Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Verfassungsschutz richtet Hotline ein – „Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten“:
Ein Einsteigerprogramm für heimatlose Nationalisten
Der Verfassungsschutz bietet rechtsradikalen „Mitläufern“ Unterstützung bei Job- und Wohnungssuche an. An der Parole der Neonazis „Arbeit für Deutschland“ missfällt dem Staat die dysfunktionale Ausländerfeindschaft, honoriert wird die – unterstellte – Bereitschaft, einen nützlichen Dienst für die Nation zu leisten.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Verfassungsschutz richtet Hotline
ein – „Aussteigerprogramm für
Rechtsextremisten“
Ein Einsteigerprogramm für
heimatlose Nationalisten
Der Verfassungsschutz beobachtet die Feinde der
Demokratie und unternimmt manches, um sie unschädlich zu
machen. Gegenüber der Problemgruppe ‚Rechtsradikale‘
stellt er sich nun auf den fürsorglichen Standpunkt, es
ginge darum, Mitglieder „aus der Szene herauszulösen“.
Welche Rolle dabei die Theoriebildung seines
wissenschaftlichen Beraterstabes spielt, sei
dahingestellt. Auf jeden Fall erinnert das, was die
Abteilung „Rechtsextremismus“ macht, an eine ‚Theorie‘,
wie man sie früher mal in der Schule gelernt hat: Den
Faschismus gab es, weil es so viele Arbeitslose gab, und
die wollten unbedingt einem „Rattenfänger“ namens Hitler
nachlaufen. Diese Theorie hat den kleinen Nachteil, nur
nachzuerzählen, dass Arbeitslose Hitler
wählten, sie liefert jedoch keine Erklärung, wie
und warum Leute, denen es ausgesprochen schlecht geht,
darauf verfallen, ihre Lage auf eine Schwäche ihres
Staates zurückzuführen und entsprechend den starken, nach
innen und außen durchgreifenden Staat zu fordern. Aber
sei’s drum. Modern drückt sich diese Grunderfahrung so
aus: Junge Menschen – besonders im Osten – sind für
„rechtsradikales Gedankengut“ „empfänglich“, weil es
ihnen an einer sozialen Perspektive
fehlt. Diese
„Ursache“ will der Verfassungsschutz nun bekämpfen, indem
er „Glatzen“ und sogar „inhaftierten Rechtsradikalen“ das
Angebot macht, sie bei der Arbeits- und Wohnungssuche zu
unterstützen und sie gegebenenfalls auch vor alten
Kumpels zu schützen – woraufhin sie, so hofft man, ihr
„abweichendes Verhalten“ einstellen. Die jungen Menschen
sind, so der Geist dieses Angebots, ein wenig aus dem
Tritt geraten, und man kann ihnen bei der
„Wiedereingliederung in die Gesellschaft“ helfen.
Realistischerweise erhofft sich der Verfassungsschutz von
seinem Wechsel ins Fach Resozialisierung keine
Wunderdinge: Gefestigte Führungspersönlichkeiten der
rechten Szene wird er mit seinem Angebot nicht verlocken
können – beziehungsweise: ihnen werden, eben weil es sich
bei ihnen um Führungspersönlichkeiten handelt,
Bestechungssummen ganz anderen Kalibers geboten und nicht
bloß ein wenig Hilfe. Aber beim Fußvolk soll diese Form
der staatlichen Zuwendung doch Wirkung entfalten
können. Mit der geläufigen Ideologie, die Staat und
Demokratie von links wie von rechts gleichermaßen bedroht
sieht und unterschiedslose Ausgrenzung der „roten und
braunen Elemente“ fordert, will diese entgegenkommende
Art nicht so recht zusammenpassen. Aber der Staat bzw.
sein Amt für Verfassungsschutz wissen zwischen ihren
Feinden eben zu unterscheiden.
Den linken Verfassungsfeinden sind solche Aufmerksamkeiten jedenfalls noch nie zuteil geworden. Da wird vielmehr, was vielleicht mit dem Schwinden der Linken ein wenig in Vergessenheit geraten ist, einiges unternommen – Berufsverbote, Denunziation beim Arbeitgeber etc. –, um deren „Eingliederung in die Gesellschaft“, also ihre Berufstätigkeit, unsicher zu machen. Dafür hat der Staat einen guten Grund: Für die nicht-vermögenden Mitglieder seiner Gesellschaft hat er das „Angebot“ auf Lager, sich ihren Lebensunterhalt – sofern sie einen Arbeitgeber finden – im Dienst an fremdem Eigentum zu verdienen und so den kapitalistischen Reichtum dieser Gesellschaft zu vermehren; und dieses „Angebot“, so sieht das der Staat jedenfalls, missbrauchen die Linken glatt: Sie missbrauchen es, indem sie ihren Lebensunterhalt nur als notwendige Voraussetzung betrachten, um gegen ihn und seine verfassungsrechtlich gültigen Grundlagen agitieren zu können; und in seine Dienst begeben sie sich zum Zwecke der „Unterwanderung wichtiger gesellschaftlicher Positionen“. Als wolle der Staat dem linken Vorwurf der Repression recht geben, macht er sich – begleitet von der Parole „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ und von dem hämischen Hinweis „Ihr seid doch gegen das Eigentum, also braucht ihr auch keines“ – an die Erschwerung ihrer bürgerlichen Existenz; mit dem erklärten Ziel, ihre Agitation und die – vermutete – „Unterwanderung“ damit zu unterdrücken. Die Überzeugungsarbeit des Staates und des Verfassungsschutzes ist also denkbar einfach: Wir kommen den Burschen praktisch.
Auch gegenüber dem ‚rechten Spektrum‘ führt der Verfassungsschutz den „Kampf um die Köpfe“ ganz auf der praktischen Ebene. Dabei lässt er sich von der zentralen Parole dieses ‚Spektrums‘ anleiten: „Arbeit für Deutsche!“ Welches völkische Begehren sich da anmeldet, das sehr mit dem Vorgängerstaat sympathisiert, ist dem Verfassungsschutz bekannt: Hier macht sich eine Kritik an der Staatsführung geltend, die ihr vorwirft, aus Schwäche oder Pflichtvergessenheit ihr Volk nicht vor den selektiven und ruinösen Wirkungen seiner Benutzung durch den „privaten Egoismus“ des Kapitals und vor ausländischen Machenschaften zu schützen und so sein Recht auf seine staatsdienliche Benutzung zu verletzen – eine Kritik, die mit den Rechtsgrundsätzen von Demokratie und Marktwirtschaft, also auch mit dem bundesdeutschen Regierungsalltag nicht verträglich ist. Trotz ihrer undemokratischen Abweichung sollen die völkischen Fanatiker jedoch nicht von vornherein als Staatsfeinde abgestempelt werden. Sie sollen eine Bewährungschance erhalten, nämlich die, aus diesem Denken und der ‚Szene‘ aus- und in ein verfassungsgemäßes Umfeld wieder einsteigen zu können. Argumentieren ist, wie gesagt, Sache des Verfassungsschutzes nicht. Das überlässt er den profunden Faschismuskennern in der Politik, die die Rechtsradikalen Tag für Tag mit lauter guten Argumenten unter Druck setzen – zum Beispiel damit, dass nur sie wissen, wie ein richtiges „Ich bin stolz auf Deutschland“ geht; oder damit, dass es doch ihre Zuwanderungsgesetze sind, die eine national nützliche, effiziente Auslese und Benutzung von Ausländern gewährleisten. Der Verfassungsschutz verlegt sich statt dessen auf den praktischen Beweis, dass es die Ablehnung, die die Rechtsradikalen gegenüber der bundesdeutschen Demokratie an den Tag legen, doch gar nicht bräuchte. Im Sinne des zu Anfang erwähnten Schulwissens zur „Ursache“ der Hitler-Wählerei – welches nebenbei das schöne Kompliment an die Arbeitslosen beinhaltet, dass die als leicht verführbare ‚Ratten‘ jederzeit ‚Fängern‘ wie Hitler nachlaufen, aber in dieser Eigenschaft auch relativ einfach auf jede andere Führung umzupolen sind – bringt er an der Parole „Arbeit für Deutsche!“ eine kleine Akzentverschiebung an und legt sie sich so für seine Zwecke zurecht: „Arbeit für Deutsche!“ So gelesen, also mit Hilfe eines absichtlichen Missverständnisses, sind die jungen Menschen auf ihren extremistischen Patriotismus bloß verfallen, weil es ihnen an Arbeit fehlt – ihr völkisches Gedankengut hat sich daran mehr zufällig, als eine Art Beiwerk entwickelt. So gesehen ist es dann durchaus angebracht, eine Portion Verständnis aufzubringen. Der Verfassungsschutz kann die Zumutung gut nachvollziehen, die es für einen jungen Deutschen sein muss, wenn ihm das hohe Gut ‚Arbeit‘ vorenthalten wird. Zwar lässt sich nichts daran ändern, dass Arbeit „knapp“ ist, weil es sie nur gibt, wenn Kapitalisten sie als für sich rentabel ansehen; zwar kann eine marktwirtschaftliche Demokratie die rechtsradikale Forderung nicht hinnehmen, der Staat müsse sich über diese Rentabilitätsrechnung hinwegsetzen und das Privileg, Arbeiten zu dürfen, nur Deutschen und allen Deutschen zukommen lassen – aber dass der Ruf nach Arbeit hochanständig ist, unterschreibt der Verfassungsschutz auf der Stelle. Wenn Rechtsradikale nach „Arbeit“ schreien, ist das darauf folgende „… und Ausländer raus!“ zwar nicht zu überhören – aber man kann es ja mal quasi testweise überhören und nur das heraushören, was einem gefällt: den Willen, sich unterzuordnen, sein eigenes Vorankommen vom Vorankommen des nationalen Reichtums abhängig zu machen, also auch einen Beitrag zur Nation zu leisten. Zwar stellt sich der nationale Reichtum Deutschlands allemal nur ein im Ertrag des Kapitals, in dessen Geschäftskalkulationen die rechtsradikale Ausländerfeindschaft nun mal keinen Platz hat. Aber wenn man den Rechtsradikalen Arbeit und die Gelegenheit gibt, sich für Deutschland nützlich zu machen, dann sehen sie sich doch schon mal in ihren anerkannten, positiven Eigenschaften gewürdigt, rücken, vom Staat so fürsorglich und individuell angesprochen, vielleicht ein Stück von ihrer These vom ‚verletzten Recht des deutschen Volkes‘ ab – und am Schluss vergessen sie womöglich ihr „Ausländer raus!“ Auch müssten sie merken, wie sehr sich ihnen der Staat annähert: Zwar verbietet er ihnen ihr „Ausländer raus!“, andererseits unterstreicht er aber mit der für sie vorgesehenen Sonderbehandlung das Prinzip, dass Arbeit für Deutsche zuerst da zu sein hat. Die Rechtsradikalen müssen also nur noch die Ausnahmen anerkennen, die Staat und Kapital für notwendig erachten. Sie haben den Staat des Verrats an diesem Prinzip bezichtigt, jetzt bekommen sie das Gegenteil praktisch vorgeführt. Sie sprachen empört von einer „Entrechtung der Deutschen“, nun wird ihnen die Unhaltbarkeit dieser Behauptung „nachgewiesen“, indem sie bevorrechtigt werden. So gesehen ist ihre Gegnerschaft zu Staat und Demokratie also nicht staats- und verfassungsfeindlich, sondern überflüssig. Sie dürfen nicht länger meinen, sie würden trotz und wegen ihres hochanständigen Anliegens ausgegrenzt und ausgestoßen. Die der Demokratie nicht genehme gesetzwidrige Entartung ihres Anliegens müssen sie dann aber auch bleiben lassen, wenn sich der Staat schon solche Mühe gibt, ihren Vorwurf an ihn zu entkräften und sie mit außergewöhnlichen sozialen Maßnahmen davon zu überzeugen, dass sie sich in ihm täuschen.
Mit seinem praktischen Angebot wirbt der Verfassungsschutz also um die „Köpfe“. Er bringt viel Verständnis auf für Nationalisten, die an ihrer Nation auch mal irre werden können, wenn sie ihren Dienst an ihr nicht verrichten dürfen. Sie erliegen jedoch einem Irrtum, wenn sie meinen, dem Staat sei ihr Schicksal als Deutsche gleichgültig. Wenn sie an diesem Irrtum festhalten, wenn sie ihre Hetze gegen den Staat nicht einstellen, dann überschreiten sie die Grenze und werden als Verfassungsfeinde behandelt. Vorher wird ihnen aber reichlich Gelegenheit gegeben, sich zu besinnen und zu verstehen, dass sie hierzulande allemal ihre Heimat haben können – und das ist dann auch, und dafür stehen die paar mit Arbeit versorgten Gestalten, der eigentliche, der „höhere“ Sinn der Aktion des Verfassungsschutzes: Seht her, Deutschland ist auch für euch da!