Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Deutschland im Januar 2006: Es geht aufwärts – Die soziale Frage kommt voran

Die Nation blickt wieder froh in die Zukunft, seit die Wirtschaft „endlich, endlich wieder“ hoffnungsfroh in die Zukunft blickt und einen IFO-Geschäftsklimaindex nach dem andern in Höhe treibt: Sie rechnet mit einem „besseren Investitionsklima“, der Einzelhandel hofft, dass „der Verbraucher seine langjährige zähe Kaufzurückhaltung“ endlich ad acta legt.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Deutschland im Januar 2006: Es geht aufwärts – Die soziale Frage kommt voran

Wie schwer die Republik unter der rot-grünen Schröder-Regierung gelitten hat, wird erst so richtig klar, seit Frau Merkel mit ihrer schwarz-roten Koalition angefangen hat, am Standort D ordentlich „durchzuregieren“. Nicht nur, dass die Weltmacht uns wieder lieb hat, seit die beiden Repräsentanten nationaler Eigenmächtigkeit geräuschlos und komplett von der Bildfläche verschwunden sind: Auch im Innern ist der aufkeimende Optimismus überhaupt nicht mehr zu bremsen – fulminante Umfragewerte für das herrschende Kanzlerin/Vizekanzlerpaar sind der Beweis und machen zugleich tüchtig Dampf. Die Nation blickt wieder froh in die Zukunft, seit erstens die Wirtschaft – das sind, zur Erinnerung, diejenigen, die sich mit der Arbeit und zu Lasten der lohn- resp. gehaltsabhängigen Mehrheit im Land bereichern, in den letzten Jahren in besonders stattlichem Umfang – „endlich, endlich wieder“ hoffnungsfroh in die Zukunft blickt und einen IFO-Geschäftsklimaindex nach dem andern in Höhe treibt: Sie rechnet mit einem „besseren Investitionsklima“, der Einzelhandel hofft, dass „der Verbraucher seine langjährige zähe Kaufzurückhaltung“ endlich ad acta legt. Wir freuen uns auf „große sportliche Ereignisse“. Schon die Olympischen Spiele in Turin – und erst recht die Fußballweltmeisterschaft im eigenen (!) Land – werden zweifellos „die Nachfrage nach den neuen Plasma-Bildschirmen in die Höhe treiben“. Das wird der Binnenwirtschaft Wachstumszahlen bescheren wie schon seit Jahren nicht mehr.

Und nicht nur die Herren des großen Geldes sind sturzzufrieden, sondern zweitens auch die regierenden Politiker/Innen: Die „Blockade“ durch einen oppositionellen Bundesrat ist aufgelöst; die Regierungsmehrheit ist überwältigend; die Opposition ist in drei fast gleich große Hälften zerrissen, von denen die größte eigentlich auch für die Kanzlerin ist; es kann „gehandelt“ werden, und es wird auch „gehandelt“ – wer will da noch im Einzelnen wissen, für wen und wie und wozu! Das selbstbewusste Volk, das mit seinem Wahlverhalten seine „politische Klasse“ vorübergehend in so tiefe Verlegenheit gestürzt hat, jedenfalls weniger: Es ist ganz selbstbewusst für die Regierung, von der sich nach wochenlangem Gezerre herausgestellt hat, dass es sich genau die mit mehr als Zweidrittel-Mehrheit gewünscht und herbeigewählt hat. Im Lichte dieses Neubeginns sehen die alten Verhältnisse doch schon ganz anders aus.

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Ende Januar wird die offizielle Arbeitslosenzahl verkündet: Sie liegt wieder über 5 Millionen. Das ist zwar einerseits bedauerlich, kann aber andererseits die positive Stimmung nicht grundsätzlich trüben. Denn es kommt – wie immer – auf den richtigen Vergleich an: Zwar werden mehr Arbeitslose gezählt als im Vormonat, aber weniger als im Januar letzten Jahres. Außerdem kennt man – wie in jedem Monat auch in diesem Januar 2006 – wieder einmal lauter ganz spezielle einmalige Besonderheiten, die unbedingt bei der Interpretation der Zahlen berücksichtigt werden müssen. In diesem Januar war das z. B. die Tatsache, dass ab Februar 2006 die Laufzeit des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer verkürzt wird. Klar, dass dann die „älteren Arbeitnehmer noch schnell die Chance nutzen und sich in die Arbeitslosigkeit abmelden“ bzw. die Betriebe, die „ihre Belegschaften verjüngen wollen, das eben gerade jetzt zu diesem günstigen Zeitpunkt in die Tat umsetzen“. Entlassungen auf Vorrat finden also statt – so was kennt man, findet man völlig normal und nennt es als Arbeitslosen-Statistiker „Sondereffekt“, der zu berücksichtigen ist. Weniger zu berücksichtigen ist dagegen die Frage, wie man als „älterer Arbeitsloser“ mit „längerem Arbeitslosengeld I“ eigentlich so lebt. Die Aussicht, als Hartz-IV-Empfänger über die Runden kommen zu müssen, ist auf jeden Fall so abschreckend, dass alles andere schon als Glück gilt. Völlig unerheblich ist auch die Frage, wer die Arbeit erledigt, die die vorrätig Entlassenen nicht mehr machen – dass das zu Lasten der „Beschäftigten“ geht, zählt nichts im Vergleich zum Glück einer „Beschäftigung“. Noch so ein „Sondereffekt“ ist auch in diesem Januar wieder einmal eine Jahreszeit namens „Winter“, die sich Jahr für Jahr überraschend übers Land legt und sich immer wieder von neuem irgendwie verfälschend auf die Arbeitslosenzahl auswirkt: Er bricht entweder zu früh oder spät, zu heftig oder zu mild aus – dann werden die Leute früher oder später entlassen, manchmal auch gar nicht erst eingestellt – und schon hat das unabsehbare Folgen für die Nürnberger Statistik.

Das Erklärungsmuster ist altbekannt: Die jeweilige Höhe der aktuellen Arbeitslosenstatistik muss im Lichte spezieller Besonderheiten des jeweiligen Monats gesehen werden – womit dann hinreichend klargestellt ist, dass allein aufgrund der Höhe der Arbeitslosenzahl keine Rückschlüsse auf den Arbeitsmarkt insgesamt möglich sind. Altbekannt ist auch der Rückschluss, der seit Jahren aus steigenden Arbeitslosenzahlen gezogen werden muss: Die Arbeitslosigkeit im Lande muss – entschlossener denn je – mit sinkendem Lohnniveau und „Deregulierung des Arbeitsmarkts“ bekämpft werden. Neu ist in diesem Januar allerdings, dass sich in der demokratischen Öffentlichkeit – außer den notorischen Stänkerern von der Opposition, die das ihrem parlamentarischen Handwerk schuldig sind, – so gut wie niemand findet, der den optimistischen Ausblick madig machen will, den die neuen Hoffnungsträger in der großen Koalition verkünden. Nein, zu diesem Jahresbeginn lassen „wir“ uns nicht die Stimmung durch die Zahlen aus Nürnberg verderben. Denn im Unterschied zum Januar vor einem Jahr mit seiner miesen Stimmung haben wir jetzt zwar kaum weniger – offiziell gezählte – Arbeitslose im Lande, aber diesmal lautet die Botschaft der „Sondereffekte“ ganz eindeutig: Man muss sie nur aus der Statistik herausrechnen, und schon sieht man, dass es „aufwärts geht am Arbeitsmarkt“! Und wem verdanken wir das?!

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In der neuen Merkel-Müntefering-Republik ist „Neoliberalismus“ out; dieses Schlagwort ist eindeutig von gestern. Nicht dass sich seit Münteferings legendärer „Kapitalismus-Kritik“ im letzten Frühjahr im Lande groß etwas geändert hätte. Es vergeht kein Tag ohne Ankündigung von ziemlich massenhaften Entlassungen durch Konzerne, die längst die ganze Welt ihrem Standortvergleich unterziehen. Aber die Miesmacherei, die sich in all dem Gemecker über „Neoliberalismus“ und „Heuschrecken“ geäußert hat, die passt kurz nach Regierungsantritt von Schwarz-Rot nicht mehr in die Landschaft. Stattdessen blüht eine Debatte um die schönste neue Gerechtigkeit. Die Koalitionspartner starten nämlich einen Wettbewerb um die „gerechteste Politik“, die die Republik je gesehen hat. Die SPD – so hört man – will sich auf keinen Fall „das Etikett sozial gerecht“ von den Konservativen nehmen lassen. Die C-ler ihrerseits verstehen sich auch aufs Etikettieren: Ihr neuer Generalsekretär Pofalla findet, dass die große Sache der Gerechtigkeit u.U. durch das altbackene Attribut „sozial“ doch eher „eingeengt“ wird, und tobt seinen Einfallsreichtum beim Erfinden eingängiger Slogans aus, die nicht nur der großen Gerechtigkeit wirklich gerecht werden, sondern die man auch noch vorwärts wie rückwärts lesen kann: „Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit“; eventuell auch „Mehr Freiheit durch neue Gerechtigkeit“; oder – auch nicht schlecht – „Neue Freiheit durch mehr Gerechtigkeit“; ersatzweise: „Mehr Gerechtigkeit durch neue Freiheit“ – irgendwie so was hat er jedenfalls seiner Partei verordnet. Kein Zweifel, wem wir das verdanken!

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Kaum im Amt, hat sich die neue Regierung einen Geniestreich ausgedacht: Mit Steuerpolitik gleichzeitig Familie und Arbeitsmarkt fördern, heißt die Parole!

Dass die deutsche Familie gefördert werden muss, ist klar. Denn das deutsche Volk ist bekanntlich vom Aussterben bedroht. Es braucht demzufolge Kinder, Kinder; „Kinder statt Inder“; und es braucht vor allem Kinder aus den besseren Kreisen. Denn gerade die akademisch Gebildeten versagen in Sachen nationaler Nachwuchsproduktion. Dabei sind Deutschlands Akademiker dafür vorgesehen, die Zukunft der Nation zu sichern. Das machen sie am besten, indem sie erstens an sauinnovativen Arbeitsplätzen das Wirtschaftswachstum voranbringen und zweitens nebenher noch jede Menge hochintelligenter Kinder in die Welt setzen. Dazu muss man sie befähigen durch staatliche Unterstützung in Form von Steuererleichterungen. Und damit diese Steuererleichterungen auch so richtig die Konjunktur ankurbeln und – vor allem – Arbeitsplätze schaffen, muss man nur die Familie konsequent als Arbeitsplatzbeschaffungs-Instrument ins Auge fassen – und schon ist ein großer steuer-familien-arbeitsmarkt-politischer Wurf gelungen: Steuererleichterungen für Doppelverdiener, die sich für ihre Kinderbetreuung zukünftig nicht mehr schwarz bezahlte Haushaltshilfen leisten sollen, sondern „sozialabgabepflichtige Stellen im haushaltsnahen Bereich“ schaffen. Die Wiederauferstehung des Hauspersonals der besseren Leute der „guten alten Zeit“ als Lösung der Probleme des kapitalistischen Arbeitsmarkts; der Bourgeois als Privatmann nimmt dem globalisierten Kapitalismus die Arbeitslosen ab – so sieht die modernste Fassung unserer glorreichen „Dienstleistungsgesellschaft“ aus. Nebenbei kommt so dann auch die Frauenemanzipation schön voran: Die besser bezahlte Mutti kann sich voll ihrer Karriere widmen, und die mies bezahlte Dienstkraft im Haushalt bringt nicht nur Beiträge für die Sozialkassen, sondern zählt endlich auch ganz legal als berufstätige Frau.

Dieser wunderbare Plan lässt sich dann doch nicht ganz so wie ursprünglich geplant in der Koalition durchsetzen. Die Sozis vermissen ihr unwechselbares „Etikett sozial gerecht“ und verlangen „Berücksichtigung der schlechter verdienenden Alleinerzieher“; etliche Herren von CDU und CSU, denen Karrierefrauen schon seit jeher suspekt sind, sehen ihr „klassisches Frauen- und Mutterbild“ vor die Hunde gehen. Der Kompromiss, der gefunden wird, ist genau so genial wie der ursprüngliche Einfall: Alle „Familienmodelle“ kommen zum Zuge. Alleinerziehende Alleinverdienender, doppelt verdienende Akademikerpaare und die „klassische Alleinverdiener-Ehe“ im CSU-Sinn, alle können ein Dreiviertel Kind oder so ähnlich von der Steuer absetzen – immer vorausgesetzt, dass sie überhaupt Steuern zahlen –, ohne dass sich an der Gesamtsumme, die der neue Finanzminister für dieses großherzige Projekt eingeplant hat, etwas ändert.

Dass durch dieses steuerpolitische Kunstwerk der Familienförderung die nationale Nachwuchsproduktion einen deutlichen Aufschwung nehmen wird oder gar eine nennenswerte „Belebung des Arbeitsmarktes“ zustande kommen könnte, halten alle Experten für ausgemachten Quatsch. Dass die dafür vorgesehene Fördersumme von knapp einer halben Milliarde Euro ein Witz ist, haben sie längst an den mickrigen Summen vorgerechnet, die die durchschnittlichen Musterfamilien als Steuerentlastung zu erwarten haben. Alle Kenner der Materie sind sich einig: Hier handelt es sich um „Symbolpolitik“. Doch dieses Schimpfwort aus der verflossen Schröder-Ära bekommt jetzt ein positives Vorzeichen: Ein wichtiges Signal wird gesetzt, wo die sozialen Brennpunkte unserer „überalterten Gesellschaft“ liegen. Und wem haben wir das zu verdanken?!

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Auch in der Rentenfrage geht es zügig voran. Die Experten der Rentenversicherungen haben ausgerechnet, dass nicht nur das durchschnittliche Lohnniveau im Lande gesunken ist, sondern wegen der vielen innovativen Arbeitsplatzschaffungs-Instrumente, wie Mini- und Ein-Euro-Jobs, auch die gezahlte Lohnsumme insgesamt. Da die als Basis der Berechnung der aktuellen Rentenzahlungen dient, müssten die Renten – streng versicherungsmathematisch betrachtet – im gleichen Maße wie die im Jahr 2005 gezahlten Nettolöhne sinken. Dokumentiert wird mit dieser schönen Rechnung nichts anderes als die zunehmende Verarmung der arbeitenden Bevölkerung in den letzten Jahren; aber das hält niemand für einen Skandal; und die Folgen für die Rente gelten eher als ein naturwüchsiger Sachzwang, den uns „ein demographisches Rentenproblem“ beschert hat. Hier ist die SPD mit ihrem unverwechselbaren „Etikett sozial gerecht“ gefragt. Deren Arbeitsminister Müntefering macht sich auch sofort seine durch und durch sozialen Gedanken und findet die Lösung: Er kündigt eine Reihe von nominellen Nullrunden – also faktischen Rentensenkungen – für Rentner mit der freudigen Botschaft an: „Die Rente wird nicht gekürzt!“ Sie wird nur – falls in Zukunft irgendwann einmal die nationale Lohnsumme wieder steigen sollte – auch nicht erhöht. Was also jetzt nicht gekürzt wird, wird später nicht erhöht – so viel soziale Gerechtigkeit muss einfach sein!

Und da er gerade schon beim Rentesichern ist, macht Münte gleich weiter und propagiert – unerschrocken gegen Gemosere aus den Reihen der CSU und Unzufriedenheit von Teilen seiner eigenen Partei – die beschleunigte Einführung der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Im Koalitionsvertrag hieß es noch: Rente erst mit 67 Jahren, das sollte – sukzessive eingeführt – in 24 Jahren gelten. Im Arbeitsministerium meint man, das dauert zu lange, und schlägt vor, die Sache in 12 Jahren perfekt zu machen. Denn, so Müntefering: „Die Regierung ist schließlich nicht fürs Warten, sondern fürs Handeln gewählt worden.“ Die Koalition handelt, ihr glorreicher Kompromiss lautet: In 18 Jahren ist es soweit. So mag das Wahlvolk seine Führung: Entschlossen, ohne lange zu fackeln und unnötige Parteidiskussionen zu inszenieren, wird ein Beitrag zur Altersarmut in die Wege geleitet, der dem geneigten überalterten Volk mit dem Tenor zum Abnicken vorgelegt wird: „Mit 65 gehört man noch lange nicht zum alten Eisen!“ Natürlich weiß jeder, es geht schlicht um Rentenkürzungen und nicht darum, den „reichen Erfahrungsschatz altgedienter Mitarbeiter nicht verkümmern“ zu lassen. Entsprechende Einwände werden durchaus laut; es wird darauf hingewiesen, dass über 50jährige in modernen Belegschaften sowieso kaum noch zu finden sind und als Arbeitslose so gut wie keine Chance haben, einen Job zu finden. Das kann die Zuversicht von Münte und Co. aber keineswegs trüben; über solches Genörgel geht die Regierung offensiv hinweg. Es gilt nämlich „nach vorne zu denken“: „Beschäftigungshindernisse für ältere Arbeitnehmer“ müssen zupackend aus dem Weg geräumt werden, mit der Kürzung der Bezugsfristen des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose ist man da schon auf gutem Wege; zu tun bleibt noch einiges beim Abbau des „Kündigungsschutzes für ältere Mitarbeiter“. Und wenn dann immer noch einer mosert, dann kann man gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass „wir Deutschen immer kürzer arbeiten und immer länger leben!“ Das kann ja wohl auf Dauer nicht gut gehen – das nutzt niemandem, schon gar nicht „unseren vielen älteren Mitbürgern“, die – „erfreulicherweise, selbstverständlich“ – immer älter und dadurch – „seien wir ehrlich“ – zu einem „für die Gesellschaft immer ernsthafteren Problem“ werden. Das verspricht die Merkel-Regierung jetzt noch entschlossener anzugehen als ihre rot-grünen Vorgänger, so will sie den Alten und deren Lebensabend dienen – und wie der kapitalistische Laden läuft, ist dieser Zynismus sogar die Wahrheit: Die Rente bleibt insgesamt sicher; ob man davon leben kann, ist eine andere Frage und fällt ganz in die Selbstverantwortung des mündigen Bürgers. Mehr ist nicht drin und auch nicht versprochen – und angesichts dessen, dass für die „jungen Arbeitnehmer von heute“ für die Zukunft schon jetzt noch bescheidenere Renten angekündigt sind, ist das erstens sowieso besser als gar nichts. Und zweitens kann jedem mitdenkenden Bürger klar sein, dass der Bedarf an mutigen Sozialreformen noch lange nicht gedeckt ist. Die neue Regierung verspricht jedenfalls dran zu bleiben, an der „Lösung der großen sozialen Probleme unserer Gesellschaft“, von denen allerdings niemand so recht wissen will, wem er sie eigentlich verdankt.

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Ein unerwünschter Expertenbeitrag zum Thema „Rente und Langlebigkeit“ soll schließlich nicht unerwähnt bleiben. Der Fachmann und neue SPD-Abgeordnete Lauterbach hat ermittelt, dass ein linearer Zusammenhang zwischen Lohn- und nachfolgender Rentenhöhe und Rentenbezugsdauer besteht: Arme sterben früher, fallen der Rentenkasse also weniger lange zur Last als Besserverdienende. Hier sieht der Mann eine Gerechtigkeitslücke – nein, selbstverständlich nicht in der Armut und deren natürlicher Todesfolge; man ist schließlich Sozialdemokrat. Ungerecht ist das Beitrags-Ertrags-Verhältnis: Mit ihrer Kurzlebigkeit subventionieren die Geringverdiener versicherungsmathematisch die Rente der Reichen. Das sollte man ändern! Klar: Dann lohnt sich das vorzeitige Ableben wenigstens, rückwirkend.

Eigentlich schade: Niemand aus der Koalition will von dem schönen Vorschlag etwas wissen. Aber dafür dürfen Dachdecker und alle andern mit 45 Beitragsjahren doch auch in Zukunft schon vor ihrem 67. Geburtstag ihren fetten Ruhestand antreten.