Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Alle Jahre wieder:
Der Unicef-Bericht zur Lage der Kinder in der Welt

Mit beispielloser Sturheit blickt die spendierfreudige Menschheit alljährlich auf die Zahl von hungertoten Kindern, zeigt sich erschüttert und beklagt ihren Anstieg.

Aus der Zeitschrift

Alle Jahre wieder:
Der Unicef-Bericht zur Lage der Kinder in der Welt

Die Weihnachtsbotschaft des Jahres 97 fällt – merkwürdigerweise wie jedes Jahr – wieder einmal nicht sonderlich „froh“ aus.

„Jedes Jahr sterben nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) fast sieben Millionen Kinder unter fünf Jahren an Hunger oder unausgewogener Ernährung.“ (SZ, 17.12.97)

Sieben Millionen – ganz ohne Holocaust. Die weltweite Verhungerungsaktion kommt völlig ohne ein von üblen Absichten getriebenes Reich des Bösen aus. Weit und breit kein König Herodes zu entdecken, der sich Kindermord zum Herrschaftsauftrag gemacht hätte, und auch kein Stalin, der die Kulaken berechnend einer staatlichen Hungersnot nach der anderen ausliefert. Ganz im Gegenteil:

„200 Millionen Kinder leiden nach dem soeben veröffentlichten UNO-Bericht unter chronischer Mangelernährung. Und das, obwohl seit 1990 alle Staaten – außer Somalia und den USA – die UNO- Konvention über die Rechte des Kindes unterzeichnet haben“. (Spiegel 52/22.12.97)

Am erklärten bösen Willen der Staatenwelt liegt es dann wohl nicht, wenn Kinder nichts oder das Falsche zwischen die Zähne bekommen. Keiner hält das millionenhafte Verhungern der lieben Kleinen für begrüßenswert. Endlich mal ein Punkt, an dem sich alle einig sind: Das Massensterben wird von der öffentlichen Moral aller Herren Länder auf ganzer Linie mißbilligt. Es ist noch nicht einmal so, daß bisher einfach unbekannt geblieben wäre, wieviel an Nachwuchs jährlich weltweit verreckt. Verhungert wird vielmehr trotz und unter der erbitterten Betreuung diverser Hilfsorganisationen, die sich gleichwohl außerstande sehen, das Ergebnis ständig steigender Zahlen von hungertoten Kindern aufzuhalten. Mit beispielloser Sturheit wird alljährlich auf den Hunger geblickt, der Hunger bekämpft und weiterer Hunger als beklagenswerter Zustand konstatiert.

„Zwar habe die Unterernährung in gewissen Regionen in den vergangenen Jahren erfolgreich bekämpft werden können, insgesamt habe die Zahl der unterernährten Kinder in den vergangenen Jahren aber weiter zugenommen.“ (NZZ, 18.12.97)

Fassen wir zusammen: Keine Macht der Welt erklärt das große Kindersterben zum innen- oder außenpolitischen Ziel, alle Repräsentanten der Weltöffentlichkeit zeigen sich erschüttert und bekunden, sie hätten die Herausforderung erkannt. Ganz viele gute, gewissensvolle und spendenfreudige Menschen sorgen für ganz viel fürsorglichen Zugriff auf die hungernden Kleinen – und trotzdem ist es nie genug, und die Zahl der auf Nulldiät gesetzten Kinder steigt unaufhaltsam. Dann wird es wohl am System liegen, das so menschenfreundlich dafür sorgt, daß dem guten Willen die Anlässe zum Helfen nie ausgehen.