen
einen Kredit, den es verzinst zurückzahlen muss. Oder sie
erhalten im Gegenzug Unternehmensanteile: Verzicht gegen
Besitz ... Künftig müssen die Belegschaften stärker an
wichtigen Unternehmensentscheidungen beteiligt
werden.
(ders., HB,
13.3.) Dass man alles mit sich machen lässt, was
die Unternehmen für ihre Genesung nötig finden, lässt
sich zu einem Tausch zwischen freien Arbeitern und freien
Unternehmern ausgestalten. Man muss vorenthaltenen Lohn
nur als gewährten Kredit oder als Kauf von Anteilen am
Firmeneigentum verbuchen. Die Beschäftigten verzichten
nicht: Wenn sie Einkommen verlieren, gewinnen sie dafür
einen Rechtstitel auf Zins und Tilgung, der in
irgendeiner Zukunft sogar etwas wert ist, wenn die
Rettung ihrer Firma gelingt. Oder sie bekommen ein paar
Aktien und dürfen als Shareholder auf die Rentabilität
der Firma spekulieren, für die sie mit ihren Opfern
geradestehen.
Zugleich wird die IG Metall nicht müde, eine weitere
Errungenschaft anzupreisen, die sie sich vom Handel
„Verzicht gegen Besitz“ verspricht: Sie entdeckt darin
eine Gelegenheit, die Machtverhältnisse im Betrieb auf
eine neue Basis zu stellen
(DGB
Kapitalismuskongress v. 14.5.), indem sie sich
nämlich eine ganz neue Art von Mitbestimmung erobert: Sie
gefällt sich in der Rolle eines Syndikus der
proletarischen Miteigentümer, der zusammen mit den
Kapitaleignern die besten Strategien für den
langfristigen Erfolg des Unternehmens berät und
festlegt: „Das erhöht die Belastungsfähigkeit des
Systems. Denn Beschäftigte denken längerfristiger
als das Kapital.“ (Wetzel) Die Arbeitervertretung als
Shareholder – dann ist das „System“ endgültig nicht mehr
totzukriegen.