Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Armut macht krank – aber wie?
„Armut macht krank. Armut führt dazu, dass Menschen früher sterben und häufiger leiden müssen“. Und da kennen sich die Medizinmänner aus: „Mediziner wissen das schon länger. Dennoch wird die weltweite Ungleichheit zwischen Arm und Reich immer größer“. Dieses „dennoch“ ist schon ein bisschen kühn. Es lebt von der Vorstellung, dass die maßgeblichen Interessen, die die Armut „sozioökonomisch und politisch bedingen“, das Elend nicht auf sich beruhen lassen können, wo doch die Mediziner wissen und darauf hinweisen, dass Armut gesundheitsschädlich ist. Das hat schon eher etwas von ärztlichem Größenwahn, dass die Menschheit gar nicht anders kann, als ihren Ratschlägen Folge zu leisten, wo sie doch wissen, was gut für die ist.
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Armut macht krank – aber wie??
Im kalten Herbst 2007 beschäftigen sich nicht nur
Parteitage, Statistiken und Talkshows mit der Armut, auch
die Medizin widmet sich in einem gemeinsamen
publizistischen Kraftakt von 234 internationalen
Fachblättern
und der Süddeutschen Zeitung vom
23.10.07 diesem Dauerskandal
.
Vom kämpferischen Pathos – sorgt dafür, dass
Gesundheitsunterschiede der Vergangenheit
angehören
! [1] ...
„Die Ergebnisse sind erschreckend ... Die hohe Kindersterblichkeit weltweit ist angesichts ihrer Vermeidbarkeit keine geographisch-klimatisch bedingte Ungleichheit, sondern eine sozioökonomisch und politisch bedingte Ungerechtigkeit“ (Deutsches Ärzteblatt 43/07). „Armut macht krank. Armut führt dazu, dass Menschen früher sterben und häufiger leiden müssen“ (SZ, 23.10.07).
Und da kennen sich die Medizinmänner aus: Mediziner
wissen das schon länger. Dennoch wird die weltweite
Ungleichheit zwischen Arm und Reich immer größer
.
Dieses „dennoch“ ist schon ein bisschen kühn. Es lebt von
der Vorstellung, dass die maßgeblichen Interessen, die
die Armut sozioökonomisch und politisch bedingen
,
das Elend nicht auf sich beruhen lassen können, wo doch
die Mediziner wissen und darauf hinweisen, dass Armut
gesundheitsschädlich ist. Das hat schon eher etwas von
ärztlichem Größenwahn, dass die Menschheit gar nicht
anders kann, als ihren Ratschlägen Folge zu leisten, wo
sie doch wissen, was gut für die ist.
... über das ärztliche Bemühen, trotz Armut gesund zu bleiben...
Im Vergleich zum vorangestellten Pathos, etwas gegen
die weltweite Ungleichheit zwischen Arm und Reich
zu unternehmen, haben die vereinten Bemühungen der Zunft
dann doch eine etwas bescheidenere Stoßrichtung. Sie sind
vom ärztlichen Streben getrieben, den Menschen zu helfen
und ihre Leiden zu lindern. Unter diesem Gesichtspunkt
widmen sie sich dem Elend, und zwar aus einer ziemlich
einsinnigen Perspektive heraus: Armut interessiert sie
als schlechte Bedingung für Gesundheit. Deshalb
ist die Armut selbst für sie nicht das Objekt der
Untersuchung, vielmehr die Frage, inwiefern sie
krank macht oder eine Therapie behindert.
Konsequenterweise setzt der medizinische Sachverstand
genau an der Problemlage an und versucht
ernsthaft, die Behandlung der Gesundheitsschäden von der
Armut zu entkoppeln. Er forscht nach Gegenmitteln, um den
von ihm selbst festgestellten Zusammenhang außer Kraft zu
setzen – als ob er es mit einer Infektion zu tun hätte,
gegen die er nur die richtige Impfung oder ein passendes
Antibiotikum finden müsste. Dann müsste es doch auch
möglich sein, die schlimmsten Auswirkungen auf die
Gesundheit abzumildern und ein Leben in Armut ohne
gravierende Gesundheitsschäden zu ermöglichen.
Unter der Vorgabe gibt es reichlich Bedarf für die
Erforschung des Zusammenhangs von Armut, Gesundheit
und menschlicher Entwicklung
. Als Allererstes gilt
es, wissenschaftlich wasserdicht zu belegen, dass Armut
wirklich krank macht – mit einer anspruchsvollen
Beobachtungsstudie über 94.4 0er Weltbevölkerung, die
eine hochsignifikante Korrelation zwischen niedrigem
Einkommen und erhöhter Sterblichkeit nachweist (British
Medical Journal, 27.10.07). Und zwar in armen wie reichen
Ländern, für alle Altersgruppen und beide Geschlechter!
Wer hätte das gedacht? Offensichtlich haben die Forscher
bei ihrer Entdeckung gar nicht an die Banalität gedacht,
dass Armut die Menschen mit ziemlicher Notwendigkeit
physisch und psychisch ruiniert; so etwas zu sagen, wäre
für sie vermutlich bloß sozialkritisch und nicht
wissenschaftlich. Bemerkenswert und wissenschaftlich
aufklärenswert halten sie daran die Frage, für
welche Krankheiten genau und inwiefern
dieser Zusammenhang besteht. Für den finden sie dann zwar
viel Evidenz, aber genauso viele noch zu erforschende
Fragen. Auf diese Art relativieren und verrätseln sie mit
ihren ganzen statistischen Beweisen den Ausgangspunkt,
dass die Armut offenkundig der Grund für die
beschriebenen Krankheiten ist.
Als Nächstes muss das weltweite Elend auf seine
Gesundheitsschädlichkeit hin durchforstet werden. Und
siehe da, es gibt sie tatsächlich, die armutsspezifischen
Risikofaktoren, z.B. beim Brustkrebs: Armut ist ein
Karzinogen
(Deutsches
Ärzteblatt). Außerdem sind viele neue
Zusammenhänge zu ergründen, unter anderem Teufelskreise
der folgenden Art: Macht Arbeitslosigkeit krank oder
macht Krankheit arbeitslos
(Deutsches Ärzteblatt)? Um den zu
durchbrechen, braucht es eine bessere Kooperation
zwischen Arzt und Arbeitsagentur, die verhindern soll,
dass sich durch Drehtüreffekte im sozialen
Sicherungssystem Gesundheitsstörungen verfestigen
.
Die Therapie, die dem sozialstaatlich-ärztlichen joint
venture dagegen empfohlen wird, lässt keine Zweifel über
die dabei geltenden Maßstäbe aufkommen:
Altersarbeitslosigkeit bei noch Leistungsfähigen soll
nicht mehr augenzwinkernd (z.B. durch Krankschreibung
oder Gefälligkeitsgutachten) toleriert werden: dies macht
oft kränker und ist zudem nicht mehr finanzierbar
.
Das Beste für die Gesundheit der Hartz-IV-Empfänger ist
demnach immer noch Arbeit und keine wohlgemeinte
Rücksichtnahme auf ihre ruinierte Physis....
Schlussendlich werden dann bekannte Therapieformen dahingehend überprüft, ob man sie den elendigen Bedingungen anpassen und damit effektivieren kann. In Guinea Bissau z.B. konnte die Malaria-Therapie bei Kindern durch einfachste Maßnahmen ‚signifikant verbessert‘ werden (British Medical Journal). Vorher bekamen die Kinder ihre Tabletten nur unzureichend verabreicht; teils verscherbelten die Krankenschwestern die Medikamente zur Aufbesserung ihrer Hungerlöhne unter der Hand weiter, teils konnten sich die Familien die Malaria-Tabletten für ihre Kinder ohnehin nicht leisten. Und was hilft da der Gesundheit? Richtig: Ein bisschen mehr Kontrolle beim Vertrieb der Pillen, eine kleine Erfolgsprämie für Krankenschwestern, die sie auch verabreichen – und schon konnte die ‚Wirksamkeit der Therapie verdoppelt‘ werden! Schön, wenn man so wenig am Elend ändern muss, damit besorgte Ärzte auch mit dem Gesundheitszustand von Slum-Bewohnern zufrieden sein können!
Man kann diesen Bemühungen außerdem entnehmen, wie
bescheiden der Kampf der Mediziner gegen die
armutsbedingten Krankheiten notwendigerweise ausfällt.
Wenn sie sich als hochoffiziell Beauftragte des
Gesundheitssystems um die Opfer der kapitalistischen Welt
kümmern, dann ist deren massenhafte und dauerhafte Armut,
über die in den Artikeln so ausführlich berichtet wird,
für die Mediziner selbstverständlich. Damit,
warum die neben dem ganzen weltweit produzierten
Reichtum so notwendig zustande kommt, brauchen sie sich
nicht weiter zu beschäftigen; offenkundig wollen sie das
auch nicht, sondern unterstellen das Elend lieber als
Ausgangslage ihres Helfens und Heilens. Und wenn sie dann
die Kranken nach allen Regeln ihres modernen
Gesundheitssystems behandeln, orientieren sie sich stets
an den marktwirtschaftlichen Bedingungen, die das Elend
erzeugen, und nehmen bei der Behandlung Maß an dem, was
die Staaten mit dem kapitalistischen Wachstum für
vereinbar halten – keine Studie kommt heutzutage ohne den
Gesichtspunkt aus, inwiefern ihre Erkenntnisse entweder
unmittelbar oder gesellschaftlich gesehen
Kosten
einzusparen hilft.
... zum Antrag an die Politik auf mehr Unterstützung.
Bei all dem haben sie als Helfer ausgerechnet die
Instanzen im Blick, die für das ganze Elend
verantwortlich und zuständig sind: Nicht nur Krankheit
ist ökonomisch und sozial determiniert, auch die
Gegenmittel sind politischer Wille, Geld und
gesellschaftliche Verantwortung
(SZ). An diese Instanzen ergeht der
hoffnungsvolle Appell, sie mögen doch die Medizin in
ihrem Bemühen unterstützen: Die Situation war noch nie
so günstig und der Handlungsbedarf nie so groß wie jetzt,
um den Teufelskreis aus Armut und Krankheit zu
durchbrechen – so das amerikanische Gesundheitsinstitut
NIH
(SZ). Woher die
Mediziner angesichts des enormen Handlungsbedarfs ihre
Zuversicht nehmen, ist sehr rätselhaft. Dieselben
Staaten, unter deren Regime die beklagenswerten Zustände
zustande gekommen sind und betreut werden, stehen in
dieser Logik eigentlich zu deren Besserung bereit. Wer
allerdings die Armut streng unter dem Gesichtspunkt ihrer
Gesundheitsschädlichkeit betrachtet, für den sind die
sozioökonomischen und politischen
Interessen, die
die Krankheiten bedingen
letztendlich doch nur so
was wie falsch gepolte Stellschrauben. Wenn dann die
Medizin gerade in einer konzertierten Aktion dabei ist,
das Bewusstsein für diese Probleme zu schärfen
,
Interesse zu wecken
und Zusammenhänge zu
erforschen
, dann sind anscheinend schon die denkbar
günstigsten Bedingungen für den Kampf gegen das Elend
vorhanden! Und damit die Medizin dabei ihren Dienst tun
kann und nach Gegenmitteln
suchen kann, braucht es
mehr Geld für die ärztliche Suche nach Wegen, den
Teufelskreis zu durchbrechen
. Der Antrag an die
staatlichen Instanzen besteht am Ende darin, dass sie
mehr Mittel zur Forschung über den Zusammenhang von Armut
und Gesundheit spendieren sollen.
Na dann! Dann braucht es wirklich nur noch ein paar Lehrstühle für Armuts-Medizin, und dem gesunden Leben im Elend steht garantiert nichts mehr im Weg...
[1] Make health
inequality history!
(British
Medical Journal, 27.10.07)