Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die frohe Botschaft der Union an das Wahlvolk in den neuen Ländern:
Kapitalismus genießt weiterhin „oberste Priorität“
„1000 Milliarden Mark“ hat sich Deutschland nach Angaben der wahlkämpfenden Regierungspartei den „Aufbau Ost“ mittlerweile an „Transferleistungen“ kosten lassen – und die Öffentlichkeit bekrittelt die Erfolge. Klarstellungen zum Zweck der „Angleichung der Lebensverhältnisse“: von der Errichtung der kapitalistischen Eigentumsordnung bis zu den „sozialen Kosten“, die dabei massenhaft anfallen. Auch die Regierung hat eine Kritik: ob man es mit der Pflege der ostdeutschen Arbeitskraft nicht etwas übertrieben hat.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Die frohe Botschaft der Union an das
Wahlvolk in den neuen Ländern:
Die frohe Botschaft der Union an das
Wahlvolk in den neuen Ländern: Kapitalismus genießt
weiterhin „oberste Priorität“
„Der Mehrheit der Ostdeutschen geht es so gut wie nie, aber keiner rechnet das der Regierung an.“ (Rehberg, CDU)
Das muß anders werden.
Die Führungsspitze der Union begibt sich nach Schwerin, verkündet nach vorwärts den zweiten Teil ihres Wahlprogramms: „Auch nach einem Wahlsieg behält der Aufbau Ostdeutschlands oberste Priorität“, und zeigt sich nach rückwärts tief beeindruckt von der Summe mit den unsäglich vielen Nullen, die sie höchstpersönlich den Ossis hat zukommen lassen: „Die beeindruckendste Erfolgsgeschichte dieses Jahrhunderts“ hat man sich „das gewaltige Transfervolumen von – sage und schreibe – 1000 Milliarden Mark“ (Waigel) kosten lassen. Fest entschlossen, ihr Licht auf den Scheffel zu stellen, schaut die CDU sich um; und siehe da: lauter glückliche Empfänger in den „sichtbar aufgeblühten neuen Ländern“, die „Trendwende auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt“ ist da.
Bei einer Öffentlichkeit, die sich nichts vormachen läßt, was gutgemachte Wahlwerbung betrifft, kann die Retourkutsche nicht ausbleiben, und die Regierungspropaganda vom aufgeblühten „Aufschwung Ost“, der endlich „die Menschen“ in Gestalt dringend benötigter Arbeitsplätze erreicht, wird postwendend an gegenteiligen Statistiken und Hintergrundswissen über Wahlkampfmunition mit ABM-Stellen blamiert. „Schönfärberei“ sei das Ganze, „die stark an DDR-Zeiten erinnert“, und wenig glaubwürdig die ganze Erfolgsbilanz. Das hat die Regierung davon, daß sie mit ihrer „historischen Aufbauleistung“ angeben will; jetzt werden ihr die absichtlich erzeugten Mißverständnisse, was ihre Wohltaten angeht, um die Ohren gehauen. Allerdings ist die Sorte Aufklärung, die die kritischen Wahlbeobachter beisteuern – Aufbau mißlungen, viel zu wenig Arbeitsplätze –, nicht weniger verlogen als das Eigenlob der Regierung. Daher ein paar Richtigstellungen.
1. Natürlich ist das ganze gute Geld nicht in die Zone gewandert, um den Schwestern und Brüdern, nachdem ihre alten Arbeitsplätze kostspielig abgewickelt worden sind, funkelnagelneue für ein sorgenfreies Arbeitsleben hinzustellen. Wenn es darum gegangen wäre, anstelle der sozialistischen „Mangelwirtschaft“ eine anständige Versorgung zu organisieren, hätten unsere Anschlußpolitiker denen das Geld ja gleich in die Hand drücken können. Die „gigantische Summe von 1000 Milliarden Mark“ – das sind schlicht und einfach die politökonomischen faux frais, um das System einer freien Marktwirtschaft nach drüben zu transferieren. Der Aufbau einer kapitalistischen Klassengesellschaft samt allem, was so dazugehört, ist eben nicht ganz billig.
Und bezüglich dieser „Angleichung der Lebensverhältnisse“ ist der Aufbau Ost wirklich nichts schuldig geblieben. Die Einführung des Privateigentums hat die ehemaligen Werktätigen gründlich aufgemischt: Vom Recht auf Arbeit und vom Joch sozialistischer Gleichmacherei befreit und in die Lohnabhängigkeit entlassen, ist ihr Lebensunterhalt nunmehr unwiderruflich an die Bedingung geknüpft, daß ein Privateigentümer namens Arbeitgeber ihre Arbeitskraft zur Vermehrung seines Vermögens brauchen kann und will. Selbstredend kommt das kapitalistische Produktionsverhältnis, in dem Arbeit als Dienst an fremdem Eigentum vorgesehen ist, ohne eine komplette Rechtsform nicht aus. Die Ausdehnung der bundesdeutschen Rechtsgewalt auf das Beitrittsgebiet, der Aufbau des dazugehörigen umfangreichen Justizapparats und einer wirksamen Polizeigewalt, die die neue Eigentumsordnung vor Übergriffen ihrer Neubürger schützt, hat manchen „Beförderungsstau“ im Westen aufgelöst und schlägt allein schon mit etlichen Milliarden zu Buche.
2. Die Eigentumsordnung mit einem ökonomischem Leben zu erfüllen, das ist allerdings die in jeder Hinsicht aufwendigere Veranstaltung. Schließlich sollte das ehemalige „Volkseigentum“ in lohnendes Privateigentum überführt werden und sich als Geldmaschine bewähren. Von wegen, der Aufbau-Ost wäre in der Abteilung „mißlungen“! Von der Erfüllung dieser marktwirtschaftlichen Norm ist alles Wirtschaften, Arbeiten und Leben in der Zone gründlich abhängig gemacht. Genau das ist sie, die historische Großtat und Aufbauleistung unserer Anschlußpolitiker, und genau deswegen, wegen dieses tatkräftigen Anspruchs, läuft drüben so wenig. Um die Erblast einer „Marx- und Murkswirtschaft“, die bedeutend maroder ausgefallen ist, als wir uns das vorstellen konnten und an deren kostspieligen Aufräumungsarbeiten wir deshalb bis heute leiden müssen, handelt es sich bei den „strukturellen Unterschieden von 40 Jahren Teilung“ (Waigel) nämlich nicht. Vielmehr hat darin die erste Leistung des teuren Aufbauwerks Ost bestanden, die angegliederte DDR überhaupt erst einmal in eine „strukturschwache Zone“ zu verwandeln.
Die Baumeister der Wirtschaftsunion haben das erreicht, indem sie schlicht und einfach die Ansprüche des Kapitals in die DDR verpflanzt haben: Sie haben die Finanzpflichten der DDR-Betriebe an die alte Staatsbank auf echte Schulden bei den neuen Banken umgestellt, die Betriebsbilanzen auf eine harte DM-Basis, die „sozialen und gerechten Preise“ auf „marktgerechte“ und die „verdeckte Arbeitslosigkeit“ auf ein echt ehrliches Niveau. Und prompt stellt sich heraus, daß drüben doch wahrhaftig ein anderes System geherrscht hat und die VEBs für die Rechenweise des DM-Systems wenig geeignet sind: Für den Anspruch, in Konkurrenz zu den westdeutschen und sonstigen global players, die den Weltmarkt bereits beherrschen, Renditen in weltmarkttauglichem Geld zu erzielen, waren sie eben nicht vorgesehen und ausgerüstet; und die Aufgabe, für die sie ausgerüstet waren, die Versorgung und Belieferung ihrer Kundschaft im Osten, die „rentiert“ sich eben nicht, wenn es um Geld-Erträge zu gehen hat. Die Treuhand, die die Zonenwirtschaft anhand der Maßstäbe des DM-Kapitalismus durchsortiert, hat eine Masse von Betrieben im Osten gleich dichtgemacht und hält andere eine Zeitlang im Angebot – das kostet, und zwar genau so viel, wie die neu installierten Ansprüche des DM-Kapitalismus verlangen: Die Treuhand übernimmt die „Altschulden“, d.h. die neu eingerichteten Zinspflichten gegenüber dem neueingerichteten Bankkapital, subventioniert die Umrüstung auf lohnkostensparende und leistungssteigernde Produktion oder übernimmt gleich ganz die verlangten Investitionen für weltmarkttaugliche Perspektiven… So kostet die Umstellung des ehemaligen „Volksvermögens“ in ein attraktives Angebot an die globale Geschäftswelt bei Abschluß die Kleinigkeit von 270 Milliarden, anstatt die veranschlagten „600 Milliarden Mark für den ganzen Salat“ (Treuhandchef Rohwedder) einzuspielen.
Bis heute bringt das Beitrittsgebiet immer noch zu wenig Geschäftsertrag – gemessen an den Ansprüchen eines Exportweltmeisters und einer Weltwirtschaftsmacht, die das neue Staatsgebiet fest als Zuwachs ihrer ökonomischen Macht eingeplant hat. Für die Einlösung dieses nationalen Rechts auf Geschäftserfolge dürfen Kosten erst recht keine Rolle spielen, dafür wird die wiedervereinigte Nation haftbar gemacht und mit Steuern und Schulden eingespannt. Wenn das Eigentum in den neuen Ländern seinem politischen Urheber den Dienst als Kapital schuldig bleibt, dann muß eben mit Staatszuschüssen und jeder Art von Sonderkonditionen für Investoren nachgeholfen werden. Und damit „was läuft“, müssen selbstverständlich die Grundstücke für die produktive Verwendung in diesem ganzen Raum besonders billig und die Unternehmenssteuern mit ihren Abschreibungsmöglichkeiten besonders günstig sein. Eine Subvention der politischen Gewalt für ihre unternehmerischen Lieblingsbürger ist allerdings ganz umsonst zu haben: Die Herrichtung der Zone in ein Sonderlohngebiet mit Billigsttarifen, an die sich kein Unternehmer zu halten braucht, bei dem Verlangen nach Arbeit, das drüben so herrscht. Dafür braucht es bloß die Mitarbeit einer staatstreuen Gewerkschaft, die schon immer der Überzeugung war, daß ihre Tarife dem Kapitalwachstum zu dienen haben. Und wenn kein Wachstum zu verzeichnen ist, haben kapitalistische Löhne dafür geradezustehen.
3. Im Resultat sind die „gigantischen Transfersummen“ an genau der richtigen Adresse angekommen: Das Kapital bedient sich – dort, wo es sich nach seinen Rechnungen rentiert. So kommt das Anschlußgebiet zu seinen „hochmodernen industriellen Kernen“, zu den „produktivsten Automobilfabriken Europas“ und einem Spitzenplatz in der europäischen Arbeitslosen- und Armutsstatistik. Und nicht zu vergessen, die Ex-DDR besitzt jetzt das modernste Telefonnetz und ein paar neue Autobahnen, weil kein Bau- oder sonstiger Unternehmer sich das Geschäft mit der staatlich finanzierten kapitalistischen Infrastruktur entgehen läßt. Zusammen mit der gewünschten Nutzung „des größten Steuerschlupflochs aller Zeiten“ hat das dem Anschlußgebiet vorübergehend einen „Bauboom“ beschert, so daß heutzutage über „Wohnparks und Büropaläste“ geklagt wird, „die keiner braucht“ (Spiegel). Als ob das die Aufgabe des Unternehmertums und der Kollegen aus der Finanzwelt wäre, sich um einen Bedarf zu kümmern, wo es doch nur um zahlungsfähige Nachfrage geht! Und wenn die per Staatsprogramm gestellt wird, wird eben daran verdient, solange das geht. Nachher sind dann selbstverständlich auch Skandale zu beklagen, wie immer, wenn das Recht auf dauerhaften, in Geld bezifferten Erfolg vom Wirtschaftsleben nicht bedient wird.
Schließlich ist auch der wiedereingeführte ehrenwerte Berufsstand von Grund- und Wohnungseigentümern mit dem Recht auf eine ordentliche Rendite versorgt worden. Damit ein großer Teil der Neubürger sich das freiheitliche Wohnen in ihren bekanntlich trostlosen DDR-Plattenbauten überhaupt noch leisten kann, sind besondere Wohngeldregelungen vonnöten. Die werden allerdings nicht als Tribut an diese Klasse, sondern unter einer anderen Rubrik verbucht:
4. Die Angliederung der Zone verursacht zuguterletzt „soziale Kosten“. Von der ersten Stunde des nationalen Großprojekts an steht fest, daß zur „Wirtschafts-“ eine „Sozialunion“ dazugehört. „Wenn die DM kommt“, dann braucht es auf jeden Fall eine effektive Armutsbetreuung. Nein, nicht wieder vom Staat, das wäre ja der Rückfall in die alte stalinistische Gängelei. Eine freiheitliche Staatsgewalt läßt ihre lohnarbeitende Mannschaft mit Zwangsbeiträgen zu den Sozialkassen für den Unterhalt der von der DM-Wirtschaft produzierten Sozialfälle geradestehen. Auch dieser segensreiche Mechanismus, mit jeder Menge Arbeitsplätze in den diversen Ämtern nach drüben transferiert und mit ein paar Milliarden Mark bezuschußt, kostet – in dem Maß, in dem das Kapital die Anwendung von Lohnarbeit für nicht lohnend befindet und massenhaft Brüder und Schwestern in den Status von Arbeitslosen befördert. Wo die neue Mannschaft ihren sozialen Dienst, sich als Klasse samt der Ausgemusterten durchzufüttern, schuldig bleibt, da muß ein solide wirtschaftender Staat sie darauf hinweisen, daß ihr Lebensunterhalt, Renten etc. unter die Kategorie unproduktiver Kosten fällt und nicht einmal die „Angleichung der Lebensverhältnisse“ an das westdeutsche Armutsniveau drin ist.
Auch die Einrichtung einer Reservearmee von Lohnarbeitern kostet schließlich: Der freiheitliche Sozialstaat hält das dazugewonnene Arbeitskollektiv eine Zeitlang für den „Aufschwung Ost“ im Angebot. Bis echte Arbeitgeber herbeisubventioniert sind, dürfen sich etliche Arbeitslose „qualifizieren“, über ABM-Maßnahmen ihre DDR aufräumen und in Leuna Platz schaffen, damit Elf Aquitaine kommen kann. So kommt das gute Geld der „Infrastruktur“ zugute, die die kapitalistische Geschäftswelt beansprucht. Im Jahre acht des historischen Aufbauwerks hat sich bei seinen Schöpfern allerdings die Erkenntnis verfestigt, daß sie es mit der Pflege der ostdeutschen Arbeitskraft übertrieben, nämlich schwer am Bedarf des Kapitals vorbeibetreut haben. Also müssen die Bundeszuschüsse in fünf Jahren endlich auf Null zurückgefahren sein, und bei den „Beschäftigungsoffensiven“ ist gründlich zu scheiden zwischen Leuten mit echter Aussicht auf Wiederbeschäftigung und Langzeitarbeitslosen, damit auch der Sozialstaat wieder zum Umfang der kapitalistischen Geschäftemacherei im neuen Deutschland paßt. Und für die vorgesehene Verwahrlosung im Ostvolk sind so manche „soziale Kosten der Einheit“, die Posten für Ruhe & Ordnung, dann wieder durchaus sinnvoll angelegt.
*
Alles in allem, „sage und schreibe – 1000 Milliarden Mark“ hat diese „beeindruckendste Erfolgsgeschichte dieses Jahrhunderts“ also bislang gekostet. Weiter so! – lautet die freudige Botschaft. Unserem Staat ist eben nichts zu teuer, wenn es gilt, einen Kapitalismus im Osten aufzuziehen, der einer gesamtdeutschen Weltwirtschaftsmacht würdig ist.